Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1981
Autoren
Themen
Stichworte


Jesus und der Koran
von Max Schoch

LeerDaß Christgläubige und Muslimen ein Verständnis füreinander entwickeln, ist höchst dringlich. Die Zeit verlangt es. Wir sind alle herausgefordert. Die Zukunft läßt uns keine lange Frist mehr, im Angesicht der ideologischen Entwicklung in der Menschheit unseren Religionsstreit beizulegen. Es kommt nicht darauf an, wer recht hat, sondern, was recht ist. Es geht nicht um die Macht der Religionen und ihre Ausbreitung, sondern um die Macht Gottes und um die Geltung seines Willens. Mit den Worten der Bergpredigt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr! wird in das Reich der Himmel kommen, sondern, wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen als Propheten geredet und in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen viele Machttaten vollbracht? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weichet von mir, die ihr begeht, was wider das Gesetz ist.”

LeerUnd auch im Koran wird in bezug auf die Leute von Thora, Evangelium oder Koran gesagt: „Jeder hat eine Richtung, auf die er eingestellt ist. Wetteifert nun nach den guten Dingen!” (Sure 2, 138, vgl. S. 2, 48) Freilich sollen wir einander zurechtweisen. Jede Glaubensrichtung hat gefrevelt durch Unmenschlichkeit, Mißbrauch der Macht, Hochmut, und es sind Verbrechen begangen worden im Namen der jeweiligen Religion, Menschenopfer unerhört. Der Gedanke an die Vergangenheit bringt uns nicht zueinander außer durch das Bekenntnis der Schuld und durch Bitte um Verzeihen. Ist die Gegenwart viel besser? Wir meinen es. Wir meinen vor allem gern, durch aufgeklärte Toleranz weiter zu kommen. Bei einer Mehrzahl von westlichen Menschen ist Toleranz leider nicht viel mehr als Gleichgültigkeit oder Schlimmeres: Verachtung aller Religion überhaupt.

LeerEs gibt eine Art von Toleranz, die den ernsten religiösen Menschen verletzt. Genau dies ist oft der Fall, wenn der Europäer oder Amerikaner mit seiner zivilisatorischen Einbildung auftritt. Es ist ein verfälschtes Sendungsbewußtsein, Es ist Tatsache, daß zum Teil auch wohlgemeinte Initiativen auf dem Gebiet der Erziehung, der Medizin, die gegen Analphabetismus oder gegen Volkskrankheiten ankämpfen, durch diese Überheblichkeit verletzen. Es gibt falsches, verletzendes Erbarmen, eine überhebliche, eingebildete Caritas. Die Voraussetzung fehlt, die darin besteht, den andern wertzuhalten und mit ihm auch seinen Glauben zu lieben.

LeerDu wendest ein: Wie kann ich, wenn seine Religion der meinen widerspricht? Wie kann ich den Gläubigen des Korans in seinem Glauben lieben, wenn sein Koran mein Evangelium Lügen straft - und umgekehrt? Da sind doch Gegensätze! Da schließt doch eins das andere aus? Wie kann ich lieben? Das Erste wird sein, daß ich nicht sage „mein” Evangelium oder „mein” Koran. Der Christ weiß, es ist das Evangelium Gottes; und der Muslim weiß dies auch, denn Mohammed betont es immer wieder: Gott steht dahinter. Freilich ist da eine Schwierigkeit, ja manche Schwierigkeit. Offenbarung da wie dort, ja. Aber der Muslim sieht es so nach dem Koran, Sure 3, am Anfang: „Allah! Es gibt keinen Gott außer ihm. Er ist der Lebendige und Beständige. Er hat die Schrift mit der Wahrheit auf dich herabgesandt als Bestätigung dessen, was vor ihr da war. Er hat auch die Thora und das Evangelium herabgesandt, früher, als Rechtleitung für die Menschen. Und er hat die Rettung (Entscheidung, al-furqan) herabgesandt. Diejenigen, die an die Zeichen Gottes nicht glauben, haben dereinst eine schwere Strafe zu erwarten. Gott ist mächtig. Er läßt die Sünder seine Rache fühlen.” Der Koran bezeichnet Mohammed als den Gesandten, der den Auftrag hat zu bestätigen, was vor ihm offenbart worden ist. Aber eben doch nicht nur um zu bestätigen, der Koran gilt als das Buch der vollen Wahrheit.

Linie

Offenbarung

LeerInteressanterweise bezieht sich der Koran einmal auf die Abschiedsreden Jesu, wo es heißt (Joh. 16, 7-13): „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Paraklet nicht zu euch kommen; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn jener kommt, wird er die Welt überführen in bezug auf die Sünde und in bezug auf das, was recht ist und in bezug auf das Gericht . . . Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht von sich aus reden, sondern was er hört, wird er reden, und das Zukünftige wird er euch verkündigen.”

LeerIn Sure 61 steht:
„Jesus, der Sohn der Maria, sagte:
Ihr Kinder Israel, ich bin zu euch gesandt, um zu bestätigen,
was von der Thora vor mir da war,
und einen Gesandten mit einem hochlöblichen Namen zu verkünden,
der nach mir kommen wird.”
LeerManchmal wird „höchstlöblich” als Name interpretiert: „Und sein Name ist Ahmad.” So verstehen die mohammedanischen Erklärer darin einen Hinweis auf Mohammed.

LeerHat Jesus mit dem Parakletos den Propheten des Korans vorausgesagt? Tatsächlich ist er ja der erste Verkünder des göttlichen Gerichts. Wir werden sagen: Nein; das Johannesevangelium zielt damit auf den heiligen Geist, den Geist von Pfingsten, den Geist der Apostel und der Lehrer der Kirche. Immerhin: die Differenz beweist auch die Nähe. Der Gegensatz der Meinungen ist auch Gemeinschaft. Im übrigen gibt die Stelle uns auch Anlaß, an den geschichtlichen Zusammenhang zu denken, in welchem Mohammed stand. Die syrische Übersetzung der Bibel behielt das Fremdwort „Parakletos” bei. Da aber Epsilon und Ypsilon gleich ausgesprochen wurden, nämlich als „i”, so konnte das Wort als „hochlöblich” verstanden werden und nicht wie ursprünglich als „Beistand” oder „Tröster”. Und noch mehr: das fremde Wort war wie ein geheimnisvolles Rätselwort, das nach einer Deutung rief, und die Deutung auf eine reale Person lag dem konkreten semitischen Volksdenken am nächsten. Als „Paraklet” konnte ein Mann verstanden werden; warum nicht er, der neue und große Prophet von Mekka?

LeerAn dieser Stelle läßt sich übrigens ein erheblicher Unterschied im Offenbarungsverständnis darstellen, nach dem Evangelium und Koran sich wesentlich unterscheiden. Tatsächlich steht das Evangelium als das Reden Jesu wie die ganze übrige Bibel im Zusammenhang eines Offenbarungsgeschehens, für das es Zeugnis ablegt, für das es ein zeitgemäßer, aber nie abgeschlossener Ausdruck ist. Buchstaben und Geist werden stets unterschieden „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig”, schreibt Paulus, und sein Wort wird in der Geschichte der Kirche seit Augustin immer wieder überdacht und interpretiert.

LeerMit dem Koran ist es anders. Es gab um das Jahr 1000, im vierten muslimischen Jahrhundert, theologische Auseinandersetzungen darüber, ob der Koran als Werk, als Schöpfungswerk Gottes zu verstehen sei, entstanden in der Zeit, vergänglich wie alles Geschaffene. Dagegen stand die andere Behauptung, der Koran sei von Ewigkeit her, sei unerschaffen. Das Problem war erheblich. Die einen Theologen sahen in dieser Behauptung einen Angriff auf Gottes Einzigartigkeit, die andern sahen die Offenbarung für bedroht an. Die zweite Ansicht siegte. Für sie gab es sogar einen Märtyrer. Seitdem gilt der Koran als vollkommen, unerschaffen, präexistent, unvergänglich.

Linie

LeerDeshalb sind bis heute die muslimischen Theologen nicht bereit, Korankritik zu treiben, wie es Bibelkritik gibt. Nur über die Rezitationsweise, nur über die Punktierung des Textes, das heißt über einige wenige Konsonanten, die von der Punktierung abhängen, und über die Vokale kann man abweichende Traditionen feststellen. Sonst ist der Text nur einer. Abweichende Fassungen wurden schon vom dritten Nachfolger des Propheten, von Utman, vernichtet. Die muslimischen Theologen sind vor allem auch nicht bereit, die Quellenfragen zu stellen und Quellenforschung zu treiben. Die Hintergründe, das heißt, das menschliche, historische Entstehen des Korans kann nicht untersucht werden. Er gilt bis heute als gleichlautend mit dem Urkoran im Himmel. Mit Ehrfurcht schreibt man immer wieder auf arabisch ab und scheut sich vor dem Buchdruck. Wenn wir nach Parallelen mit der Bibel forschen, wenn wir Verwandtschaften und Abweichungen finden oder christliche Schriften entdecken, die Mohammed vielleicht hätten bekannt sein können, sei es, weil sie ihm vorgelesen wurden oder weil die Erzählungen im Volk umgingen, so reagiert der gläubige Muslim darauf mit Unwillen, denn er empfindet diese Behauptungen als Angriff auf seine dogmatische Überzeugung. Der Koran ist nicht entstanden. Er ist nicht erschaffen. Es gibt da keine literarischen Abhängigkeiten.

LeerDiese Lehre über den Koran ist ein erhebliches Hindernis für das Gespräch. Wenn wir aber miteinander reden wollen, dann müssen wir die unterschiedlichen Voraussetzungen kennen. Die Bibel und darin das Evangelium ist anders. Im Grunde ist das Evangelium überhaupt nicht Schrift, Text. Das Evangelium ist Botschaft, die frohe Botschaft. Von ihrem Inhalt legen die Texte und Schriften, die Briefe der Apostel und die Berichte der Evangelisten Zeugnis ab. Überhaupt sind alle diese vielen bekannten und unbekannten Autoren, Dichter, Chronisten, Propheten der Bibel als Offenbarungszeugen durch ihre Persönlichkeit, durch ihr Menschsein mit allen Bedingungen des historischen Platzes, den sie einnehmen, durch ihre kulturellen Voraussetzungen und durch ihr eigenes Temperament, die Kämpfe, die Anliegen, an ihrer Rede menschlich beteiligt. Sie sprechen als Menschen, wie sie Gott erfahren haben. Die Bibel ist die gewaltige, über anderthalb Jahrtausende sich erstreckende Sammlung von Literatur, welche die Geschichte Gottes mit den Menschen als einen immer wieder erneuerten und bestätigten Bund darstellt. Die Bibel ist gewiß Offenbarung, aber durchaus auch geschaffen, entstanden, zeitverbunden, ein irdisches Geschehen, eine menschliche Angelegenheit und als solche ein Zeichen des Geistes, ein selber auch Geist und Zeugnis weckendes und anregendes Werk, aber nicht Dokument und Erscheinung des Urwortes. Erschienen ist nach dem Johannesevangelium jenes Urwort in der Menschen- und Freundes- und Herrengestalt des Jesus von Nazareth: „Er ist das Wort, erschienen im Fleisch.”

LeerEigentlich stehen sich nicht Bibel und Koran gegenüber, sondern, dogmatisch gesagt, ein präexistenter Koran und ein präexistenter Logos, erschienen in Jesus Christus. Wenn wir diesen Gegensatz einmal definiert haben, dann muß nun aber doch miteinander geredet werden. Denn es geht bei der Sendung des Korans und bei der Sendung Christi immerhin jedesmal um den Menschen und um sein Heil, um seine Gottverbundenheit, um seine Rettung vor dem Gericht (wie der Koran sagt).

Linie

Unter arabischen Vorzeichen

LeerIm Glaubensunterschied wird ein Zusammenhang dokumentiert. Kirche und Islam kreisen um das gleiche religiöse Geheimnis und suchen die Offenbarung des einen gleichen Gottes zu verstehen. Seit den religionsgeschichtlichen Forschungen der letzten hunderfünfzig Jahre streiten sich die Gelehrten darüber, ob Mohammed ein originaler arabischer Religionsstifter gewesen sei oder ob eine große Abhängigkeit vom Judentum oder Christentum als Ursprung seiner verkündigenden Tätigkeit vorliege. Die Meinungen gehen in der Wissenschaft noch heute auseinander. Auf der einen Seite bildet sich als feste Erkenntnis heraus, daß er unter jene arabischen religiösen Gestalten gehörte, die auf Grund einer Art nomadischer Urreligion wirkten. Die Mitbürger in Mekka warfen ihm denn auch vor, zu diesen ihnen fragwürdigen Verrückten zu gehören. Mohammed hat, wie der Koran an mehreren Stellen zeigt, Geschichten von arabischen Propheten und deren Schicksal mit Gestalten der Bibel untermischt vorgetragen, um darzustellen, daß der Prophet jedesmal von den Ungläubigen verfolgt worden ist. Das Faktum des Offenbarungsträgers sah er also im Zusammenhang der arabischen Wirklichkeit. Mohammed gehörte in den Augen seiner Stammesgenossen durchaus zu Gestalten, die man zu kennen meinte. Er war ihnen darin verdächtig, aber kein Fremder.

LeerTrotzdem ist es nicht richtig, ihm deswegen die Beziehung zum gelebten Christentum abzusprechen. Die Gerichtserwartung selbst, der Jüngste Tag, gehört zu den Erwartungen der Christen und der Juden. Unter den Kennern des Islams werden verschiedene Ansichten darüber gepflegt, ob er mehr den einen oder anderen verdanke. Wir folgen denen, welche eindeutig das Evangelium in der Bedeutung herausstellen und vermuten, er habe die alttestamentlichen Stoffe und Gestalten, nicht zuletzt Abraham, durch Christen kennengelernt. Mohammed konnte nicht lesen. Aber auch seine christlichen Zeitgenossen hatten ihren Glauben, seine heilsgeschichtlichen Erzählungen und seine Worte nicht durch eigenständiges Schriftstudium kennengelernt. Sie wurden durch den Gottesdienst unterrichtet.

LeerNoch heute kennt der koptische oder syrisch-jakobitische Gottesdienst ausgedehnte Lesungen und lange Gebete. Die Gebete rufen die Namen der alttestamentlichen Glaubensgestalten und deren Erfahrungen in Erinnerung. Unter ihnen sind nicht nur Berichte der Bibel, sondern auch Legenden, welche erzählerische Paraphasen und Ausschmückungen der Glaubens- und Lebenswahrheiten sind. Im neutestamentlichen Bereich sind Sagen und Wunder herumgeboten worden, wie sie zum Beispiel das die unbekannte Kindheit Jesu ausspinnende Protevangelium des Jakobus enthalt. Jedenfalls hat man sich vorzustellen, daß Mohammed Jesus und Maria durch die Liturgie, das heißt durch Lesungen und Gebete im Gottesdienst kennenlernte und daß auch seine Zeitgenossen, wenn er mit ihnen über Glaubensfragen ins Gespräch kam, ihre Glaubensinhalte so ausdrückten, wie sie jene durch den Gottesdienst empfangen hatten.

Linie

LeerDamit bekam Mohammed die tatsächlich lebendigen Vorstellungen zu wissen, die sicher stark von dem abgewichen sind, was die orthodoxen Theologen im Römischen Reich, die Ökumenischen Reichssynoden und erst recht was wir Heutigen, Protestanten wie Katholiken, als christlichen Glauben ansehen. Er mag sich vorgestellt haben, daß sowohl Jesus als auch Maria nie gestorben, sondern leibhaftig in den Himmel aufgenommen worden sind. Wenn er sich trotzdem dagegen wehrte, daß man sie als Götter verehrte, dann zeigt gerade dieser Zug an ihm, wie sehr er von christlichen Vorstellungen lebte und wie er zugleich von einem Monotheismus beherrscht war. Aber dieser Monotheismus ist, so wie es scheint, nicht durch die Kirche, sondern durch eine arabische Tradition zu ihm gekommen.

LeerDer Koran charakterisiert Abraham als „Hanif”. Diese Bezeichnung ist nicht übersetzbar. Sie scheint jedoch Abraham als Vertreter eines arabischen Ein-Gott-Glaubens zu definieren, welcher nicht erst durch jüdische oder christliche Verkündiger gelehrt worden ist, sondern unabhängig davon existierte. Nicht in seinem Gottesglauben ist also Mohammed durch das Christentum bestimmt, sondern nur im Vorstellungsgehalt, was Gericht, Rettung, Jesus und seine Bedeutung anbetrifft. Auch die wichtigsten Gottesmänner wie Abraham kennt er durch den christlichen Gottesdienst. Er identifiziert sie aber mit den arabischen Frommen. So tauchen der Bibel ganz unbekannte Prophetennamen, untermischt mit solchen des Alten Testaments, im Koran auf.

LeerDas arabische Evangelium des Mohammed ist also nicht nur sprachlich als arabisches zu verstehen. Im Koran hat eine Übertragung in den Kulturkreis Arabiens stattgefunden, die auch dessen religiöse Vorstellungen und ethische Werke umfaßt. Der Koran ist das Resultat gegenseitiger Anpassung. Interessant ist, daß Mohammed dabei Jesus ganz auf seiner Seite weiß. Ohne Zweifel ist das Ergebnis in den Augen der Orthodoxie durchgängig häretisch. Aber da die byzantinische Rechtgläubigkeit selber ja auch das Resultat eines lang andauernden Angleichungs- und Anpassungsvorgangs in den hellenischen Kulturbereich ist, so kann ein dogmatisches Verdikt nicht das letzte Wort sein, das man als ein Angehöriger dieses christlich-hellenischen und humanistischen Kulturkreises zum Islam wird sagen dürfen. Der Hauptpunkt bleibt Jesus Christus, der offenbar da wie dort als Gesandter Gottes maßgeblich sein soll, wenn die Einzigkeit Gottes und seines Willens zur Sprache kommt.

LeerMohammed stellte offensichtlich die Forderung des Gehorsams in den Vordergrund. Zum Gehorsam gegen Gottes Willen auf zurufen, das ist, wie er meinte, der Auftrag Jesu gewesen. Darin weiß er selber sich mit ihm eins. Darin gehören sie zueinander wie Vorgänger und Nachfolger. Er hat zwischen Jesus und den Christen unterschieden und niemals jenem, wohl aber diesen eine Verfälschung der Offenbarung vorgeworfen.

LeerFür ein kommendes Verständnis zwischen Muslimen und Christen zu arbeiten, das verlangt, daß auf beiden Seiten eine Einsicht wachsen muß, wie sehr Begriffe, Vorstellungen und Argumentationen einer jeweiligen Kultur verpflichtet sind, in deren Raum hinein verkündigt und unter dessen Bedingungen gehört und aufgenommen wird. Es gibt keine absolute Sprache, keine absolute Terminologie.

LeerZu den großen Hindernissen des Gesprächs gehört gerade diese Verabsolutierung einer Kultur. Wir sind daran, sie allmählich unter Christen abzubauen. Gelingt das, so dürfen wir erwarten, daß auf islamischer Seite ein ähnlicher Vorgang einsetzt, weil er ja doch dann erst nicht mehr mit der Befürchtung verbunden werden muß, daß man das Arabische zugunsten des Hellenischen, Lateinischen, Europäischen aufgeben müsse. Die Beschäftigung mit dem Koran soll dazu helfen, die Verkündigung Jesu aktuell und existentiell zu erfassen, sie von der kulturellen Einkapselung zu lösen.

Linie

Mohammed in der christlichen Situation

LeerMohammed ist in eine Zeit hineingeboren worden, da der christliche Gottesdienst sich in Arabien ausbreitet. Syrien und seine Nachbarländer Palästina undChaldäa, das Zweistromland, Ägypten, Nubien und Abessinien waren christlich beherrscht. Aber auch das Abessinien so nahe südarabische Jemen hatte einen dem Negus gegenüber tributpflichtigen Fürsten. Mohammeds Geburt wird in das „Jahr der Elefanten” datiert, womit man einen jemenitischen Feldzug meint, bei dem der christliche Fürst Abraha aus Sanaa das heidnische Zentrum Mekka erobern wollte. Derselbe Fürst ließ in seiner Hauptstadt eine Kathedrale errichten, die der neue Mittelpunkt Arabiens werden sollte. Der Fürst, der mit dem Elefanten Mekka bezwingen wollte, scheiterte. Das Wunder der Bewahrung vor dem großen Schrecken hat noch viel später die Sure 105 („Der Elefant”) aus dem Herzen des Propheten hervorgebracht:
„Hast du nicht gesehen,
wie dein Herr mit den Leuten des Elefanten verfahren ist?
Hat er nicht ihre List mißlingen lassen?
Hat er nicht Scharen von Vögeln über sie gesandt,
die sie mit Steinen von Ton bewarfen,
und hat er sie nicht werden lassen wie ein abgefressenes Getreidefeld?”
LeerAnscheinend hat eine Pockenepidemie den Feind geschwächt. Mohammed ruft vielleicht in Erinnerung, wie Gott zur Gottesstätte steht, die er bekanntlich als die Opferstätte Abrahams ansah.

LeerMohammed ist demnach um 570 geboren. Als Vierzigjähriger hat er seine Berufung. Es ist die Zeit der großen Auseinandersetzung zwischen Ostrom und den Sassaniden in Persien, die Entscheidungszeit über die Grenze des mediterranen Europa im Osten. Die Perser stießen nach Syrien und Babylon vor, die Weltstadt Antiochien fiel in persische Hand. Tausende von Kirchen und Klöstern wurden geplündert. 614 wurde Jerusalem zerstört und die verehrte Reliquie des Kreuzes geraubt. Ereignisse dieser Art schufen schon im Vorfeld eine Stimmung, in der die Religiösen nach Buße und Umkehr schrien. Die christlichen Laien waren die dogmatischen Streitigkeiten satt. Sie verlangten nach sicherem Wissen. Sie sehnten sich nach einer überzeugenden Frömmigkeit. Mohammeds Berufung in dieser Zeit, die für Christen nicht gleichgültig war, beweist, daß er in den Äon Christi gehörte. Wenn man die Ereignisse und die Geschichte unter dem Zeichen Christi sieht, muß man auch den Propheten Mohammed wesentlich als Gerichtsprophet sehen. Er ist nicht erfaßt, wenn man ihn christlich als falschen Propheten oder sogar als den Antichristen einstuft. Jede gerechte Betrachtung muß sich von dieser Deutung abwenden.

Linie

LeerMit vielen Menschen seiner Zeit teilte er die Erwartungen, welche durch die kirchlichen Verkündiger geweckt worden waren. Ebenso teilte er deren Enttäuschungen. Sein Werk zeigte ihn ja keineswegs als Gegner Jesu. Im Gegenteil. Er will sich auf Jesu Seite stellen. Wie die Eremiten betete er in der Wüstennacht unter dem wollenen Gebetsmantel die nächtlichen Lesungen der ersten Büßer aus den Psalmen, Propheten und Evangelien. Qerana heißt Lesung. Das Wort begegnet in einem der frühesten Texte:
„Der du dich eingehüllt hast.
Stell dich auf und warne!
Und preise deinen Herrn!
Reinige deine Kleider
und meide die Besudelung durch den Götzendienst.
Und sei geduldig in Erwartung deines Herrn.
Wenn schließlich in das Horn gestoßen wird,
ist das dann ein schwerer Tag,
für die Ungläubigen kein leichter.”
LeerDie Geschehnisse der Zeit bringen Mohammed den Gedanken des Gerichts nahe. Das nahende Gericht ist geradezu der schwere dunkle Ernst seiner Frömmigkeit. Es ist die Spiritualität der Eremiten, der Wüstenvater, die ihn erfüllt. Er trägt sie hinein in die Wirklichkeit des täglichen Lebens. Er will seine Mitbürger in Mekka wecken. Er ist der Bußprediger, und Bußpredigt ist ein Evangelium. Er weiß sich gesandt, seinem arabischen Volk in arabischer Sprache zu geben, was die anderen auf griechisch, syrisch, persisch besitzen. Dabei weiß er sich als Sünder. Der prophetische Anspruch betrifft das Wort, das er bringt oder das zu ihm kommt. Oft wird auch er aufgefordert von Gott, Buße zu tun. er hört den Befehl: „Sei dir dessen nun bewußt, daß es keinen Gott gibt außer Gott, und bitte ihn um Vergebung für deine Schuld und für die gläubigen Männer und Frauen.” (S. 47, 19) Mit dieser Überzeugung, ein Mensch zu sein, der wie andere geboren ist und sterben muß, kontrastiert im Koran, was dieser von Jesus berichtet. Wir suchen, dieses koranische Evangelium zu schildern. Uns erstaunt, daß Jesus als der wunderbar von einer Jungfrau Geborene auftritt.

LeerMohammed hat in den Texten der Sure 5, welche verhältnismäßig spät in Medina erst entstanden sind, betont:

Leer„Der Messias, Marjams Sohn, ist nur ein Gesandter. Vor ihm gab es schon andere Gesandte, und seine Mutter war eine frommgläubige Frau, und beide nahmen Nahrung zu sich.”

Linie

LeerChristus und Maria erwiesen sich darin als gewöhnliche Sterbliche. Darum stellt der Koran gegen den falschen Glauben den richtigen und bedroht die Ketzer, die nicht richtig glauben, mit dem Feuer der Hölle:
„Ungläubig sind die, welche sagen:
Der Messias, Marjams Sohn, ist Gott!
Während der Messias doch sagte:
Israels Söhne, dient Gott, meinem und eurem Herrn!
Drum, wer Gott (einen) beigesellt, dem verbietet Gott das Paradies.
Das Feuer ist sein Aufenthalt; keinen Helfer gibt es für die Finsterlinge.
Ungläubig sind die, welche sagen: Der Messias, Marjams Sohn, ist Gott!
Sprich: Wer hat mehr Königsgewalt über die Dinge als Gott!
Wenn er will, vernichtet er den Messias, Marjams Sohn,
und seine Mutter und alle, die auf Erden sind.
Denn Gottes ist das Königstum über Himmel und Erde
und über alles dazwischen.
Er schafft, was er will.
Gott ist es, der über alles verfügt.”
LeerObschon Christus nur menschlichen Wesens ist und nicht der Gottmensch der Kirche, so ist er nach dem Koran dennoch nicht der Sohn eines menschlichen Vaters. Der Koran enthält zwar nicht die Weihnachtserzählungen des Neuen Testaments, aber bezieht sich deutlich auf das dort Berichtete. Die Sure 19, noch in der mekkanischen Periode des Lebens des Propheten geoffenbart, besteht in der Aufforderung, dessen zu gedenken, der ihm vorausgegangen ist. Da wird zuerst an Johannes den Täufer und dann an Jesus erinnert, welcher der Sohn der Maria ist. In dem Buch, das durch die wunderbaren Offenbarungen ans Licht tritt, soll er auch dies festhalten. Es ist wahrscheinlich, daß Mohammed den Vorstellungen eines apokryphen Kindheitsevangeliums folgte, dem 6. und 7. Kapitel des Jakobusevangeliums, nach welchem die Eltern Joachim und Anna ihr Kind Maria dem Priester Zacharias zur Erziehung in den Tempel gegeben hatten, wo es am Vorhang für das Allerheiligste arbeitete. Danach wird der Anfang des Textes verständlich:

Leer„Gedenke im Buche auch Marjams! Als sie sich von ihrer Sippe zurückzog an einen östlichen Ort und die Arbeit aufnahm an dem von ihnen aufgetragenen Vorhang, da sandten wir zu ihr unseren Geist, der ihr als wohlgestalteter Mann erschien. Sie sprach: Ich suche beim Erbarmer Zuflucht vor dir, so wahr du Gott fürchtest! Er sprach: Ich bin doch deines Herrn Gesandter, dir einen reinen Knaben zu schenken. Sie sprach: Woher soll ein Knabe mir werden, da mich kein Mann berührt und ich keine Dirne bin? Er sprach: Also spricht dein Herr: Das ist ein Leichtes für mich! Wir machen ihn für die Menschen zum Zeichen, zum Zeichen des Erbarmens von uns; es ist ein beschlossenes Wort!

LeerUnd sie empfing und zog sich mit ihm zurück an einen fernen Ort. Da überkamen sie die Wehen am Stamme der Palme, und sie sprach: Wäre ich doch vorher gestorben, und wär ich vergessen, vergessen! Da rief er ihr von unten her: Sei doch nicht traurig; denn ein Bächlein macht dir dein Herr unter dir! Schüttle zu dir her den Stamm der Palme, und frische saftige Datteln fallen auf dich. Dann iß und trink und sei frischen Auges! Und wenn du von den Menschen einen erblickst, so sprich: Ich habe dem Erbarmer ein Fasten gelobt und spreche heute mit niemand. Da kam sie mit ihm zu ihren Leuten, ihn tragend. Sie sagten: O Marjam, du hast Unerhörtes getan! o Schwester Haruns, ein schlechter Mann war dein Vater nicht, und deine Mutter keine Hure. Da deutete sie auf ihn hin. Sie sagten: Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Wiegenkind ist? Er sprach: Ich bin Allahs Diener! Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten. Er machte mich zum Segen, wo immer ich bin. Er befahl mir Gebet und Almosen, so lange ich lebe. Liebevoll zu meiner Mutter, nicht trutzig und stolz machte er mich. Heil mir am Tage der Geburt und am Tage des Todes, am Tag, da ich lebendig erstehe.” (Sure 19, 16-33)

LeerDiesen Korantext gab Mohammed im Jahr 615 einer Gesandtschaft mit, die beim Negus von Abessinien Schutz für die Religionsgemeinschaft des bedrängten Propheten erbitten sollte. Mit ihm wollte er sich als einer ausgeben, der den christlichen Glauben teilte. Doch verschweigt er in den folgenden Versen nicht die eigene Deutung der Geburt Jesu und seiner Sendung. Sie erweist die Souveränität Gottes und die Glaubensverfinsterung der Kirchen, denn nicht Jesus verdient nach ihm die göttliche Verehrung, sondern allein Allah, der durch sein Schöpferwort den Messias ins Leben gerufen hat.

Leer„Es steht Allah nicht zu, sich ein Kind zu nehmen. Preis ihm! Wenn er einen Befehl beschloß, so spricht er ‚Es werde’ und es ward.”

Linie

Der Gottesknecht und die Ablehnung von Kirche, Kreuz und Altar

LeerFür die Besprechung der mohammedanisch-christlichen Differenzen mag eine Erfahrung aus dem katholisch-evangelischen Gespräch wichtig sein: Die Antiposition verleitet dazu, die Unterschiede zu unterstreichen. Wir verkürzen dadurch das Ganze, indem wir Standpunkte zu Bastionen ausbauen. Wir müssen die Bastionen schleifen, indem wir es aufgeben, gegeneinander solche Standorte zu beziehen und von daher wie von Türmen aufeinander spitze Pfeile abzuschießen oder einander Steine nachzuwerfen! Mohammed wendet sich gegen das Dogma der byzantinischen orthodoxen und der katholischen Kirche, wie es die Konzilien festgelegt haben. Er behauptet, daß Jesus nicht Gottessohn, sondern Gottesknecht ist. Er betont an einer späteren Stelle derselben Sure 19:
„Sie sagen: Der Erbarmer hat sich einen Sohn genommen.
Wahrlich, etwas Ungeheuerliches habt ihr begangen.
Schier müßten die Himmel zerreißen,
die Erde sich spalten,
die Berge in Trümmer sinken
darob, daß sie dem Erbarmer einen Sohn nachsagen.
Unwürdig ist es, vom Erbarmer zu sagen,
er habe sich einen Sohn genommen.
Von allen im Himmel und Erden
kommt keiner zum Erbarmer denn als Knecht.”
LeerIm Lauf der Auseinandersetzungen wird dieser Standpunkt, der das Nein zur Vergöttlichung Jesu enthält, immer mehr ausgebaut. Und doch ist es falsch, wenn man dabei an eine Herabwürdigung Jesu denken würde. Im Gegenteil: Gottes Knecht zu sein ist der höchste Ehrenname. Er ist darin aber Vorbild. Mohammed betont also die Stellung des historischen Jesus als Vorbild für die Muslimen. So wie er zu sein, ist das Höchste. Der Koran soll an Stelle des Jesus der Kirche, der ein Objekt der Verehrung ist, den Jesus, der Muslim und Diener Gottes ist, verkünden. Immer starker wird dieses Anliegen betont, immer schärfer die Scheidung vollzogen. In den letzten Versen der Sure wird denen, die glauben und tun, die Liebe des Barmherzigen versprochen. Und schließlich gilt dies als die frohe Botschaft, als das arabische Evangelium. Diese Botschaft wird den Streit beenden, der über Christus geführt wird und die Christen trennt.

LeerMohammed und der Koran gehören in das christliche Zeitalter und zwar in den Zusammenhang der christologischen Auseinandersetzungen. Jetzt soll der Streit enden. Wieviele Laien mögen aufgeatmet haben. In einem Siegeszug ohnegleichen haben die Anhänger des Islam, die Kinder der neuen Botschaft, die christlichen Länder durcheilt. Gewiß, es waren Heerzüge. Feldherren und Soldaten waren die Missionare des Islam. Aber es muß von ihrer Haltung und ihrer Überzeugung auch eine Faszination auf viele ausgegangen sein, die vom Streit um Dogmen genug hatten und ein schlichtes Glauben im Sinne des Gottesknechtes begrüßten.

LeerDarin liegt eine bedrohliche Aktualität für alle jungen Kirchen. Wenn sie am Gegeneinander der Konfessionen leiden, wenn die Einmütigkeit des Dienens nicht glaubwürdig und überzeugend von ihren Lehrern und Priestern und Bischöfen gelebt wird als Frieden und als Freundschaft, dann lockt eine Alternative. Sie ist auch heute in Afrika und Asien der Islam. Was Mohammed ohne weiteres übernahm, denn es war im Osten nie strittig, das ist der Glaube an die Jungfrauengeburt. Aber es ist wieder interessant, daß für ihn dieses Wunder nicht Jesus auszeichnet, nicht ihm eine besondere Stellung gibt, sondern daß das Wunder der Jungfrauengeburt allein Gott selbst auszeichnet. Es ist Allmachtszeichen. Wie Adam durch das Wort des Schöpfers geschaffen wurde, so auch Christus, der zweite Adam. Das müssen wir aber sehen und unterstreichen: Es ist der gleiche Jesus, der Jesus der Evangelien, der Jesus der Bergpredigt und des ersten Jüngerkreises. Das eben wird durch die Geburtsgeschichten gezeigt. Es ist kein anderer. Und was über ihn gelehrt wird, das mag nicht alles sein, was wir Christen glauben, daß er für uns bedeute. Aber was da im Koran steht, das muß er auch für uns in der Tat bedeuten: Gottes Knecht. So verkündet ihn die Apostelgeschichte des Lukas auch. Und im Neuen Testament wird eine leere Verehrung, die nicht Nachfolge ist, verworfen.

Linie

LeerWir müssen dazu gelangen, das Verbindende zu hören. Was dünkt euch, ist Jesus Christus? Gottes Knecht! Das ist ein wichtiges gemeinsames Bekenntnis.

LeerNun sind hier freilich die Fronten noch beiderseits hart. Die Muslimen sind durch die Antiposition zu der Gottessohnschaft versucht, vor das Bekenntnis zum Gottesknecht ein „nur” zu setzen: Er ist nur Knecht! So hat es der Koran nicht gemeint. Hier ist er mit Betonung und Respekt der Gottesknecht, vermutlich sogar der vollkommene Gottesknecht, dem kein Ungehorsam nachgesagt wird. Die Antiposition bringt es mit sich, daß ein Christ kaum den Koran und ein Muslim ebensowenig oder noch weniger je die Bibel zur Hand nimmt, um diesen Gottesknecht näher kennenzulernen. Der Koran zitiert die Evangelien des Neuen Testaments nicht, sondern bezieht sich eher auf andere Erzählungen. Manchmal behauptet er, eigene Offenbarungen über Jesus zu haben. Manchmal scheint es uns, als ob er Lehren bringe, die von persischen Christen vertreten wurden. Eigenartig ist, was er von Kreuz und Auferstehung sagt. Der Koran kennt keine Ostergeschichte, auch keine Passionserzählung. Er setzt sie einfach voraus. Er rechnet damit, daß man sie kennt. Denn er geht sogleich dazu über, beides zu deuten. Er war nur scheintot, oder es war ein anderer, der gekreuzigt wurde, vielleicht jener Simon von Kyrene:
„Sie haben nicht ihn getötet und nicht ihn gekreuzigt,
vielmehr war er ihnen nur ähnlich geworden.
Die über ihn streiten, sind wahrlich im Ungewissen über ihn;
sie haben kein Wissen über ihn und folgen nur Meinungen.
In Wirklichkeit haben sie ihn nicht gekreuzigt.
Vielmehr erhob ihn Allah zu sich;
und Allah ist mächtig und weise.” (S. 4, 157)
LeerMohammed rechnet damit, daß Jesus vor dem Tod errettet und erhöht ist. Aber es ist auch möglich, daß er den fleischlichen und den geistlichen Messias unterschieden hat. Es gibt eine Stelle, die annehmen laßt, daß Mohammed doch mit dem Tod Jesu nach dem Fleisch gerechnet hat, weil ja alle Menschen sterben.

LeerDie heutigen Muslimen glauben, daß Jesus bei Gott lebt und für später aufbehalten wird, um ein Zeuge beim Jüngsten Gericht zu sein. Auch hier wurde das Nein zur kirchlichen Botschaft polemisch verstärkt. Was aber hatte Mohammed dazu für einen Grund? Meines Erachtens spielt hier wieder etwas mit: die Ablehnung des Altars, die Ablehnung des Sühnopfers. Der Islam ist die Religion des strengen Gehorsams. Da darf es kein Ausweichen geben. Darum lehnt Mohammed ausdrücklich den Gedanken ab, daß einer für die anderen leidet und einer für die Schuld des anderen büßt.

LeerDer Koran sagt daher ausdrücklich: „Keiner trägt des andern Last.” (S. 6 164) Jeder Christ kennt den gegenteiligen Satz. Er steht im Galaterbrief des Apostels Paulus (6,2)

LeerMohammed scheint also ein wahrer Antipaulus zu sein, ein Vertreter des Werkglaubens gegen den Rechtfertigungsglauben, ein Verkünder des Gesetzes gegen die Gnade. In der Tat ist der Islam eine ausgesprochene Gesetzesreligion. Er fordert im Angesicht des Gerichts, das bald kommen wird, den Gehorsam, die Erfüllung des Willens. Er legt das Gesetz dar. Es besteht in guten Werken, im Almosen, im Gebet, in der Wallfahrt, im demütigen Bekennen des Glaubens vor Gottes Angesicht, im Fasten. Er gibt seinem Volk eine Rechtsordnung, um darin zu leben.

Linie

LeerEs scheint, daß wir an diesem Punkt sehr weit auseinandertreten; Christentum ist Reich-Gottes-Botschaft. Der Islam ist Aufrichten des Gottesstaates in den politischen und sozialen Lebensordnungen dieser Erde.

LeerDoch wie? Hat nicht Mohammed vielleicht Anstoß daran genommen, daß die Christen um ein jenseitiges Gottesreich bemüht waren und darüber den Gehorsam auf Erden vergaßen? Hat er nicht recht, daß Jesus auch den Gehorsam auf Erden wollte? Ich glaube, daß der Unterschied mehr in einer eigenartigen Gewichtung der Liebe liegt. Jesus rückt die Liebe als Gottes Ordnung so in den Mittelpunkt, daß er deswegen die Rechtsdinge zurückdrängte und sich nicht einmal darüber unterhalten wollte.

LeerMohammed lehrte und mahnte in Mekka, bis die Verstocktheit und Feindschaft der Mitbürger ihn und seine Anhängerschar zur Flucht zwangen. Dann gelang ihm in Medina die Gründung einer Gemeinde. Die Stadt wurde zur Gottesstadt. Er bewaffnete seine Anhänger. Er eroberte mit ihnen das ungläubige Mekka. Er gründete eine politisch-religiose Gemeinschaft, eine Umma, ein Volk. Er war genötigt, das Zusammenleben zu ordnen wie einst Mose Israel die Gebote vom Sinai herabbrachte.

LeerDieses Schicksal unterscheidet ihn tief von Jesus. Bis heute kann man bei muslimischen Darstellern der Glaubensunterschiede lesen, daß die Christen stets darunter litten, wie die Jünger ihren Herrn verließen und flohen, wahrend im Gegenteil die Muslimen dem Propheten folgten und die Waffe für den Glauben und für Gott ergriffen. Um Gottes willen kämpfen und töten und den Tod erleiden, das ist für ihn Wahrheit. Vor allem in der Sure 9 ist davon die Rede. Auf den Photographien sieht man die geistlichen Führer der iranischen Revolution gelegentlich mit Pistole und Gewehr.

LeerAber wie ist das eigentlich mit Zwinglis Denkmal in Zürich? Sein Schwert ist gewiß das Schwert des Geistes, aber doch auch das der politischen Gerechtigkeit. Immerhin schrieb er, wie ein christlicher Hauptmann sein solle, und eine seiner besten Schriften ist die über göttliche und menschliche Gerechtigkeit, worin er fordert, daß die Richter und Räte nach der Schnur Gottes richten und fahren sollen.

LeerSobald der Jüngerkreis Jesu in politische Verantwortung hineinwuchs, stellte sich die Frage nach dem richtigen Recht, nach dem Verhältnis von menschlichem und göttlichem Recht. In der Zeit Mohammeds hatte das Christentum Reiche zu gestalten und zu regieren, Griechen- und Römer-, Goten- und Langobarden- und Frankenreiche. Wundert es da, daß er seinen Arabern eine Ordnung zu geben sich verpflichtet fühlte? Man muß die Dinge in ihren geschichtlichen Verhältnissen sehen, um sie gerecht zu beurteilen. Der entschiedene Unterschied liegt in dem Ausmaß, den hier das geistliche Recht hat. Im Christentum wird dieses enger begrenzt. Menschliches Urteilen hat einen weiteren Spielraum. Hier wird ein Gewissen und eine frei entscheidende, aber nach dem Gewissen und der Liebesregel urteilende Vernunft eingesetzt.

LeerDie Unterschiede werden nun deutlich: Es ist erstens die Erlösungsreligion und zweitens die Liebesreligion, welche die Mitte des Christentums ausmachen. Es ist die Rechts- und Gesetzesreligion, die den Willen Gottes erfüllen will, welche den Islam charakterisiert. Soziale Aufgaben wie das Almosen treten in den Vordergrund. Grundsätze gerechter Vergeltung und dadurch Heiligung des Lebens im Volkskörper werden wichtig.

Linie

Kritische Anteilnahme aneinander

LeerIslam und Christentum begegnen sich heute. Sie konfrontieren einander. Sie konfrontieren einander aber anders, als etwa Atheismus oder Materialismus uns als Gegensatz gegenübertreten. Islam und Christentum begegnen einander nicht einfach wie zwei freundlich sich gebärdende, einander schmeichelnde Brüder, sondern wie zwei Brüder, die einander kritisch auf die Hände schauen. Es muß eine kritische Begegnung sein, aber es darf keine feindliche werden. Das Ringen um eine kritische Gemeinschaft ist uns dringend aufgegeben. Was das heißt - ein kritisches Verhältnis zwischen Evangelium und Koran - das müssen wir erst noch lernen. Der erste Schritt ist das Kennenlernen, die angestrebte Bemühung. Dieser erste Schritt wird möglich durch die Liebe, welche die Last des anderen tragen will. Welches ist die Last der muslimischen Völker? Welche Last müssen wir mittragen? Nun, ich meine, es ist die Last, die für sie ein materialistischer Westen, eine gottlose Zivilisation bedeutet, die Solidarität in einem Kampf gegen die Entgottung und Entmenschlichung, gegen die geistliche Wurzellosigkeit. Damit fängt ein Zeugnis an, das nicht das eigene Glauben verrät und doch ganz in das des andern brüderlich eintritt.

LeerHier beginnt ein Verstehen, hier wird eine Achtung begründet. Der Anfang kann nicht bei den schwierigen Dogmen beginnen, nicht da, wo Bastionen seit Jahrhunderten aufgetürmt und gestürmt wurden, nicht wo gegenseitiges Rechthaben mit Frömmigkeit und Treue verwechselt wird. Die Last des anderen tragen, das ist ein lebendiges Zeugnis, das herausfordert, auch Phantasie zu haben und Wege zu sehen, Wege zu besprechen. Nicht zu vergessen ist schließlich die einzigartige Rolle des Gebets. Es ist eigentlich anzunehmen, daß Mohammed die Gebetsordnung von den Besseren unter den Christen übernommen hatte. Hier empfand er nie einen Gegensatz. Gewiß ist das Gebetsleben des Christen anders. Er weiß sich ins stille Kammerlein gewiesen. Er schätzt das innere Gebet höher als alles Rituelle. Aber im Grunde ist es widersinnig, die Glocken zu den Gebetszeiten zu läuten - und wir nehmen sie für Mahnungen aufzustehen am Morgen oder den Kochlöffel zu schwingen am Mittag oder die Arbeit zu beenden am Abend. Die Glocken sind unsere Gebetsmühlen geworden. Sie vertreten das tägliche Besinnen. Wir können das Ritual nicht für so wichtig halten. Wo es aber zum Ernst des Lebens dient, da werden wir es auch nicht verachten, sondern im Gegenteil wertschätzen.

LeerWir begegnen einander nur in der Tiefe des Glaubens. Wir begegnen einander nicht in einer aufgeklarten Gleichgültigkeit. Der Gleichgültige nimmt keine Lasten wahr. Er hebt sie nicht auf. Er trägt sie nicht mit. Aber in den Tiefen des Glaubens begegnen wir uns, erkennen wir die Not des anderen und sehen sie neben und mit der eigenen Not.

LeerAn den Nöten kommen wir zum Vergleich. An den Aufgaben und ihrer ungeheuren Größe gelangen wir zueinander. Wenn Muslime und Christgläubige durch die Tiefen gehen, dann lernen sie einander achten und liebhaben. Es ist in diesen Tiefen alles Glauben ein letztes Vertrauen auf Gott und den Bruder. Und dann vergessen wir es nicht: auch Jesus lehrte uns beten: „Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden!”

Max Schoch
Quatember 1981, S. 25-40

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-27
Haftungsausschluss
TOP