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von Waldemar Wucher |
Die Berneuchener Gespräche, auf Anregung des Arbeitskreises für Gegenwartsfragen der Evangelischen Michaelsbruderschaft begonnen, sind dazu bestimmt, der Bruderschaft die Verantwortung für bestimmte, ihr selbst gestellte Gegenwartsaufgaben bewußt zu machen, Aufgaben, die ihr in ihrem Ursprung, in Berneuchen, in die Wiege gelegt worden sind, als sie noch in einem geistig weiträumigen Kontakt zu weiten Kreisen der damaligen Jugend stand. Solchen Kontakt analog auch heute herzustellen, ist eine damit eng verbundene Aufgabe. Das hat zu Beginn Christian Zippert in seinem Grußwort im Auftrage des Rates ganz allgemein und im Blick auf das Thema dieses ersten Gespräches „Kunst und kirchliches Handeln heute” deutlich gemacht. Vieles, was im Berneuchener Buch dokumentiert ist, ist zwar in 45 Jahren verwirklicht, nicht wenig aber ist liegengeblieben. Vor fast einem Menschenalter hat Günter Howe im Geiste Berneuchens wichtige Anstöße zur Fortentwicklung bruderschaftlichen Denkens und Handelns gegeben. Wir sind ihm nur zögernd gefolgt. Der Bericht über das neu aufgenommene „Berneuchener Gespräch” soll daher dem Gedenken an den Bruder und Freund Günter Howe gewidmet sein, nicht zuletzt von der Sache her, die in den vorpfingstlichen Tagen dieses Jahres im Kloster Kirchberg verhandelt wurde. Howes zentrales, vornehmlich außerhalb der Bruderschaft fruchtbar gewordenes Bemühen kreiste zunächst um das Verhältnis von Theologie und Physik, Gott und Natur. Dafür gibt es literarische Quellen und biographische Deutungen. Und obwohl nur einzelne Brüder diesen Weg bewußt mitgegangen sind, wußten wir doch alle darum. Der andere, eng damit verbundene Ansatz seines Denkens und Handelns, das anfangs der 50er Jahre ins Leben gerufene Kunsthistoriker-Theologen-Gespräch, hat innerhalb der Bruderschaft nur wenig spürbare Resonanz gefunden, obwohl auch hier ein Grundanliegen Berneuchens zur Sprache kam. Howe ließ in seinem Nachwort zu dem Berichtsband „Das Gottesbild im Abendland” deutlich genug erkennen, daß dieser Frage, die nicht zuletzt auch im Zusammenhang des Bezugsverhältnisses von Theologie und Physik steht, praktische Bedeutung für künftiges kirchliches Handeln zukommt. Immerhin war damals der Erweis des geschichtlichen Charakters des Gottesbildes im Abendland ein gesichertes, theologisch relevantes Ergebnis. Bei diesem einen Ergebnis blieb es, aus mancherlei Gründen. Der sachliche Hauptgrund dürfte sein, daß bis heute eine weitverbreitete Ratlosigkeit besteht angesichts des Proteus-Charakters der modernen Kunst, in der außerkirchlichen wie in der kirchlichen, auch bruderschaftlichen Öffentlichkeit. Gewiß ist Proteus ein Verwandlungskünstler Aber wenn man ihn recht zu fassen weiß, wird er zum Wahrsager. Warum lassen wir als Michaelsbruderschaft, die etwas von dem großen lebendigen Bezugsverhältnis von Kunst und Kirche in vielen früheren Jahrhunderten weiß, Kunst und Künstler der Gegenwart in ihrem Ringen um das Bild einer künftigen Welt so sehr allein? Und sollten nicht umgekehrt aus verantwortungsvoller Begegnung Kräfte entbunden werden, deren Fehlen schon Berneuchen als eine der Ursachen für die Not in Kirche und Welt gesehen hatte? Das waren Anstoß und Ausgangslage für unser Gespräch. Diese Lücke in unserer wirklichen Kenntnis füllte der Freiburger Museumsdirektor Dr. Hans H. Hofstätter mit seinem Referat aus, das auf eine Fülle anschaulichen Materials gegründet war und es an sorgfältigen Analysen nicht fehlen ließ. Nach der Rekapitulation der wichtigsten Vorgänge, die zur Krise der christlichen Kunst im 19. Jahrhundert geführt haben, die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die Säkularisierung und die neue Einstellung der deutschen Klassik zur Kunst, umriß er den ganzen Horizont der religiösen Bildwelt des vorigen Jahrhunderts von der Romantik über die Nazarener und die Symbolisten bis zur neukatholischen Kunstreform. Als Quintessenz war zu erkennen die Ablösung christlicher Ikonographie durch private Mythologie bei einem gewissen Weiterleben christlich tradierter Elemente, die Suche nach neuer Religion oder (im Symbolismus) auf der Grundlage des Rationalismus die Suche nach neuer Wirklichkeit, die dahinter liegt. Vor einer falschen Anwendung geschichtlicher Kategorien im Zusammenhang der Beziehung von Kunst und kirchlichem Handeln warnte mit seinem Referat der Berliner Praktische Theologe Professor Dr. Rainer Volp. Wir sollten „nicht mit unserem gegenwärtigen Bewußtsein die Geschichte okkupieren”. In mittelalterlichen Bildern - das Referat war überschrieben „Paradigmen des Mittelalters” - haben wir es weniger mit Dokumenten als mit Monumenten zu tun, mit Denkmälern, die zum Denken anregen. „Monumente sind begehbar, begehbar, wie wir uns Räume vorstellen”. Das Medium, das Bild als Text muß zum Subjekt werden und nicht wir. Breiten Raum widmete der Referent daher seiner These von den Verhältnismäßigkeiten mittelalterlicher Bilder. Was er unter „Paradigmen des Mittelalters” verstanden wissen will, erläuterte er an einigen Begriffen. Konventionen haben in der Kunst eminente Bedeutung, weil sie vorstrukturiert haben, was neu zu fügen uns sehr große Mühe macht. In der Figur der Reflexe ist eines der Spiegel des andern (z. B. reicher Mann - armer Lazarus). Als Analogie ist beispielsweise die Ähnlichkeit von Gott-Vater und Abraham zu verstehen. „Sympathie und Antipathie rufen die Bewegung der Welt hervor”. Das ganze Bemühen des Referenten aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung als Praktischer Theologe ging offensichtlich dahin, deutlich zu machen, daß und warum die Kluft zwischen der Reflexion eines Bildes damals und heute „im Grunde gar nicht so ohne weiteres zu überbrücken” ist. An dieser Stelle deutet sich auch die in der Praxis immer wieder erlebte Fragwürdigkeit der Meditation mittelalterlicher religiöser Bilder an. Bietet die Theologie des 20. Jahrhunderts schon offene Ansatzpunkte dazu? Das war das Thema, das dem Referat des Arnoldshainer Studienleiters, Pfarrer Dr. Gerhard Marcel Martin, gestellt war. Martin setzte sich dabei im Hauptteil seiner Untersuchungen mit Paul Tillich auseinander, der, angefangen von den von ihm mit beeinflußten Gedankengängen des Berneuchener Buches, sich noch in den 60er Jahren zur Bildfrage geäußert hat. Die 37 Teilnehmer des Gespräches, unter ihnen 14 Michaelsbrüder und sieben Angehörige des Berneuchener Dienstes, standen zunehmend unter dem Eindruck, daß hier aktuelle theoretische und praktische Anliegen ganz eng verzahnt waren. Entsprechend warmherzig und lebendig war die leibhafte Kommunikation bis hin zu einem festlichen Agapemahl und der festlichen Pfingstmesse, in der Bruder Zippert als Liturg fungierte und Pfarrer Dr. Martin predigte. Ist es doch eines der dringlichen Anliegen der Berneuchener Gespräche, Kommunikationsmöglichkeiten anzubieten, in denen Traditionserfahrungen der Bruderschaft partnerschaftlich in Beziehung gesetzt werden zu lebendigen Erfahrungen anderer Kreise im Welthorizont der siebziger Jahre! So fand dieses Gespräch „in Verbindung mit dem Arbeitskreis Bildende Kunst der Evangelischen Akademie Arnoldshain” statt, dem unter anderem die Referenten Schütz und Martin angehören und der Vorarbeiten zum Thema geleistet hat. In den „Arnoldshainer Protokollen” wird auch eine ausführliche Dokumentation erscheinen. Dieses erste Gespräch erschien auch den vier Referenten so fruchtbar, daß man einmütig vereibarte, zunächst in Form eines „Expertengespräches” weiterzuarbeiten. Und dies nicht zuletzt unter dem starken Eindruck der Tagungsstätte Kirchberg, die vom Gesprächsthema her eine Fülle von noch nicht ausgeschöpften äußeren Gegebenheiten umschließt, um ein für künftiges kirchliches Leben wichtiges Modell zu schaffen. Das hier schon geübte Denken, Sprechen, Schweigen, Beten und Meditieren gewönne zusätzlich Maß und Kraft durch gestalterische Vorgänge in Bildende Kunst, Musik, Bewegung und Theater, in Zeichenprozessen, die aus der Blässe unserer - wir sollten uns keiner Täuschung hingeben - noch immer unbewältigten intellektuellen Grundhaltung herausführen. Quatember 1977, S. 240-245 |
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