Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1976
Autoren
Themen
Stichworte


10. „Kirchberger Gespräch”
von Jürgen Boeckh

LeerEs war ein katholischer Prälat, der sagte: „Die eigentliche Bezeichnung des Papstes ist PAULUS EPISCOPUS ROMANUS.” Als ich einige Zeit vorher - in Berlin - im Gottesdienst für den Bischof von Rom gebetet hatte,war ich von einem Katholiken (!) gefragl_worden, wer das denn sei, der „Bischof von Rom”, dort gebe es doch nur den Papst. Soweit entfernt voneinander können Christen einer Kirche in ihrer Bewußtseinsbildung sein! Der Prälat sagte weiter: „Der Schritt vom Ungetauften zum Getauften ist unendlich viel größer, als der Schritt vom Getauften zum Träger des Petrusamtes.” Auch dieser Satz ist bemerkenswert. Ist es nicht jahrhundertelang dem Papst leichter gefallen, mit Ungetauften zu sprechen als mit Getauften, die  n i c h t  zur römisch-katholischen Kirche gehören? Fällt es nicht Protestanten oft viel leichter, in Ungetauften „anonyme Christen” zu sehen als in dem Papst auch - und zuerst - einen getauften Christen? In den Vereinigten Staaten wurden in den letzten Jahren mehrfach zwischen Lutheranern und römischen Katholiken Gespräche über das Papsttum geführt. Auf die Frage, warum in kirchlichen Veröffentlichungen in Deutschland davon so wenig zu hören ist, antwortete ein evangelischer Landesbischof: „Das können wir unseren Gemeinden nicht zumuten.”

LeerGerade weil dieses Thema in unserem deutsch-protestantischen Raum noch nicht „angekommen” und für viele nach wie vor tabu ist, haben wir in Kirchberg vom 28. April bis 2. Mai d. J. die Frage nach dem „Amt der Einheit” aufgegriffen. Es war das 10. „Kirchberger Gespräch”. Der ökumenische Sekretär der Evangelischen Michaelsbruderschaft, Pfarrer Dr. Reinhard Mumm, erinnerte bei der Begrüßung daran, daß vor 15 Jahren im Berneuchener Haus das erste Gespräch dieser Art stattgefunden hatte. Damals hatte Karl Bernhard Ritter mit unseren Brüdern Wilhelm Stählin, Hans Dombois, Herbert Goltzen und Reinhard Mumm die katholischen Theologen Prof. Otto Karrer, Pater Thomas Sartory OSB und Richard Klein am gleichen Ort versammelt. Die Ergebnisse der Kirchberger Gespräche Anfang der 60er Jahre sind sogar in Rom während des II. Vatikanischen Konzils beachtet worden. Ob von unseren heutigen Überlegungen auch etwas weiterwirkt in unseren Kirchen?

LeerDer Teilnehmerkreis ist in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden: Er war diesmal ökumenisch in doppelter Hinsicht: Die 18 Teilnehmer - davon 6 Michaelsbrüder, die Frau eines Bruders, eine Dame des Berneuchener Dienstes und ein Jungbruder - und sechs Gäste kamen aus evangelischen (Landes-)Kirchen, der evangelisch-methodistischen, der römisch-katholischen Kirche und der Kirche von England; sie waren in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich (Elsaß), in der Schweiz und in Dänemark zu Hause. Bedauert wurde, daß kein alt-katholischer und kein orthodoxer Gesprächspartner dabei sein konnte. Archimandrit Johannes Peterfalwy, München, war kurze Zeit zuvor verstorben.

LeerZu Beginn der Tagung hörten wir ein Referat von Abt Athanasius Polag OSB: „Das Papsttum als Thema im ökumenischen Dialog.” Abt Athanasius bezeichnete die Frage des Papsttums als die schwierigste zwischen den Konfessionen, denn nach wie vor bindet Rom die Herstellung der Kirchengemeinschaft an die Anerkennung des Primates. „Es wäre ein Dienst an den Katholiken”, meinte der Abt aus St. Matthias/Trier, „im ökumenischen Gespräch doch einmal auf deren Probleme einzugehen.” Er wies darauf hin, daß die isolierte Stellung des Papstes durch die Praxis bereits eine gewisse Korrektur erfahren hat: Das II. Vatikanische Konzil hat die kollegiale Struktur des Leitungsamtes betont. Nun müssen Kollegialität (der Bischöfe), Subsidiarität und Vielfalt verwirklicht werden!

Linie

LeerVon den Protestanten wollte Athanasius wissen, wie sie mit der Theorie vom Papsttum fertig werden und welcher praktischen Anweisung sie zustimmen könnten. Eine Änderung der Situation kann nach Abt Athanasius nicht durch Gespräche, sondern nur durch personelle Änderungen erreicht werden. Dem widersprachen zwei Katholiken. Prälat Weitmann aus Rottenburg (wir zitierten ihn bereits zu Beginn) wollte nicht seine einzige Hoffnung auf personelle Änderungen setzen. Er trat für einen „vorsichtigen Optimismus” ein, da heute in der Kirche Roms möglich sei, was einst die „Schmalkaldischen Artikel” (eine theologische Denkschrift des 16. Jahrhunderts) forderten: die freie Verkündigung des Evangeliums.

LeerIn einem Referat über den „Petrusdienst nach dem Neuen Testament und dem 1. Clemensbrief” sichtete Pfr. Siebrasse die biblischen Belegstellen für das Papsttum und stellte dar, wie die Interpretation dieser Stellen in der evangelischen Theologie der letzten Jahrzehnte eine Wandlung erfahren hat. Siebrasse stellte fest: „Die Frage, ob Jesus Petrus als ersten Papst ernannt hat, hat sich in der modernen Forschung auf die Frage verlagert, in welchem Maß der spätere Gebrauch der Bilder für Petrus (z. B. Fischer, Hirte, Ältester, Fels) im Blick. auf das Papsttum im Einklang mit der Ausrichtung des Neuen Testamentes steht.” In der Aussprache bemerkte Siebrasse, daß die Lutheraner (eben weil die „Ordnung” für sie „frei” ist) sogar eher als die Orthodoxen  f r e i  für ein Amt der Einheit sein könnten, das vom Bischof von Rom wahrgenommen wird.

LeerIm Mittelpunkt der Tagung stand der Vortrag von Prof. Gerard Siegwalt/Straßburg: „Das Amt der Einheit aus evangelischer Sicht”. Die Richtung, in der Siegwalt sprach, wird aus der Gliederung deutlich: Das Problem / Die Antwort des Katholizismus / Die Kritik der Reformation und das Ungenügen ihrer eigenen Antwort / Das Amt der Einheit nach dem Neuen Testament / Die Aufgabe und die Gestalt des Amtes der Einheit. Einige Sätze aus dem letzten Abschnitt sollen hier wiedergegeben werden:

Leer„Wenn beachtet wird, daß die Einheit geschichtlich nur in der Form der Vereinigung oder Gemeinschaft (communio) wirklich wird, daß die unitas in der Form der communio aber nie uniformitas sein kann, dann ist jedem zentralistischen Verständnis des Amtes der Einheit gewehrt. Das Amt der Einheit wird in vielerlei Gestalt sich verwirklichen und auf allen 'Ebenen' jeder Einzelkirche und der Gesamtchristenheit als Diakonia an der Koinonia wirksam sein. Jede Rede von einem Amt der Einheit 'oben' ist gefährlich, wenn das Amt der Einheit nicht zugleich 'unten' gelebt wird, es kommt zu einer universalistischen Verzerrung der Kirche, die in Zentralismus ausartet...

LeerDie Entwicklung innerhalb der römischen Kirche ist darum zu begrüßen,
  • die den Dienst der Einheit an allen Orten oder Ebenen ordnet (manchmal schon in der Ortsgemeinde, jedenfalls im Bistum, in der Region, im Land, im Kontinent, bis nach Rom) ...
  • die den Dienst der Einheit kollegial gestaltet (mehr und mehr auch unter Mitarbeit der Laien).
Linie

LeerÄhnliches besteht oder ist im Werden weithin in der evangelischen Christenheit, wenn es auch (wie ja auch in der katholischen Kirche) von einzelnen Personen, ihrer Kompetenz, ihrem Charisma und ihrer Treue, aber zutiefst von Gottes Segen abhängt, was für die kirchliche Gemeinschaft daraus wird...

LeerWegen der historischen Bedingtheit des Papsttums ist sein Verständnis als petrinischer Dienst maßgebend. Der petrinische Dienst kann als gesamtkirchlicher Dienst nur ausgeübt werden nach der wachsenden Erkenntnis katholischer Christen und Theologen selbst und im Einvernehmen mit vielen evangelischen Christen und Theologen, wenn der Papst zuerst einfach der Bischof von Rom ist und also zuerst eine lokale Aufgabe der Einheit hat. Jede Loslösung des Papstes von seiner Aufgabe als Bischof der Gemeinde zu Rom führt zu universalistischem Zentralismus und dem damit gegebenen Bürokratismus. Durch die Art und Weise, wie er als Ortsbischof wirkt, wirkt er stimulierend für die anderen Lokalbischöfe und Kirchen. Das gleiche gilt für die Gemeinde zu Rom. Die ehrenhafte Präeminenz des Papstes ist auch die seiner Gemeinde: sie, nicht die lateinische Kirche, ist nach Wladimir Solowjew mater et magistra omnium Ecclesiarum.”

LeerSoweit die Auszüge aus dem Vortrag von Siegwalt.

LeerIn der Aussprache wurde u. a. auch diese Frage eingehend erörtert, ob der Papst an einem anderen Ort als Rom seine cathedra haben könnte (was interessanterweise eher katholische als evangelische Teilnehmer, vom Notfall abgesehen, für sinnvoll hielten!); es wurde angeregt, gründlich zu untersuchen, ob oder inwieweit die Vorwürfe der Schmalkalischen Artikel gegen das Papsttum heute noch gerechtfertigt sind; auch das Thema „Verantwortlichkeit und Kollektiv” kam zur Sprache. Weiter wurde gefragt, ob partielle Unionen von Teilen der römisch-katholischen Kirche in einem bestimmten Land mit einer anderen Kirche denkbar wären.

LeerDie Kirchberger Gespräche waren, wie auch in den vergangenen Jahren, eingebettet in den geistlichen Rhythmus des Berneuchener Hauses. Für niemanden war es ein Problem, mit der Hausgemeinde und den Gästen an den Stundengebeten teilzunehmen. Und auch die Feier der Messe - nach römischem, anglikanischem und nach (Berneuchener) evangelischem Ritus - trennte die Teilnehmer nicht, sondern führte sie zusammen in „eucharistischer Gastfreundschaft”. An einem der Abende berichtete Pastor Ladegaard aus Dänemark mit einem Film über das Leben in Gemeinde und Familie und über das Theologische Oratorium, eine dänische Bruderschaft, die mit der Michaelsbruderschaft in Gebetsgemeinschaft verbunden ist.

LeerEine solche Gemeinschaft des Gespräches und des Gebetes, wie wir sie in Kirchberg wieder erlebten, ist „vor Ort” nur in Ausnahmefällen möglich. Sie sollte uns aber als Ziel immer vor Augen bleiben, auch wenn wir nicht an einer „ökumenischen Stätte” (R. Mumm) wie Kirchberg versammelt sind. Viele Christen leben leider nach der Devise Kains: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?” Demgegenüber sollten wir bedenken und praktizieren, was Gerard Siegwalt am Schluß seines Vortrages sagte: „Das Gebet für den Papst als Bischof von Rom und als Diener der Einheit hat seinen Platz auch in der Fürbitte der evangelischen Christenheit.”

Quatember 1976, S. 227-229
© Jürgen Boeckh

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
Haftungsausschluss
TOP