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Jubiläum und Neuanfang in Kirchberg
von Jürgen Boeckh

Leer„Sicher ist es ein Altersheim”, meinten Mitglieder eines württembergischen Pfarrkonventes, die vor etwa 20 Jahren bei einer Wanderung „den Kirchberg” entdeckten. Ein Pastor aus Westfalen, der als Gast dabei war, wußte es besser; aber als er von einer evangelischen Bruderschaft sprach, die dieses Haus mit weiteren Freunden begonnen hatte neu - und doch im Anschluß an alte klösterliche Tradition - einzurichten, wollten viele nicht glauben, daß es so etwas gibt. Ja, nicht einmal die Existenz des ehemaligen Dominikanerinnenklosters war vor 25 Jahren in der näheren Umgebung bekannt. Kein Hinweisschild zeigte nach Kirchberg, und in den umliegenden Dörfern war es schwer, eine Auskunft zu bekommen. Einige Jahre später sprach man in der Umgebung von der „Sekte droben auf dem Kirchberg”. Nun, im Schwabenland, wo schon manche merkwürdigen Gemeinschaften entstanden sind und auch heute existieren, ist solch eine Vermutung verständlich. Hier allerdings haben wir es gerade mit dem Gegenteil einer Sekte zu tun! Die Berneuchener Bewegung, aus der die Evangelische Michaelsbruderschaft und der Berneuchener Dienst erwachsen sind, versucht seit jeher, die sektenhafte Vereinigung der Konfessionskirchen und auch ein sektiererisches Leben der einzelnen Christen zu überwinden. Dafür ist das „Berneuchener Haus” auf dem Kirchberg ein beredtes Zeugnis.

LeerIn seinem Grußwort zum 25jährigen Bestehen des Hauses sagte Dr. Reinhard Mumm, Ältester der Evangelischen Michaelsbruderschaft im West-Bereich: „Die Einladung zu diesem Pfingstfest 1983, geschmückt mit der Federzeichnung eines schmiedeeisernen Kreuzes vom Dachfirst, nennt zuerst das ‚ 25-jährige Bestehen des Berneuchener Hauses Kloster Kirchberg’ - ‚ Berneuchener  H a u s ’ haben die Brüder und Vater diesen Ort genannt, als sie 1958 anfingen, hier ein neues geistliches Leben zu beginnen. Das war kein Einfall eines Augenblickes, sondern dahinter stand die Erkenntnis: Wo Gottes Volk lebt, braucht es ein Haus. Oder noch deutlicher: Die christliche Gemeinde ist selbst das Haus. ‚ Christus war treu als Sohn über sein Haus. Dessen Haus sind wir, wenn wir das Vertrauen und den Ruhm der Hoffnung bis ans Ende fest behalten’ , heißt es im Brief an die Hebräer (3,6). Von Anfang an, seit die Evangelische Michaelsbruderschaft 1931 in Marburg gestiftet wurde, ging das Sehnen und Streben der Brüder nach einem Haus, nach einer sichtbaren, leibhaften Verwirklichung. Denn Geist und Leib gehören zusammen. Leiblichkeit sei das Ende der Wege Gottes, hat der schwäbische Kirchenvater Oetinger gesagt, und darum braucht eine Bruderschaft, wenn sie geistlich leben will, ein Haus ...”

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LeerWie wenig „sektenhaft” dieses Haus ist, weiß jeder, der schon da war, oder der auch nur in das Jahresprogramm hineinschaut. Reinhard Mumm bestätigte es mit den folgenden Worten:

Leer„Das griechische Wort für ‚ Haus’ im Neuen Testament, oikos, hängt zusammen mit dem Wort Ökumene. Seit der 10-Jahresfeier, die wir 1968 hier erlebten, ist etwas Neues dem ‚ Berneuchener Haus Kloster Kirchberg’ zugewachsen, ein Dienst an der Ökumene. Hier an diesem stillen Ort fanden weltweite Begegnungen statt. Der russisch-orthodoxe Metropolit Nikodim war hier und der katholische Kardinal Jaeger. Viele Bischöfe, Professoren, Theologen und Laien aus fernen Ländern sind hier eingekehrt. Bruderschaften, Schwesternschaften, Kommunitäten und Orden haben sich in Kirchberg getroffen und hier ein Haus im Geist des Evangeliums erlebt, ein Haus des Gebetes und der menschlichen Nähe, eingebettet in die Schöpfung Gottes. Oikos und Oikumene, Haus und weltweite Christenheit sind hier miteinander verbunden.”

LeerDaß mit dem Stundengebet, wie es viermal am Tage von der Hausgemeinde gehalten wird, eine alte Tradition wieder aufgenommen worden ist, hob besonders Frau Marga Sperling, die Leiterin des Berneuchener Dienstes, in ihrem Grußwort hervor. 570 Jahre lang haben die Dominikanerinnen auf dem Kirchberg das Stundengebet gehalten, einzelne noch über den Zeitpunkt der Säkularisation des Klosters hinaus. Es ergab sich, daß mit dem 25jahrigen Bestehen des „Berneuchener Hauses” zugleich der 250. Jahrestag der Errichtung des barocken Konventsgebäudes begangen werden konnte, das am 18. Mai 1979 ein Raub der Flammen wurde. Der jetzt fertiggestellte Wiederaufbau war der Hauptanlaß für die Pfingst-Feierwoche auf dem Kirchberg. Sie begann am 1. Feiertag mit der Eucharistiefeier, in der Dr. Hartmut Löwe die Predigt hielt, die in diesem Heft im Wortlaut abgedruckt ist. Die Festversammlung am Nachmittag begann mit einer Begrüßung durch den Vorsitzenden des „Vereins Berneuchener Haus”, den freien Architekten Harald Erichsen. Kloster und Kirche Ste. Foy zu Conques in der Auvergne, in gleicher Weise wie Kirchberg angelegt, dienten ihm als Ausgangspunkt, um etwas über das Berneuchener Haus, die Menschen, die daran gebaut haben und noch bauen - im buchstäblichen und im übertragenen Sinne - zu sagen: In den Gestalten eines dort erhaltenen Tympanons fand er uns, die wir auf dem Kirchberg beten und arbeiten, als Glieder der Hausgemeinde oder als vorübergehende Gaste, wieder.

LeerIm Mittelpunkt der Festversammlung stand die Ansprache des Leiters des Berneuchener Hauses, Pfarrer Hans Nickles. Es würde die Möglichkeiten unseres Berichtes sprengen, wollten wir im einzelnen wiedergeben, was hier alles an Erinnerungen und Dank, Wünschen und Hoffnungen ausgesprochen wurde. Wie sehr sich das Bild vom Kirchberg auch in seinem Umkreis gewandelt hat, wird schon dadurch deutlich, daß aus der Feder von Hans Nickles im „Schwarzwälder Boten” vom 20. Mai 1983 ein ausführlicher Bericht über Geschichte und Gegenwart dieses „Hauses der Stille” mit mehreren Bildern erscheinen konnte. Auch die „Südwestpresse” und die „Sulzer Zeitung” berichteten. Dem war es sicher auch zu verdanken, daß am Pfingstmontag, dem „Tag der offenen Tür”, vermutlich mehr als 1000 Menschen auf den Kirchberg kamen, um das neue Konventsgebäude, überhaupt die ganze Anlage, zu sehen und um informiert zu werden über das, was dort geschieht. Neben manchen Verteilschriften war auch der „Gang durch Kloster Kirchberg und seine Geschichte” wieder erhältlich.

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LeerDie Versammlung in dem festlichen, mit allen Stukkaturen wiederhergestellten Kapitelsaal erhielt dadurch noch eine besondere Note, daß zu Beginn, in der Mitte und am Ende das „Tübinger Streichquartett” spielte. Pfarrer Rudolf Raithelhuber, Konventsältester der württemberger Michaelsbrüder, führte durch das Programm, das somit nicht nur den Geist, sondern auch das Gemüt ansprach. Prälat Heinrich Leube konnte in seinem Grußwort bezeugen, daß „im Kloster Kirchberg .... eines der Herzen der württembergischen Landeskirche” schlägt. Schließlich war auch der erste Leiter des Hauses, der Michaelsbruder Oskar Planck, dessen in diesen Tagen in Gegenwart seiner Witwe öfter gedacht wurde, ein schwäbischer Pfarrer, wie auch sein Nachfolger Dekan Paul Rohleder. Unter den rund 150 geladenen Gasten befand sich auch Finanzminister a. D. Robert Gleichauf, der sofort nach dem Brand durch Einsatz beträchtlicher Mittel den Wiederaufbau des Konventgebäudes möglich gemacht hatte. Staatssekretar Heckmann vom württembergischen Finanzministerium rechtfertigte die Millioneninvestition des Staates mit dem „Respekt vor dem geschichtlichen Erbe” und der Verantwortung gegenüber einem „Kristallisationskern gelebten christlichen Glaubens”. „Eine sinnvolle Nutzung”, meinte der Bürgermeister von Sulz, Peter Vosseler, in seinem Grußwort, „gewährleistet einem Baudenkmal Schutz und sichert damit das Überleben.” Zwei der vorgesehenen Redner waren leider verhindert zu kommen: Domkapitular Hubert Buer von der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Hauptkonservator Dr. Wolfgang Stopfel vom Landesamt für Denkmalpflege. Beide hatten dafür Grußworte geschickt, die verlesen wurden. Der Wiederaufbau des Konventsgebäudes ist in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege geschehen, da ja das Land Württemberg-Baden Eigentümer ist, für „Dach und Fach” gestalterisch und finanziell verantwortlich, mitspracheberechtigt auch für den Innenausbau. Manches ist anders geworden, großzügiger. Der verbaute Gang in der ersten Etage wurde freigelegt, der Treppenaufgang an die alte Stelle versetzt, ein weiterer Aufgang - aus Sicherheitsgründen - außen neben den Resten des Kreuzgangs angefügt; dies allerdings nicht in Wiederherstellung des alten Zustandes, ebensowenig wie die komfortablen „Naßzellen” der neuen Gästezimmer, von denen die Nonnen noch nicht zu träumen wagten.

LeerDen Lesern unserer Zeitschrift, die unser Berneuchener Haus noch nicht kennen, rufe ich zu: „Kommt und seht!” Wir haben Grund, der Hausgemeinde zu danken, die im bleibenden Rhythmus des ORA ET LABOR A. die vergangenen vier Jahre durchgestanden hat. Es war ein glückliches Zusammentreffen in den Planungen für das Haus, daß kurz vor dem Großbrand als „2. Mann” neben dem Leiter des Hauses ein weiterer Michaelsbruder, Dipl.-Kaufmann Dr. rer. pol. Dieter Meinke, dafür gewonnen werden konnte, mit seiner Familie auf den Kirchberg zu ziehen und als Geschäftsführer des Berneuchener Hauses tätig zu werden: nicht ahnend, daß er in erster Linie als Bauleiter und Kalkulator für den Neuaufbau zu wirken hatte. Beiden, Hans Nickles und Dieter Meinke, soll auch an dieser Stelle ausdrücklich gedankt werden. Viele bedauern, daß Dr. Meinke das Berneuchener Haus nun wieder verläßt.

LeerAuch der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prof. Dr. Theodor Schober, der von diesem seinem Amt her und als „Kurator” der Evangelischen Michaelsbruderschaft mit Rat und Tat während der vergangenen vier Jahre geholfen hat, war am Pfingstfest zur Stelle. Von einem Kirchentag in Erfurt kommend brachte er das Leitwort „Vertrauen wagen!” mit.

LeerIm Blick auf manche Mängel der Kirche in unserem Land, zum Beispiel die noch immer andauernden „Kirchenaustritte”, sagte er: „Auf die Außenhaut der Kirche kommt's nicht an”, die Kirchberger sollten auch fortan „Ostern halten”, das heißt „den umgebrachten Tod feiern”

LeerGanz in diese Richtung zielte in der zweiten Hälfte der Pfingstwoche die Tagung „DER FRIEDE IST UNTER UNS, darum: gehalten in. Ängsten”. Sehr bewußt haben Hans Nickles, Konrat Weymann, Rudolf Müller-Schwefe und Max Schoch innerhalb der Feierwoche zu dieser Arbeitstagung eingeladen: Zeichen unserer Verantwortung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit heute. Zur Zeit steht noch nicht fest, ob ein besonderes Heft, in dem alle Beitrage dieser Tagung zu lesen sein werden, gedruckt werden kann. Davon wird es abhängen, wie umfangreich der Bericht in QUATEMBER sein wird.

Quatember 1983, S. 167-170

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-03
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