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von Georg Günter Blum |
Impressionen einer Pilgerreise zum heiligen Berg Sieben Tage auf dem Berge Athos, zu Fuß mit dem Rucksack auf steilen und steinigen Pfaden, über felsigen Meeresbuchten oder durch dichte, undurchdringliche Wälder, jeden Abend an der Pforte eines anderen Klosters, jeder Tag ein neuer Aufbruch, eine neue Begegnung -, was könnte ich alles erzählen! Von den vielfältigen Formen des Mönchtums auf dieser Halbinsel, die nach einem legendären Besuch der Jungfrau von ihren Bewohnern liebevoll „Insel der Gottesmutter” genannt wird, von den zwanzig Klöstern, die wie uralte Burgen oder kleine byzantinische Städte an der zerklüfteten Küste oder im Landesinneren liegen, von den zahlreichen Mönchsdörfern (Skiten), Gehöften (Kellien) und Einsiedeleien, die der Wanderer überall auf der Insel entdecken kann. Und jedes Kloster ebenso wie viele Skiten und Kellien birgt unermeßliche Schätze. Da ist das Katholikon, die Klosterkirche, der für den Athos typische Kreuzkuppelbau, und ihm gegenüber die Trapeza, der Speisesaal, und zahlreiche Kapellen, die sich malerisch im Klosterhof gruppieren. In all diesen Gebäuden ist die ganze Geschichte unseres Heils gegenwärtig. Bis zu ihrem letzten Winkel sind sie erfüllt mit uralten Fresken, mit zahlreichen Ikonen. Überall schauen sie dich an: Christus, der Pantokrator, der Allherrscher, die Mutter Gottes, die Propheten des alten Bundes, die Apostel, die Märtyrer, die heiligen Asketen und Büßer. Und überall der Geist tiefster Ehrfurcht und Liebe: Gläubige erweisen den Ikonen ihre Verehrung, küssen sie, fallen vor ihnen nieder, grüßen in ihnen das göttliche Urbild. - Ich könnte erzählen von den Reichtümern und Zeugnissen einer tausendjährigen Geschichte, die in den Schatzkammern und Bibliotheken der meisten Klöster bewahrt werden, von der Vielzahl der Reliquien, der Goldschmiedearbeiten, der kostbaren Paramente und Gewänder und vor allen Dingen von der Menge wertvollster Handschriften der Bibel und der Kirchenväter, von den zahlreichen Urkunden byzantinischer Kaiser, wie sie sonst in solcher Qualität und Zahl nur noch in der Bibliothek des Vatikans und des Britischen Museums anzutreffen sind. Wieviel könnte ich erzählen von dieser einzigartigen Schatzkammer christlicher Tradition, von diesem großartigen Museum byzantinischer Geschichte, von diesem Hort orthodoxen Lebens. Aber ich war ja nicht auf den Athos gekommen, um byzantinische Architektur zu studieren, um mittelalterliche Fresken zu fotografieren oder um alte Kodizes zu untersuchen. Ich war auf der Suche nach etwas ganz anderem, auf der Suche nach dem, was seit über tausend Jahren Menschen bewegt hat, sich in die Einsamkeit des Athos zurückzuziehen, in der Unwegsamkeit dieser Halbinsel zu leben. Ganz sinnenhaft, mit Auge und Ohr, kann der Besucher zuerst einmal dieser Ruhe innewerden, wenn sich die Mönchsgemeinde im Katholikon zum Stundengebet und zur Feier der Göttlichen Liturgie versammelt. Schon vor Anbruch des Tages beginnt das Beten und Singen, beginnt die Hingabe an Gott und die Vergegenwärtigung des Heils. Da gibt es kaum einen Vergleich zu dem, was bei uns in Westeuropa normalerweise für Gottesdienst gehalten wird. Es ist wie das ständige Umkreisen eines unsichtbaren Zentrums. Es ist wie die liebende Umarmung eines nicht faßbaren Gegenübers. Es ist wie das Eintauchen in ein tiefes Mysterium. Es ist wie das Ein- und Ausatmen des göttlichen Geistes, der den Kosmos erfüllt und die Seele des Menschen durchflutet. Es ist wie die Ruhe des künftigen Äons, der ewigen Vollendung in Gott. Dieser Zustand der Ruhe als innere Ergriffenheit und Beseligung manifestiert sich in der täglichen Feier des Mysteriums. Alles, was im Gottesdienst geschieht, bekommt durch diese Ruhe erst Leben und Sinn. Ihren tiefsten Grund hat die Hesychia in der Hingabe des Menschen an Gott und in seiner inneren Loslösung von den vielen Dingen dieser Welt. Es ist erstaunlich, wie die Mönche des Athos eine Ruhe ausstrahlen, die aus der Freiheit kommt von Geld und Besitz, aus der Freiheit von der Sorge um die Sicherung unseres Lebens, der ständigen Angst und Gier. In diese unbesorgte und glückhafte Ruhe wird der Gast hineingenommen, und ohne viele Worte wird ihm eine Ahnung vermittelt von der Alternative zu unserem Umgetriebensein, unserer Leere und Verfallenheit an die Welt der Dinge. In der Tradition des östlichen Mönchtums wird dieser Aspekt der Ruhe Apatheia, Leidenschaftslosigkeit genannt. Den Weg zu ihr findet der Mensch durch Reue und Buße und die Überwindung der Ichsucht seiner Seele und der Begierden seines Körpers. Durch die ständige Übung des Fastens verhelfen wir unserem Leib zu seiner ursprünglichen Bestimmung, als Gefährte der Seele, geadelt durch die Menschwerdung des Gottessohnes, teilhaben zu dürfen am unvergänglichen Licht. Nicht darum geht es, daß die Seele den Leib wie ein Gefängnis verlassen müßte, um in dieser Ekstase des Ewigen innewerden zu können. Nein, Leib und Seele zusammen dürfen Gott begegnen. Dies kann allerdings nicht ohne vorausgehende Reinigung und Läuterung geschehen. Der Weg der Umkehr verdichtet sich auf dem Athos in zwei eindrücklichen Bildern. Das andere Bild ist das des gekreuzigten Mönches, der nach dem Vorbild des Herrn sich selbst stirbt: Ich bin mit Christus gekreuzigt, ich bin der Welt gestorben. In immer neuer Weise zeigt sich dieser Geist der Weltüberwindung auf dem Athos. Es zählt nicht die Wissenschaft, die Theologie, die Kunst, es zählt auch nicht die Pflege der eigenen Geschichte, es zählt nicht das klösterliche Gemeinschaftsleben, es zählt nicht mehr die Sorge um die Erhaltung und Fortpflanzung dieses Lebens. Es zählt nur noch das Eine, was not ist: Der Aufbruch zur Ewigkeit, der Weg zur Ruhe in Gott. Ist diese „Welt” entmachtet, verliert auch der Tod und die Erinnerung an ihn seine Bedeutung. Die Friedhöfe des heiligen Berges geben davon ein beredtes Zeugnis. Sie sind nichts anderes als verwahrloste und verwilderte Gärten mit einer Hand voll Gräbern, markiert durch ein paar brüchige Kreuze. Wahrhaftig, hier gibt es keinen Totenkult. Schon nach drei Jahren werden die Knochen der Erde entnommen und in das Gebeinhaus gebracht. Vor meinem Auge steht noch der Karner der großen Lavra. Auf der einen Seite sind die Schädel gestapelt, ihnen gegenüber die Arm- und Beinknochen, dazwischen das Übrige. Das Totenbuch dieses Klosters vom Anfang seiner Gründung im Jahre 963 weist aus, daß hier die Überreste von mehr als zwanzigtausend Mönchen gesammelt sind, denn auch das Gebäude stammt aus dem 10. Jahrhundert. Welche Saat für die Ewigkeit! Das zweite Stockwerk des Gebeinhauses ist eine Kirche. Hier wird regelmäßig von den Lebenden der Toten gedacht, die Feier der Auferstehung über den Relikten einer vergehenden Welt. Die Ruhe des „achten Tages”, der keinen Abend mehr kennt, die Vereinigung von Leib und Seele mit Christus in der Schau des göttlichen Lichtes, das ist das Ziel eines Lebens auf dem Athos. Neben der Feier der Göttlichen Liturgie und der Übung der Askese ist das Gebet der Weg schlechthin, der zu diesem Ziel führt. Dabei geht es aber nicht in erster Linie darum, daß der Mensch seine irdischen Wünsche und Anliegen dem Allmächtigen vorträgt. Das reine geistige Gebet, wie es auf dem heiligen Berge zuhause ist, geht über alles Irdische hinaus. Es verläßt alles Geschaffene, das Reich des Werdens und Vergehens, die Welt der Bilder, der Gedanken und Begriffe. In ihm sucht der Geist des Menschen die Vereinigung mit seinem Schöpfer, die Erfahrung seiner Allgegenwart. Dabei spielt die psycho-somatische Technik, mit der dieses Gebet geübt wird, nur für den Anfänger eine gewisse Rolle. Immer wieder mußte ich in meinen Gesprächen heftige Kritik hören an der Überbetonung der technischen Seite meditativer Praktiken in Westeuropa. Immer wieder wurde mir gesagt: Entscheidend ist allein die geistige Grundhaltung, das innerste Motiv dieses Betens, daß es für mich der tiefste Ausdruck wird meiner Liebe zu Gott, daß ich mich in ihm mit Leib und Seele ganz Christus zuwende, um mit ihm eins zu werden, daß ich den inneren Christus, der kraft meiner Taufe schon in mir wohnt, auch ganz zulasse, indem ich leer werde von mir selbst. Im ständigen Rhythmus meines Atems, verbunden nun mit meiner Hingabe an Jesus und der Hergabe meines alten Ichs, vollzieht sich so, was die Väter das unaufhörliche Gedächtnis Gottes genannt haben. Das Jesusgebet wird auch das Herzensgebet genannt, weil das Herz die Wesensmitte des Menschen ausmacht, das Zentrum seiner Person. Nicht mit unserem Kopf, durch die Kraft unserer Vernunft, auf dem Wege unserer geistigen Vitalität können wir die Gemeinschaft mit Gott vollziehen. Vielmehr muß der Geist durch das immerwährende Gebet in das Herz geführt werden, um im Gleichklang mit ihm und im Verzicht auf seine Autonomie sich für Gott öffnen zu können. Nur in der Tiefe eines gereinigten und von aller Selbstsucht befreiten Herzens geschieht die Erleuchtung, die Manifestation des göttlichen Lichtes. Jesus ist dann nicht mehr nur der Gedachte, das Objekt meines Fühlens und Wollens, der Gegenstand meines menschlichen Geistes. Nun steht er mir nicht mehr nur gegenüber, wie in der Kuppel des Katholikons als Pantokrator. Jetzt erfahre ich ihn wirklich als den Allherrscher, als den Allumfassenden und Allumgreifenden, der auch in der Tiefe meiner Seele anwesend ist, der auch in meinem Herzen seine Wohnung hat. Jetzt werde ich des Apostelwortes inne: „Ich bin mit Christus gekreuzigt; ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir”. Und zugleich erfahre ich, daß mein Gebet, diese ständige Anrufung des heilbringenden Namens, mehr ist als mein eigenes Tun, noch etwas anderes ist als mein eigenes Werk. Sicherlich, mein Bitten und Danken, mein Bekennen und Loben entspricht der Tätigkeit meines menschlichen Geistes. Aber wenn diese ganz in den Hintergrund tritt, ja ganz aufgesogen wird von der Liebeskraft meines Herzens, dann beginnt ER in mir zu beten. Gott der Geist ruft dann in mir nach dem Sohn, und in ihm, dem Sohn, mit ihm, mit Christus schreie ich: Abba, lieber Vater! Ein Mönch sagte mir: Die Jünger sahen das göttliche Licht nur von außen; wir aber dürfen es in uns selbst schauen, weil Christus, der Auferstandene in uns lebt; in ihm sehen wir die Herrlichkeit des Vaters. - Gottes Wesen ist unerkennbar, unerforschlich und unerreichbar. Wie aber die Strahlen der Sonne uns erwärmen und erleuchten, so bewirkt der in uns wohnende Heilige Geist, daß die Energien des ungeteilten dreieinigen göttlichen Lichtes uns ebenso wie Christus erfüllen. Durch die unermüdliche Übung des immerwährenden Herzensgebetes kann es zum Durchbruch dieses Lichtes kommen, können wir verklärt, verwandelt werden zu unserem innersten göttlichen Wesen. Ja, darin liegt das höchste Ziel der Mystik der Ostkirche, wie sie auch heute noch auf dem Athos lebendig ist und in vielfältiger Weise bezeugt wird: Dieser Metamorphose, dieser Verklärung unseres menschlichen Wesens in das Licht des dreieinigen Gottes teilhaftig zu werden. Jetzt schon kann es geschehen, darf es geschehen, um mit den Worten des Psalms zu reden: „In deinem Lichte sehen wir das Licht” (36,10). Schon im 10. Jahrhundert bekennt Symeon der Neue Theologe, was Unzählige nach ihm erfahren haben, die in die Ruhe ihrer Seele einkehrten, um im Gebet ihres Herzens Gott zu finden: „Als ich Christus inständig suchte, erkannte ich plötzlich, daß er in mir selber war. In der Mitte meines Herzens erschien er wie das Licht einer kreisrunden Sonne... Oft schaute ich dieses Licht, zuweilen erschien es in meinem Innersten, wenn meine Seele den Frieden und das Schweigen besaß, zuweilen leuchtete es nur aus der Ferne oder verbarg sich ganz. Dann fühlte ich übergroße Trauer, denn ich befürchtete, es niemals wiederzusehen. Sobald ich mich aber von allem loslöste und mich um echte Demut und Gehorsam bemühte, erstrahlte das Licht von neuem. So verschwandest du und erschienst mir bei Tag und bei Nacht, Unsagbarer, Unsichtbarer, Ungreifbarer, der du dich in jeder Stunde offenbarst und verbirgst”. Quatember 1983, S. 213-218 |
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