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Vom Hamburger Kirchentag
von Reinhard Mumm

LeerIn der Presse, im Fernsehen und Rundfunk ist ausführlich vom Kirchentag berichtet worden. Aber diese Berichte waren oft einseitig; denn sie griffen vor allem auf, was sich lautstark im Vordergrund abgespielt hat in Protest-Songs, in politischen Diskussionen und Demonstrationen. Anderes, was sich auch auf dem Kirchentag begeben hat, fand weniger das öffentliche Interesse. Das ist begreiflich und hängt mit dem Wesen der Publizistik zusammen. Berechtigt ist die Mahnung eines Kommentators im Fernsehen, der Kirchentag möge nicht abrutschen in tagespolitische Streitfragen, sondern seinem eigentlichen Auftrag treu bleiben. In diesem Sinn haben wir Anlaß, auf die stillen Bereiche bei dem Massentreffen von über 100 000 meist jungen Menschen hinzuweisen.

LeerWie seit 1956 bei jedem Kirchentag, gab es auch in Hamburg einen Bereich der Seelsorge und Beratung, genau genommen sogar zwei Bereiche. Ein Beratungszentrum war in einer Halle auf dem Messegelände eingerichtet, ein anderes stand neben der Hauptkirche St. Petri den Besuchern zur Verfügung. Außerdem waren Berater auf dem "Markt der Möglichkeiten" eingesetzt, damit sie dort, mitten im Volk, zur Verfügung standen. Die Art der Seelsorge und Beratung hat sich im Lauf der Jahrzehnte gewandelt. Anfänglich war sie bestimmt von der im Raum der evangelischen Kirchen wieder entdeckten Beichte. Es zeigte sich freilich, daß die persönliche Beichte und Absolution nicht mit einem Schlag in der Breite der Volkskirche neu belebt weben kann. Dazu brauchen wir einen langen Weg. So trat das Bedürfnis in den Vordergrund, suchenden Menschen zu helfen, in dem sie in bestimmten Fragen, die sie haben, von fachlich vorgebildeten Psychologen und Juristen, Ärzten und Sozialpädagogen beraten werden. Einige Jahre hindurch gab es ein gründlich durchdachtes System von Sachbereichen, in denen man solche Beratung anbot.

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LeerSo kann sich ein Fachberater im Verlauf eines Gespräches vor die Aufgabe gestellt sehen, zum Seelsorger zu werden; und umgekehrt braucht der Seelsorger eine breite Lebenserfahrung, um auf menschliche Probleme aller Art eingehen zu können. Eine weitere Erfahrung kam hinzu: Viele, vor allem junge Menschen, suchen nicht nur das Gespräch unter vier Augen, sondern in einer Gruppe. Deshalb richtete man Gruppenräume für acht bis zwölf Teilnehmer ein, in denen sich ein Berater oder Seelsorger bereit hielt, über ein vorher angegebenes Problem mit einer sich dazu einfindenden Schar zu sprechen. Junge Menschen reden heute auch vor anderen freimütig über das, was sie bewegt; sie scheuen sich nicht, ihre persönlichen Ängste bloßzulegen. So wird das Gruppengespräch, das mit einer Sachfrage begann, alsbald zu einer Form kollektiver Seelsorge.

LeerEs versteht sich von selbst, daß ein Bericht über die Seelsorge nichts über einzelne Gespräche mitteilen darf, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit geführt wurden. Doch kann ich bestätigen, daß wir auch in Hamburg solche Gespräche mit älteren und jungen Menschen geführt haben und daß es gelegentlich zur persönlichen Beichte kam. Wir blieben vom Morgen bis zum Abend nie allein; immer wieder faßten einzelne den Mut, ein solches Gespräch zu suchen. Die Leitung des Kirchentages tut gut daran, diese Aufgabe weiterhin festzuhalten. In einem Punkt sollte ein Brauch erneuert werden, der diesmal unterlassen war: Es wäre gut, die Namen der Berater und Seelsorger wieder öffentlich anzuzeigen, weil immer wieder ein bestimmter Seelsorger oder Berater gesucht wird, den man kennt und zu dem man Vertrauen hat.

LeerGleich neben dem Beratungszentrum auf dem Messegelände lag die "Halle der Stille", über die besonders berichtet wird [siehe unten]. Drei Inschriften möchte ich jedoch noch zitieren: "Lieber Gott, hilf, daß die unsichtbare Wand zwischen mir und meinem Mann durchbrochen wird." Auf einem anderen las man nur die beiden Worte: "Danke! Amen." Und schließlich: "Die Halle der Stille ist die beste Erfindung des Kirchentages." Kommunitäten und Bruderschaften gaben ihren besonderen Beitrag zum Kirchentag im "Erfahrungsfeld Frömmigkeit", das seinen Mittelpunkt in der St.-Georgs-Kirche hatte. Auslegungen der Bibel und Vorträge, Stundengebete und Abendmahlsgottesdienste bestimmten den Lauf des Tages. Dazwischen gab es offenes Singen und verschiedene Angebote der Meditation, auch war es möglich, Einzelgespräche und die Beichte zu suchen. Ansverusbrüder und Ordo Pacis, Koinonia und Communität Casteller Ring waren mit Michaelsbrüdern, dem Berneuchener Dienst und anderen an den wertvollen Angeboten in St. Georg beteiligt.

LeerDer Kirchentag bringt als Massenveranstaltung viel Lärm und Unruhe mit sich, Umso wichtiger sind Räume der Stille, in denen die Seele ausruhen und sich finden kann, Räume, in denen wir beten können. Unsere Kirchen sind dafür erbaut und bestimmt. Leider verwandelt der Kirchentag die Kirchen durch Proben, Organisationen und Diskussionen in Räume der Unruhe. Es wäre gut, künftig die Kirchen wieder mehr das sein zu lassen, was sie sind: Stätten der Stille und des Gebetes.

Quatember 1981, S. 230-231

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-27
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