Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1974
Autoren
Themen
Stichworte

Niederaltaich
von Reinhard Mumm

LeerIn dem ersten Niederaltaicher Rundbrief dieses Jahres berichtet Altabt Emmanuel M. Heufelder über die Anfänge der ökumenischen Arbeit in seinem Kloster an der Donau und damit über sein eigenes Lebenswerk. Denn mit Abt Emmanuel begann 1934 ein neuer Abschnitt in der Geschichte dieser benediktinischen Gemeinschaft. Dieser neue Abschnitt ist gekennzeichnet durch drei Ergebnisse: Niederaltaich besitzt heute eine byzantinische Dekanie mit vier Priestermönchen, einem Diakon und zwei Chormönchen. Weiter verfügt das Kloster über ein vorzüglich eingerichtetes ökumenisches Institut mit entsprechenden katholisch-evangelischen Kontakten. Schließlich hat Abt Emmanuel in seinem Haus das „Kloster auf Zeit” eingerichtet, das heißt Einkehrzeiten, in denen die Teilnehmer sich, bis hin zur selbst getragenen Kutte, intensiv am Leben der Mönche beteiligen. Dazu kommen sogar evangelische Christen; mancher kehrt heim mit einem stillen Schatz, der ihm hilft, seine Aufgaben in der Welt besser zu bestehen.

LeerWeitere Aufsätze im gleichen Heft von Altabt Johannes M. Hoeck in Schleyern und P. Irenäus Totzke befassen sich ebenfalls mit der Geschichte einer Öffnung der römisch-katholischen Kirche für die orthodoxe östliche Christenheit. Vor fünfzig Jahren schrieb Pius XI. seinen Brief Equidem verba illa considerantes (Eingedenk jener Worte des Erlösers, daß alle eins seien) an den damaligen Abt-Primas der Benediktiner Fidelis von Stotzingen, in dem er dazu aufrief, die östliche Christenheit zur Einheit zurückzugewinnen. Als evangelische Christen können wir uns an dieses Dokument nicht ganz so begeistert erinnern wie unsere katholischen Freunde. Vielmehr haben wir Verständnis dafür, daß die orthodoxen Kirchen sich gegenüber römischen Unionsgedanken zurückhalten. Dabei beobachten wir dankbar, daß eine starke Bewegung in der katholischen Theologie der Gegenwart die Eigenständigkeit der anderen Kirchen nicht in Frage stellen will, sondern bemüht ist, orthodoxes und auch evangelisches Christentum in seiner Eigenart und seiner kirchlichen Gestalt zu achten, kennenzulernen und die Verständigung zu suchen, die in freier Begegnung gefunden und in gemeinsamem Wirken gelebt werden kann.

LeerWas in dem Brief von Niederaltaich auffällt und mir beachtenswert erscheint, sind in erster Linie nicht die durchaus interessanten historischen Einzelheiten, wie es zu den bedeutenden ostkirchlichen Aktivitäten in mehreren europäischen Klöstern des Benediktinerordens kam, sondern zwei andere Beobachtungen, die allen Christen dienlich sein können, zumal denen, die sich in Bruderschaften und geistlichen Gemeinschaften zusammengeschlossen haben. Im Benediktinerorden zeigt sich - das ist die erste Beobachtung - ein erstaunlicher Sinn für Geschichte. Das Kloster Niederaltaich ist mehr als 1200 Jahre alt. Dieser lange Zeitraum ist von einer sehr wechselvollen Geschichte erfüllt. Im Jahr 1803 wurde die Abtei, wie so viele andere, aufgehoben. Wenige Jahre nach der neuen Besiedelung im Jahr 1918 geriet die Gemeinschaft in eine harte Krise, und auch die letzten Jahre waren nicht frei von tiefen Erschütterungen. Dieses Auf und Ab der Geschichte hat die leitenden Männer aber nicht daran gehindert, die große Kontinuität der Sendung ihres Ordens als ein tragendes Element ihres eigenes Lebens zu empfinden. Der Prior und Abt des 20. Jahrhunderts fühlt sich, wie seine Tagebuchnotizen zeigen, unmittelbar seinem geistlichen Ahnen im 11. Jahrhundert, dem heiligen Günther, verbunden, der einst von Niederaltaich aus in den magyarischen und slawischen Osten gezogen war. Der Leser spürt in diesem Lebensbericht, wie das Bewußtsein einer Sendung und Gemeinschaft, die durch Jahrhunderte und Jahrtausende geht, einschließlich der Niederbrüche und Neuanfänge, einen Spannungsbogen bildet, der einem Menschenleben und dem Leben einer Gemeinschaft eine zielgerichtete Kraft verleiht.

Linie

LeerSollten wir nicht davon etwas lernen? Vielen Menschen der Gegenwart ist ein tragendes Geschichtsbewußtsein verlorengegangen. Weithin befaßt man sich mit der jüngsten Vergangenheit und dann nicht selten in einer verzerrenden Weise. An die Stelle eines geschichtlichen Bewußtseins ist gerade in den Kirchen ein unruhiger Eifer getreten, jeweils das aufzugreifen, was gerade aktuell erscheint. So ergibt sich eine fahrige Folge ständig wechselnder Bilder und Ziele. Strohfeuer flackern auf und verlöschen wieder; es fehlt an dem starken Feuer, das wärmt und leuchtet. Hier, in den Ausschnitten dieser Ordensgeschichte, lodert etwas von dem starken Feuer, das jedes Leben braucht, damit zum Vorschein kommt, was bleibt und durchträgt. Im Blick auf diese Brüder und Freunde werden wir ermuntert, des eigenen Weges wieder gewisser zu werden, den Ursprung zu bedenken, von dem wir herkommen, und das Ziel fest ins Auge zu fassen, damit der mehr oder minder bedeutende Beitrag einer Lebensarbeit diesem Ziel der einen großen Sendung diene.

LeerDie andere Beobachtung ist nicht minder wichtig. Sie läßt sich ablesen an dem Lebensweg des belgischen Paters Lambert Beauduin. Dieser Mann hat sein Leben daran gesetzt, auf seine Weise etwas zu tun für den Brückenschlag zwischen der abendländischen und der morgenländischen Kirche. Seine fruchtbaren Versuche wurden durch mächtige Gegenspieler in Rom gestört und unterbunden. Er selbst wurde, wie das vor vierzig Jahren noch möglich war, verbannt und zum Schweigen verurteilt. Pater Lambert ist daran nicht zerbrochen. Er hat sich gefügt und viele Jahre geschwiegen, bis endlich mit dem II. Vatikanischen Konzil die Frucht seines Lebens noch reifte, vielleicht auf eine andere Weise, als er dachte; aber der Tag kam, der ihn hoffen ließ.

LeerEben dies ist von größter Bedeutung auch für uns. Edmund Schlink hat ähnliches ausgesprochen, als er in seinem Abschieds- und Dankeswort an Wilhelm Stählin im ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen daran erinnerte, wie in einer kritischen Situation die Weiterarbeit dieses Kreises gefährdet war. Das Mariendogma, das Pius XII. 1950 verkündete, schien weitere ökumenische Gespräche aussichtslos zu machen. Da erklärte Bischof Stählin, so kurzatmig dürften wir nicht denken. Auch in Rom könne sich manches wandeln. Diese Wandlung ist eingetreten, wieder anders, als wir dachten, aber doch unübersehbar. Wir haben zu lernen, daß die Arbeit eines einzelnen Lebens oder einer Gemeinschaft wie vergeblich erscheinen kann. Ein Mensch kann zum Schweigen und zum Leiden verurteilt werden. Eine Gemeinschaft kann an einen toten Punkt geraten, an dem weitere Wege zunächst verbaut sind. Alles dies gibt keinen Anlaß zu verzweifeln, aufzugeben und abzubrechen. Es ist wahrscheinlich nötig, daß wir die Erfolglosigkeit erfahren müssen. Wer dem Ursprung vertraut, die wechselvolle Geschichte kennt und des Zieles gewiß ist, kann warten, bis der Tag kommt, der den scheinbar erfolglosen Weg in das rechte Licht rückt.

Quatember 1974, S. 234-236

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
Haftungsausschluss
TOP