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Waldemar Wucher |
Im Oktober 1976 hatte der Arbeitskreis für Gegenwartsfragen der Evangelischen Michaelsbruderschaft in seiner zweiten Tagung in Kloster Kirchberg die Anregung seines Mitgliedes Hermann Unger aufgenommen, in Kirchberg ein liturgisches Übungszentrum für junge Theologen einzurichten. Den Anstoß hatte die Beobachtung gegeben, daß in den Gemeinden beim gottesdienstlichen Handeln der Formwille mehr und mehr verblaßt ist und mit dem Verfall der Formen auch ein Substanzverlust einhergeht. Liturgie wird nicht als lebendiges Geschehen erfahren. Jetzt sei es daher an der Zeit, daß die Michaelsbruderschaft die Aufgabe, die sie sich in ihren Anfängen selbst gestellt hat, nämlich die Gemeinden in einer lebendigen Liturgie zu sammeln, sinngemäß weiterentwickelt. In Jahrzehnten ist zwar viel an Formularen gearbeitet und geändert worden. Doch das praktische liturgische Handeln im Miteinander von Liturgen und Gemeinden blieb selbst in der Bruderschaft hinter dem Ziel zurück, das man ursprünglich im Auge hatte. Der Plan des Arbeitskreises sah vor, daß zunächst in Liturgischen Wochen mit Theologiestudenten Erfahrungen gesammelt werden sollten. Vorausschauend war aber auch schon an die ständige Einrichtung von Liturgischen Wochen für Pfarrer und Lektoren im Rahmen der Fortbildungsprogramme der Landeskirchen gedacht. „Es geht” - so hieß es in dem Plan - „um Anstöße zu einem ganzheitlichen liturgischen Handeln, das aus meditativer Haltung entspringt, und nicht vordergründig um die Vermittlung liturgischer Techniken.” Der Arbeitskreis für Gegenwartsfragen sah eine Reihe von Gegenwartsaufgaben der Michaelsbruderschaft in einem engen Zusammenhang untereinander. So verband sich der Vorschlag auf dem liturgischen Feld mit Überlegungen zur beispielhaften Ausformung der „kleinen Stadt Kirchberg” (Dehio) über das weit verbreitete Modell eines Tagungshauses hinaus. Ein Echo war freilich noch kaum zu spüren. Drei Jahre später faßte der Evangelische Kirchbautag 1979 in Lübeck eine Resolution, in der es heißt, daß die Ausbildung der Theologen sowie die Beratung, Fort- und Weiterbildung auf allen Ebenen der Gestaltungsfragen (Gottesdienst, Kirchenmusik, Kunst und Architektur) für die kirchliche Entwicklung bedrohliche Mängel zeigt. „Kirche existiert nur in ihrem konkreten Leib, der sie als Sprache und Raum begreift”. Der Rat der EKD und die Kirchenleitungen wurden gebeten, sich mehr als bisher für diese Fragen einzusetzen. Schließlich ein dritter Anstoß: Seit 1973 hat die Evangelische Akademie Arnoldshain vier dreitägige Tagungen (nach dem Odenwaldort, in der die erste stattfand, „Brensbach-Tagungen” genannt) veranstaltet mit dem Ziel, alte Kirchen, die ja einstmals weithin sozusagen pragmatisch aus gottesdienstlicher Erfahrung heraus gebaut worden sind, in ihrem vielseitigen Angebot für liturgisches und gemeindliches Leben der Gegenwart neu zu erschließen und damit auf die Bedeutung des Raumes überhaupt aufmerksam zu machen. Fast könnte Gerhard Langmaack wie ein Rufer in der Wüste erscheinen, der schon 1954, also vor über 25 Jahren, in seinem weitgespannten Beitrag für das Handbuch „Leiturgia” (Bd. 1, S. 365-433) die unverzichtbare Funktion des Raumes beschrieben hat, die dazu bestimmt ist, alle Sinne des Menschen wachzurufen als eine der grundlegenden Voraussetzungen für lebendigen Gottesdienst. Das Geschehen dieser Akademie-Tagungsreihe wurde im November 1978 in einer Arnoldshainer Tagung mit dem Thema „Der Kirchenraum - Tradition und Erneuerung” noch einmal durchgespielt und ausgewertet. Daraus entstand eine Resolution, mit der die Evangelische Kirche in Deutschland gebeten wurde, für die Aus- und Fortbildung der Theologen neue Wege zu erschließen, um das weitgespannte Feld der Gestaltung im kirchlichen Bereich ins Blickfeld zu rücken und fruchtbar zu machen. Diese Anregung wurde nunmehr von der Konferenz der Fortbildungsreferenten der EKD aufgenommen, und in Absprache mit ihr fand vom 11. bis 15. Mai 1981 in Arnoldshain ein erstes Seminar über „Liturgie und Kirchenraum” statt. Erstes Ziel war es, Erfahrungen für weitere Schritte zu gewinnen. Nicht das formale Handeln anhand liturgischer Formulare war das Thema, sondern die Frage, welche Voraussetzungen geschaffen und erfüllt werden müssen, damit „Liturgie geschieht”. Diese fast spontane Unternehmung knüpfte also sowohl an den Plan des Arbeitskreises für Gegenwartsfragen wie an die Forderungen des Evangelischen Kirchbautages an und schlug einen zunächst gut gangbaren Weg ein. Auf solchen leibhaften Erfahrungen der Teilnehmer konnten die beiden Hauptreferate des Seminars gut aufbauen. Der Mannheimer Architekt Helmut Striffler, Professor an der Darmstädter Technischen Hochschule und langjähriger Mitarbeiter des Evangelischen Kirchbautages, ging von den Urformen menschlicher Baukunst aus, untersuchte die vielseitigen Funktionen aller Architektur und belegte in einem instruktiven zweiten Teil des mehrstündigen Referates seine theoretischen Konzeptionen durch die Analyse einiger von ihm selbst gebauter Kirchen. Aus der Fülle der Überlegungen können nur wenige Gedanken beispielhaft wiedergegeben werden: Architektur ist immer auch Bild und daher nur ganzheitlich zu erfahren. Sie stiftet Bezüge zum Ort eines Geschehens, ermöglicht sowohl Offenheit wie Widerstand und grenzt an die Dimension der Dauer, Eigenschaften, mit denen sich später Propst Zippert als Liturg auseinanderzusetzen hatte. Striffler sprach ausführlich davon, wie notwendig gerade in der heutigen Situation der abgegrenzte Ort der Kirche ist als ein solcher, der bewußt ausgespart ist und in Verzicht und Armut nicht an der zivilisatorischen Welt teilnimmt, der als der kleine und menschliche unser Innerstes erreichen soll, der uns anrührt, weil er heil und bei aller Mobilität fest und widerständig gegen Manipulationen geblieben ist, wo man aus dem Sichtbaren das Verborgene folgern kann und wo man hört, wie der Raum das Wort annimmt: „Im Raum ereignet sich das Unräumliche” (Ulrich Conrads). Die Entwicklung seiner eigenen Kirchenbauten charakterisierte Striffler als einen Lernprozeß des Architekten und erinnerte damit an die Reihe von Versuchen der Nachkriegsjahrzehnte, den Kirchenbau unter wechselnde Leitgedanken zu stellen: Liturgie als Baullerrin (als Wiederaufnahme von Thesen der Jahrhundertwende), Kirche als Zelt des wandernden Gottesvolkes, „Inselnde Kirche” und ähnliches. Als ein jüngstes Beispiel seiner architektonischen Gedanken erläuterte er die Zusammenhänge von Architektur und kirchlichem Handeln an der von ihm gebauten Kapelle des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Einige der im Seminar gewonnenen Einsichten und Forderungen wurden zu einem Memorandum zusammengefaßt. Es spricht vom Wechselspiel zwischen lebendiger Liturgie und gestaltetem Raum, vom Umgang mit dem Raum als notwendigem Erfahrungs- und Lernprozeß, erhebt vielseitige Kommunikation im Kirchenraum zur Forderung und weist auf die Bedeutung von Raumerlebnissen, bildhaften Vorstellungen und Handlungsmodellen hin, die als Zeichen der Beziehung zu Christus „prophetisch” aufgeschlossen werden sollten. Es fordert eine von allen diesen Elementen erfüllte Aus- und Fortbildung der Theologen. Ausdrücklich wird betont, daß dies einer breiten begleitenden Arbeit von Instituten bedarf, die das aus christlicher Tradition ebenso wie aus der Gegenwart kommende religiös relevante Kulturgut erschließen und vermitteln. Zu ihnen zählt neben dem ökumenisch orientierten Institut für Kirchenbau und sakrale Kunst an der Wiener Kunstakademie (Professor Herbert Muck) und dem reformierten Liturgiewissenschaftlichen Institut in Groningen auf evangelischer Seite vor allem das (EKD-)Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg (Professor Horst Schwebel). Mit den Fortbildungseinrichtungen der EKD ist ein Gespräch im Gang über die Verwirklichung der von den verschiedenen Seiten gegebenen Anregungen. Ob dieser Bericht über „Liturgie und Kirchenraum” auch als eine erneute Frage an die Evangelische Michaelsbruderschaft verstanden wird? Quatember 1982, S. 86-90 |
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