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Seid nüchtern!
von Karl-Bernhard Ritter

LeerIm Osterbrief 1933 des Berneuchener Kreises lesen wir auf der letzten Seite -offenbar kurz vor Redaktionsschluß noch hinzugefügt - den hier abgedruckten Beitrag von Karl Bernhard Ritter. Der Schriftleiter Wilhelm Thomas bemerkt dazu: „Wir schließen diesen Osterbrief mit einem Wort, das K. B. Ritter am Tage der Reichtagswahl in einer Predigt über die Losung der Woche (Invokavit) gesprochen hat.”

LeerDie Gefahr mangelnder Nüchternheit ist gerade in unserer Zeit groß, in einer so erregten, wirren Zeit, in der alle Werte neu auf ihre Geltung geprüft werden, in der eine neue Ordnung des Lebens erst wieder aufgerichtet werden soll. Gerade dort, wo Menschen in das Leben und seine Verantwortung neu eintreten, wo Schauer der Erregung, die Luft des Kampfes, lebendige Hoffnung, brennende Sehnsüchte die Herzen überfallen, gerade in der Jugend fehlt diese Nüchternheit. Und sie ist leicht geneigt, dem, der zur Nüchternheit mahnt, Mangel an Begeisterungsfähigkeit, an Bereitschaft zur Hingabe vorzuwerfen. Aber wohlgemerkt, es gibt zweierlei Nüchternheit: die Nüchternheit innerster Unlebendigkeit, der Enge des Herzens und des Gemütes, und die Nüchternheit tiefer heiliger, wacher Verantwortung, der Strenge und Reife des Willens und der Erkenntnis. Wer Großes will, gerade der braucht diese Nüchternheit, die unterscheidet, was ist und was noch nicht ist - und vor allem, die einsieht, was wir selbst sind und was wir noch nicht sind. Solche Nüchternheit wird durch Demut geschenkt, die sich vor Gott gestellt weiß, die sich willig dem Gericht der Selbstprüfung unterzieht. In der Klarheit, die uns im Angesichte Gottes geschenkt wird, da allein sind wir vor jener Selbstüberschatzung und Eitelkeit geschützt, die so leicht von fremder Schuld spricht und die eigene Buße versäumt. Welchen besseren Dienst könnte die Kirche unserem Volke in der gegenwärtigen Stunde tun, als daß sie ihm - auf die Gefahr hin, völlig mißverstanden zu werden, - zuruft: Kämpft euren politischen Kampf, wie ihr ihn verantworten könnt und müßt, mit all den Mitteln, die ihr glaubt verantworten zu können, aber laßt das Christentum und die Kirche aus diesem Kampf heraus. Denn hier geht es um eine höhere Instanz, die notwendig anders handelt und urteilt, als es im politischen Kampfe geschieht. Christus klagt nicht an und richtet nicht, sondern er trägt die Not und Schuld und Sünde der ganzen Menschheit, unser aller Sünde an seinem Leibe an das Kreuz. Sein Wille ist nicht das Richten, sondern das Helfen und Freimachen von aller Sündennot. Die letzte entscheidende Aufgabe, die uns gestellt ist, ist schwerer zu lösen und will in anderer Tiefe in Angriff genommen sein, als ein politischer Kampf.

Quatember 1983, S. 46-47

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-01
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