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Der fröhliche Heilige
von Lucius Teichmann OFM

LeerAm 3. Oktober dieses Jahres standen wieder die roten, grünen und gelben Öllämpchen in den Fenstern und auf den Mauern Assisis und leuchteten hinunter in die Ebene, wo Portiunkula liegt. Vielleicht wird der kommunistische Bürgermeister der Stadt dafür gesorgt haben, daß in diesem Jahr die Lichter besonders hell erstrahlten zu Ehren jenes Bürgers, der vor 750 Jahren starb und seine Geburtsstadt Assisi weltweit bekannt gemacht hat. Ganz Italien beging das Fest seines Schutzpatrons, und in der ganzen Welt beschäftigten sich seine geistlichen Söhne und Töchter, darunter auch seine evangelischen Ordensbrüder in Braunschweig, England und Schweden in vielen Feierstunden und in besinnlicher .Stille mit ihrem Vater und Vorbild. Auch der Welttierschutzverein stellte in diesem Jahr seinen Patron besonders heraus, und ungezählte Abhandlungen wurden geschrieben über Franz von Assisi, sein Leben, sein Werk und sein Fortwirken.

LeerVor 80 Jahren (1894) schrieb der französische Calvinist Paul Sabatier seine Franziskusbiographie, die in fast alle Kultursprachen übersetzt wurde und den Anstoß zur modernen Franziskusforschung gab. In der Bibliographie über Franz von Assisi, die vor 50 Jahren beim 700 jährigen Gedenken seines Todes herauskam und mit rund 2.700 Nummern nur die letzten 25 Jahre umfaßte, stehen rund 40% nichtkatholische Autoren. Auch das letzte Franziskusbuch, vielleicht das schönste der Gegenwart, schrieb ein Protestant, Walter Nigg: „Der Mann aus Assisi. Franziskus und seine Welt”.

LeerWas würden die Stars der Welt darum geben, wenn sie nur einen Bruchteil solch bleibenden Glanzes besäßen! Dieser Arme von Assisi beschäftigt die denkenden Geister und liebenden Gemüter schon siebeneinhalb Jahrhunderte. Wenn aber Franz von Assisi heute einmal aufstehen würde und sähe, was die Welt mit ihm alles anstellt, würde er völlig verständnislos vor diesem Wirbel stehen und dann verstört davon fliehen zurück zum Steinsarg in der Unterkirche von S. Francesco in Assisi, wo er schon 750 Jahre ruht.

LeerImmer wieder fragte man nach dem Geheimnis der Faszination dieses Mannes. Vielleicht gelingt es nie, diese Persönlichkeit bis in die Tiefe ganz zu ergründen und auszuloten. Schon seine Zeitgenossen und selbst seine vertrautesten Freunde standen staunend wie vor einem Rätsel. Br. Massäo rief ihm einmal fragend zu: „Warum dir, warum dir, warum dir? Die ganze Welt läuft dir nach, alle wollen dich sehen, dich hören, dir gehorchen und doch bist du nicht schön, bist auch nicht gelehrt, nicht weise, nicht adlig; wie kommt es bloß, daß alle Welt zu dir eilt?” Er erschien vielen wie ein anderer Christus, wie ein Mann aus dem Jenseits der Welt zum Heil gegeben.

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LeerAugen- und Ohrenzeugen geben uns sichere Kunde von seinem Leben, und die Legende, das geliebte Kind des schlichten Volkes, verwob geschichtliche Kerne in viele bunte Bilder, um den Reichtum dieser Persönlichkeit zum Leuchten zu bringen. Ein Schlüsselwort zum Verständnis seines Lebens dürfte jedoch ein Satz aus seinem eigenen Testament sein: „Niemand zeigte mir, was ich zu tun hätte, sondern der Allerhöchste selbst offenbarte mir, daß ich nach der Weisung des hl. Evangeliums leben sollte.”. Dieser Satz ist unverrückbare Mitte seines Lebens. Das Evangelium Jesu Christi nicht studieren oder deuten, sondern leben, restlos in Umfang und Tiefe, und auf diese Weise den Spuren Christi folgen, soweit das menschenmöglich ist und dadurch Christus ähnlich werden in seinem Leben, seinem Lieben, seinem Loben, seinem Leiden.

LeerGleich zu Beginn seines neuen Lebens gerät Franziskus deswegen in Konflikt mit seinem wohlstandsbesessenen Vater, ein Konflikt, der bis zur Trennung führte. Schwärmerische Gruppen der Gegenwart, Blumenkinder und Gammler, betrachten Franz voll Assisi als frühen Zunftgenossen, und Jugend, die sich gegen elterliche, staatliche und kirchliche Autorität auflehnt, findet nach ihrer Meinung im Leben dieses Heiligen verwandte Aktionen. Sie alle übersehen aber, daß es sich bei Franziskus in gar keiner Weise um einen protestierenden Demonstranten handelt, daß Franziskus sich von seinem Vater Peter Bernardone nicht löst, um in größerer Ungebundenheit und Freiheit leben zu kühnen, sondern im Gegenteil, weil er restlos in den umfassenden und harten Dienst Gottes trat, von dem er sich berufen wußte. Wenn aber der höchste Herr befiehlt, mußte alles Behindernde zurücktreten, auch wenn es hochfliegende Pläne seines Vaters waren. Diese radikale Treue zum Auftrag Gottes ohne Ja - aber; ohne Ja - wenn, also ohne Rückversicherung und ohne Rücksicht auf das eigene Ich, das persönliche Wohlergehen in Gegenwart und Zukunft besticht und - beschämt.

LeerAls Franziskus seine Gedanken erstmals vor der kirchlichen Obrigkeit entwickelte, verschlug es dem Kardinalskollegium beinahe den Atem, so neu, so ganz anders war sein Lebensprogramm, so völlig abweichend von der Lebensform aller damaligen Orden und Genossenschaften und der Frömmigkeitshaltung der Gesamtkirche. Jede religiöse Gemeinschaft nahm damals einen bestimmten Gedanken des Evangeliums als Programm in ihr Leben auf (Pflege der Kranken, Loskauf der Christensklaven, Sorge um Arme, Verherrlichung Gottes, Meditation). Franziskus aber wollte kein Werk; er wollte Tag für Tag die Beziehungen zum himmlischen Vater und den Mitmenschen so leben, wie Christus der Herr es gelehrt und selbst gelebt hatte; er wollte damit dem Gottmenschen nahe kommen. Dieser Gedanke schon war für die Frömmigkeitshaltung des Mittelalters fast revolutionär. Das Mittelalter ist geprägt vom Ordnungsgedanken, am deutlichsten ausgeprägt im Lehnswesen. Gott überträgt Vollmacht dem Kaiser, und von da geht Teilgewalt in einer Stufenleiter nach unten über Herzöge, Fürsten, Grafen, niederen Adel und Gefolgsleute; umgekehrt geht von unten nach oben die Huldigungsverpflichtung bis zur Anbetung Gottes, des allerhöchsten Herrn. Das Bewußtsein der Unter- und Überordnung schuf aber auch Abstand zwischen den Ständen, Abstand, Distanz auch zwischen Gott und den Menschen, auch zwischen Christus und den Christen. In diese festgefügte Welt der Stände und Abstände zwischen Adel und Bürger, der Weite zwischen Gott und den Menschen, Christus und Christen tritt Franziskus.

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LeerEr wollte jedoch überkommene Frömmigkeitsformen der anderen gar nicht ändern; es sollte auch seine Lebensart kein Werturteil sein über die Lebensform der anderen. „ M i r  hat der Allerhöchste offenbart, daß  i c h  eben  d i e s e n  Lebensweg gehen soll, nach der Richtschnur des Evangeliums leben”.

LeerWenn er die Besitzlosigkeit in seinem Ordensprogramm besonders betonte, dann nicht aus Protest gegen den Reichtum und die Verweltlichung der Kirche seiner Zeit, sondern „weil der Herr in dieser Welt sich arm gemacht hat”. Wenn der Herr weniger hatte als die Füchse und Vögel, dann wollte Franziskus mit seinen Brüdern nicht mehr haben. Sofort räumte er deswegen mit seinen Gefährten in der Nacht einen Ziegelschuppen, wo sie vor dem Unwetter Schutz gefunden hatten, als ein fremder Bauer kam und dort seinen Esel einstellen wollte. Seine radikale Armutsauffassung machte er jedoch nicht zur Nomen für andere, wie es die zeitgenössischen Humiliaten (die Demütigen) taten: Nur wer arm ist, ist gut. Wenn die Reichen gut werden wollen, müssen sie arm werden. Franziskus jedoch schreibt in seiner Ordensregel, die bis heute gilt: „Die Brüder sollen jene Menschen nicht verachten und richten, die sie weiche und schöne Kleider tragen und ausgesuchte Speisen und Getränke genießen sehen. Ein jeder richte vielmehr sich selbst.”

LeerDiese imponierende, sympathische Weite seines Herzens, die auch den anders Denkenden, den anders Lebenden gelten läßt, ist nicht Toleranz; das wäre zu wenig! In Toleranz liegt leicht auch ein Hauch von Überheblichkeit. Für Franziskus ist dies zunächst die Erfüllung eines Herrenwortes: Richtet nicht! Dann aber sind - völlig unmittelalterlich - alle Menschen, ob hoch oder niedrig, reich oder arm, mit ihm zusammen Brüder und Schwestern Jesu Christi, alle haben als Geschöpfe den gleichen Vater. Auf dieser Grundlage versucht er, nicht die gesellschaftlichen Ordnungen und sozialen Strukturen zu ändern, sondern einen Gesinnungswandel zu schaffen, Spannungen zwischen den Ständen abzubauen.

LeerErst recht galt dies für seinen Orden, den er - ganz bezeichnend -  B r ü d e r  - gemeinschaft nennt, wo keiner vor dem anderen einen Vorzug hat und wäre er aus noch so adligem oder reichem Haus gekommen. Selbst der Vorgesetzte hat keinerlei Privilegien; er soll Diener aller Brüder sein; denn auch Christus kam, um zu dienen und nicht, um sich bedienen zu lassen. Franziskus lebt und verlangt von seinen Brüdern nicht nur ein Freisein von irdischem Besitz, „was nutzt es, meine Brüder, wenn ihr auf irdischen Reichtum verzichtet, aber die Reichtümer der Eigenliebe behalten wollt!” Er fordert deswegen auch eine geistige Armutshaltung, ein Nichtversklavtsein an irdische Dinge und das eigene Ich, um damit offen zu sein für den Anruf Gottes ganz gleich welcher Art und offen zu sein für den Bruder, der vielleicht den Reichtum meiner körperlichen und geistigen Kräfte und Fähigkeiten brauchen könnte. Mit diesen Grundsätzen stieß er eine soziale Bewegung an, die zwei Jahrhunderte hindurch dem Mittelalter ein Gepräge gab und die zeitgemäß geblieben ist bis heute.

LeerWenn schon jemand ein Privileg in seinem Herzen hatte, dann waren es die Menschen am Rande der Gesellschaft, die Aussätzigen, die Entrechteten, die Hilflosen und die Gestrandeten. Selbst die Räuber kamen an die Klosterpforte, nicht um zu rauben (in jenen armseligen klösterlichen Behausungen gab es ohnehin nichts zu rauben), sondern weil sie wußten, daß sie dort wie Brüder angenommen würden, wenn sie anklopften.

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LeerDieses gelebte Brudersein gab seinen ganz schlichten Predigten vom Frieden eine schier unwiderstehliche Kraft. Für Franziskus war es unerträglich, wenn Geschwister Christi in Feindschaft gegeneinander stehen. Wir kennen viele seiner erfolgreichen Friedensbemühungen. Er trat nie als der ehrliche Makler auf, der Unterhändler, der das Für und Wider abwog und zu einem Kompromiß verhalf. Er pochte an das Gewissen beider Parteien. Der Bürgermeister und der Bischof von Assisi standen sich wie Kampfhähne gegenüber. Der Bischof hatte das Stadtoberhaupt aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen und dieses hatte gegen den Bischof einen wirtschaftlichen Boykott verhängt; niemand durfte ihm etwas verkaufen. Franziskus lag schwer krank; er schickte eine Gruppe seiner Brüder mit dem besten Sänger, einem ehemaligen Troubadour, zu den verfeindeten Parteien. Die Brüder sollten nicht verhandeln, nicht Recht sprechen, sondern - den Sonnengesang ihnen vorsingen; eine besondere Strophe dichtete er für diese Aktion hinzu: „Gelobt seist du mein Herr durch jene, die aus Liebe zu dir vergeben und Schwäche tragen und Trübsal. Selig sind, die harren in Frieden. Du Höchster, wirst sie einst krönen”. Der Bischof und der Bürgermeister kannten das Leben ihres Mitbürgers und seiner Gefährten und wußten: Hier werden keine frommen Sprüche gesagt und wohlklingende Töne vorgetragen, hier wird gelebtes Evangelium Christi gesungen. Sie senkten beschämt die Köpfe, reichten sich die Hände, und Friede war wieder in Assisi. Man kennt Franz von Assisi weithin als den fröhlichen Heiligen. Dieses Frohsein, das ihn auch in herben Kümmernissen der Seele und ungewöhnlich großen Schmerzen des Leibes nicht verließ, kam aus dem tiefen gläubigen Wissen, bei Gott dem Vater ganz daheim zu sein - jetzt schon.

LeerMan rühmt Franz von Assisi, den Dichter des Sonnengesanges, als den großen Freund der Natur. Aber Franziskus war kein schwärmerischer Romantiker. Sein Lied war das dankbare Singen eines beglückten Kindes vor seinem Vater, der ihm so viel Schöpfungsschönheit geschenkt hatte.

LeerFranz von Assisi ist tot. Die Sonne, die nach Dante mit ihm über der Welt aufging, war irdisch untergegangen. Aber sein Geist blieb lebendig bis heute. Anstößig manchen in seiner Zeit, ein ständiger Anstoß durch die Jahrhunderte! Der junge Schwedenkönig Karl Gustav erwähnte kürzlich in einem Interview ein Gebet des hl. Franziskus, das er besonders schätze: „Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens, laß mich Liebe bringen, wo Haß regiert; laß mich Verstehen bringen, wo Unrecht begangen wurde; laß mich Eintracht bringen, wo Zwietracht besteht; laß mich die Wahrheit bringen, wo sich Verwirrung ausgebreitet hat”!

LeerEin lebendiges Buch bleibt das Leben der Guten.

Quatember 1976, S. 201-204

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
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