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von Ludolf Müller |
Wenn die frommen Maler der westlichen Kirchen das Ostergeschehen bildlich darstellten wollten, so wählten sie vor allem den Augenblick, da Christus als Sieger aus dem Grabe aufsteigt -jenen Augenblick, den Paul Gerhardt dichterisch gestaltet hat mit den Worten:
„Er war ins Grab gesenket,Die Bildkunst der Ostkirche hat es bis ins 17. Jahrhundert bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie stark unter westlichen Einfluß geriet, vermieden, diese Szene zu malen. Sie wird uns in den Evangelien nicht beschrieben, kein menschliches Auge hat sie gesehen, und so tastet auch der Maler dieses größte Geheimnis der Heilsgeschichte nicht an, ebensowenig wie er sich vermißt, den ewigen, unsichtbaren Gott mit Linien zu umschreiben und mit Farben zu malen. Zwei andere Szenen sind es, die auf den Osterikonen der Ostkirche dargestellt werden: die der „Höllenfahrt” oder, wie man besser sagen sollte, der „Hadesfahrt” Christi und die der Frauen am Grabe, der „myrontragenden Frauen”, wie man in der Ostkirche sagt; die eine dieser Szenen spielt kurz vor dem Augenblick der Auferstehung, die andere kurz danach. Da der myrontragenden Frauen aber am zweiten Sonntag nach Ostern in besonderer Weise gedacht wird, ist die Darstellung der Hadesfahrt Christi zur eigentlichen Osterikone der Ostkirche geworden. So lautet die Überschrift dieser Ikone denn auch „Hadesfahrt” oder „Abstieg unseres Herren Jesus Christus in den Hades”, meist aber „Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus”. Dargestellt wird auf dieser Ikone das Geschehen, das im Apostolischen Glaubensbekenntnis umschrieben wird mit den Worten: „hinabgestiegen in das Reich des Todes”. Während nach dem Tod Christi sein Leib im Grabe liegt, steigt seine Seele hinab in das Reich des Todes, das von den Griechen „Hades” genannt wurde. Hier befreit er Adam und Eva als die Repräsentanten des ganzen Menschengeschlechtes aus ihren Gräbern. Die Frommen des Alten Bundes, vor allem David und Salomo und Johannes der Täufer, schauen dem Geschehen in tiefer Anteilnahme zu. Aus diesen Andeutungen und Bildern hat sich früh eine Geschichte entwickelt, die den „Descensus ad inferos”, den „Abstieg zur Unterwelt”, in den Hades, in lebendiger, eindrucksvoller Weise schildert. Die Erzählung findet sich bei Edgar Hennecke, in den „Neutestamentlichen Apokryphen in deutscher Übersetzung” (Anm. 1). In die Dunkelheit des Hades dringt um die Stunde der Mitternacht so etwas wie Sonnenlicht. Die dort weilenden Toten werden von Freude und Hoffnung erfüllt, Johannes der Täufer tritt hervor und verkündet, was er von Christus weiß. Nur Satan und Hades sind entsetzt; der Hades will Christus nicht in sein Herrschaftsgebiet hereinlassen, da er fürchtet, ihn nicht halten zu können und mit ihm auch die anderen Bewohner des Totenreiches hergeben zu müssen. Da tönt eine gewaltige Stimme: „Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, geht auf, ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit” (Ps. 24,7). Und schon werden die ehernen Tore zerschlagen, und Christus bricht strahlend herein in das Dunkel der Unterwelt. Er streckt seine rechte Hand aus, ergreift den Urvater Adam, richtet ihn auf und geht mit ihm und mit allen, die durch Adams Schuld sterben mußten, aus dem Hades hinaus in das Paradies. Hier kommen ihnen zwei Greise entgegen: Henoch und Elias, die den Tod nicht gesehen haben und lebendigen Leibes in das Paradies eingegangen sind. (Vgl. 1. Mose 5,24; 2. Kön. 2,11.) Zu ihnen tritt jetzt ein dritter Mann hinzu: Es ist der Schächer, der, am Kreuze hängend, von Christus die Verheißung empfing: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein” (Luk. 23,43). „Heute ruft der Hades stöhnend: Außer dem weißen Gewand ist der Kreuznimbus (der Heiligenschein mit dem darin eingezeichneten Kreuz) Zeichen seiner göttlichen Würde. In die drei Kreuzarme dieses Nimbus sind die drei griechischen Buchstaben „ο ων” eingezeichnet, das heißt: „der Seiende”. Es ist die griechische Übersetzung des Namens des Gottes Israels, des Namens Jahwe, den Gott selbst nach 2. Mose 3,14 dem Mose am Sinai als seinen Eigennamen offenbart hat und den der Verfasser der Offenbarung des Johannes in erweiterter Form zum Würdenamen Christi macht, wenn er ihn sagen läßt: „Ich bin das Alpha und das Omega, der da ist (ο ων) und der da war und der da kommt, der Allherrscher” (Offb. 1,8). Die ganze Gestalt Christi ist umgeben von einer kreisförmigen „Aureole”, einem Strahlenkranz, der außen hell ist und nach der Mitte zu immer dunkler wird. Ebenso wie das weiße Gewand, so zeigt auch die Aureole an, daß auf dieser Ikone Christus in einem solchen Augenblick der Heilsgeschichte gezeigt wird, in dem seine göttliche Majestät nicht verhüllt ist, wie etwa bei der Geburt in der Höhle oder bei der Kreuzigung, sondern offenkundig, wie bei der Verklärung oder der Himmelfahrt. Die Aureole ist Symbol der göttlichen Welt, der Fülle der Gottheit. Daß sie nach dem Mittelpunkt zu immer dunkler wird, entspricht der Lehre der Ostkirche, nach der die Lichtherrlichkeit der Gottheit dem menschlichen Auge als tiefe Finsternis erscheint. (Anm. 4) Von der Mitte der Aureole, die gleichzeitig die Mitte des Leibes Christi ist, gehen Strahlen in alle Richtungen. Sie zeigen, daß die Gottheit nicht in sich selbst verharrt in seliger Selbstgenügsamkeit, sondern daß sie, die Sonne des Seins, wie unsere irdische Sonne ihre wärmenden und lebenschaffenden Strahlen in alle Welt aussendet. „Der du das Leben bist, o Christus,In seiner linken Hand trägt Christus das Kreuz. Das Werkzeug der Marter, das Zeichen der Erniedrigung ist jetzt zum Siegeszeichen geworden. Es ist die geometrische Achse des Bildes, wie es die Achse der Heilsgeschichte ist. Auf manchen anderen Darstellungen der gleichen Szenen trägt Christus in der linken Hand eine Schriftrolle. Sie soll hinweisen auf Christus als das Wort des Vaters (Joh. 1), in besonderer Weise vielleicht auch darauf, daß Christus nach 1. Petr. 3, 19 den „Toten im Gefängnis gepredigt” hat. Christus tritt auf zwei gekreuzt liegende Bretter; dies sind die „Pforten der Unterwelt”, die Christus bei seinem Einzug zerstört hat: „Als zum Heile der ganzen Welt „Christus ist erstanden aus den Toten.Aus dem Vergleich von Bild und Lied wird deutlich, daß Adam hier nicht nur die konkrete Gestalt des „Ersterschaffenen” darstellt, daß er nicht nur als Individuum gemeint ist, sondern, wie es der Name Adam = „Mensch” ja auch sagt, daß er und Eva zusammen die gesamte, dem Tode verfallene Menschheit symbolisieren. So läßt die liturgische Dichtung den im Grabe liegenden Christus zu seiner weinenden Mutter sagen: „Jubeln soll die Schöpfung,Die Beziehung zwischen Adam und Christus ist nicht einseitig. Adam bleibt nicht passiv in der Begegnung mit Christus. Er reicht ihm den linken Arm dar, an dem Christus ihn dann aus dem Grabe herauszieht, und erhebt den rechten Arm in anbetender Huldigung. Ebenso Eva: sie hat ihre Hände verhüllt, ein Zeichen der Ehrfurcht; ähnlich verhüllen auf der Ikone der Taufe Christi die Engel, die am Ufer des Jordan stehen, ihre Hände. Die Gruppe, die aus Christus und Adam und Eva besteht, ist theologisch und kompositorisch die Mitte der Ikone. Sie ist angeordnet in der Form eines Dreieckes, dessen untere Seite die Linie bildet, die von dem unteren Gewandende Adams über die Füße Christi zum unteren Gewandende Evas hinüberführt; die Schenkel des Dreiecks bilden die Rückenlinien Adams und Evas, den Scheitelpunkt die Spitze des Kreuzes Christi , und dies Kreuz selbst ist die Höhenlinie, die das beinah gleichschenklige Dreieck teilt. Dieses große Dreieck mit dem dahinter liegenden Kreis und mit dem Kreuz, das die Mitte von Kreis und Dreieck zugleich ist, weist auf das Geheimnis der trinitarischen Gottheit, deren innerstes Wesen sich im Kreuzestod des ewigen Sohnes offenbart. Rechts und links von Christus, oberhalb der knienden Voreltern Adam und Eva, befinden sich zwei Gruppen stehender männlicher Personen. Während Christus, Adam und Eva von starker Bewegung erfüllt sind, stehen diese beiden Gruppen in gemessener Ruhe, aber doch voll gespannter Aufmerksamkeit. Die (vom Betrachter aus gesehen) linke Gruppe ist stärker als die rechte auf Christus als die Mitte des Bildes bezogen, vor allem durch die Bewegung der fünf Hände, die auf Christus hinweisen, während von der rechten Gruppe höchstens die linke Hand der vorderen Figur auf Christus zu weisen scheint (in Wirklichkeit stützt sie nur das Buch oder die Tafel, die diese Figur in der rechten Hand hält). Auffällig unterschieden sind die beiden Gruppen auch dadurch, daß die Figuren der linken Gruppe Heiligenscheine haben, die der rechten nicht. Wenden wir uns zunächst der linken Gruppe zu. Die beiden Gestalten der unteren Reihe sind durch ihre Kronen als Könige gekennzeichnet; ohne Zweifel handelt es sich um David, der durch seinen Bart als der Ältere, und Salomo, der durch seine Bartlosigkeit als der Jüngere gekennzeichnet ist. Offenbar wendet Salomo sich fragend an David, und dieser erklärt ihm die Bedeutung des Geschehens. Schon im Nikodemus-Evangelium wird die Rolle Davids bei der Hadesfahrt Christi hervorgehoben. Mit Worten aus dem 24. Psalm, einem Psalm Davids, wird die Ankunft Christi im Hades angekündigt: „Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, geht auf, ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit.” Und David selbst sagt daraufhin zum Hades: „Weißt du nicht, du Blinder, daß ich, als ich noch in der Welt lebte, diesen Ruf vorausgesagt habe?” Wo David ist, darf Salomo nicht fehlen. Die beiden gelten ja auch nicht nur als Propheten des Kommens Christi, sondern sie sind gleichzeitig seine Vorfahren, und sie sind als die größten Könige Israels das Vorbild des Königtums Christi. Links von Johannes steht ein junger, bartloser Mann, der auf dem dichten Haar eine kleine rote Kappe mit weißem Haar trägt. Von anderen Ikonen des gleichen Typs, auf denen die einzelnen Gestalten durch Beischriften gekennzeichnet sind, wissen wir, daß dies der Prophet Daniel ist. Warum wird er hier dargestellt? Im Nikodemus-Evangelium wird er im Zusammenhang der Erzählung von der Hadesfahrt nicht erwähnt. Aber im Abendgottesdienst des Karsamstags, dem Gottesdienst, in dem in besonderer Weise der Hadesfahrt Christi gedacht wird, nimmt der Prophet Daniel eine bedeutende Stelle ein. Nachdem zunächst die Schöpfungsgeschichte aus dem 1. Kapitel der Bibel, dann das Buch des Propheten Jona verlesen ist, folgt eine lange Lesung aus dem Propheten Daniel: zunächst Dan. 3,1 - 23, die Geschichte von den drei Männern im Feuerofen, danach (aus den Zusätzen zum Buch Daniel, die nicht in der hebräischen Bibel, sondern nur in der „Septuaginta”, der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes und in der Luther-Bibel unter den sogenannten „Apokryphen” enthalten sind) das Gebet Asarjas und der Gesang der drei Männer im Feuerofen. Angeführt wird diese Gruppe zur Linken durch einen Mann mit einem Buch oder einer Tafel in der Hand. Auf anderen Ikonen dieses Typus ist er durch Inschrift oder Attribut deutlicher als auf unserer Ikone als Moses gekennzeichnet (Anm. 10). Er, als der Vermittler des Gesetzes, „das hinzugekommen ist um der Sünden willen, bis der Nachkomme da sei, dem die Verheißung gilt” (Gal. 3,19), hat nicht eine so unmittelbare Verbindung zu Christus wie die Vorfahren und Propheten Christi und sein Vorläufer auf der anderen Seite, aber doch weist auch das Gesetz des Moses, wenn man es nur recht versteht, auf Christus hin. Um dieses rechte Verstehen des Gesetzes kreist offenbar das Gespräch, das Moses mit den hinter ihm stehenden Männern führt. Das obere Viertel des Bildes, der Teil, der oberhalb des höchsten Punktes der Aureole und der Köpfe der Menschengruppen rechts und links von Christus liegt, ist fast leer. Stilisierte, stufenförmig aufsteigende Felsen charakterisieren die wilde, öde Landschaft, in der wir uns befinden, die Landschaft der Unterwelt. Nur ein schmaler Raum ist zwischen den eng zusammenstehenden Felsen geblieben, durch den Christus hinabgestiegen ist. Auf manchen Ikonen dieses Typus ist der Felsenraum ganz geschlossen, und der Hades wird vollends zur Höhle; auf anderen schweben dort oben Engel, so etwa auf einer schönen Ikone im Ikonenmuseum in Recklinghausen aus dem 16. Jahrhundert (Anm. 11). Der eine dieser Engel hält hier das Kreuz, das auf unserer Ikone Christus in der linken Hand trägt; der andere Engel hält einen Kelch: Es ist der Kelch des Leidens, den Christus genommen und getrunken hat, und gleichzeitig der Kelch der Eucharistie, in dem der Opfergang Christi, der mit der Inkarnation begonnen hat und der mit dem Abstieg ins Reich des Todes endet, in der Liturgie immer von neuem zu lebendiger Gegenwart wird. Zwischen den Felsen ist der Titel der Ikone in kirchenslawischer Sprache in jetzt stark beschädigter Zierschrift angebracht: „Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus”. Diese Inschrift dient weniger der Erläuterung des Bildinhaltes - der gläubige Betrachter weiß auch ohne sie, was auf dem Bild dargestellt ist. Sie ist eher zu vergleichen mit dem heiligen Wort, das im Sakrament zu den Elementen des Wassers, des Brotes und des Weines hinzutritt und das diese Elemente wandelt zum Wasser des ewigen Lebens und zum Leib und Blut Christi. Denn auch die Ikone ist so etwas wie ein Sakrament: nicht ein Sakrament im vollen Sinne des Wortes, aber doch eine Sakramentalie: ein irdischer Gegenstand, in dem das ewige Heil dem Menschen sichtbar, fühlbar, sinnlich gegenwärtig wird.
© Prof. Dr. Dr. Ludolf Müller Quatember 1982, S. 66-75 |
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