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Gelebte Wahrheit
In memoriam Teresia Benedicta a Cruce

von Heinz Grosch

LeerVor genau einem halben Jahrhundert beschloß eine hoffnungsvolle deutsche Hochschullehrerin, Edith Stein, auf ihre wissenschaftliche Laufbahn zu verzichten und ins Kloster zu gehen. Dieses Lebenszeugnis wahrzunehmen, steht auch uns evangelischen Christen wohl an: gerade in diesem Jahr, da wir uns nicht nur der 500. Wiederkehr von Martin Luthers Geburtstag, sondern auch des 50. Jahrestages der Machtergreifung durch Hitler und die Nationalsozialisten erinnern. Wer war Edith Stein? Eine Skizze ihres Lebensweges mag diese Frage beantworten.

LeerAm 12. Oktober 1891 bringt Auguste Courant, die Frau des jüdischen Holzhändlers Siegfried Stein in Breslau ihr siebentes Kind zur Welt. Sie ahnt nicht, daß der Zeitpunkt dieser Geburt - es ist der Vorabend des Versöhnungstages - auf verborgene Weise das Leben ihrer Tochter Edith mitbestimmen wird.

LeerDa der Vater bereits zwei Jahre später stirbt und die Mutter das Geschäft übernehmen muß, wird das zarte und zugleich überwache jüngste Kind vor allem von den älteren Geschwistern betreut. Eine starke sprachliche Begabung führt Edith nach dem Abitur zum Studium der Fächer Geschichte, Germanistik und Philosophie - zunächst in Breslau, wenig später in Göttingen. Die eigenständige und von ihren Lehrern geachtete junge Frau, die über sich selbst später sagt, sie sei „vom 13. bis zum 21. Lebensjahr Atheistin” gewesen, geht nach dem Staatsexamen für ein halbes Jahr als Hilfsschwester in ein Kriegslazarett. Aber schon im Herbst 1915 erhält sie die Möglichkeit, ihre philosophischen Studien in Freiburg durch die Promotion abzuschließen und bald darauf eine Assistentenstelle zu übernehmen. Ihr Lehrer, der angesehene Philosoph Edmund Husserl, sagt ihr eine glänzende wissenschaftliche Karriere voraus, falls auch für Frauen die akademische Laufbahn geöffnet werden sollte. Da wird Edith Stein in ihrem Selbstbewußtsein tief erschüttert. Einer ihrer Göttinger Universitätslehrer kehrt aus der Schlacht um Flandern nicht zurück, und die ehrgeizige Wissenschaftlerin begegnet der jungen Witwe, die im Glauben an das Evangelium Trost angesichts des Todes erfährt. Viel später erst erkennt Edith Stein: „Es war der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach ... und Christus aufstrahlte.”

LeerDamit bahnt sich die Entscheidung an, die im Winter 1921 - nach der scheinbar zufälligen Begegnung mit dem Werk der heiligen Teresa von Avila - zur Taufe führt. Obwohl sie auf Anraten ihres Beichtvaters zunächst den Wunsch nach dem Eintritt in ein Kloster zurückstellt, sucht sie als Lehrerin in Speyer und später als Dozentin in Münster den Kontakt zu klösterlichen Gemeinschaften und deren Frömmigkeitspraxis. Gleichzeitig wendet sie sich mit Leidenschaft der Theologie und den Fragen ihrer Zeit zu. Sie übersetzt ein Werk des heiligen Thomas aus dem Lateinischen und Frühschriften von Henry Newman aus dem Englischen ins Deutsche, arbeitet an Grenzfragen zwischen Philosophie und Theologie und beschäftigt sich mit der Situation der Frau in der modernen Gesellschaft: „Wenn es Frauenberuf ist, das Leben zu hüten, ... so ist es für sie nicht gleichgültig, ob Staats- und Völkerleben Formen annehmen, die den Familien Gedeihen und der Jugend eine Zukunft ermöglichen oder nicht.” Abermals wird der Vorschlag an sie herangetragen die Universitätslaufbahn einzuschlagen, da übernehmen die Nationalsozialisten in Deutschland die politische Macht.

LeerFür Edith Stein sind schon die ersten Maßnahmen gegen die Juden ein Zeichen für ihren eigenen Weg. Am 12.10.1933 feiert sie noch einmal mit der Mutter in der Synagoge den Versöhnungstag; ein halbes Jahr später tritt sie als Teresia Benedicta a Cruce (die vom Kreuz gesegnete Teresia) in den Kölner Karmel ein. Tief betroffen begleitet sie den sich abzeichnenden Leidensweg ihrer jüdischen Brüder und Schwestern inmitten eines christlichen Volkes. Zugleich aber hofft sie, im Gebet Anteil zu gewinnen an der Kraft, die schon hier und in dieser Welt dem Bösen entgegentritt : „... daß die Herrschaft des Antichrist - wenn möglich ohne einen neuen Weltkrieg - zusammenbricht.” Am 9. November 1938 brennen die Synagogen in Deutschland; wenige Wochen darauf wird Teresia Benedicta über die Grenze in ein holländisches Karmelitinnenkloster gebracht. Als die deutschen Truppen den Krieg auch in die Niederlande tragen, vollendet sich ihr Weg in der Nachfolge Christi. Um mögliche Helfer nicht zu gefährden, verzichtet sie darauf, in der Illegalität unterzutauchen. Im August 1942 wird sie verhaftet und ins Lager Westerbork verschleppt. Augenzeugen berichten, sie habe sich noch auf dem Transport „tröstend, helfend, beruhigend wie ein Engel” der verzweifelten Mütter und ihrer Kinder angenommen. Sie wußte, daß der tiefe Widerspruch zwischen der Botschaft Christi und der Wirklichkeit dieser Welt nicht unsere letzte Erfahrung sein kann. „Die Liebe allein wird bleiben. Wie sollte es auch anders sein?”

LeerAm 7. August 1942 werden Hunderte von Häftlingen von Westerbork nach Auschwitz abtransportiert. Unter den ersten, die dort den Tod in der Gaskammer erleiden und verbrannt werden, ist Teresia Benedicta a Cruce.

LeerJahre vorher hatte sie in einem Abendmahlslied geschrieben:
„DU kommst und gehst,
doch bleibt zurück die Saat,
die DU gesät
zu künftger Herrlichkeit,
verborgen in dem Leib
von Staub.”

LeerDer hier abgedruckte Beitrag über Edith Stein wird enthalten sein in einer Sammlung von Lebensbildern, die voraussichtlich im kommenden Jahr im Johannes Stauda-Vaerlag erscheint (Hrsg. Hans Mayr).
Zu Edith Stein sei verwiesen auf: Waltraud Herbstrith, „Das wahre Gesicht Edith Steins”, München 1980 (4. Auflage).

Quatember 1983, S. 227-229
© Heinz Grosch (1983)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-31
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