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Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist
von Walter Lotz

LeerMartin Luthers Morgen- und Abendsegen beginnt mit den Worten: "Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist", wozu er empfahl, sich mit dem Zeichen des Kreuzes zu bezeichnen. Noch heute beten viele Christen diese Grundformel christlichen Glaubens und empfinden, daß man das Wesentliche kaum knapper sagen und in dem Zeichen des Kreuzes zusammenraffen kann. Wer diese Übung übernommen hat, einen neuen Tag, ein neues Jahr, eine neue Aufgabe auf diese Weise einzuleiten, möge sich nicht durch den Einwand beirren lassen, eine solche "Leerformel" habe keinen Inhalt der unsere heutige Existenz betrifft. Was man anstelle solcher Leerformel im Rahmen heutiger Thematik und in heutiger Sprache anbietet, ist zwar oft gut gemeint, aber es verträgt keine Wiederholung. So manche moderne Formulierung kann man schon nach dem 100. Mal nicht mehr hören, und die Forderung, in subjektiver Färbung immer wieder ganz neu zu formulieren endet doch nach aller Erfahrung in einem stereotypen Formalismus, der viel enger ist als der Reichtum alter Liturgie. Der erhobene Zeigefinger, der belehren will, das moralische Stirnrunzeln, das zu gutem Tun anregen will, die zweckbestimmte Einmaligkeit, die den Formeln auszuweichen sucht, lähmt und hindert den Geist des Gebets. Die Gebetsformeln dürfen kein Ersatz für Lehre und Verkündigung sein, sondern müssen sich als einfache Gefäße darbieten, die eine tägliche Wiederholung erlauben und sich dann immer neu mit Inhalt füllen lassen. So etwa verhält es sich mit den Gebetsworten, die Jesus uns im Vaterunser hinterlassen hat, die sich auch bei häufigster Benutzung nicht abnutzen, sondern Gefäße für immer neuen Inhalt sind.

LeerEs ist dann auch durchaus nicht so, daß man sich jedesmal krampfhaft um die rechte und vollständige Füllung der Leerformeln bemühen müßte. Nach einer Weile der Übung kann man sich der Wiederholung hingeben, ohne bewußt auf die aktuellen Einfälle zu achten. Auch im Unbewußten bleiben Leerformeln, die sich durch Jahrhunderte bewährt haben, nicht ohne tiefgehende Wirkung.

LeerDie alte trinitarische Formel, der man ein "Im Namen" oder "Das walte" vorausstellt, vermag vieles von dem wesentlichen Gehalt des trinitarischen Glaubens aufzunehmen, wie er sich im Lauf der Jahrhunderte entfaltet hat und muß doch nicht auf eine ausgrenzende Definition festgelegt werden. Immer neu ist es die Aufgabe und die Möglichkeit praktischer Frömmigkeit, aus der Welt heutigen Denkens und Lebens soviel als möglich in der alten Formel aufzunehmen, zu bewahren und weiterzutragen. Das braucht aber den Laien, der die alte Formel gebraucht, nicht zu schwer nachvollziehbaren gedanklichen Höhenflügen zu veranlassen. Selbst wer überhaupt nicht an Gott als ein "höheres Wesen" zu glauben vermag und sich deshalb für einen Atheisten hält, braucht nicht auf den Gebrauch der alten Worte zu verzichten, die ihm Gefäß für redlich erfahrene Inhalte zu werden vermögen, so gewiß der Gott des christlichen Glaubens sich nicht als "höheres Wesen" definieren läßt.

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Das walte Gott, Vater

LeerManchmal möchte ich gern all die wunderbaren Theorien studieren, die von der Entstehung des Weltalls handeln, von der Entstehung des Sonnensystems und unseres Planeten Erde. Möchte auch gern wissen, wie diese Theorien sich weiter entwickeln und abwandeln werden. Einleuchtend ist mir manche Darlegung, wie sich die Materie in Urzeiten gebildet und verdichtet hat und wie schließlich auf der Erde Leben entstand und sich in ungeheuer langen Zeiträumen vermehrte und abwandelte. Nur mit Ehrfurcht kann ich an die großartige Auseinanderfaltung der Evolution denken, die schließlich die mancherlei Vorformen des Menschen und dann den heutigen Menschen hervorbrachte. Gern wüßte ich auch, wie es damit weitergeht: ob und wie der Mensch sich weiterhin verändert, falls es ihm gelingt zu überleben, und nicht etwa die Unreife seines Entwicklungszustands zur Ursache für eine alles auslöschende Vernichtungskatastrophe wird.

LeerDas alles mag sein wie es will - ich, der ich heute und hier lebe, weiß, daß ich mein Leben nicht mir selbst verdanke und auch nicht nur dem Willen meiner Eltern. Im großen Strom der Entwicklung finde ich mich vor als einer, dem dies Leben geschenkt ist. Ich kann nicht überschauen, was dabei alles mitgespielt hat und was als Ziel über dem Ganzen waltet. Ich ahne die Macht, die hinter allem steht, und es wird mir gesagt, daß ich Du zu ihr sagen darf wie zu einem Vater. Es ist wohl ein schwacher Vergleich im Blick auf das Versagen unserer Väter und unser eigenes Versagen als Väter. Aber es ist doch so, daß nicht jene Macht den Namen von uns hat, sondern daß wir unverdient den Namen von ihr haben. Und es ist etwas Großes, wenn uns das aufgeht: wir dürfen stammelnd in dieses Geschehen, das von Ewigkeit zu Ewigkeit über uns waltet, Du sagen; walte du über mir, laß mich getragen sein von deinem Walten und ja dazu sagen: Das walte Gott, Vater.

LeerIch kann da nicht immer große Worte machen. Ich sehe auch alles eher undeutlich und verschleiert. Aber ich merke mehr und mehr, daß es eine ganz große Wohltat für mich ist, dieses Vertrauen zu wagen und mich immer von neuem in diesen tragenden Strom zu begeben: Das walte Gott, Vater. Gewiß ergeben sich Konsequenzen daraus für den, der am liebsten sein eigener Herr sein möchte. Ich kann diese Konsequenzen nicht schnell überschauen. Aber ich brauche nicht das Unmögliche von mir zu verlangen. Es ist schon viel, wenn ich immer von neuem mich diesem Seufzer überlasse: Das walte Gott, Vater.

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Das walte Gott, Sohn

LeerDerjenige, der als erster unüberbietbar radikal sein Leben Gott zu übergeben gewagt hat und ihn Vater nannte bis in die letzte Stunde eines schmachvollen Todes am Kreuz, ist Jesus von Nazareth. Er hat die Menschen so unbestechlich und zugleich so gütig angeschaut und angesprochen, weil er in ihnen Kinder Gottes sah. Seine Augen stellen den Menschen vor die Frage, ob er sich mit ihm verstehen kann als einer, "der nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren ist" (Joh. 1, 13). Diese Augen, nicht eines höheren Wesens, sondern eines Menschen wie du und ich, schauen uns noch heute an in den Augen eines jeden Menschen, als die Augen des ewigen Bruders. So ist er uns heute und überall nahe. Wieviele Namen und Titel haben die Gläubigen ihm gegeben, um auszudrücken, was sie in ihm fanden: Christus, den Gesalbten; den Erben des Thrones David; den Friedenskönig und Heiland, den Sohn Gottes und Erlöser, der uns befreit; das Lamm Gottes, das hinwegnimmt und trägt, was uns niederzieht und fesselt; den Morgenstern, der den kommenden Tag ankündigt. In seiner Erhöhung am Kreuz ist wie in einer Blitzaufnahme sein ganzes Wirken und Sein zusammengefaßt. Und er hat vorgesorgt, daß uns seine Gegenwart für alle Zeit erhalten bleibt, nicht nur in jedem Menschen - "Was ihr ihnen getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt. 25, 40) - sondern in besonderer Weise in der Feier des heiligen Mahls, die er zu feiern geboten hat: "Das tut zu meinem Gedächtnis" (Lk. 22, 19). Er ist gegenwärtig in dem Brot, das gebrochen wird, und in dem Kelch, der erhoben und ausgeteilt wird. In dem Geheimnis dieser Kulthandlung bleibt das Ereignis immer neu: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!" Das Nehmen von Brot und Wein, das danksagende Gebet darüber und das Austeilen an alle kann es eine schlichtere Kulthandlung geben? Und doch ist ihr Inhalt so dicht und umfassend und lebenswichtig, daß zu allen Zeiten mancherlei Künstler ein großes und bedeutsames Gehäuse dafür geschaffen haben in erhabenen Dombauten, in festlichen musikalischen Gestalten der Messe, in der Vielfalt liturgischer Ausfaltung der Eucharistie. Immer ist es der eine Herr, der seine Vergangenheit in diese Gegenwart einbringt, um uns Zukunft zu eröffnen, und wir dürfen sagen: Das walte Gott, Sohn. So leben wir in ihm und er lebt in uns. "Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2, 20).

LeerUnd selbst wenn jemand noch nie etwas von Jesus von Nazareth gehört hätte - der Menschensohn, der die radikale Liebe, die Hingabe und Wandlung verkörpert, durchwaltet als das ewige Wort des Vaters das ganze Weltall, und nichts und niemand ist ohne ihn. "In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen" (Kol. 1, 16). So tief und weit reicht unser betendes Zeugnis: Das walte Gott, Sohn!

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Das walte Gott, Heiliger Geist

LeerVom Vater und vom Sohn geht der Heilige Geist aus, ohne den wir nicht an den Vater glauben und nicht zum Sohn kommen können. Wir können in diesem Lebenskreislauf nie an die erste Stelle kommen, aber wir können weiterkommen. Der Geist führt uns tiefer in alle Wahrheit ein und der zukünftigen Vollendung entgegen. Dieser Geist hilft unsrer Schwachheit auf, wenn wir nicht wissen, wie man recht betet. Er vertritt uns "mit unaussprechlichem Seufzen", sodaß wir uns um die Richtigkeit der Worte keine Gedanken zu machen brauchen (Röm. 8, 26). Dieser Geist läßt uns Wort und Wirken Jesu Christi jenseits aller historischen Details immer tiefer und umfassender erkennen. In aller Verzweiflung und Anfechtung stärkt er uns gegen Kurzschlüsse und hilft uns in unser Geschick einzuwilligen und gelassen dem Ziel entgegenzuwarten, das uns gesetzt ist. Daß dieses Ziel kein bloßes Ende ist, obwohl unser Leben auf Erden endet, läßt uns Gottes Heiliger Geist ahnen, indem er unseren Sinn für das Gültige weckt und stärkt. Wenn unser Leben im Tod endgültig wird, weil an der Vergangenheit nichts mehr geändert werden kann, so bleibt doch erst recht die Zusage gültig, daß Gott wie im Ursprung, so im Ende alles in allem ist. So bleibt unser Leben unverloren. Und auch wenn unsere Füße langsamer und zittriger werden, dürfen wir doch mit Gewißheit auftreten: Er füllt unseren Mangel aus, stärkt unseren Glauben und beflügelt unsere Hoffnung, bis wir eingehen in die allumfassende Liebe Gottes: Das walte Gott, Heiliger Geist.

LeerUnauslotbar ist der Bereich, der mit den drei zeichenhaften Worten nur angedeutet ist. Deren Mitte aber ist das Kreuz. So hat Luther empfohlen, bei diesen Worten das Zeichen des Kreuzes zu zeichnen, und wenn die Worte kraftlos werden, bleibt das Zeichen doch gültig und enthält alles. Wir sind getauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wir gedenken unserer Taufe und der uns umhüllenden Wirklichkeit Gottes. Wir stellen uns auf diesen Boden und strecken uns aus nach diesem Ziel. Und wenn wir uns zur letzten Ruhe niederlegen, möge ein Wort Michelangelos uns nahe sein: Mir kann nicht dies noch jenes Ruhe geben, nur Gottes Liebe noch, die mitleidvoll am Kreuz die Arme nach mir ausgebreitet. Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Quatember 1981, S. 102-106

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-27
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