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Die Dreifaltigkeitsikone des Andrej Rubljow
von Ludolf Müller

LeerDiese Ikone ist vielleicht die schönste, jedenfalls aber die bekannteste und berühmteste unter den russischen Ikonen. Sie nimmt auch insofern eine Sonderstellung ein, als wir die Zeit und den Ort ihrer Entstehung und sogar den Namen des Malers kennen.

DreifaltigkeitsikoneAndrej Rubljow (gesprochen Andrej Rubljoff) hat sie um 1425 für die Dreifaltigkeitskirche im Dreifaltigkeitskloster des heiligen Ssergij („Troitze Ssergijewa Lawra”) in dem heutigen Sagorsk, etwa 75 km von Moskau entfernt, gemalt.

LeerDargestellt ist auf der Ikone die heilige Dreifaltigkeit unter der Gestalt der „drei Männer”, die nach dem Bericht von 1. Mose 18 dem Abraham im Hain Mamre erschienen sind. Schon seit der Mitte des ersten Jahrtausends haben christliche Theologen die Meinung vertreten, daß in den drei Engeln die dreifaltige Gottheit selbst dem Abraham erschienen sei. Besonders in der Ostkirche fand diese Auffassung weite Verbreitung. Ein griechischer Theologe schrieb im 12. Jahrhundert: „Welchem Gast bereitest du (Abraham) den Tisch? Der Dreifaltigkeit selbst!” Aber auch in Luthers Bibelübersetzung wird die Geschichte so gedeutet, wenn in einer Randglosse zu 1. Mose 18 erklärt wird: „Vor einem fällt er (Abraham) nieder und redet auch als mit einem und doch mit dreien. Da ist die Dreifaltigkeit in Gott angezeigt.” Nicht nur die Dreizahl der „Männer” oder Engel, die Abraham besuchen und nicht nur der Wechsel zwischen „Du” und „Ihr” in der Anrede dieser Männer durch Abraham gibt dem in 1. Mose 18 berichteten Geschehen seine theologische Bedeutung. Die Geburt des Sohnes, die Abraham und Sara hier verheißen wird, weist über Isaak hinaus auf den einen fernen Nachkommen Abrahams, Christus (Gal. 3,16) und so ist die Erscheinung der drei Engel bei Abraham in gewisser Hinsicht der Beginn der Fleischwerdung des ewigen Sohnes Gottes in Jesus Christus.

LeerDa Andrej Rubljow mit der Darstellung dieser Szene etwas vom Wesen der göttlichen Trinität mitteilen wollte, hat er alles historisch Zufällige weggelassen und sich auf das beschränkt, was in jener Szene sinntragend war, was auf das Wesen der Gottheit, auf die Einheit der drei Gestalten und auf die Eigenheit einer jeden von ihnen hinwies. Darum fehlen auf unserer Ikone Abraham und Sara; aus den „Männern”, die das leibliche Auge Abrahams gesehen hat, sind Engel geworden, die nur das Auge des Glaubens sieht; der Tisch ist nicht für ein wirkliches Gastmahl gedeckt; nicht mit Abraham unterhalten sich die Engel, wie in der Bibel erzählt wird, sondern miteinander reden sie im stummen Gespräch der Augen und der Hände. Was sagt das Bild nun aus über das Wesen der göttlichen Dreieinigkeit?

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LeerDie Ewigkeit der dreieinigen Gottheit findet Ausdruck in der geometrischen Figur des Kreises, die auf der Ikone vielfach abgewandelt vorhanden ist: in den wie mit dem Zirkel gezogenen Heiligenscheinen der Engel, in der halbkreisförmigen Öffnung der Flügel nach oben hin und vor allem in dem unsichtbaren Kreis, in den alle drei Engel eingeschrieben sind.

LeerDie Dreiheit Gottes findet vor allem in der Dreiheit der Engelsgestalten Ausdruck. Aus der Dreiheit der Gestalten ergibt sich wie von selbst eine Dreieckskomposition im Aufbau der Ikone, und diese vielfach abgewandelten Dreiecke sind wiederum ein Hinweis auf die Trinität. Ein solches Dreieck bilden etwa die drei Köpfe der Engel oder die hintere Kante des Tisches mit der dahinter sitzenden Gestalt des mittleren Engels oder dessen blaues Übergewand oder die Gewandfalten unter der linken Hand des grüngewandeten Engels.

LeerDaß die drei eine Einheit bilden, wird für den Betrachter deutlich aus der schon genannten Tatsache, daß sie alle drei in einen Kreis hineinkomponiert sind, und durch die enge Gemeinschaft, in der sie durch die Sprache der Blicke und der Hände miteinander verbunden sind, worüber noch gesprochen werden muß.

LeerUm diese Sprache und das Thema und den Inhalt des Gespräches recht zu verstehen, müssen wir zuvor wissen, welche Gestalt der Gottheit durch welchen der Engel vergegenwärtigt wird. Über diesen Punkt gehen die Meinungen der Gelehrten weit auseinander. Nicht nur, daß diese Frage verschieden beantwortet wird - manche meinen auch, man dürfe sie gar nicht stellen. Der Künstler habe nur die Einheit in der Dreiheit, die vollkommene innere Übereinstimmung und Harmonie der drei Gestalten und die völlige Gleichheit ihres Wesens darstellen wollen. Aber wer so sagt, übersieht einen wichtigen Bestandteil der kirchlichen Lehre von der Trinität. Nach der Lehre der Kirche dürfen die drei Gestalten nicht voneinander getrennt, aber sie müssen voneinander unterschieden werden. Das göttliche Wesen ist ihnen gemeinsam, aber neben dieser Gemeinsamkeit im Wesen haben sie jede ihre Besonderheit, die sie von den beiden anderen unterscheidet, und wie die Einheit des Wesens nicht zerrissen werden darf, so dürfen die Besonderheiten nicht vermischt werden. Darum hat Rubljow die drei Engel deutlich voneinander unterschieden: durch ihr Gewand, durch die Bewegung der Köpfe und der Augen, durch die Haltung und Bewegung der Hände und der Finger, durch die Anordnung der Sitze und durch die Gegenstände, die hinter und über den Gestalten gezeichnet sind. Diese Unterscheidungsmerkmale sind vom Maler gewiß nicht beliebig gewählt, ohne Zweifel hat er sich bemüht, in dem, was die Engel voneinander unterscheidet, das darzustellen oder mindestens anzudeuten, was die Besonderheit der entsprechenden Gestalt der Gottheit ausmacht. In welchem der Engel hat er nun den Vater, in welchem den Sohn, in welchem den Heiligen Geist zeigen wollen?

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LeerEntgegen der heute herrschenden Auffassung bin ich der Meinung, daß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, der rechts von ihm sitzende (vom Betrachter aus gesehen der linke) den Heiligen Geist, der links von ihm sitzende (vom Betrachter aus gesehen der rechte) den Sohn. Wenn diese Deutung heute auch nicht allgemein anerkannt ist, so stehe ich mit ihr doch auch durchaus nicht allein. So hat etwa Oskar Planck sie mit guten Gründen vertreten, wenn er schrieb: „Der Anstoß (zu dem innergöttlichen Gespräch, das auf der Ikone dargestellt ist,) geht von der mittleren Person aus, deren Gesicht Kummer und Erbarmen ausdrückt. Sie ist mit ihrem Körper der Person rechts vom Beschauer zugewandt, die in demütiger Haltung auf den Bescheid zu warten scheint; vorher aber wendet sie den Kopf fragend der Gestalt links zu und wartet auf ihre Antwort. Deren Haltung ist ernst, gesammelt, nachdenklich, ihre Gebärde drückt Zustimmung aus. Sie erhebt segnend die Rechte, so daß die mittlere Gestalt sich bereits anschickt, die Opferschale zu segnen. Beider Hände sind auf die Gestalt rechts ausgerichtet. Diese dritte Gestalt drückt in ihrer Haltung aus, daß sie willens ist, das Opfer auf sich zu nehmen. In der rechten Gestalt sehe ich den gehorsamsbereiten Sohn. Die mittlere Gestalt im goldverbrämten purpurnen Untergewand, welche die beiden anderen um Haupteslänge überragt und in der Tafelrunde gleichsam präsidiert, ist dann Gott Vater und die Gestalt links, mit der er sich berät, der Heilige Geist.” (In: „Quatember”, 1969/70, S. 80 f. Leider hat Oskar Planck gegenüber dem Widerspruch von Haeblers dann allzu schnell auf seine wohl begründete Deutung verzichtet.)

LeerDaß der mittlere Engel Gott-Vater symbolisiert, geht für den unbefangenen Betrachter schon aus der Anordnung der Sitzenden hervor. Immer wird auf dreigliedrigen Ikonen der Höchstgeehrte in die Mitte gesetzt. Und daß Gott-Vater unter den drei Gestalten der Trinität - bei aller Betonung ihrer Gleichheit - der Höchstgeehrte ist, das wird in der Ostkirche mit großem Nachdruck gelehrt, anders als in den Kirchen des Westens, wo der Rangunterschied zwischen dem Vater auf der einen und dem Sohn und dem Heiligen Geht auf der anderen Seite durch das filioque gemildert und verringert ist jenen Zusatz, den die westliche Kirche in das Nizänische Glaubensbekenntnis eingefügt hat, nach dem der Geist nicht „vom Vater allein”, sondern „vom Vater und vom Sohne” ausgeht. Der Vater ist für den östlichen Theologen „der Ursprung und die Ursache alles Seins” - auch des göttlichen Seins. Von ihm wird der Sohn geboren und von ihm (von ihm allein!) geht der Geist aus, während er selbst ungeboren ist und nicht „ausgeht”. Auf der Ikone Rubljows ist der mittlere Engel die Urquelle der inneren Bewegung, die - bei aller Ruhe, die über der Szene liegt - spürbar durch das Bild hindurchgeht: Von ihm geht der Blick zu dem rechts von ihm sitzenden Engel; dessen Blick geht weiter zu dem ihm gegenübersitzenden, grüngewandeten; dieser aber schaut hinab zum Kelch. Läßt man die Bewegung der Blicke bei dem (vom Betrachter aus gesehen) linken Engel beginnen, so erfaßt die Bewegung der Blicke nicht alle drei Engel, sondern dann sitzt der mittlere als Zuschauer dabei.

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LeerWas mag der Inhalt des stummen Gesprächs sein, das die drei Engel miteinander führen? Wir hörten ja schon, daß es in der Erscheinung der drei Männer bei Abraham im Hain Mamre im Grunde um den Beginn der Inkarnation, um die Sendung des ewigen Sohnes in die Welt geht. Der mittlere Engel, der Gott-Vater symbolisiert, fragt gleichsam: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?” (vgl. Jes. 6,8). So fragend schaut er den rechts von ihm sitzenden Engel (den Heiligen Geist) an; und dieser antwortet, indem er hinüberschaut zu dem links vom Vater sitzenden, den Sohn, der im Gehorsam sein Haupt senkt und hinabschaut zu dem Kelch, der ihm verordnet ist. Die Bewegung und Haltung der Hände der Engel ergänzt und verstärkt das, was die Blicke sagen. In der wissenschaftlichen Literatur über unsere Ikone ist häufig behauptet worden, alle drei Engel segneten den Kelch. Aber das ist nicht richtig. Hier ist zunächst eine Korrektur an der heutigen Form der Zeichnung der rechten Hand des mittleren Engels vorzunehmen. Ursprünglich war hier nur der Zeigefinger ausgestreckt; der Mittelfinger ist bei der Restaurierung der Ikone im Jahre 1904 fehlerhaft hinzugemalt worden; ursprünglich war er, wie der kleine und der Ringfinger, zurückgebogen. Durch diese fehlerhafte Restaurierung ist aus dem Zeigegestus des mittleren Engels ein Segensgestus geworden. Andrej Rubljow wollte etwas anderes sagen, als die Ikone in der heutigen Form auszusagen scheint: Während der Kopf des mittleren (den Vater symbolisierenden) Engels fragend dem Geist zugewandt ist, weist sein Finger, die Antwort des Geistes im voraus wissend, schon auf den Sohn. Nur der rechts vom Vater sitzende Engel hat die Finger im Segensgestus zusammengelegt: Der Heilige Geist segnet den ewigen Sohn zum Weg des Leidens; dieser erhebt seine Hand mit zusammengelegten Fingern zu dem Kelch, auf den auch seine Augen gerichtet sind, und drückt damit die Bereitschaft aus, ihn im Gehorsam anzunehmen. Auch die Haltung seines Körpers, der sich in Richtung der beiden anderen Engel beugt (während diese aufrecht sitzen) deutet auf diese Bereitschaft zum Gehorsam, die Bereitschaft, den Weg des Leidens zu gehen.

LeerAuch durch die Farben wird sowohl die Gemeinsamkeit der göttlichen Natur wie auch die Besonderheit der drei Personen gekennzeichnet. Gemeinsam ist ihnen das Gold - Symbol der himmlischen Herrlichkeit - und das Blau - die Farbe des Himmels, wie wir ihn sehen. Beim Vater ist dieses Blau am stärksten, am deutlichsten zu sehen: Die Göttlichkeit des Vaters ist gleichsam unabweisbar, sie ist augenfällig. Die Besonderheit des Vaters als des Höchstgeehrten ist weiterhin der Purpur - Farbe der Herrschaft, und auch der goldene Streifen auf der rechten Schulter zeigt den triumphierenden Herrscher.

LeerBeim Heiligen Geist ist das Blau der Gottheit weitgehend verhüllt. In sichtbare Erscheinung tritt der Geist in der Form feuriger Zungen; die rötliche Farbe des Feuers zeigt ihn in seiner Besonderheit.

LeerDie Besonderheit des Sohnes ist, daß er herabgekommen ist auf diese unsere grüne Erde, er hat die Farbe des Irdischen angenommen, die beiden Naturen, die göttliche und die irdische, sind durch scharfe, gerade Linien voneinander getrennt; sein Stab bildet zusammen mit der Kante des Obergewandes genau die Form des „X” - im Griechischen wie im Slawischen der erste Buchstabe des Würdenamens „Christos”.

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LeerHinter jeder der drei Gestalten befindet sich ein ihr zugeordneter Gegenstand: hinter dem Vater der Baum des Lebens, den er in seiner Schöpferallmacht gepflanzt hat; hinter dem Engel zu seiner Rechten ein Haus - das Haus der Kirche, in der der Heilige Geist in der Welt gegenwärtig ist; und hinter dem Sohn der Berg - Sinnbild des Berges Golgatha, auf dem der Sohn seinen Leidensweg vollendet.

LeerEin Gegenstand ist den drei Gestalten gemeinsam, aber dem Sohn doch in besonderer Weise zugeordnet: der Kelch auf dem Tisch. Es ist nicht die Eßschüssel eines Gastmahls, sondern Symbol für den Kelch der Eucharistie, in dem das Opfer des ewigen Sohnes, das hier im Rat der Trinität beschlossen wird, sich in jeder auf der Erde gefeierten „göttlichen Liturgie” für den Gläubigen erneuert. In dem Kelch liegt der Kopf eines Tieres - offenbar ist es der Kopf des von Abraham geschlachteten Kalbes, das ein Hinweis ist auf das Opfer des Sohnes. Die Öffnung in der Vorderseite des Tisches zeigt, daß dies kein gewöhnlicher Tisch, sondern daß er Symbol des eucharistischen Altares ist, der eine solche Öffnung besitzt zur Aufnahme der Reliquien, die bei keinem Altar fehlen dürfen.

LeerWährend der mittlere und der rechte Engel nahe zusammengerückt sind, so daß ihre Flügel sich überschneiden, ist der linke Engel von den beiden anderen durch eine feine Scheidelinie getrennt: Er ist hinweggegangen von Vater und Geist in die Einsamkeit des Erdenlebens, in die Verlassenheit von Gethsemane und Golgatha. Er sitzt auch tiefer als der Geist, sein Stuhl ist niedriger: „Ist er doch eine kleine Zeit niedriger gewesen” (Hebr. 2,9) - nicht nur als Vater und Geist, sondern sogar „als die Engel” (ebenda); und eben dieser Augenblick wird hier ja dargestellt: der, in dem der Sohn hinabgeht in die Niedrigkeit. Darum sitzt er hier auch nicht zur Rechten des Vaters - dorthin erhebt er sich dereinst, wenn er den Weg durch die Menschwerdung, das Leiden und den Tod gegangen ist; jetzt liegt dieser Weg vor ihm, und darum sitzt er jetzt niedrig und zur Linken des Vaters.

LeerSo besteht die Einheit des Wesens in der Dreiheit der Gestalten nicht nur darin, daß diese drei Gestalten in einen Kreis hineingeschrieben sind, sondern sie besteht in tieferer Weise darin, daß sie in vollkommener innerer Gemeinschaft, in der Gemeinschaft des gleichen Willens und Wollens, in der Gemeinschaft vollkommener Liebe miteinander verbunden sind. Diese Liebe aber ist nicht eine solche, die sich beschränkt auf den Kreis der Liebenden, die sich in diesem Kreise selbstzufrieden nach außen hin abschließt. Die Blicke des Sohnes gehen nicht zurück zum Vater; obwohl er dem Vater aufs innigste verbunden ist, schaut er hinab zu dem Kelch, der ihm verordnet, zu der Welt, die zu retten, zu der Erde, auf der zu leiden er berufen ist. Die Liebe der trinitarischen Gottheit vollendet sich im Opfer.

© Prof. Dr. Dr. Ludolf Müller
Quatember 1982, S. 133-138

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-29
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