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Die Stalingrad-Madonna in Berlin
von Heinz-Georg Hartmann

LeerAm 26. August 1983 wurde in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche neben der „Märtyrergedenktafel 1933-1945” Kurt Reubers Bild der Stalingrad-Madonna angebracht - vierzig Jahre nach dem katastrophalen Ausgang der Schlacht von Stalingrad. Es handelt sich dabei um eine etwa 90 mal 130 cm große Kohlezeichnung unter Glas. Sie wird manchem Leser in Postkartengröße als Reproduktion des Johannes-Stauda-Verlages bekannt sein, auch aus Kloster Kirchberg, wo auch ein Selbstbildnis von Dr. Kurt Reuber, dem Pfarrer, Arzt und Michaelsbruder, hängt.

LeerDie Zeichnung der geborgen ihr Kind bergenden Mutter ist vom Zeichner umschrieben: Licht-Leben-Liebe - Weihnachten 1942 im Kessel - Festung Stalingrad. Sie befindet sich auf der Rückseite einer Landkarte der Sowjetunion. Als Oberarzt bei der 16. Panzerdivision bewährte sich Reuber mit diesem Bild auch als Seelsorger. Er blieb seinem Doppelberuf treu, für den einst in der Marburger Studentenzeit die Begegnung mit Albert Schweitzer und mit der Evangelischen Michaelsbruderschaft wichtig geworden waren. Seine Stalingrad-Madonna wurde in einem der letzten Flugzeuge von einem Kameraden in die Heimat mitgenommen; Kurt Reuber selbst geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft, in der er ein Jahr später sterben mußte. Übrigens ist in dem Gefangenenlager 1943 noch eine kleinformatige Madonna entstanden, die sogenannte Leidensmadonna. Er hatte sie dort an die Anschlagtafel geheftet. Dieses Madonnenbild befindet sich im Besitz der Familie. [Postkarten dieser Gefangenen-Madonna und der Stalingrad-Madonna können Sie bei dem Lutherischen Verlagshaus Hannover - auch online - bestellen.]

LeerDie Übernahme der Stalingrad-Madonna durch das Kuratorium für die Ruine und den Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fand in der neuen Kirche statt. Kurt Reubers Sohn Erdwin übergab im Beisein zahlreicher Mitglieder der Familie Reuber das Bild zu dauerndem Verbleib an dieser symbolträchtigen Stelle, Die Kirche wird gegenwärtig von rund zweitausend Menschen täglich aufgesucht, Zahlreiche Gemeindeglieder wohnten der kleinen Feier bei, ferner auch, als Nachfahre des Namenspatrons der am Sedantag 1895 eingeweihten alten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Chef des Hauses Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Als interessierter Pressemann sowie Finanzmäzen war Axel Cäsar Springer anwesend wie auch weitere Ehrengäste.

LeerErdwin Reuber berichtete, daß seine Familie, je bekannter die Stalingrad-Madonna wurde, ihren Platz in einem Wohnzimmer nicht mehr für angemessen halten konnte. So gebe man sie nun auf Vorschlag des Bundespräsidenten Karl Carstens nach Berlin. Die Ansprachen nahmen Bezug auf die Bedeutung des Bildes für die Friedenssehnsucht der Menschen. Kurt Reubers Adventsbrief 1943 wurde zitiert, in dem er von seiner Zeichnung von 1942 sagt: „Um den Rand schrieb ich die Worte alter Mystik: Licht-Liebe-Leben. Schaue in dem Kind das Erstgeborene einer neuen Menschheit an, das unter Schmerzen geboren, alle Dunkelheit und Traurigkeit überstrahlt. Es sei uns Sinnbild sieghaften, zukunftsfrohen Lebens.”

LeerLag in den Ansprachen der Akzent stärker auf den Ängsten, Sehnsüchten und Bedürfnissen heutiger Menschen, so scheint mir die Stalingrad-Madonna vor allem von Gottes Gnadengnabe zu sprechen. In der Gestalt der Mutter Maria hat schon die Gemeinde zur Zeit des Neuen Testamentes wie fortan die ganze Christenheit bis zu Beginn der Neuzeit ein Bild der mütterlichen Kirche erblickt, in der Gott der Welt das neue und unzerstörbare Leben schenken möchte. Von diesem erbarmungsvollen Tun Gottes, das in unsern Tagen unter dem Bild der Gottesmutter auch von evangelischen Christen neu entdeckt wird, war leider nicht die Rede. Es wurde sogar angedeutet, daß die Anbringung eines Madonnenbildes in einer evangelischen Kirche auch Widerspruch hervorgerufen habe. Doch wird die Aussage des Bildes selber die stärkste Rechtfertigung für seinen neuen Platz sein.

© Heinz-Georg Hartmann
Quatember 1983, S. 230-231

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-31
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