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Lausanne
von Peter Sandner

LeerDer Internationale Kongreß für Weltevangelisation in Lausanne ist vorbei. Die Zahl der Berichte und Kommentare wuchs von Woche zu Woche. Es lohnt sich, diesen Kongreß ernstzunehmen, auch wenn man sich nicht zu den „Evangelikalen” im deutschen, kirchenpolitischen Sinn zählt. Denn diese große Versammlung von evangelischen Christen aus fast allen Ländern der Welt (aus den Ostblockstaaten konnten nur wenige Vertreter kommen, aus der DDR keiner) erscheint im Rückblick in wesentlich positiverem Licht, als es vorher schien. Da war zunächst die undurchsichtige Prozedur der Auswahl der Teilnehmer. Immer wieder wurde betont, daß keiner der Geladenen als Vertreter irgendeiner Kirche oder Organisation käme. Aber wer wen einlud, blieb verborgen. Wer zu den Auserwählten zählte, bekam schon Wochen vorher die vielen kleingedruckten Hauptvorträge zugesandt, mit der Auflage, binnen vierzehn Tagen an Hand von beantworteten Fragen und Bemerkungen nachzuweisen, daß er sie gründlich studiert hatte, andernfalls wurde mit Streichung von der Teilnehmerliste gedroht.

LeerUnd dann die Liste der Arbeitsgruppen, unter denen man wählen sollte: In den meisten ging es um die Methode. Das amerikanische Lieblingswort „how to . . .” (wie, mit welchen Mitteln kann man . . .) feierte Triumphe. Hier sollte man offensichtlich mit dem nötigen know-how versehen werden, wie man in jeder denkbaren Menschengruppe der Erde am besten und schnellsten Christen machen könne. In der Liste der Religionen und Formen des Neuheidentums gab es (man hatte eben an alles gedacht!) auch die Rubrik: „Evangelisation unter Namenschristen und Sakramentalisten”.

LeerSo fuhr man skeptisch und beinahe widerstrebend, aber auch etwas neugierig, in das sommerliche Lausanne am herrlichen Genfer-See und dachte: zur Not . . . Aber dann wurde man doch von dem Konferenzgeschehen gefangengenommen und in eine innere Auseinandersetzung hineingezogen. Die Organisation war hervorragend. Wenn 10 Tage lang 400 Teilnehmer in einem einzigen Gebäude, dem Palais de Beaulieu, von früh bis spät zusammen hören, singen, essen und einzeln Gesprächspartner suchen, dann droht das schon das Maß des Zumutbaren zu sprengen. Aber auch das größte Gedränge wurde mit Humor getragen. Es herrschte eine Art Kirchentagsstimmung.

LeerEtwa die Hälfte der Vertreter kam aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Alte Bekannte trafen sich wieder, neue Freundschaften wurden geschlossen. In den Lobby- und Tischgesprächen konnte man immer neue Entdeckungen machen und sich persönliche Informationen aus fast jedem beliebigen Teil der Welt erfragen. Diese vielfältigen menschlichen Kontakte wirkten entkrampfend. Für viele sind sie sicher das Hauptergebnis dieses Treffens. Das Programm selbst füllte die Tage von 6.30 Uhr („Stille Zeit”) bis 22.30 Uhr („Gebetsgemeinschaft”) randvoll. Es spielte sich auf drei Ebenen ab: Im Plenum wurden sechssprachig (darunter Japanisch und Indonesisch) Andachten, Bibelarbeiten und Grundsatzreferate zu missionstheologischen und strategischen Fragen dargeboten, bei denen von der Masse der Zuhörer stundenlang nur rezeptives Verhalten erwartet wurde. Danach teilten sich die Teilnehmer nach ihren etwa 150 Herkunftsländern in „Arbeitsgruppen für nationale Strategie”, am Nachmittag wurden 32 verschiedene Arbeitsgruppen zu Spezialthemen der Evangelisation und Mission angeboten. Einige dieser Gruppen entwickelten mutige Initiativen und versuchten, mit ihren Beiträgen und Anregungen doch noch zum abgeriegelten Kern der Kongreß-Manager vorzudringen, was immerhin teilweise gelang.

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LeerDer innere Kern der Konferenzleitung bestand aus Billy Graham und seiner Crew und einer Gruppe von nordamerikanischen und australischen Freunden. So herrschte ein bestimmter Frömmigkeitsstil vor, der nicht jedem liegt. Aber viele Teilnehmer fühlten sich sichtlich wohl, wenn das unentbehrliche Harmonium über x Lautsprecher wimmerte und der Gesangsmeister in der Pose des Hollywood-Stars immer wieder das sentimentale Halleluja-Lied anstimmte. Überhaupt spielten Emotionen, gepaart mit berechnendem Erfolgsdenken, eine große Rolle. Symbol dafür war die elektronische Bevölkerungsuhr in der großen Halle, das meist fotografierte Objekt des Kongresses. Mit pochendem Ticken zählte sie vor, um wieviele Menschen die Weltbevölkerung seit Beginn des Kongresses schon wieder gewachsen war. Nach wenigen Tagen war die erste Million erreicht.

LeerAber - und hierin liegt sicher die Bedeutung des Kongresses - es gab auch sehr offene und harte Kritik an diesen Formen des amerikanischen „Kultur-Christentums”. Besonders die Referenten aus Lateinamerika wandten sich mutig gegen die individualistisch-anthroprozentrische Einengung des Evangeliums und gegen das Übergewicht der statistischen und methodischen Fragen in der Missionstheorie. Statt „efficiency”, Erfolg, nannten sie als Schlüsselwort Demut und Leiden. Oberflächliche Klischees wurden hier in Frage gestellt und theologischer Tiefgang gewonnen. Hier haben die Evangelikalen sicher noch aufzuholen: Thematik und Methode ökumenischer Gespräche kann und darf heute nicht mehr von den weißen Völkern allein bestimmt werden! Der lateinamerikanische Protestantismus hat sich in Lausanne profiliert.

LeerManche Vertreter Afrikas und Asiens blieben dagegen unbefriedigt und fühlten sich nicht ernstgenommen. Immerhin kam der „Vater des Moratoriumgedankens” von Bangkok, John Gatu aus Kenia, doch noch zu Wort, und evangelikale Bangkok-Gegner mußten die grundsätzliche Berechtigung dieser Fragestellung anerkennen. Die befürchtete Polarisierung zum Weltrat der Kirchen fand also nicht statt. Von der Gründung einer Gegen-Ökumene, wie sie verschiedentlich gefordert worden war, sah man ab. Im Gegenteil: Man öffnete sich Genf und betonte den Willen zur Zusammenarbeit, wie dies auch umgekehrt geschah. Die Genfer Zentrale war mit fünf Gästen auf dem Kongreß vertreten. Die Polarisierung wurde draußen vor der Tür zelebriert: Amerikas Erzfundamentalist Nr. 1, Carl Mclntire, streitbarer Vorsitzender des International Council of Christian Churches, verteilte mit einigen Getreuen vor dem Hauptportal Schriften und Flugblätter, die gegen Billy Graham (der Kommunismus-verdächtig ist!) und vor allem gegen den Weltrat der Kirchen hetzten („Christus befiehlt: trennt Euch!”, „verlaßt die Unreinen!”).

LeerAm Ende des Kongresses wurde eine theologische Grundsatzerklärung vorgelegt, die „Lausanner Verpflichtung”. In ihr wurden manche Themen aufgenommen, die in der Ökumene diskutiert werden, so „die soziale Verantwortung der Christen”, der Einsatz für „die Befreiung der Menschen von jeder Art der Unterdrückung”, die Verurteilung des Rassismus und, der Sache nach, der Begriff des Moratoriums. Die innerdeutschen Auseinandersetzungen zwischen „Evangelikalen” und „Ökumenikern” mit ihren Empfindlichkeiten, Verurteilungen und Abgrenzungen fanden in Lausanne keinen weiten Widerhall. Die Lausanner Verpflichtung ist dagegen wohltuend sachlich, demütig und offen. Sie erschien unterdessen als Dokumentation beim Evangelischen Pressedienst. Das Thema von Lausanne war Evangelisation. Vom englischen Sprachgebrauch her schließt dieses Wort Mission und Verkündigung im weiteren Sinne ein. Es geht um die martyria, die glaubwürdige Bezeugung Christi durch Wort und Tat in der heutigen Welt. Dieses Thema, diese Aufgabe gilt der ganzen Christenheit. Der Lausanner Kongreß hat darauf wieder nachdrücklich hingewiesen. Dafür kann man nur dankbar sein. Um dieses zentralen Themas willen sollten wir die Ergebnisse dieser Tagung ernstnehmen und daran weiterarbeiten. Das Motto von Lausanne: „Alle Welt soll sein Wort hören!” gilt auch dem Missionsfeld Europa bis in unsere Gemeinden hinein.

Quatember 1974, S. 225-227

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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