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„Zur Hoffnung berufen” Taizé nach über dreißig Jahren
von Heinz Hahn

LeerGegenüber allen pessimistischen Tendenzen unserer Zeit gibt es auch heute noch viele Orte und Gelegenheiten, wo das Leitwort eines evangelischen Kirchentages - „Zur Hoffnung berufen” - nicht nur als ein frommer Wunsch, sondern als entscheidender Aufruf und richtungsweisender Weg verstanden wird. Taizé und das Konzil der Jugend ist sicherlich eines der lebendigsten Zeichen davon. Warum kommen das ganze Jahr hindurch so viele Jugendliche aus allen Ländern auf diesen Hügel in Südburgund und nicht weit von Cluny, wo schon einmal vor achthundert Jahren der Geist der Erneuerung und Hoffnung wie ein neues Pfingstfeuer zu wehen begann? Ist es der Geist des Festes, der das Leben von dreitausend jungen Menschen in den Sommermonaten Woche für Woche prägt? Ein Fest, das ihre Unruhe nicht überspielt und betäubt, wie es anderswo teilweise so geschickt vermarktet wird, sondern ein Klima schafft, in dem sich jeder wiederfindet und brüderliche Kontakte knüpfen kann. Gelebte Solidarität, auch wenn man weder die gleiche Sprache spricht, noch dieselbe Hautfarbe hat. Ein Fest, in dessen Mitte der auferstandene Christus steht und von den Gesichtern ausstrahlt, wenn sie erfüllt vom Geist der Hoffnung wieder in ihren Alltag zurückkehren.

LeerSo wie Franz von Assisi und Ignatius von Loyola in heiliger Sendung zuerst gleichgesinnte Brüder um sich scharten, so rief Frère Roger Schutz nach zwei Jahren Einsamkeit am Ende des Zweiten Weltkrieges eine monastische Gemeinschaft ins Leben und stellte sich mit ihr der menschlichen Not in der damaligen Zeit. An Ostern 1949 binden sie sich zum gemeinsamen Leben einer Communauté in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam. Zuerst junge Männer aus verschiedenen evangelischen Kirchen, heute schon hundert aus zwanzig verschiedenen Ländern, auch katholische Christen, die die Einheit im Glauben praktizieren. Ein Teil von ihnen lebt in kleinen Fraternitäten in den Elendsvierteln dieser Welt, um mit den Ärmsten der Armen ihre Lebensbedingungen zu teilen und mit ihnen nach Initiativen zu suchen. Seit 1966 haben Schwestern einer katholischen Kongregation im Geiste des Jesuitenordens die Betreuung des Empfangs in Taizé übernommen. Als nach den Jahren der Vorbereitung auf den Dienst an den Menschen immer mehr Jugendliche nach Taizé strömen, entsteht die Idee, ein „Konzil der Jugend” zu verwirklichen, getragen von der Gewißheit: „Der auferstandene Christus bereitet uns einen Frühling der Kirche.” So kommen 1974 bereits vierzigtausend Jugendliche aus hundert Ländern der Erde zur Eröffnung dieses Konzils. Mit dem „Ersten Brief an das Volk Gottes” werden die Kirchen zu einer „universellen Gemeinschaft des Miteinanderteilens” aufgerufen. 1975 und 1976 wird diese Botschaft in Konzilsfeiern über die ganze Erde getragen, wobei sich die Brüder mit Jugendlichen besonders in den von Not und Elend betroffenen Ländern treffen, um bei den „Allerärmsten, die zum Schweigen verurteilt sind”, Antworten zu den brennenden Anliegen zu suchen. Es galt, die Christen in „die Radikalität des Evangeliums hineinzunehmen und aus dem eigenen Leben durch konkretes Handeln ein Gleichnis des Miteinanderteilens zu machen, ganz gleich, was es immer kosten mag.” Zur Verwirklichung der teilweise lebensverändernden Forderungen soll innerhalb von sieben Jahren alles, was nicht unbedingt zum Leben erforderlich ist, aufgegeben werden.

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LeerAngesichts der Notwendigkeit einer Kirche und eines jugendgemäßen und zeitorientierten Kirchenverständnisses stellt Prior Roger im Sinne der Einheit aller Christen die Frage nach einem sichtbaren Zentrum, einem Hirten für alle und einer Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom und setzt damit ein konkretes Ziel für die teilweise fruchtlosen ökumenischen Gespräche.

LeerMit dem „Europäischen Treffen” in Paris beginnt 1978 ein neuer Abschnitt des Konzils der Jugend. Fünfzehntausend Jugendliche vernehmen die „konkreten Akte”, nach denen sich die Gemeinden in „Orte der Versöhnung” verwandeln sollen, um das kirchliche Leben zu einer „Familie der Familien” zu gestalten. Im Herbst 1980 begann in den Vereinigten Staaten die Vorbereitung von Pilgerwegen, die mehrere Monate in Anspruch nahm. So trugen in New York gläubige Menschen aus allen Ursprungsländern in den fünf Stadtteilen das Kreuz von Bezirk zu Bezirk, von Gruppe zu Gruppe und vertieften die Gewißheit, daß man zwar von Haß und Gewalt umgeben ist, daß aber auch der heilende und versöhnende Geist der Liebe am Werke ist. Ebenso wurde dabei deutlich, daß Sichtreffen und Beten allein nicht genügt, sondern auch entsprechende Stellungnahmen auf städtischer und staatlicher Ebene nötig sind, um die bestehenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

LeerAuch in mehreren osteuropäischen Städten fanden in letzter Zeit Treffen statt, z. B. in Katowice, Polens wichtigstem Industriegebiet mit zwei Millionen Einwohnern. Das Kreuz war das sichtbare Zeichen, um das sich viele Gruppen versammelten. Auf der Jahreswallfahrt, zu der Hunderttausende schlesischer Bergleute gekommen waren, sprach Frère Roger. Anschließend reiste er nach Warschau, um an den Beisetzungsfeierlichkeiten für Kardinal Wyszynski teilzunehmen. Es wurde als ein Zeichen liebevoller Aufmerksamkeit angesehen, das für 1981 in Rom angekündigte europäische Treffen um ein Jahr zu verschieben, um den durch das Attentat behinderten Papst bis zur vollständigen Genesung zu entlasten. Stattdessen nahmen die Kirchen von London die zwanzigtausend anreisenden Jugendlichen mit offenen Armen auf. Die Times sprach von „der seit dem Zweiten Weltkrieg größten Ärmelkanalüberquerung”, und der Dekan von St. Pauls Cathedral stellte fest, daß noch niemals zuvor Westminster Abbey, Westminster Cathedral und seine Kirche etwas zusammen unternommen haben. Das gemeinsame Gebet, das jeden Abend die katholischen Teilnehmer in Westminster Cathedral vereinte, war von besonderem Ernst geprägt, weil die tausend Polen, auf die man bis zum Schluß vergebens gewartet hatte, nicht teilnehmen konnten. Hier waren es die Italiener, Skandinavier, Engländer, Nord- und Südirlander, in Westminster Abbey viertausend Deutschsprachige, sechshundert Jugoslawen und einige andere Sprachgruppen, und die größte Gruppe des Treffens bildeten die Spanier, Portugiesen, Belgier, Holländer, Franzosen und Schweizer in der anglikanischen St. Pauls Cathedral. Allein das Kommen so vieler junger Menschen war für die Londoner ein beredtes Zeichen der gemeinsamen Suche nach Versöhnung und Verzeihung, einmütig in der Fürbitte um den Weltfrieden.

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LeerIn Taizé ist inzwischen längst die romanische Dorfkirche zu klein geworden und die großräumige Versöhnungskirche wurde zum Mittel- und Ausgangspunkt des Zusammenlebens aller auf dem Hügel in Gebet, Meditation und Mahlfeier. Dreimal am Tag rufen die Glocken hinein in die zahlreichen Unterkünfte und Versammlungsstätten, und in einmaliger Haltung kommen sie zusammen: Gläubige und Suchende, „Christen, Juden und Heiden”, wie beim ersten Pfingstfest in Jerusalem. So stellt sich heute über dreißig Jahre nach Gründung der Communauté angesichts eines herausfordernden Aufbruchs der Jugend im Geist der christlichen Botschaft die Frage nach dem Echo und der Reaktion der Verantwortlichen in den verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften. Abgesehen von verschiedenen persönlichen Begegnungen zwischen Prior Roger und den Oberhäuptern verschiedener Kirchen, informativen Besuchen kirchlicher Repräsentanten in Taizé sowie wohlwollenden Äußerungen und privaten Initiativen erfolgte bisher noch keine offizielle Stellungnahme der „Amtskirchen”. Viel wurde in den letzten Jahren auch mit katholischen Bischöfen über den „Prototyp einer gemeinsamen Weltautorität” gesprochen: keine zweite Weltorganisation wie die UN, keine Konkurrenz zu bestehenden Institutionen, vielmehr eine weltweite moralische Autorität als Mahnung und Gewissen der Menschheit mit der Zielsetzung, dem Frieden unter den Völkern und ihrer Fortentwicklung im Sinne einer neuen Weltordnung zu dienen. Es wurden verschiedene Leute zu dieser Idee befragt und wichtige Anregungen kamen dabei aus osteuropäischen Ländern. Aus den eingegangenen Vorschlägen ergab sich, daß diese Weltautorität auf jeden Fall den Auftrag hat, die Ursachen von drohenden Kriegen und die der Leiden der Menschheitsfamilie aufzudecken. Frère Roger kündigte an, daß die vorbereitende Gruppe zunächst aus Vertretern jedes Kontinents bestehen wird: einem jungen Bangladeshi für Asien, einem jungen Arbeiter aus einem afrikanischen Slum, einem jungen Zentralamerikaner, einer jungen Indianerin aus Nordamerika und einer einundachtzigjährigen Polin, die während des Zweiten Weltkrieges im Widerstand gearbeitet hat.

LeerDie Suche nach Frieden und Versöhnung, nach neuen Wegen des Miteinanderteilens und nach einer Kirche, die durch das Gebet der Jugend lebendiger wird, bestimmte das große europäische Jugendtreffen am Jahresende 1982 in Rom. Fünfundzwanzigtausend junge Christen der verschiedenen Konfessionen, darunter siebentausend deutschsprachige, waren dem Aufruf von Taizé gefolgt, zwischen Weihnachten und Neujahr Tag für Tag in den Kirchen Roms für dieses Anliegen zu beten und in gemeinsamen Gesprächen Wege zur Verwirklichung zu suchen. Schriftlich formuliert wurde der Geist der Einfachheit und der Versöhnung in dem „Aufruf an die Kirchen”, in dem Frère Roger Schutz einen einfachen Lebensstil im persönlichen Bereich und möglichst wenig Aufwand in der Kirchenverwaltung fordert und betont, daß die Versöhnung der Christen keinen Aufschub dulde. Das Treffen in Rom war eine wichtige Station auf dem Pilgerweg der Versöhnung, der bis zum großen Welttreffen im August 1985 in Taizé an zahlreichen Orten der Welt weitergeführt wird. Höhepunkt des Treffens war ein Gebetsgottesdienst mit Papst Johannes Paul II. am 30. Dezember. In seiner Ansprache forderte der Papst die Jugendlichen auf, das Böse durch das Gute zu besiegen. „Habt keine Angst: reißt die Türen auf für Christus”, rief der Papst den jungen Menschen zu.

Quatember 1983, S. 108-110

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-03
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