|
von Reinhard Mumm |
Wem leuchtet das nicht ein, daß es auch Seelsorge an Seelsorgern geben muß? Wenn schon ein Arzt, der krank wird, sich nicht einfach selbst kurieren kann, sondern einen anderen Arzt nötig hat, der ihm beisteht, so braucht auch ein Seelsorger den Beistand eines anderen Seelsorgers. Manchmal begegnen wir einem Pfarrer, den wir fragen möchten: Hast Du einen Seelsorger? Alle, die sich für Pfarrer verantwortlich wissen, nicht nur Bischöfe, Superintendenten und Dekane, sondern auch Presbyter, Kirchenvorsteher und kirchliche Mitarbeiter, sind an der Frage interessiert: Gibt es eine Seelsorge für Seelsorger, und wie geschieht sie? Wer oder was ist eigentlich die Seele, um die wir uns sorgen? Das deutsche Wort „Seele” hat eine tiefsinnige Geschichte hinter sich. Der gleiche Wortstamm findet sich in mehreren germanischen Sprachen und hat mit dem See zu tun. „Bestimmte Seen galten den Germanen als Aufenthaltsort der Seelen vor der Geburt und nach dem Tod”, belehrt uns das etymologische Wörterbuch von F. Kluge. Der sprachliche Zusammenhang zwischen See und Seele weist darauf hin, daß Wasser und Leben zusammengehören. Die Seele war für die Germanen offenbar nicht ausschließlich an das körperliche Dasein gebunden, sondern sie hatte bereits vor der Geburt und auch nach dem Tod ein irgendwie geartetes eigenes Leben. Als Christen befragen wir die Bibel. In der hebräischen Sprache heißt die Seele näphäsch, die als blutvolles Leben und lebendiges Wesen verstanden wurde. Dieses Leben kommt von Gott und äußert sich im Atem, der dem Leibe Leben verleiht. Das griechische Wort psyche ist so von der hebräischen Sprache her gefüllt und wurde von den zumeist hebräisch oder aramäisch denkenden Verfassern des Neuen Testamentes gebraucht. Mit psyche ist im Neuen Testament das natürliche Leben gemeint, aber nicht allein dies. Die psyche ist der Ort der Gemütsbewegung (Apostelgesch. 14,2); sie ist das eigentliche Leben. Jesus ist gekommen, die psyche zu retten (Mark. 3,4) - das Leben im tiefen Sinn - und es zu heilen. Die psyche ist „gelöstes, befreites, offenes Leben, in das Gott und der Nächste eindringen können, ohne es zu stören, ja um es erst ganz zu erfüllen”, heißt es in dem Theologischen Wörterbuch von Kittel-Friedrich. Wer sich an seiner psyche festhält, wird sie verlieren; wer sie aber preisgibt in dieser Welt, wird ewiges Leben gewinnen (Joh. 12,25). Die psyche ist mehr als nur irdisches Leben; sie ist nicht durch den Tod begrenzt. Das Neue Testament teilt zwar nicht wie die alten Griechen den Menschen in Leib und Seele auf. Aber die Seele weist als die Mitte des Lebens über den Tod hinaus. Mediziner und Biologen erklären uns, die Seele sei eine Funktion des Gehirns. Wenn das Gehirn verfällt, so sagt man uns, höre auch die Seele auf zu existieren. Wir können und wollen nicht bestreiten, daß das biologische Leben aufhört, wenn der Mensch stirbt und damit seine irdisch wahrnehmbaren Lebensfunktionen beendet sind. Widersprechen sich also naturwissenschaftliche und theologische Aussagen? Um diesen scheinbaren Widerspruch zu überwinden, erinnern wir uns daran, daß das griechische Neue Testament zwei Begriffe für unser deutsches Wort „Leben” kennt, den bios und die zoe. Die zoe ruht auf dem bios, solange wir biologisch leben. Aber die zoe hört als Lebensmacht Gottes, die uns in Jesus Christus begegnet, nicht auf, wenn der bios verlöscht. „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe” (Joh. 11 ,15), In diesem Raum, in dem sich bios und zoe begegnen, an dieser Grenze ist die psyche angesiedelt. So sagt es uns das Evangelium. Es lohnt sich, abermals einen Blick in die außerchristliche Welt zu tun. Menschen, die in frühen religiösen Vorstellungen leben, dem Animismus (anima heißt Seele, animus Gemüt), sind vom Dasein der Seele überzeugt, da sie den Unterschied beobachten zwischen einem bewußtlosen oder gar leblosen Leib und dem lebhaften, aktiven Menschen. Sie erfahren, wie der Mensch im Schlaf oder im Rausch in eine Traumwelt gelangt. Die Seele begleitet den Menschen wie ein Schatten. Wir wären schlecht beraten, wenn wir solche Erfahrungen leugnen oder beiseite schieben wollten. Sie gehören zum Hintergrund der Bibel und ihrer Aussagen über die Seele. Wenden wir uns mit solchen Erkenntnissen der Seele der Seelsorge zu, dann begegnen wir einer reichen Geschichte in der Christenheit. In der römisch-katholischen Kirche war die Seelsorge immer wieder mit dem Kirchenrecht verknüpft und trug darum oft rechtliche Züge; manchmal ist das noch heute zu spüren. Uns steht der Mißbrauch vor Augen, der mit einem Druck auf die Seelen durch angedrohte Kirchenstrafen getrieben wurde, um bestimmte und nicht selten politische Ziele zu erreichen. Es wäre freilich ungerecht, wollten wir die Seelsorge in der katholischen Kirche nur unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Viele Priester haben in echter Weise Menschen seelsorgerlich geholfen und tun dies bis heute. Neue Lehrbücher, wie z. B. die Moraltheologie von Bernhard Häring, entfalten eine am Wohl und Heil der Menschen ausgerichtete Seelsorge. Blicken wir auf den Protestantismus, so können wir nicht bestreiten, daß es auch da gesetzliche Irrwege in der Seelsorge gab. Die Kirchenzucht war manchmal nicht vom Evangelium geleitet und hat seelsorgerlich Schaden angerichtet. Ihre Mitte hat die Seelsorge in reformatorischer Sicht aber im Trostamt. Martin Luther ist nicht müde geworden, und andere sind ihm darin gefolgt, die angefochtenen Gewissen zu befreien durch die Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben an Christi Heilstat für uns. In diesem Sinn hat die Kirche des Bekenntnisses von Augsburg an der privaten Beichte und Absolution festgehalten und dieses Angebot der Seelsorge für alle und besonders für Seelsorger in den letzten Jahrzehnten erneuert. 2. Paul Blau, der ehrwürdige Generalsuperintendent von Posen und damit geistlicher Leiter einer Provinz der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die bis in den letzten Krieg hinein in Polen bestand, hat sich mit dem Thema befaßt „Der Pfarrer und seine Seele” (Hamburg 1927). Er erinnert an ein Wort, das auf den griechisch-orthodoxen Kirchenlehrer Chrysostomos zurückgeführt wird: Mirum si sacerdos salvetur („Es ist wunderbar, wenn ein Priester gerettet wird”). Tiefblickende Seelsorger haben zu allen Zeiten gewußt: Theologen sind sehr gefährdet, weil für sie das Heilige zum Alltagsgeschäft wird. Sie haben den Auftrag, Menschen den Weg zur Seligkeit zu zeigen. Aber wie oft stehen sie mit ihrem Wesen und Verhalten ihrem Auftrag im Weg! Ihre Worte werden entwertet durch ihr Leben und ihre Versäumnisse. Der Auftrag, Seelsorger sein zu sollen, kann bedrückend schwer werden. Als ich junger Pastor in Westfalen war, erreichte mich der dringende Ruf eines Kirchenvorstandes in Hamburg, ich möge dort die Leitung einer Gemeinde übernehmen. Manches konnte mich verlocken, diesem Ruf zu folgen, war dort doch eine gute Gestalt des Gottesdienstes eingeführt worden. Aber als ich erfuhr, daß in Hamburg ein Pastor für 7000 Seelen verantwortlich sein soll, war es mir nicht möglich, diesem Ruf zu folgen. Die 3000 Seelen in meiner westfälischen Gemeinde empfand ich bereits als übergenug. Wenn es mir schon kaum gelingen wollte, diesen 3000 Menschen nachzugehen, wie sollte das mit 7000 gelingen? Das Wort „Seelsorger” droht zu einer Farce zu werden, wenn einem Pfarrer in dieser Hinsicht Unmögliches aufgebürdet wird. Mit diesem zu hohen Anspruch an den Seelsorger verbindet sich eine weitere Gefahr: Gerade ein verantwortungsbewußter und fleißiger Pfarrer kann sich in seinem Bemühen, diesem Anspruch gerecht zu werden, zum Typ des Vielbeschäftigten und Ruhelosen entwickeln, der schließlich für niemand mehr richtig Zeit hat und an seiner eigenen Seele Schaden nimmt. Wir Pfarrer merken das oft nicht an uns selbst, aber andere merken es, wie nervös und ungenießbar wir werden, nicht zuletzt auch schwierig in unserer eigenen Familie. Weiter schreibt Rittelmeyer: „Hilfe am Werden hat Johannes Müller die Seelsorge genannt.” Wer Schloß Elmau bei Mittenwald in Oberbayern kennt, wird wissen, wer Johannes Müller war. Wie man auch zu seiner Lebensauffassung steht, „Hilfe am Werden”, das ist demütig gesagt, voller Respekt vor jedem Menschen. Wir können und wollen Menschen nicht bestimmen, aber helfen dürfen wir und sollen wir. „Was ein Seelsorger braucht? Er muß Zeit haben, er muß Interesse haben, er muß Gotteserfahrung haben.” Diese Meinung Rittelmeyers ist heute so gültig wie vor zwei Menschenaltern. „O du sorgenschwerer Seelsorger: bist du es denn, der alle diese Seelen zur Seligkeit zu führen hat? Weißt du nichts davon, daß Gott arbeitet an jeder einzelnen Menschenseele? Was kannst du anderes und was kannst du Höheres tun, als daß du den Menschen die Augen öffnest für die Arbeit Gottes an ihrer Seele? Ganz bescheiden bist du Gottes Mitarbeiter, aber nicht Gottes Retter.” In diesem Rat steckt bereits ein Stück Seelsorge an Seelsorgern. Es tut gut, sich klar zu machen, daß der Seelsorger einen Hilfsberuf hat. Er ist kein Psychagoge, kein Seelenführer, aber ein Helfer darf er sein. Ein weiteres Stichwort in diesem Tagebuch lautet „Der Pfarrkonvent”. Großartig ist es, wenn die Gemeinschaft der Pfarrer zur Bruderschaft wird. Aber die Konvente und Konferenzen können auch zur Plage werden. Martin Fischer, zuletzt Geistlicher Vizepräsident in der Evangelischen Kirche der Union, hat ein kleines Büchlein herausgebracht: „Die Anfechtung des Predigers heute” (Bielefeld 1953). Prediger und Seelsorger sind angefochtene Leute. In einem Kapitel geht Fischer auf den „Prediger und seine Kirchenleitung” ein. Das ist ein weites Feld. Wie sehen die Seelsorger ihre Kirchenleitung, und wie sehen die Bischöfe und Oberkirchenräte die ihrer Leitung anvertrauten Pfarrer? Da öffnet sich ein breites Spektrum zwischen Dank und Spannungen, Anerkennung und Enttäuschung, guten theologischen Erfahrungen, aber auch von menschlichen Schwächen. Fischer weist auf die Ordination hin; sie bietet eine wesentliche Hilfe in der Anfechtung. Ein alter Pastor sagte mir: Je älter ich werde, umso wichtiger wird mir meine Ordination. Er meinte damit, ein Seelsorger soll sich weder auf seine Erfolge stützen, noch durch Mißerfolge entmutigen lassen, sondern wissen: Ich bin gesandt und folge dem, der mich gesandt hat, mit den Kräften, die er mir gab. Der reformierte Schweizer Jean Jaques von Allmen sagt: „Im Augenblick unserer Ordination haben wir unser ganzes Leben dem Dienst Jesu Christi geweiht ... Unser Leben wurde Jesus Christus hingegeben” (in seinem Buch „Diener sind wir”, Stuttgart 1958). Eduard Thurneysen, der Freund Karl Barths und gleichfalls reformierter Schweizer, hat in seiner Lehre von der Seelsorge ein Kapitel dem Seelsorger gewidmet: „Der Seelsorger ist Träger und Übermittler der Botschaft von der Vergebung. Er handelt nicht in eigener Kraft und Vernunft, sondern aus Berufung. Dazu muß er selber im Wort und in der Gemeinde wurzeln und aus dem Glauben an die Vergebung leben. Er soll die Menschen nicht an sich, aber er darf sie an den Herrn der Kirche binden, indem er sie zum Worte führt und für sie im Gebet verharrt.” Das ist die Sprache der dialektischen Theologie mit ihrem hohen Anspruch. Wichtig ist der Hinweis auf die Fürbitte. Seelsorge und Gebet gehören zusammen, ohne das vorangehende und das nachfolgende, ja das immerwährende Gebet kann ein Seelsorger nicht handeln. In diesem Sinn schließt Thurneysen seine Lehre von der Seelsorge: „Beten heißt hier, daß man sein Hören auf den Nächsten wie sein Reden mit ihm priesterlich hineinstellt in das Hören und Reden zu Gott hin. Dieses Hören und Reden bewirkt den mächtigen Schutz, die große Hilfe, die befreiende, reinigende Klarheit, die das ganze seelsorgerliche Gespräch umgeben, durchdringen und tragen müssen.” 3. Soll aber ein Dienstvorgesetzter zugleich Seelsorger sein? Kann er das überhaupt sein? Ein Superintendent, Propst oder Bischof wird es in der Regel als seine Aufgabe ansehen, den seiner Aufsicht anvertrauten Pfarrern seelsorgerlich zu begegnen. Bei solchen Begegnungen hat es gesegnete Stunden gegeben und wird sie auch künftig geben. Aber die Seelsorge an Seelsorgern läßt sich nicht an die amtliche Ordnung der Kirche binden. Der Pfarrer braucht andere Möglichkeiten der Seelsorge, die frei sind von dienstlichen Beziehungen. Es entspricht der Tradition und Erfahrung, wenn Seelsorge unabhängig von amtlichen Beziehungen geschieht. Durch lange Zeit hatte ein Pfarrer in den reformatorischen Kirchen seinen Confessionarius, seinen von ihm frei gewählten Beichtvater, zu dem er ging. Als geordnetes Institut kennen wir diese Einrichtung nicht mehr, aber bis heute gibt es seelsorgerliche Beziehungen unter Pfarrern, die selbstverständlich verborgen bleiben. Freilich müssen wir fragen: Handelt es sich dabei um reine Freundschaften, in denen man sich gelegentlich über Nöte und Probleme ausspricht? Auch das wäre etwas wert. Aber Seelsorge geht über ein Freundesgespräch hinaus; sie will verbindlich sein. Seelsorge braucht freies Vertrauen, aber sie braucht auch gehorsame Annahme. Ein seelsorgerlicher Rat ist keine unverbindliche Meinung. Wer einen seelsorgerlichen Rat gibt, darf erwarten, daß er angenommen wird, und wer einen seelsorgerlichen Rat empfängt, ist gehalten, ihn gewissenhaft zu prüfen und zu befolgen, sofern nicht überzeugende Gründe dagegen sprechen. Vorbilder bieten manche geistlichen Gemeinschaften, Bruderschaften und Kommunitäten. In der Michaelsbruderschaft kennen wir das Amt des Helfers. Wir wissen, daß die Helferbeziehungen zwischen zwei Brüdern nicht immer so sind, wie sie sein sollten; darum hat der Rat der Bruderschaft empfohlen, sich in diesem Jahr in den Konventen erneut mit dem Helferdienst und der Einzelbeichte zu befassen. Der Ordo Crucis (Kreuz-Orden) in Norwegen kennt in seiner Regel nicht den verpflichtenden Helferdienst; gleichwohl ist die gegenseitige Seelsorge unter den norwegischen Brüdern in vorbildlicher Weise lebendig. Während ihrer jährlichen Einkehrtage Anfang Januar halten sie einen Schweigetag, der nur eine Ausnahme kennt: das seelsorgerliche Gespräch unter vier Augen. Davon machen die norwegischen Brüder Gebrauch. Wie wäre es, wenn wir bei unseren Konventen auch solche Tage des Schweigens, verbunden mit dem Angebot persönlicher Seelsorge hielten? Wäre es denkbar, daß bei mehrtägigen Pfarrkonventen, wie sie in Bayern für jedes Dekanat vorgeschrieben sind, ein Tag ausschließlich dem Angebot der Seelsorge an Seelsorgern dient? Die Seelsorge braucht Zeit und Stille. In Bruderschaften und Jugendkreisen hat man entdeckt, daß nächtliche Gebetswachen solche Stille schenken. In stündlichem oder mehrstündlichem Wechsel lösen sich je zwei Beter ab. Sie beten abwechselnd Psalmen und freie Gebete, singen Lieder, wandern auch miteinander durch den Kirchenraum. Solche Stunden schließen die betenden Brüder zusammen. Auch da kann Seelsorge an Seelsorgern geschehen. Was der Seelsorger an gemeinsamen Tagen geistlich empfängt, nimmt er mit in seine einsamen Tage. Julius Schniewind, der bedeutende Erforscher des Neuen Testamentes und ephorale Seelsorger, schreibt über „die geistliche Erneuerung des Pfarrerstandes” (Berlin 1949): „Das einsame Gebet ist das Herzstück unseres Amtes.” Karl Bernhard Ritter hat für dieses Gebet eine vorzügliche Hilfe geschaffen. Seine „Pfarrgebete” (Kassel, 5. Aufl. 1954) bieten Gebetsordnungen für die Wochentage und Tageszeiten, für die Amtshandlungen und Gebete mit den Mitarbeitern. Da schwingt alles mit, was wir erleben, Müdigkeit und Resignation, Angst und Erwartung, Glauben und Hoffnung. Diese Gebete können die Seele stärken. In katholischen Kirchen, zu denen sich auch die anglikanischen Kirchen rechnen, steht der Bischof in einer persönlichen Beziehung zu den Priestern seiner Diözese. Es überrascht uns gelegentlich zu erfahren, wie eng und fast familiär Pfarrer sich ihrem Bischof verbunden wissen. Solche nahe Beziehung macht es möglich, daß der Bischof zum Pastor pastorum, zum Hirten der Hirten und Seelsorger der Seelsorger, werden kann. Hier besteht kein Zwang. Jeder Seelsorger kann sich seinen Beichtvater frei wählen. Selbst wenn der Bischof nicht als Seelsorger in Anspruch genommen wird, entwickeln sich doch vertraute Beziehungen, die es ähnlich auch in evangelischen Kirchen geben kann und auch gibt. Jede Seelsorge muß verschwiegen sein. Auch wenn der Seelsorger guten Rat braucht in schwierigen Fällen, die an ihn herangebracht werden, darf er das Siegel des Vertrauens, das ihm entgegengebracht wurde, nicht brechen. Es ist nicht annehmbar, wenn der Inhalt eines seelsorgerlichen Gespräches weitergegeben wird als ein „Fall” für Belehrung und Aussprache in weiteren Kreisen. Jede Seelsorge, eingeschlossen die Seelsorge an Seelsorgern, muß verschwiegen bleiben. Seelsorger suchen nicht nur bei Seelsorgern Rat; nicht wenige gehen zu einem Psychotherapeuten. Die Psychotherapie (Seelenheilkunde) und die Seelsorge lassen sich nicht vollständig trennen; aber sie wollen unterschieden sein. Die Seelsorge kann die Psychotherapie nicht ersetzen, aber die Psychotherapie sollte auch nicht an die Stelle der Seelsorge treten. Es kann dahin kommen, daß ein Seelsorger psychotherapeutische oder gar psychiatrische, d. h. direkt ärztliche Hilfe braucht. Welchen Arzt oder Psychotherapeuten soll er aufsuchen? Diese Frage will sorgfältig überlegt sein. Es gibt Psychotherapeuten, die den Wert der Seelsorge anerkennen, wie auch umgekehrt Seelsorger dankbar sind für eine hilfreiche psychotherapeutische Behandlung. Wenn ein Psychotherapeut hundert und mehr Stunden braucht, um einem Menschen wirksam zu helfen, dann ist einzusehen, daß auch die Seelsorge Zeit und Geduld braucht; erst recht gilt das für die Seelsorge an Seelsorgern. Blicken wir auf Jesus. Er hat Seelsorge an Seelsorgern geübt. Seine Jünger hat er ausgesandt und zum Hirtendienst bestimmt. Diese seine Botschafter erhalten Vollmacht für ihre Aufgaben, und sie bleiben zugleich selber der Seelsorge bedürftig. Wie seelsorgerlich ist Jesus mit seinem ersten Apostel Simon Petrus umgegangen! Er hat ihn zurechtgewiesen, wo es nötig war, ihn aufgerichtet und wieder angenommen. Wie seelsorgerlich wendet sich Paulus an seine Mitarbeiter, stärkt und bestätigt sie! Die Reformatoren haben eingesetzt mit der Seelsorge an Seelsorgern; das bezeugt Luthers Großer Katechismus. Die Seelsorge an Seelsorgern ist eine der vornehmsten Aufgaben aller, die ein kirchenleitendes Amt haben, angefangen von den Presbytern und Kirchenvorstehern bis zu den Präsides und Bischöfen. Die Seelsorge kann durch sie ausgeübt werden, sie kann aber auch auf anderen Wegen geschehen. Sogar ein Jüngerer kann für einen Älteren zum Seelsorger werden. Entscheidend ist, daß die Seelsorge geschieht, zum Heil für den Einzelnen und zum Heil und Wohl der Gemeinde und Kirche. Quatember 1982, S. 76-85 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-08-29 Haftungsausschluss |