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zum 100. Geburtstag Wilhelm Stählins von Wilhelm Schmidt |
An diesem Gedenktag ist Wichtiges zu bedenken und zu bedanken - und es sei mit dem Bedenken ein Dank abgestattet. Als Wilhelm Stählin und seine Freunde die „Berneuchener Bewegung” in Gang brachten, trieb sie dazu die Not der Kirche und das leidenschaftliche Verlangen, ihr zu steuern; und sie haben Geist und Kraft ihres Lebens darangesetzt. Die Not der Kirche: was ist das? Not der Kirche ist nicht - nichts! - was von außen kommt: weder Verachtung, noch Bedrängnis und Verfolgung oder das tyrannische Verlangen, sie auszurotten, und schon gar nicht jeglicher Mangel an materiellen Gütern. Sondern die Not der Kirche ist ihre eigene Untreue; ihre Unaufmerksamkeit auf das Eine, was wichtig und not; ihre spirituelle Fahrlässigkeit; ihre Abwendigkeit von Gott und devote Ergebenheit jeglichem Zeitgeist, verwechselnd ihn mit dem Heiligen Geist - und die Versuchung des Tages mit dem Kairos Gottes. Not der Kirche ist nicht, wenn sich Leute von ihr gelangweilt abwenden, sondern wenn sie selber langweilig i s t : nämlich ihren kostbaren himmlischen Schatz von ihrer eigenen Gelangweiltheit verstaubt darbietet - ungeliebt, unverehrt, selber von ihm nicht mehr ergriffen. (Aurum accepisti, aurum redde - Gold hast du empfangen, Gold gib weiter!) Not der Kirche ist nicht, daß sie (wie alles Gestaltete) in Institutionen existieren muß, sondern wenn sie nur noch eine Institution ist; nicht, daß in ihr auch verwaltet wird, sondern wenn sie nur noch sich selber verwaltet und nicht die Geheimnisse Gottes; nicht, daß Leute gern schmählich von ihr reden, sondern wenn sie damit recht haben. Not der Kirche ist nicht einmal, wenn ihr Glaube schwankend wird (nach-hochdeutsch geredet: „wenn sie sich sorgt um ihre Identität”); aber die Kirche läge in ihrer letzten Not, wenn Gott nicht mehr an sie glaubte: dann wäre sie verloren! Dann wären wir verloren! Unverloren aber ist der Weg weg uns den „fremden Diensten” und heim in das Haus des Vaters. Wir haben nämlich eine verläßliche Botschaft: „... daß Gott Glauben hält ewiglich...”Es ist darum nicht der Mut der Verzweiflung, welcher sich aufmacht, der Not der Kirche zu steuern, sondern es ist die Ergriffenheit von der Freude Gottes - und eine glückliche und beglückende Zuversicht: Daß ER Glauben hält ewiglich -Nun aber: Der Not steuern: wie macht man das? Gar nicht! Sondern das geschieht. Betrieb kann man machen; Leben nicht: dieses ereignet sich - doch nur dorten und dann, wo und wann und wenn sich Lebendiges hingibt, sich darangibt - das Evangelium sagt sogar: sich verloren gibt. An was? „Um Meinetwillen”, antwortete Jesus auf diese Frage. Und das will sagen: hingeben nicht dem Gelüst,Es ist ein Unterschied, ob Leben sich den Forderungen seiner Bedürftigkeit ergibt oder der Verehrung Gottes; ob der Begierde oder der Anbetung, dem Begehren oder dem Verehren. Es macht einen bedeutenden Unterschied aus, ob einer die Unruhe seines Herzens meditiert oder die Anwesenheit des Heiligen. Der Not zu steuern empfahl Goethe: sakramentlich leben. Wilhelm Stählin hat das auf die Formel gebracht: Im göttlichen Geheimnis leben. Wie geschieht das? Notwendig weit Auszuführendes aufs Kürzeste zu fassen, sei es mit drei Wörtern zu sagen versucht (nein, ich werde jetzt nicht die berühmte, hochgezielte, groß umfassende Trias wiederholen: Leitourgia, Martyria, Diakonia -sondern ich meine Einfacheres, Vorläufigeres, Weiter-vorausliegendes): gesammelt,1. Gesammelt leben: nicht innerlich zerstreut in alle Gassen, jeder sich bietenden Abzweigung ergebend; nicht auf allen Hochzeiten tanzend und selbst auf denen noch, auf die man gar nicht geladen. Sondern gesammelt: daß man „man selbst sei”, nicht ein „Nach-Trottel” jeglichen Wahns und landläufiger Verführung; nicht sich preisgebend, vielmehr ein Widerstand (nicht lediglich leistend, sondern) s e i n dem Abbau und der Auflösung der „Selbstheit”: deren Zerstörung ein Kennzeichen unserer Tage ist. Gesammelt also auf das Selbst: nicht, weil es ein Wert ist in sich und an sich, sondern weil es geliebt ist von Gott. (Es war doch wohl ein bedeutender - vielleicht der bedeutendste Schritt der Seinsgeschichte, als aus der Vielheit des Göttlichen der Ego Eimi - der Ich bin der ich-bin - hervortrat und zu uns trat und auf eine ganz neue und IHM zugehörige und zugewandte Weise erlaubte, nun „ich” zu sagen und zu sein: nämlich im Vertrauen „Ich bin geliebt bei Gott.”) Wer sich geliebt weiß, vergeudet sich nicht an Belangloses, sondern verliert sich an den Liebhaber. Gesammelt leben auf das Gott-Geliebte: das ist die „absolute Monogamie der Seele” - und das heißt: in fragloser Treue leben, und das nicht aus ethischer Prinzipialität oder rigoroser Engstirnigkeit - sondern als geliebt von dem, der Treue hält ewiglich: denn die Treue Gottes ist das Geheimnis, in dem wir leben. 2. Aufmerksam sein: aber nun nicht (sei wiederholt) auf unser Gelüst, sondern auf das Geheiß des Herrn; nicht auf die Parolen der Gasse, sondern auf „das WORT”: denn das mysterium salutis ist nicht, daß wir fortgeschritten sind und fortschreiten, sondern „daß das Wort ergangen ist...”, uns zugewandt als die Liebe Gottes. Aufmerksam sein: nicht mit gerunzelter Stirn, um zu entdecken, wo ein Lindenblatt auch den Helden verwundbar ließ - sondern aufmerksam in Verehrung: wie ein Liebender keine Gelegenheit ausläßt, seiner Geliebten „eine Aufmerksamkeit zu erweisen”: was ja nichts anderes bedeuten soll, als vor ihr in Liebe dazusein. „Aufmerksam in Verehrung”: das heißt in herkömmlicher Sprache „leben im Gebet”. 3. Unverwandt. Ich würde gern „kontemplativ” sagen, wenn man dieses Fremdwort in seinem ursprünglichen Sinn verstehen wollte: denn contemplari heißt zuerst „zielen”: also unverwandt seinen Blick auf das Ziel richten - nicht auf irgend eines, sondern auf das EINE, das Herrliche, das Unsägliche: auf das Herz Gottes - sich IHM zu einen: angezogen, hingenommen, von Seiner Liebesmacht. „Unverwandt” will sagen: nicht ziellos dahinleben, sondern unterwegs bleiben zum höchsten Ziel: und das heißt „im göttlichen Geheimnis leben”! Diese „Zielstrebigkeit” macht jedes Leben, wie immer es sich darstellt und gestaltet unter dem Andrang der Vorfallenheiten, des Sinnes voll, macht es in allen Wirrsalen erwartungsvoll, in der dichtesten Finsternis hoffnungsvoll, und macht das Leben, wie es sei, glücklich... So etwa haben die Väter und Führer der Berneuchener Bewegung vor 60 Jahren einen Weg gewiesen und mit der Arbeit ihres Lebens einen Pfad zu treten sich bemüht. Dank sei den Rufern und Erweckern! Dank aber wird erst glaubwürdig, wenn dem Ruf Folge geleistet wird und der Erweckung Wachheit folgt. Die Not der Kirche ist in unseren Tagen noch tiefer geworden - die Aufgabe dringlicher. Daß wir das Notwendige nicht versäumen: dazu helfe uns Gott. Quatember 1983, S. 219-222 |
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