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Amt und Gewissen
von Jürgen Boeckh

LeerDie meisten ökumenisch aufgeschlossenen Christen sind heute wohl der Meinung, daß Konversionen nicht mehr zeitgemäß sind. Ich meine hier besonders die Übertritte von der evangelischen zur römisch-katholischen Kirche - und umgekehrt. Sogar Karl Barth hat noch kurz vor seinem Tode gesagt: „Konversionen von uns hinüber zur römisch-katholischen Kirche, oder umgekehrt: von dort herüber zu einer unserer Kirchen haben als solche keinen Sinn (peccatur intra muros et extra - es wird gesündigt innerhalb der Mauern und draußen!).” Dennoch gibt es auch heute noch Übertritte von einer Konfession zur anderen. Aber sie sind seltener geworden. Die meisten Übertritte römischer Katholiken zur evangelischen Kirche hingen mit der Mischehengesetzgebung zusammen. Diese allein kann heute nicht mehr Grund für einen Übertritt sein. Aus Glaubensgründen sind in den letzten Jahrzehnten sicher mehr evangelische Christen zur katholischen Kirche übergetreten als Katholiken zu einer evangelischen Kirche.

LeerDer Konfessionswechsel von Pastoren oder Priestern liegt noch auf einer anderen Ebene. Während Übertritte von Laien meist im Verborgenen, ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit, vor sich gehen, ist das bei Amtsträgern anders. Handelt es sich um einen Gemeindepfarrer, so ist die verlassene Gemeinde mitbetroffen. Aber auch für den Amtsträger selbst ist der Übertritt von besonderem Gewicht. Ein Wechsel der Konfession betrifft in den meisten Fällen auch die bürgerliche Existenz. Nicht selten sind römisch-katholische Priester zu einer evangelischen - oder zur alt-katholischen - Kirche übergetreten, um von der Last des Zölibats befreit zu werden. Damit soll nicht bestritten werden, daß eine solche Motivation nicht auch aus einem neuen Glaubensverständnis herrühren kann. Selbstverständlich ist es auch immer wieder vorgekommen, daß katholische Priester aus geistlichen und theologischen Gründen die römische Kirche verließen.

LeerEin bekanntes Beispiel aus dem vorigen Jahrhundert ist Johannes Evangelista Goßner, der Gründer der nach ihm benannten Mission. Zwei Motive standen für ihn und für manche andere, die diesen Weg gingen, im Vordergrund: der Glaube an die im Evangelium angebotene rettende Gnade Gottes, wie Martin Luther ihn erfahren hatte, und das Bestehen auf der Gewissensfreiheit des einzelnen, der die Zwänge kirchlicher Gehorsamspflicht abschüttelt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben übrigens immer weniger ehemalige katholische Priester ein evangelisches Pfarramt übernommen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ein Priester kann heute eher seine „Laisierung” erlangen als früher. Ehemalige Priester, sogar Mönche, erhalten die Möglichkeit, in der römisch-katholischen Kirche eine „gültige” Ehe zu schließen. Frühere Priester, die verheiratet sind, werden bisweilen in einen anderen kirchlichen Dienst übernommen. Darüber hinaus kommt es - weniger in Deutschland als in anderen Ländern - vor, daß resignierende Priester vom Christentum überhaupt Abschied nehmen. Manche evangelische Theologen, die sich mit dem Gedanken trugen, zur römisch-katholischen Kirche überzugehen, mögen diesen Schritt nicht vollzogen haben, weil sie, die ja in den meisten Fällen verheiratet waren, ihre Entscheidung nicht allein treffen und auch bei Zustimmung ihrer Ehefrau nicht gewiß sein konnten, ob und in welcher Weise ihnen das gemeinsame Leben mit ihrer Frau weiterhin gestattet würde, wenn sie die Priesterweihe erhalten hätten. In den 50er Jahren wurde in der Öffentlichkeit der Übertritt des Frankfurter Pfarrers Rudolf Goethe bekannt. Mit Dispens von Papst Pius XII. erhielt er als Verheirateter die Priesterweihe. Allerdings waren er und seine Frau damals schon in einem höheren Lebensalter. Rudolf Goethe hatte als Pfarrer in Darmstadt im Jahre 1926 das „Berneuchener Buch” mit unterzeichnet.

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LeerInzwischen ist Rom großzügiger geworden. Wenn in den letzten Jahren jüngere Pfarrer, die verheiratet waren, übertraten, dann haben sie wohl auch immer die Erlaubnis erhalten, als in der römischen Kirche geweihte Priester ihre Ehe weiterzuführen. Dieses Privileg wurde zum Beispiel vor einiger Zeit drei jungen altkatholischen Priestern zuteil, die zur „Rom-katholischen Kirche” (so der alt-katholische Sprachgebrauch) übertraten. Da sie bereits in der „Apostolischen Sukzession” standen, wurden sie nicht noch einmal geweiht. Aber auch evangelische Pfarrer, die gegen Ende des vorigen und zu Beginn dieses Jahres die evangelisch-lutherische Landeskirche Bayerns verließen, um römisch-katholisch zu werden, erhielten das gleiche Privileg.

LeerDer Schritt dieser drei Pfarrer (es kam im Frühjahr noch ein evangelischer Pfarrer aus Westfalen dazu, der ursprünglich katholisch gewesen war und nun zu seiner früheren Kirche zurückkehrte) hat in der kirchlichen Öffentlichkeit starke Beachtung gefunden und ist auch in der Tagespresse nicht unerwähnt geblieben. Der Evangelische Pressedienst / Frankfurt a. M. (epd) hat zu diesem Übertritt eine Dokumentation herausgegeben. Sie enthält in 67 Seiten die ausführliche Begründung ihres Schrittes durch zwei der übergetretenen Pfarrer, die „Aufkündigung” eines Braunschweiger Pastors an seinen Propst, ein Rundschreiben des Landesbischofs D. Dietzfelbinger, Erklärungen kirchenamtlicher Stellen auf beiden Seiten, Stellungnahmen freier kirchlicher Gruppen, ausgewählte Pressestimmen und den Wortlaut zweier Kirchengesetze der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns, deren Verabschiedung für den Übertritt der Pfarrer von besonderer Bedeutung gewesen ist. Jeder, der diese Dokumente liest, muß tief betroffen sein von dem Ernst der Entscheidung auf der einen Seite - und von der Oberflächlichkeit mancher, nicht aller, Stellungnahmen auf der anderen.

LeerDie Pfarrer Gerhard Betzner aus Neuendettelsau und Karl-Heinz Tillmann aus Würzburg haben ihren Schritt eingehend vor dem Landeskirchenamt und vor dem Kreisdekan begründet. Gemeinsam ist allen Konvertiten die Ablehnung der immer mehr auch in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns vor sich gehenden „protestantischen Engführung” in Dogma und Frömmigkeit und die Auflösung des geistlichen Amtes, die für sie besonders am Theologinnengesetz deutlich wird und am Beauftragungsgesetz, nach dem Laien ohne Ordination das Recht der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung zugesprochen werden kann.

LeerGerhard Betzner legt in seinem Schreiben an den Landeskirchenrat dar, wie er seit Beginn seines Studiums den Fragen nach der Wirklichkeit der Kirche und ihrer Katholizität nachgegangen ist; daß er in den Bekenntnisschriften des XVI. Jahrhunderts lediglich Korrektive innerhalb der einen Kirche sehen konnte. Die evangelische Kirche in Westfalen hatte ihm in der Ordination die Bindung an die evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften ermöglicht. In dieser Kirche hatte er sein Amt angetreten. Als er aber nach mehrjähriger Tätigkeit zu der Erkenntnis kam, daß die Berufung auf die Bekenntnisschriften rein formaler Natur sei, übernahm er ein Pfarramt in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns. Dort jedoch mußte er wieder feststellen, „in welch hohem Maße ... die katholischen Strukturen in Bekenntnis und Kirche abgebaut und protestantischen Engführungen im kirchlichen Leben Raum gegeben wurde”.

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LeerZwei Punkte waren es dann vor allem, die Betzner - und die anderen beiden Pfarrer - veranlaßten, die evangelische Kirche zu verlassen: einmal das Theologinnengesetz, mit dem die bayrische Landessynode „klar den in den Bekenntnisschriften abgesteckten Rahmen des Zulässigen überschritten und gegen die eigene Kirchenverfassung das Bekenntnis zum Gegenstand ihrer Beschlußfassung” gemacht habe, zum anderen das „Beauftragungsgesetz”, nach dem Gemeindeglieder zum Predigtdienst und zur Sakramentsverwaltung ohne Ordination zugelassen werden können. Zu diesem Punkt bemerkt Betzner, er sei „keineswegs gegen die Gewinnung gläubiger Kaufleute, Bauern, Arbeiter, Ärzte etc. auf dem Weg der Spätberufung in das geistliche Amt”, er sei nur dagegen, „daß diese Leute ohne den Trost und die Vollmacht der Ordination den Gemeinden zugemutet werden”.

LeerKarl-Heinz Tillmann schreibt in seinem Brief an den Kreisdekan: In der unbewältigten Lehre von der Kirche, „wohl dem kritischsten Punkt des Protestantismus, droht die Depravation der Theologie zur Kompromiß- und Legitimierungswissenschaft für nachträgliche Rationalisierung vermeintlicher Erfordernisse der Zeit”. Wir können und wollen hier nicht alles wiederholen, was von diesen beiden Pastoren zur Begründung ihres Schrittes gesagt wurde, und etwa eine Debatte über die Ordination überhaupt und die Frauenordination im besonderen führen. Es soll uns hier auch nicht darum gehen, zu beurteilen, ob diese Konsequenz, nämlich der Übertritt zur römisch-katholischen Kirche, „richtig” war. Wer wollte das „objektiv” entscheiden?

LeerLandesbischof Dietzfelbinger hat den Schritt der drei Pfarrer, auch wenn er ihr Vorgehen in einzelnen Punkten kritisierte, doch als Gewissensentscheidung respektiert. Von besonderem Verständnis zeugt auch die Erklärung des Kirchenvorstandes in Neuendettelsau. Dieser stellte fest, daß er mit Pfarrer Betzner einen geistlichen Menschen verliert, „der sein Hirtenamt vor dem Angesicht Gottes verwaltete . . . Uns alle sollte dieser Schritt unseres Pfarrers tief erschrecken. Hat unsere lutherische Kirche soviel von ihrer Glaub- und Liebenswürdigkeit verloren, daß so ein tüchtiger Pfarrer, ein Pfarrer, der unser Bekenntnis genauer kannte und mehr in ihm lebte, als das selbst unter Theologen üblich ist, sich in ihr heimatlos fühlte und sie verlassen mußte?” Auch andere Kreise haben geistlich reagiert. Das „leitende Team” des „Arbeitskreises für Evangelische Erneuerung” (AEE) hingegen schließt seine Stellungnahme mit dem Satz: „Wir erwarten von den kirchlichen Organen, daß die Verabschiedung des neuen Theologinnengesetzes, die Annahme der Leuenberger Konkordie und die Reform der EKD zügig vorangetrieben wird.”

LeerC. J. Roepke in der „Deutschen Zeitung” (früher „Christ und Welt”) äußerte sich nicht ganz so hart, dafür mehr oberflächlich und mit überlegener Pose. Wie eh und je, wenn unbequeme Außenseiter (sei es in der Politik, sei es in der Kirche) schließlich zur anderen Seite übergingen, weil sie feststellen mußten, daß ihr Einfluß nichts mehr vermochte, begrüßt es auch Roepke, daß „dieser Übertritt klare Verhältnisse geschaffen” habe. Er erwartet von der (inzwischen zusammengetreten) bayrischen Landessynode, daß sie nunmehr Entscheidungen fällen werde, „die von der Mehrheit der Normallutheraner in Bayern und von der Gesamtheit des deutschen Protestantismus erwartet werden”. Solche - zu einem guten Teil nur als zynisch zu bezeichnende - Äußerungen stellen uns vor die Frage: Welche Bedeutung hat das Gewissen des einzelnen Amtsträgers, der mit einer besonderen Verpflichtung sein Amt angetreten hat, im heutigen protestantischen Kirchenwesen?

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LeerAuf jeden Fall müssen wir feststellen: Synodale Demokratie ist nicht grundsätzlich besser als päpstlicher Absolutismus. Protestanten, die die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnen, sollten sich hüten, der Mehrheit einer Synode Unfehlbarkeit zuzusprechen. Sicher gibt es viele Dinge, über die man mit Mehrheit - in Kirchenvorstand oder Synode - entscheiden kann. Aber leider ist in unseren kirchlichen Gremien das Gespür dafür unterentwickelt, daß die Wahrheit unteilbar und unzählbar ist; daß es darum auch eine Grenze geben muß, jenseits derer Mehrheitsentscheidungen nicht am Platze sind. Gehört dazu auch die Frage, ob ein Gemeindeglied lediglich durch kirchenamtliche Verfügung - ohne Ordination - zur Ausübung des geistlichen Amtes bevollmächtigt wird? Ist es nur eine Ordnungsfrage, ob das Heilige Abendmahl in einer Gemeinde innerhalb oder außerhalb des „Hauptgottesdienstes”, an jedem Sonntag oder nur einmal im Monat gefeiert wird? Ist die Unterstützung eines Staates, einer politischen Partei oder Bewegung schon dadurch geistlich gerechtfertigt, daß die Mehrheit einer Synode sich dafür ausgesprochen hat? Wer diese Fragen mit „Nein” beantwortet, ist von seinem Gewissen her verpflichtet, Mehrheitsentscheidungen einer Synode, die ihm theologisch falsch erscheinen, nicht anzuerkennen. Das gilt nicht nur für den Pastor, sondern für jedes Gemeindeglied, auch wenn es unzeitgemäß ist, gegen die Spielregeln der Demokratie zu verstoßen.

LeerEs ist den drei bayrischen Pfarrern zu danken, daß sie durch ihr Ausscheiden aus der Landeskirche unmißverständlich den Finger auf mehrere wunde Punkte unseres protestantischen Kirchentums gelegt haben. Ihre grundsätzliche Kritik an den synodalen Mehrheitsentscheidungen über das geistliche Amt scheint mir am wichtigsten zu sein. Durch ihren Austritt haben diese Pfarrer gezeigt, daß sie ihre - bisherige - Kirche sehr ernst nahmen. Dabei stellt sich allerdings die Frage: Verdienen es unsere vorfindlichen „Landes”-Kirchen (nach wie vor nennen sie sich so!) eigentlich, so ernst genommen zu werden?

LeerVor einigen Jahren vertrat ein katholischer Universitätstheologe die Auffassung, die meisten Christen seien heute nur zu einer „partiellen Identifikation”, d. h. nur zu einer teilweisen Übereinstimmung, mit ihrer Kirche fähig. Für viele gilt das, aber ob es tatsächlich für die meisten gilt? Es wäre zu wünschen, nicht nur im Blick auf kirchliche Gemeinschaften, sondern auch im Blick auf politische Parteien. Auch wer aufgrund einer Gewissensentscheidung von einer Konfessionskirche zu einer anderen übertritt, sollte darauf gefaßt sein, daß auf der anderen Seite - wenn er weiter der Stimme seines Gewissens folgt - auch nur eine „partielle Identifikation” möglich ist. Wenn sie dort, nach menschlichem Ermessen, größer ist als hier, könnte der Übertritt gerechtfertigt sein. So schreibt auch Karl Barth im Anschluß an die schon zitierten Worte: Konversionen „können einen Sinn nur haben, wo sie die gewissensmäßig notwendige Gestalt von ‚Konversion’ - nicht zu einer anderen Kirche, sondern zu Jesus Christus, dem Herrn der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche sind. Grundsätzlich kann es hüben und drüben nur darum gehen, daß ein jeder sich an seinem Ort in seiner Kirche zum Glauben an den einen Herrn und in seinen Dienst rufen lasse.”

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LeerAls ich in das Pfarramt eingeführt wurde, schrieb mir ein Amtsbruder: „Du wirst nun endgültig in diese Gemeinde hineingestellt und Du weißt, daß Behörde und Gemeindekirchenrat damit den Willen des Herrn der Kirche ausführen. Geh dieser Sache nach und laß sie Dir zur Gewißheit werden. Denn unsere Kirche, die die vielleicht allzu sichere Sicherheit der römischen Kirche fahren ließ, hat es zu keiner ausreichenden Klarheit über die Berufung und Beauftragung der Diener des Geheimnisses Christi gebracht, weil sie die Erfahrung des Wirkens des Heiligen Geistes wenig zu kennen scheint und wenig beachtet. Auf sich selber steht der Amtsträger da ganz allein. Und vielleicht ist uns das gut. Wir müssen dann den Herrn selber bitten und dürfen ihn erfahren bei uns, mit uns, in uns. Es ist mir schon früh gegeben worden, mich ‚,reichsunmittelbar’ zu fühlen, gewissermaßen nur abkommandiert zu der Truppe ‚Evangelische Kirche’. So konnte ich dieser Truppe zwar ungeteilt dienen, brauchte mich aber ganz und gar nicht mit ihr zu identifizieren, was ich je länger je weniger gekonnt hätte. Und dies sich reichsunmittelbar fühlen, dem Herrn selbst nur unterstellt sein, möchte ich Dir für Dein Amt erbitten.”

LeerDie Kritik an der Kirche, die in diesen Worten enthalten ist, geht tiefer als die Kritik jener Pfarrer, die von der evangelischen zur römisch-katholischen Kirche übertraten. Der Pfarrer und Michaelsbruder, der sie seinerzeit aussprach, hatte dennoch - oder deswegen! - nicht die Absicht, die evangelische Kirche zu verlassen. Er wurde jedoch aus der Kirche hinausgedrängt: nicht weil er Atheist war (das wäre nicht schlimm!), nicht einmal weil er „katholisierende Neigungen” hatte (das wäre schon schlimmer gewesen!), sondern weil er der Anthroposophie nahestand. Vor 16 Jahren, als ich seine Zeilen empfing, identifizierte ich mich noch bedeutend mehr als heute mit der „evangelischen” Kirche und sah gleichzeitig in der römisch-katholischen” Kirche eine echte Alternative - wie jene „konvertierten” Amtsbrüder in Bayern und Westfalen. Im Laufe der Jahre habe ich mir die Worte des inzwischen verstorbenen Bruders immer mehr zu eigen machen können. Dazu hat sicher auch die von Jahr zu Jahr stärkere Überschätzung der Kirche durch ihre offiziellen Vertreter, durch ihre Kritiker intra et extra muros beigetragen. Von der Kirche und ihren Strukturen wird viel geredet. Wer aber spricht von Gott und seinem Anspruch an uns?

Leer Die „Reichsunmittelbarkeit” sollte für jeden Christen, ob Pastor oder „einfaches” Gemeindeglied, ob Ältester oder Synodaler, an erster Stelle stehen. Die Reich-Gottes-Unmittelbarkeit kann uns vor dem lähmenden Unbehagen an der Kirche (auch eine Folge ihrer Überschätzung!), das niemandem hilft, bewahren. Sie schenkt uns eine gesunde Skepsis auch gegenüber der anderen Kirche, die uns aus der Ferne in vielem oft sympathischer erscheinen mag als die eigene. Die Reich-Gottes-Unmittelbarkeit jedes einzelnen Christen (nicht zu verwechseln mit Emanzipation!) und damit auch dessen, der ein geistliches Amt innehat, verpflichtet und ermutigt dazu, in Kirche und Gemeinde - und notfalls gegen Kirche und Gemeinde! - das Evangelium so zu verkünden und zu verwirklichen, wie es die Stimme des eigenen allein an das Wort Gottes gebundenen Gewissens gebietet.

Quatember 1974, S. 195-200

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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