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von Johannes B. Lotz SJ |
Westlich nennen wir jene Meditation, die von Christen aus der Überlieferung des Christentums und in dessen Geist geübt wird; demnach ziehen wir nicht die Versuche in Betracht, die östliches Meditieren im Westen möglichst ohne jede Umgestaltung zu übernehmen bestrebt sind. Die östliche Meditation ist als die des großen, vom Christentum noch unberührten Völker-Advents zu kennzeichnen, die sich namentlich in Indien, China und Japan in mannigfachen Gestalten und Stufen entwickelt hat; aus ihnen heben wir vor allem den Zen-Buddhismus mit der ihm eigenen Erleuchtung heraus. Auf diesem Hintergrund fragen wir, wie sich beide zueinander verhalten. Schließen sie einander aus oder sind sie miteinander vereinbar? Kann eine gegenseitige Befruchtung zwischen ihnen stattfinden? Ist der westliche Mensch überhaupt imstande, einen Zugang zur östlichen Meditation zu finden oder bleibt sie ihm im Grunde gänzlich fremd? Jede Beantwortung solcher Fragen muß die Tatsache im Auge behalten, daß die Welt immer kleiner wird. Es gibt keine in sich abgeschlossenen Kulturkreise mehr; vielmehr greifen die Kulturen ineinander, sind sie in einen unablässigen Austausch miteinander eingetreten, der sich nicht mehr aufhalten läßt. Es ist nicht mehr möglich, künstlich voneinander zu trennen, was bereits daran ist, ineinander zu wachsen. Die eine Welt-Kultur zeichnet sich am Horizont der Geschichte ab, die jedoch nicht öde Gleichmacherei besagt. Ein wahrhaft fruchtbarer Austausch verlangt, daß jeder der Partner seine eigene Prägung wahrt, indem er aber zugleich durch den andern aufgerufen wird, sich zu wandeln und so zu bereichern. In breiter Front strömt schon längst die westliche Zivilisation in die östliche Kultur ein, wobei namentlich Naturwissenschaft und Technik ständig an Boden gewinnen. Die so gegebene tiefgreifende Umgestaltung des Ostens geschieht zwar manchmal als ein eigenständiges Aneignen der westlichen Errungenschaften; meist aber wird der Osten vom Westen überflutet, mitgerissen und vergewaltigt. Dabei wird er durch eine allzu unbedachte und stürmische Angleichung an den Westen seiner eigenen Überlieferung entfremdet und daher entwurzelt. Vor allem wirkt der Aktivismus des Westens zerstörend auf die meditative Haltung mit der in ihr vorwiegenden Passivität oder Empfänglichkeit für die tieferen Zonen des Daseins. Daher nimmt etwa in Japan die Zahl derer, die sich ernstlich der Meditation widmen, immer mehr ab; und in China erschreckt uns deren pervertierte Gestalt, die als Gehirnwäsche schon furchtbare Quälereien und unabsehbare menschliche Verwüstungen angerichtet hat. Diese Entwicklung können wir nur mit tiefem Bedauern und nicht ohne Schuldgefühle beobachten. Vermöge einer entgegengesetzten Bewegung strömt das meditative Erbe des Ostens immer mächtiger in den Westen ein. Überdrüssig ihres Aktivismus, von ihm enttäuscht und leergelassen, wenden sich in steigendem Maße westliche Menschen voll Sehnsucht nach innen; sie suchen Vertiefung und Fülle durch neue Verwurzelung im Unerschütterlichen und Absoluten. Dabei erwarten sie die entscheidende Hilfe von den Anregungen und methodischen Wegen, die der Osten zu bieten hat. Freilich wird deren unbesehenes Übernehmen ohne ein entsprechendes Umsetzen in unsere seit langem gewachsene Eigenart mehr schaden als nützen; denn das Fremde muß sich, um wirklich in uns Wurzeln schlagen zu können, mit unserem Eigenen verbinden. In solchem Verbinden aber wird sowohl das Eigene gewandelt und erweitert als auch das Fremde dem Eigenen angeglichen und damit umgestaltet. Demnach gilt es nicht, unser eigenes Erbe aufzugeben, sondern es mittels der östlichen Anstöße zu neuem Leben zu erwecken und für weitere Entfaltung zu befruchten. Die damit angezielte Begegnung wird durch eine Spannung behindert, vermöge deren dem Glauben des Westens die Erfahrung des Ostens gegenübertritt. Man sagt etwa, der Christ lebe aus dem Glauben und bedürfe deshalb nicht der Erfahrung, die im Meditieren aufbricht, ja diese schade dem Glauben, insofern sie ihn zurückdrängt und an seine Stelle zu treten geneigt ist; infolgedessen wird in christlichen Kreisen die Erfahrung oft nicht gepflegt und sogar bewußt unterbunden. Als Gegenspiel dazu wird die meditative Erfahrung häufig gerade den Nicht-Glaubenden empfohlen, als ob sie allein für diese in Betracht käme, damit jene, die den Weg des Glaubens nicht zu gehen imstande sind, auf dem Wege der Erfahrung zur Gründung ihres Daseins im Absoluten gelangen. Zu der hier zweifellos vorliegenden Spannung merken wir nur kurz an, daß Glaube und Erfahrung einander keineswegs ausschließen. Vielmehr vermag die Erfahrung ebenso den Glauben vorzubereiten wie der Glaube, wenn er den ganzen Menschen durchwächst, von selbst in Erfahrung einmündet. Von hier aus gesehen, wird die recht vollzogene Meditation dem Christen gerade den erfahrenen Glauben gewähren, dessen er in den heutigen Auseinandersetzungen des Glaubensdunkels dringend bedarf. Nach solchen einleitenden Bemerkungen suchen wir zunächst die östliche Meditation genauer zu umschreiben. Das ist nicht leicht, weil sie von der uns fremden Eigenart der fernöstlichen Kulturen geprägt ist und uns auch in sich selbst als etwas Geheimnisvolles und schwer Zugängliches entgegentritt; das, was Erfahrene uns davon berichten, vermögen wir nur in eigener Erfahrung einigermaßen nachzuvollziehen. Damit sind wir schon bei dem ersten Zug, der das östliche Meditieren kennzeichnet, angelangt: es ist nicht Nachdenken über etwas, sondern Erfahren von etwas. Hierbei gilt es, die Erfahrung unserer Sinne, die von der Beobachtung und dem Experiment der Naturwissenschaften ausgebaut wird, zu übersteigen und zu jenem höheren geistigen Erfahren vorzudringen, das im Westen weithin brachliegt und fast unbekannt ist. Da nach dem eben Gesagten die Meditation sich nicht im bloßen Denken erschöpft, stellt sich das ihr eigene Erfahren als ein gesamtmenschlicher Vorgang dar, an dem also der ganze Mensch beteiligt ist oder bei dem alle seine Kräfte in untrennbarer Durchdringung zusammenwirken. Daher wird der meditierende Mensch von der meditierten Wirklichkeit in Bewegung gebracht oder das Erfahren der Tiefen-Wirklichkeit hat eine Tiefen-Wandlung zur Folge. Während bisher die Welt-Wirklichkeit und das darauf bezogene Welt-Ich im Menschen überwogen, bestimmten fortan mehr und mehr die Tiefen-Wirklichkeit und das ihr entsprechende wahre Selbst sein Gepräge. Während bisher der vom Innen losgerissene Mensch Im Außen dahinvegetierte, beginnt nunmehr der im Innen verwurzelte Mensch aus der Fülle zu leben und mit dieser auch das Außen zu durchleuchten. Die Transparenz stellt sich ein, die den Menschen für seine eigene Tiefe durchleuchtend macht und damit ihm auch die Tiefe der Welt, namentlich der Mitmenschen, zum Aufleuchten bringt. Zusammenfassend läßt sich sagen, der Mensch werde durch das meditierende Erfahren aus dem Schein-Schwerpunkt, in dem er meist Stand zu gewinnen sucht, herausgehoben und in seinen wahren Schwerpunkt verlagert, der allein ihm unerschütterliche Festigkeit zu verleihen imstande ist. Obwohl das umwandelnde Erfahren nicht ein bloß theoretisches Wissen ist, so umschließt es doch ein Hell-werden, ein Einleuchten, was ja auch die Bezeichnung „Erleuchtung” andeutet. Dieses Moment hat nicht ein rationales, sondern ein über-rational schauhaftes Gepräge; es geht um eine Art von Tiefen-Intuition, die im Vordergründigen das Hintergründige schauend vernimmt. Darin waltet eine beglückende Unmittelbarkeit, vermöge deren uns die Tiefen-Wirklichkeit selbst anrührt und wir ihrer wahrhaft inne-werden, wenn sie auch in Dunkel gehüllt bleibt und keineswegs die Schleier fallen. Dieser Vorgang bedarf nicht der Vermittlung durch das rationale Denken und kann auch nie restlos in rationale Begriffe aufgelöst werden; doch ist ein entferntes Vorbereiten durch rationale Überlegungen möglich; ebenso ist ein nachträgliches rationales Auslegen und Überprüfen zulässig. Das hier gemeinte Geschehen nennt der Japaner auch „Wesensschau” im Sinne eines schauhaften Innewerdens des Wesens aller Dinge; dazu führt der dem Zen-Buddhismus vertraute „Koan”, der paradoxe Ausspruch eines Meisters, an dem sich das rationale Denken sämtliche Zähne ausbeißt und daher scheitert, der aber gerade dadurch in das überrationale Vernehmen hinübergeleitet und so erst in seinem verborgenen Tief-Sinn aufgeht. Wie läßt sich der Einheitsgrund, der alles durchdringt und in dem sich alles trifft, genauer bestimmen? Die östliche Meditation erfährt ihn als das Nichts, das sich mittels der Entleerung des menschlichen Bewußtseins zeigt; indem wir nichts erfahren, öffnet sich uns das Nichts. Dieses meint aber nicht lediglich den leeren Abgrund, aus dem nichts mehr uns anspricht; vielmehr geht es um das Nichts aller raum-zeitlichen Gegebenheiten oder um das Andere zu alledem, was uns innerhalb der Welt entgegentritt. Wenn wir im Raum-Zeitlichen das Seiende, sehen, müssen wir jenes Andere das Nicht-Seiende oder eben das Nichts nennen. Wenn außerdem das Raum-Zeitliche ein immer nur begrenzt Seiendes ist, übersteigt jenes Andere als das Nicht-Seiende alle Grenzen und ist das grenzenlose Sein oder die Wirklichkeit ohnegleichen, die Wirklichkeit aller Wirklichkeiten, die absolute Fülle. Da von diesem Einen die raum-zeitliche Vielheit getragen wird und daran teil-nimmt, muß diese in Jenem zum voraus enthalten sein. Während nun in der raum-zeitlichen Welt die Gegensätze voneinander abgesetzt sind und einander gegenübertreten, werden sie in jenem Einen in eins fallen; dieses ist der Ineinsfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum), wie Nikolaus von Kues in Übereinstimmung mit dem Osten formuliert. Weil ferner unser rationales Wissen sich gerade in den Gegensätzen bewegt, wird jener Ineinsfall uns zunächst in dem für die östliche Meditation kennzeichnenden überrationalen Vernehmen aufleuchten, wenn auch ein nachträgliches rationales Verdeutlichen des zuvor Erfahrenen stattfinden kann. Dafür bietet wiederum Nikolaus von Kues eine dem Osten nahekommende Bezeichnung; er spricht nämlich von der über sich selbst belehrten Unwissenheit (docta ignorantia) oder dem wissenden Nicht-wissen, das gerade als solches das höchste Wissen ist. An dem Punkt, zu dem wir bei unserem Beschreiben der östlichen Meditation gelangt sind, treten deutlich deren Gefahren hervor. Zunächst liegt ihr eine monistisch-pantheistische Deutung der Einheitserfahrung im Blut. Der Mensch und alle Dinge sind das Absolute selbst und heben sich lediglich als dessen zeitweilige Erscheinungen von ihm ab. Das Eins-werden besagt ein Verschmelzen mit dem Absoluten, ein Sich-auflösen oder Verschwinden in ihm. Damit im Zusammenhang tritt das Absolute als das große Es auf, das also nicht Person ist und darum auch den Menschen nicht als Person trifft. Darum hat auch das Eins-werden nicht den Charakter des personalen Dialogs, sondern gleitet meist in ein dingliches Verschmelzen ab. Manchmal freilich kündigt sich auch im Osten der personale Absolute oder das göttliche Du an, so in der „Bhagavadgita”, dem indischen Buch von der Gottesliebe, oder im Amida-Buddhismus, der in Japan neben dem Zen-Buddhismus lebt. Schließlich darf die Gefahr der Selbsterlösung nicht verschwiegen werden, die daraus erwächst, daß der Mensch selbst das Absolute ist. Dementsprechend erwartet er von seinem eigenen meditierenden Tun die Erlösung vom scheinbaren zum wahren Leben. Im Gegensatz dazu kommt zuweilen so etwas wie Gnade darin zum Vorschein, daß die Methoden trotz treuer Übung und harter Opfer nicht unfehlbar zur Erleuchtung führen, die oft erst nach jahrelangem geduldigem Ausharren wie eine beglückende Gnade dem Menschen zuteil wird. Wenn wir nun anfangen, mit der östlichen Meditation die christliche zusammenzuhalten, so ist vor allem die Feststellung wichtig, daß sich das Meditieren als eine allgemein menschliche Gabe erweist, die auf diese oder jene Weise von allen Völkern entwickelt worden ist. Im Hinblick auf die heutige Verfassung des Westens setzen wir beim rationalen Denken an, das in Wissenschaft und Technik großartige Erfolge zeitigt sowie die Eigenart des westlichen Menschen weithin prägt; dabei überwiegt jene Rationalität, die der Welt-Wirklichkeit zugeordnet ist und über diese nicht hinausreicht. Solchem Denken ist es eigen, in jene mathematisierte Mechanik hineinzudrängen, die mehr und mehr von Rechen-Automaten übernommen wird, die sich so vom eigentlich Menschlichen löst und rückwirkend den Menschen oft in ein unmenschliches Robotertum hineinzwingt. Je weiter diese Entwicklung voranschreitet, desto weniger vermag sich das über-rationale Erfahren durchzusetzen, von dem letztlich alles Rationale lebt und das diesem wesentlich innewohnt und zugrundeliegt. Jenes Erfahren wird allmählich so sehr verschüttet und erstickt, daß der Mensch davon fast die Ahnung verliert und es auf jeden Fall unentwickelt läßt. Daher gelangt er nicht zur Meditation und sieht es so aus, als ob ihm die Fähigkeit zum Meditieren abzusprechen sei. Wie unsere Andeutungen bestätigen, ist die tiefgreifende Umstellung des westlichen Menschen vom rationalen Berechnen zum überrationalen Vernehmen, die vom Meditieren verlangt wird, nicht nur möglich, sondern auch bereits im Gange. Freilich liegt zwischen den bisher erreichten Anfängen und dem vollen Sich-durch-setzen der innersten Tiefe noch ein weiter Weg; diesen ganz auszuschreiten, können uns zusammen mit dem Besinnen auf unser eigenes Erbe die östlichen Methoden helfen. Je mehr wir dabei in die Tiefe gelangen, desto mächtiger entfaltet sich in uns jenes Erfahren, das den ganzen Menschen erfaßt und von Grund auf wandelt, das zugleich die Einheit mit dem absoluten Urgrund und mit allen Dingen verwirklicht. Hier fragt es sich, ob wir im Westen auch einen Ansatzpunkt für das Fassen des Urgrundes als des Nichts vorfinden. Sicher spielt dieses bei großen Mystikern eine entscheidende Rolle, etwa bei Meister Eckehart und bei Johannes vom Kreuz; ebenso sind dazu Kierkegaard bei seinem religiösen Ringen und Heidegger bei seinem philosophischen Denken vorgedrungen. Zum Verstehen des Nichts kann Eckeharts Rede von dem Weise-losen beitragen; auf Gott kann man keine der Weisen anwenden, auf die wir bei den Dingen und Menschen in der Welt treffen, weil er in seiner grenzenlosen Fülle sämtliche derartige Weisen hinter sich läßt oder nichts von alledem ist. Damit zeigt sich Gott zunächst als das Nichts aller solcher Weisen oder eben als der Weise-lose, der mit dem Namen-losen gleichbedeutend ist; er bannt uns in das anbetende Schweigen als den Raum, der uns erst die ihm angemessenen Namen gewährt. Wie leicht einzusehen ist, bewahrt uns der meditierende Durchgang durch das Nichts vor allzu dinglichen und menschlichen Vorstellungen Gottes. Diese Entleerung des Bewußtseins bereitet ein ursprünglich gewachsenes und seiner ungeheuren Wirklichkeit entsprechendes Bild Gottes vor. Über das monistische Verschmelzen führt die Personalität sowohl des Menschen als auch Gottes hinaus, die das Christentum auf einzigartige Weise verkündet. Gott redet den Menschen durch sein offenbarendes Wort an und wendet ihm seine erlösende Liebe zu, wodurch er ihn zu seinem Du macht. So zu seinem personalen Leben erweckt, ist der Mensch imstande, sich zu Gott mittels seines Glaubens und seiner Gegen-liebe zu erheben und sich damit an Gott als sein unendliches Du hinzugeben. Demnach vollendet sich das absolute Es des Ostens im absoluten Du des christlichen Westens, wobei wir im Durchgang durch das Weise-lose die nur menschliche Weise des Du oder der Person vertiefen auf das Geheimnis des göttlichen Du hin, das jedes menschliche Du unsagbar übertrifft und daher erst letzte Erfüllung bietet. Damit tritt an die Stelle des allzu an dinglichen Vorstellungen haftenden Verschmelzens der personale Dialog zwischen Ich und Du, wodurch die Einigung mit dem Urgrund nicht gelockert wird, sondern in die innigste Innigkeit gelangt. Nunmehr haben wir das ausgesprochen Christliche am Meditieren genauer zu bestimmen. Es nährt sich aus dem Glauben an Gottes offenbarendes Wort, weshalb es nicht nur aus der eigenen Tiefe des Menschen schöpft, sondern immer zugleich auf die Botschaft dieses Wortes hinhört. Dabei hilft uns diese Botschaft, jene Tiefe erst ganz zu verstehen, wie uns auch in jener Tiefe erst ganz aufleuchtet, was diese Botschaft uns sagt. Nun begegnet uns das Wort Gottes vornehmlich in der Heiligen Schrift; daher spielt die Wort-Meditation für den Christen eine entscheidende Rolle; weil uns der Sinn der Schrift durch den Heiligen Geist aufgeschlossen wird, vollendet sich hier das geistige zum geistlichen Erfahren, in dem also der Geist Gottes am Werke ist. Inhaltlich gesehen, öffnet das Christentum dem Meditieren neue ungeahnte Räume. Vor allem wird die Personalität des Urgrundes dadurch vertieft, daß sich uns der dreipersönliche Gott mitteilt. Und die Nähe Gottes oder seine Einheit mit uns wächst durch den Gottmenschen in ihre letzte Vollendung; er ist die Krönung und die Mitte des Alls und insbesondere das Haupt seines Leibes, der Kirche. Durch seine Menschwerdung, seinen Opfertod und seine Auferstehung von den Toten hat der Sohn Gottes das All und vorab den Menschen im Heiligen Geist mit dem Vater versöhnt und mit Gottes Herrlichkeit erfüllt. Daher ist in ihm die Einheit der Schöpfung mit Gott und der Geschöpfe untereinander gesetzt, ist er der Einheitsgrund ohnegleichen und somit der Weg in die Einheitserfahrung. Demnach geschieht christliches Meditieren als Eins-werden mit Christus und dadurch vermittelt als Eins-werden mit allem; es lebt aus Christus und in Christus, ist Christus-werdung. Wie diese möglich ist, deutet das Pauluswort an: „Ich will den ergreifen, von dem ich ergriffen bin!” Mittels seiner Kirche ergreift Christus ständig mehr oder durchwächst er allmählich das gesamte Universum. Vor allem die Menschen ergreift er oder gliedert er sich durch die Sakramente ein, in erster Linie durch die Taufe und die Eucharistie. Indem so der Mensch immer schon von Christus ergriffen ist und täglich tiefer von ihm ergriffen wird, vermag auch er Christus in fortschreitendem Ringen zu ergreifen; dabei kommt seinem Bemühen unablässig die Anziehung zuvor, mit der Christus ihn in sich hineinnimmt. Folglich wird christlichem Meditieren die Christus-werdung in dem Maße gewährt, wie es sich aus und in der Kirche, aus und in den Sakramenten entfaltet, wodurch wiederum die eigene Anstrengung ganz aus und in der Gnade ihre Zuversicht und ihre Erfüllung findet. Wie unsere Darlegungen zeigen, geht in der christlichen Meditation nichts von dem Großen, das die östliche Meditation entwickelt hat, verloren; vielmehr umschließt diese wesentlich alle Züge, die wir an jener aufwiesen, wobei freilich sämtliche Züge geläutert und vollendet werden, und zwar auf eine Weise, die allein Christus gewähren kann. Wenn trotzdem die christliche Meditation oft runter der östlichen zurückzubleiben scheint, so hat das vor allem darin seinen Grund, daß die Christen das ihnen verliehene Talent im Acker vergraben, während die östlichen Menschen keinen Einsatz und kein Opfer scheuen, um den kostbaren, im Acker verborgenen Schatz zu gewinnen. Quatember 1974, S. 201-209 |
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