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Liturgie geschieht
von Waldemar Wucher

Leer„Ostergeschehen - Liturgie geschieht” hieß das Thema der von 70 Teilnehmern besuchten Ostertagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain, einer traditionellen Einrichtung, die wiederholt auch von Michaelsbrüdern mitgetragen worden ist. Sie hatte diesmal ein doppeltes Ziel. Was Liturgie bedeutet, sollte von verschiedenen Seiten gedanklich neu umkreist und beschrieben werden. Parallel dazu war die gemeinsame Vorbereitung eines reich entfalteten Ostergottesdienstes vorgesehen. Eine Gruppe von Teilnehmern widmet sich von Gründonnerstag an musikalischen Versuchen zur Osterliturgie. Aus der Fülle der in fünf Referaten entwickelten Gedanken kann ich hier nur wenige skizzenhaft wiedergeben, die deutlich machen, daß Liturgie nicht nur, wie das meist in den Gemeinden, ja bis in die Michaelsbruderschaft hinein noch verstanden wird, Reproduktion und Rezeption der textlichen und musikalischen Fassung von Agenden für bestimmte Gottesdienste oder einzelne Sonntage im Kirchenjahr ist.

LeerLiturgie als meditative Betrachtung und lebendiger Nachvollzug des Heilsgeschehens bedeutet die ungeteilte Fülle allen christlichen Gottesdienstes. Das Vollmaß solchen Verständnisses wurde mit der Aufgliederung des Kirchenjahres in Einzelereignisse weit hin verdunkelt und verloren, wie Dr. Wolfgang Herbst-Heidelberg in einem Eingangsreferat deutlich machte. Bei wechselnder Betrachtung einer Skulptur von verschiedenen Seiten kommt noch nicht das Ganze in den Griff. So auch im Geschehen der Liturgie. Das einzelne Fest des Kirchenjahres büßte an Sinnhaltigkeit und Sinnfälligkeit ein, die erst bei umgreifender Betrachtung des universalen Geschehens wirksam werden können. So hebt sich Himmelfahrt wortwörtlich vom Boden ab, wird Pfingsten zum rein spirituellen Ereignis und hofft Trinitatis vergeblich auf das dogmatische Verständnis der Gemeinde, so daß es zum blassesten aller Kirchenjahresfeste geworden ist. Daß sich Weihnachten zunehmend ins Weltliche verflüchtigt hat, wissen wir ja längst.

LeerFast über Nacht und doch nicht zufällig ist in diesen Jahren die Ostervigil unter uns wieder lebendig geworden, weil sie die verschiedenen Aspekte des Heilsgeschehens in sich vereinigt, vor allem das Miteinander von Passion und Auferstehung. Bedeutung verbindet sich in ihr mit Zeichenhaftigkeit. In ihr bricht das Licht wirklich aus dem Dunkel hervor.

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LeerGrundlegende Anschauungsform aller Liturgie - längst verlernt und vergessen - ist der Raum, zeugt doch die Baugeschichte der christlichen Kirche von dem nie erlahmenden Bestreben, den der Liturgie entsprechenden Raum zu schaffen. Es ist bezeichnend, daß die Architekten von der Jahrhundertwende bis in die fünfziger Jahre sich der Devise „Liturgie als Bauherr” verschrieben haben, aber dem verengten liturgischen Verständnis entsprechend ihr ganzes Augenmerk der Anordnung der sogenannten „Prinzipalstücke” widmeten, als ob die Gemeinde, die schlichtweg in Bankreihen verwiesen wurde, im Vollzug der Liturgie nicht minder wichtig wäre.

LeerDem entgegenzusteuern, leitete Professor Herbert Muck-Wien in praktischen Schritten zu Raumerfahrung an. Von vielen Beispielen seien nur einige genannt: Übergang von Raum zu Raum, Erleben verschiedenartiger Begrenzung, Raum als belebter Raum, Gruppen im Raum, Erfahrung von drinnen und draußen. Dabei wurde sinnfällig, wie Raumempfinden zum liturgischen Vollzug gehört. Diese Erfahrungen führten dazu, daß die bisher nicht entsprechend den Maßen des umbauten Raumes eingerichtete Akademie-Kapelle von einer Gruppe von Teilnehmern noch während der Tagung provisorisch umgestaltet wurde. Weitausholend untersuchte Professor Rainer Volp-Mainz, was das dramatische Spiel des Theaters mit Liturgie verbindet. Das gilt zum Beispiel vom gesprochenen wie zeichenhaften Dialog (erst 680 wurde der Tanz im Kult offiziell abgeschafft).

LeerVergleicht man beide Bereiche, so wird deutlich, daß die so heilsamen Elemente des dialogischen Mitvollzugs der gottesdienstlichen Gemeinde nahezu verloren gegangen sind. Wie im Spiel des Theaters versucht wird darzustellen, was nur schwer aussprechbar ist, so wird im Gottesdienst das schier Unmögliche versucht, deckungsgleich zum eigentlichen Sinn darzustellen, was um des Himmels willen nicht verschwiegen werden darf. Darin beruht auch der Sinn aller Bilder, die trotz Bilderverbot und reformierter Bilderscheu in der Kirchengeschichte sich immer wieder hervorgewagt haben, nicht um ihrer Verehrung willen, sondern weil sie zur Anschauung und zu schauendem Nachvollzug dessen verhelfen, was unaussagbar bleibt.

LeerMit rund 50 Dias habe ich versucht, „Bilder zur Liturgie und Liturgie im Bild” von den Katakomben bis in die Gegenwart (Mosaiken, Fresken, Glasfenster, Paramente, auch den Raum als Bild) vor Augen zu führen, um deutlich werden zu lassen, wie um die vorletzte Jahrhundertwende (als Beispiel Caspar David Friedrich) ein bis heute nur tastend artikulierter und erst vorläufig deutbarer Bruch anhebt, der ein neues, ikonologisch nicht fixierbares Bildverständnis ausgelöst hat. Es weist hin auf den Raum als abstraktes liturgiebegleitendes Bild (Taufkapelle Audincourt), weil Liturgie im Lichte des Universums erscheint, wenn man sie im Kontext unseres heutigen Weltempfindens zu verstehen sucht. Das Bild der Liturgie käme dann dem Bild der das liturgische Geschehen lebendig mitvollziehenden Gemeinde näher, was man sich näherungsweise an der Ostkirche vergegenwärtigen kann, deren Leben Professor Johannes Harder-Schlüchtern gegen Ende der Tagung aus eigener Erfahrung schilderte.

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LeerDr. Gerhard Marcel Martin-Arnoldshain stellte schließlich die Frage nach dem Festcharakter der Liturgie. Durch das Fest wird wiederentdeckt, was durch seinen Rhythmus von Wiederholung, Erinnerung und Wiedereinbringung allen entleerenden Tendenzen der Liturgieentwicklung der letzten Generationen entgegenwirken kann und was wir wiedergewinnen sollten.

LeerAngeregt durch Gedanken, Bilder und Raumexperimente wagten sich die Teilnehmer gemeinsam an die Vorbereitung des Ostergottesdienstes als Abendmahlsgottesdienst. Sollten wir dabei die Teilnehmer als geschlossene Gruppe oder als offene Gemeinde verstehen? Jedenfalls sollte eine Form gefunden werden, die in aller Freiheit Elemente einbringt, die sich vom „Abendmahl in der Tischgemeinschaft” herleiten, aber gleichzeitig auch Anregungen für Gottesdienste in der Kirchengemeinde geben könnten. (Vgl. die gleichnamige Schrift in der Reihe „Kirche zwischen Planen und Hoffen”, von der zu wünschen wäre, daß sich die Eucharistiepraxis auch in der Bruderschaft stärker als bisher daran orientierte.) Unser Ostergottesdienst enthielt alle Elemente einer theologisch begründbaren und entfalteten Eucharistie („Christuswerk” nach Wilhelm Stählin). Er vereinte aber auch Liturgen und Gemeinde zum Vollzug des Mahles als wirkliche Gemeinschaft.

LeerGewissermaßen als Ergänzung der in der genannten Schrift aufgeführten Beispiele sei der Verlauf kurz dargestellt. Es begann mit einer Prozession durch das Haus mit Gesang von Chor und Gemeinde und Einzug in die Kapelle durch ein enges, vom Chor gebildetes lebendes Tor. Wer mochte, legte auf dem Altar Dinge ab, die für ihn Bedeutung haben oder die ihm wertvoll sind. Es folgte längere Stille. Auf die Frage des Jüngsten, Achtjährigen, warum es noch so dunkel sei, wurde vom Ältesten der Gemeinde das Osterevangelium verlesen und vom Chor als Motette gesungen. Von der vom Ältesten entzündeten Kerze brachten Kinder mit ihren kleinen Kerzen das Licht auf den Altar. Beim Geläut der Glocken wechselten alle den Ostergruß „Christ ist erstanden”. Der Predigt folgte offene Kommunikation über das Gehörte. Nach Gebet und Fürbitte wurde in einer zweiten Prozession, in der Mitte unterbrochen durch ein kurzes Bach-Konzert, Brot und Wein eingeholt und zum Tisch des Herrn gebracht. Bei der Zahl der Teilnehmer war es nicht möglich, während der Entfaltung der verba testamenti und bei der Austeilung den Mahlcharakter der Tischmesse streng zu wahren, aber durch sorgsames sinnfälliges Zureichen und Weitergeben von Brot und Wein blieb er für alle deutlich genug. Nach Dankgebet, Segen und Schlußlied „Wir wollen alle fröhlich sein ...” wurden die Bronzetüren der Kapelle weit geöffnet zum Auszug in den sonnigen Ostermorgen und zu einem gemeinsamen Schalom-Tanz im inneren Garten des Hauses.

Quatember 1980, S. 177-179

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-08
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