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Der Friede ist unter uns - darum gehalten in Ängsten
von Jörg Gottschick

LeerUnter diesem Thema fand vom 25. bis 29. Mai 1983 die erste Arbeitstagung im erneuerten Kloster Kirchberg, nach dem Jubiläum und der festlichen Einweihung zu Pfingsten, statt. Die beglückende Atmosphäre bestätigte die Überschrift: Wir konnten miteinander reden, aufeinander hören und einander annehmen - trotz verschiedener Meinungen und Richtungen. Wir waren 28 Michaelsbrüder, 2l Frauen und 15 weitere Männer, aus sehr verschiedenen Berufen, in jedem Lebensalter, also auch junge Leute, auch Soldaten und hohe Offiziere. Die Brüder kamen aus 17 von den 19 Konventen der Evangelischen Michaelsbruderschaft im Bereich der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich.

LeerDer Berichterstatter kam aus der Michaelsbruderschaft im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik. Wir sangen mit dem Pfarrer und Kirchenmusiker Soergel aus Tübingen, es begleitete uns täglich das Kyrie aus Taizé; besonders eindrücklich blieb das „Ubi caritas et amor, ubi caritas, ibi Deus est - Wo Liebe ist und Güte, wo Liebe ist, da ist Gott”. Am ersten Abend hörten wir musikalische Beispiele des „Dona nobis Pacem”. Das Bild unseres in der Gefangenschaft gestorbenen Bruders Kurt Reuber, „Die Madonna von Stalingrad”, und die Dreifaltigkeits-Ikone von Rubljow spielten eine besondere Rolle, und im Schlußgottesdienst kam noch ein drittes hinzu: „Der Zustand der Welt”, eine Keramik von J. Bühlmann, die Kinder auf einer Wiese inmitten rauchender Schlote, drohender Kanonen, Zahnräder, Strahlen und Bomben zeigt.

LeerIn der Besinnung auf Jesaja 2 zeigte uns Dekan Seitz/Erlangen die Weite des Wortes „Schalom” und seine Grenzen, die Spuren des „Frieden unter uns”, die Zusammengehörigkeit der Hinkehr zu Gott mit den Bemühungen um Frieden im Alten Testament.

LeerGeneralleutnant a. D. Poeschel stellte uns die Friedenssicherung in den Unwägbarkeiten der wissenschaftlich-technischen Welt dar, die Probleme des Friedensverständnisses inmitten der 150 Kriege seit 1945! Seine Forderung: „Gerechtigkeit und Frieden sind untrennbar”! Er stellte Bonhoeffers Anruf von 1934 „Frieden muß gewagt werden...Friede ist das Gegenteil von Sicherung” Churchills Aussage von 1955 gegenüber: „Sicherheit wird das robuste Kind des Schreckens und Überleben der Zwillingsbruder der Vernichtung sein.” Er zeigte besonders, daß die waffentechnische Entwicklung über die Köpfe der Soldaten - ja auch der Planer auf beiden Seiten - hinweggegangen ist. „Der alte Gott der Schlachten ist nicht mehr!” Der frühere sowjetische Botschafter in Bonn, Falin, so berichtete Poeschel, „soll im Gespräch vor der Gefahr gewarnt haben, politisch zu Sklaven der Rüstung zu werden”, und er gab die Frage von Sebastian Haffner weiter, ob „der Rüstungszwang vielleicht eine Folge ...des weder in kapitalistischen noch sozialistischen Industriegesellschaften je ernsthaft angezweifelten Glaubens (sei), daß alles, was heute technisch getan werden kann, auch getan werden muß”.

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LeerIn den Fragen, die Konrat Weymann für die Gruppengespräche nach dem Referat formuliert hatte, hieß es im Blick auf den heutigen „Ort des Nato-Doppelbeschlusses innerhalb der Rüstungsspirale”: „Bedeutet der Beschluß Hilfe oder Gefährdung des Friedens?” Zu Falin und Haffner lasen wir den Satz C. F. von Weizsäckers: „Der Grundsatz der Ethik muß heute lauten, daß wir nicht mehr alles tun dürfen, was wir tun können.” Und weiter, aus der Friedensdenkschrift der EKD „Frieden wahren, fördern und erneuern” vom Oktober 1981: „Notwendiger als die Glaubwürdigkeit der Abschreckung ist die Glaubwürdigkeit des eigenen Friedenswillens.”

LeerWie aber läßt sich solcher Friedenswille konkretisieren, glaubwürdig verdeutlichen? Mehr als hier berichtet, war von dem faszinierenden, den Nichtfachmann in vielem verwirrenden Vortrag nicht mitzubekommen. Jedenfalls wurde uns dargestellt, wie das Potential der Nuklearwaffen, wie die immer mehr sich „vervollkommnende” Aufrüstung und Technisierung den Soldaten längst überholt hat - und wie schon bei den strategischen Waffen heute ein Schutz und eine Berechenbarkeit kaum mehr denkbar und möglich sind. Und wie andererseits ein Losschlagen zwischen den beiden Supermächten kaum zu befürchten ist, wie jedoch die Gefahr einer Ausweitung der kleineren Brandherde (Naher Osten, Süd-und Mittelamerika und Afrika) besteht und damit die Möglichkeit eines Großbrandes bis zur völligen Vernichtung.

LeerMax Schoch aus der Schweiz stellte uns den „Bergprediger” in den Gesamtzusammenhang des Matthäus und zeigte uns: Jesu Verkündigung richtet sich an Einzelne und ist doch universal, sie ist nicht politisch, aber auch nicht privat: Indem seine Nachfolger „in” und „mit” der „besseren Gerechtigkeit” wirken in Güte ohne Grenzen, im Beten und Tun, die sich entsprechen, im „Angriff der Freundesliebe” auf die bestehende Welt. Unsere Friedensmittel haben ihr Maß an Jesus!

LeerEberhard Stammler sprach über „Frieden mit oder ohne Waffen”: Friede ohne Waffen - ein erhoffter Endzustand, den man inmitten der gefallenen Welt nicht vorwegnehmen kann, so sehr auch die Angst und Sehnsucht der Menschheit dahin geht und so berechtigt und wichtig der Aufschrei der Friedensbewegung gegen das schematisch-militärische Denken ist. Anlaß zum Nachrüstungsbeschluß sind die SS 20-Raketen im Osten. Frieden ist eine politische Größe, solange zwischen den Völkern das Faustrecht herrscht. Macht aber expandiert in Vakua! Entscheidend ist, daß man keine Angst voreinander hat. Das Angebot Jesu kann einer säkular-atheistischen Welt nicht als Gesetz, als Weg gelten. Jesus hat sich wohl zur politischen Niederlage gestellt -aber Nachfolge kann nicht dekretiert werden. Trotz Glauben an den Sieg Christi haben wir diesen doch nur als Hoffnung. Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen! Das „Noch”, das „Noch-nicht” der „Heidelberger Thesen” ist nicht zu verkürzen.

LeerIm Podiumsgespräch: Ein Abiturient will nicht erst lernen, Menschen umzubringen, und ein junger Verweigerer will „persönlich mit der Bruderschaft anfangen”. Ein österreichischer Heeresangehöriger sagt, er sei freiwillig zum Heer in einem neutralen Land gegangen, und ein bundesdeutscher Stabsoffizier zitiert die „Heidelberger Thesen” als bestimmendes Element seines Soldatseins, er will „Soldat für den Frieden” sein, ist aber ein Freund des Verweigerers.

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LeerDazu die Stimme aus der DDR: Wir haben nach zwei Seiten zu argumentieren: gegen die falsche Religion der Ideologie, die meint, sie sei die einzige und beste - und müsse darum nach Weltherrschaft streben (das gilt hüben wie drüben), und gegen die Feindbilder hier wie dort. Wieso ist eigentlich der Kommunismus oder der Kapitalismus „böse”? Und warum muß der eine hier, der andere drüben die einzige Schutzmacht sein? Ausbeutung, pervertierte Gerechtigkeit und brutales Machtstreben sehen wir auf beiden Seiten! Wenn wir es im Raum der Kirche, von der Schrift her, begründen, ist Abschreckung im Angesicht des Friedens Christi in keinem Falle zu rechtfertigen. Hat die Christenheit in Deutschland nicht allen Grund, wenn sie glaubt und gewiß ist: der Friede ist unter uns - sich an keinerlei Kriegsvorbereitung zu beteiligen, sondern gegen die Rüstung und Gewalt aufzurufen? Das gilt

1. nach dem Zweiten Weltkrieg und seinem Spiel mit der Gewalt und seinen Folgen für unser geteiltes Land,
2. nach Auschwitz, wo Gewalt an Wehrlosen, Andersartigen verübt wurde,
3. nach dem Versagen der Kirche auf sozialem Gebiet, als deren Mitfolge ja der Marxismus und damit die „Bedrohung aus dem Osten” entstanden ist, und
4. weil wir als Christen immer noch zerspalten sind, Krieg und Gewalt um den Glauben geführt wurde, ja teilweise immer noch geführt wird.

LeerWarum wird immer nur gerüstet und für den Krieg geübt - aber nicht für den Frieden? Um des vermeintlich dadurch zu bewahrenden Lebens willen zerstören wir die Grundlagen des Lebens. Wie wird Haß und Angst überwunden? - Wir können nicht aus der Geschichte aussteigen, aber einer muß anfangen, ohne Bedingungen, ohne Mißtrauen abzurüsten! Ist es nicht das entscheidende, rettende Anliegen der Kirche, aus der Versöhnung zu leben und diese mit allen zu praktizieren?

LeerHans-Rudolf Müller-Schwefe/Hamburg - „Der Friede ist unter uns” (nach Eph. 2, 11 - 18) - erinnerte an das Bild „Christus in der Kelter”. Von diesem Leidenden leben wir! Es ist kein Friede, weil keine Furcht vor Gott ist, nur Angst vor den anderen. Die Friedensunfähigkeit hängt damit zusammen, daß wir nicht an die Auferstehung glauben, sondern ganz diesseitig gerichtet sind und keine Freiheit haben, Christus in unser Leben hineinzunehmen. Unsere Götzen sind Idole wie Vaterland, Gleichheit, Demokratie - weil wir nicht wagen, uns zu sehen, wie wir sind. Kein Bund ohne Opfer, ohne Einsatz des Lebens kein Schritt in die Zukunft. Wir leben von Ordnungen, die wir selbst produzieren, und haben es ständig nötig, von Mächten befreit zu werden.

LeerChristus unser Friede - nicht nur im Abendmahl, sondern in jedem, der mich braucht, ist Er gegenwärtig. Zeichen braucht es - Innovationen! Wir leiden ja auch an uns selbst! Verwandlung in die Geschichte hinein ist notwendig, und die technische Welt muß da mit hineingenommen werden. Der Staat als bloßer technisch-bürokratischer Apparat sinkt ins Untermenschliche ab. An die alten, den Menschen bedrohenden Bilder - Ps. 22 - wurde in dem Zusammenhang erinnert. Auch das Volkstum ist eine Nach-Sündenfall-Größe! Jeder sage sich: ich bin mitverantwortlich drin in der von uns und mit uns produzierten Welt!

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LeerWelche Möglichkeit hat die Bruderschaft? Transparenz und Variabilität der Formen! Vordringlich ist die Fürbitte. Opfer realisieren - weil ja Christus längst in unserer Welt ist! Wo kann man denn noch atmen? Es gilt zu entdecken, daß Christus in diese unsere Welt immer wieder eindringt! Wir haben da nur noch keine Erfahrung, daß wir „mit den Dingen spielen” könnten.

LeerDr. Duchrow/Heidelberg - „Frieden ist mehr als Nicht-Krieg” - ging aus von der Gemeinschaft des Leibes Christi, nach Luthers Schriften „Sermon vom hochwürdigen Sakrament und den Bruderschaften” und „Von Konzilien und Kirchen” 1519. Christus und seine Heiligen sind eine untrennbare Einheit, alle seine Güter und Leiden sind ihnen gemeinsam. Frieden als Gottes Gabe setzt Versöhnung voraus, die Schalom-Gemeinde schließt Streben nach Gerechtigkeit ein. Es heißt, Christi Liebe an seinen Dürftigen erzeigen, an allen Orten herzlich mitzuleiden. Die das nur publizieren und hören, denen ist das Abendmahl nichts nütze! Die Kirche steht dabei im Kampf mit der Antikirche, mit Gewalt, Unfreiheit, Lüge, heute z. B. angesichts der Apartheid mit ihrer pseudobiblischen, häretischen Begründung!

LeerWenn in Südamerika, Guatemala, Honduras, El Salvador der Name Christi zur Unterdrückung mißbraucht wird, dann ist das viel schlimmer als der atheistische reale Sozialismus. Lieber Unrecht und Gewalt leiden als tun! Die guten Gaben der Wissenschaft werden heute auf gottlose Weise zur Ausplünderung gebraucht, auch im Blick auf die Bodenschätze -bis hin zur Selbstzerstörung der Menschheit. Die Ausbeutung der Natur und der Menschheit ist der eigentliche Grund des Unfriedens. Darum ist der entscheidende Dienst für den Frieden heute die Unterscheidung der Geister und der Kampf gegen die Lüge. Darum steht die Frage nach dem Götzendienst im Mittelpunkt aller Friedens- und Gerechtigkeitsbestrebungen. Liebesgemeinschaften wie die der Quäker beweisen. daß wir die Bekämpfung der Not des Nächsten nicht einfach den Institutionen überlassen dürfen.

LeerEin „politikfähiges” Christentum kann auch die Verantwortung für den Hungerkrieg (30 Millionen sterben im Jahr!) nicht den Experten überlassen. Daher gilt: Friedensbewegungen nicht ohne Gerechtigkeits-Bemühung! Menschen-Rechte sind nur soviel wert, als sie für alle gelten. Gewaltverminderung verlangt Umdenken im kleinen - auch im Verzicht auf Technika. Verminderung der Unwahrheiten! Die entscheidende Möglichkeit der Kirche wäre heute, in kleinen christlichen Gemeinschaften zeichenhaft aus der Vergebung zu leben, anspruchslos, und darum nicht leicht erpreßbar. Wo Wirtschaft und Rüstungsindustrie „verkoppelt” Unheil stiften, können kleine Gruppen mit dem Wort der Wahrheit widerstehen.

LeerImmer wieder wurde bei den Feiern und Agapen dieser Tage auf den Zusammenhang mit unserem Thema - Frieden - geachtet. Dadurch bekam alles Gewicht und Tiefgang. Dem Berichterstatter kam dabei der Entwurf zu einer „Rede auf die Kirche” in den Sinn: Es gibt ein Bild im Mittelalter: Maria mit dem Schutzmantel. Was hat unter diesem nicht alles Platz! Daß wir Gottes Volk sind - ist das in unserem Bewußtsein und in unserem Handeln? Daß wir Bruderschaft sind durch Christi Passion? Daß aber auch die oft widerwärtige Institution zur Fleischwerdung des Wortes gehört? „Sie ist mir lieb, die werte Magd...”

LeerDaß wir Sein Volk sind, ist das Übergreifende zum Frieden mit allen und für alle - das Herausrufende und Verbindende, das Hoffnungsvolle: „Komm, Heiliger Geist, erfülle...” Daß dies nicht nur feierliche Form zu Beginn der Messe, sondern das immer neu zu bestaunende Geheimnis und das immer Bestimmende für uns Christen ist. Kirche, Zusammenhang derer, die von der Vergebung leben und somit ein Modell des Friedens sich zu geben bemühen - ist das nicht die einzige Chance der Kirche heute?

LeerNach einer solchen Tagung will einen angesichts der Vielfalt und des Hin und Hers der vielen Äußerungen, der vergeblichen Verhandlungen und akuten Drohungen oft Traurigkeit und Resignation befallen: was ist eigentlich herausgekommen? Haben wir im fröhlichen Miteinander und beim friedlichen Einander-Anhören und Annehmen die Gegensätze nur brüderlich verkleistert? Klang doch oft die besorgte Erwartung des „heißen Herbstes” auf! Gewiß ist: Feindesliebe hat politische Konsequenzen: wir haben die anderen zu sehen, mit denen wir zu leben haben. Eine christliche Legitimation für Massenvernichtungsmittel gibt es nicht. Sicherheit ist immer nur  m i t  dem „Gegner” möglich. Die Kirche als der lebendige Leib Christi, der aus Gottes Geist lebt, darf und möchte heute in aller Welt ein Modell des Friedens geben - als einzige Chance zum Überleben.

Quatember 1983, S. 231-235

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-09
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