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IEF im Zeichen Luthers
von Alfred Radeloff

LeerVom 3. bis 10. August 1983 fand in Coburg/Bayern die diesjährige Konferenz der Internationalen Ökumenischen Gemeinschaft statt. Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Bayerns, Dr. Hanselmann, und der Leiter der Konferenz, Pfarrer Wolff von Lupin, hatten um Entsendung zweier Pfarrer aus den evangelischen Landeskirchen der DDR gebeten. Pfarrer Volkmar Walther aus Weißenborn bei Freiberg/Sachsen und ich durften fahren.

LeerDie Internationale Ökumenische Gemeinschaft (IEF = International Ecumenical Fellowship) entstand 1968 in Gwatt/ Schweiz in Zusammenhang mit dem Weltrat der Kirchen, als sich Christen aus zwanzig verschiedenen Kirchen zu einer ökumenischen Arbeitswoche trafen. Es bildeten sich regionale Arbeitsgemeinschaften von Christen aus unterschiedlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die miteinander für die Einheit und die Erneuerung der Kirche beten und arbeiten. In jedem Jahr lädt eine Region die anderen zu einer Konferenzwoche ein, in der die Teilnehmer zusammen leben und beten, die Eucharistie in den Ordnungen ihrer Kirchen feiern und zentrale und aktuelle Aussagen des christlichen Glaubens besprechen. Auf den ökumenischen Wochen der vergangenen Jahre ist, wie ein Benediktinerpater sagte, ein Milieu wirklich menschlicher christlicher und geistlicher Gemeinschaft entstanden. Ökumene will nicht nur bedacht, sondern gelebt sein.

LeerDaß die Region der Bundesrepublik Deutschland im Lutherjahr 1983 die anderen Regionen der IEF an einen Ort einlud, der mit Luther in Beziehung steht, entspricht der Absicht der IEF, ihre Konferenzen an Plätzen abzuhalten, die kirchengeschichtliche Bedeutung haben. 1984 lädt die IEF nach Canterbury ein. Luther hatte sich 1530 ein halbes Jahr lang auf der Veste Coburg aufgehalten, um von dort aus die Verhandlungen auf dem Reichstag von Augsburg zu verfolgen. Luther stand unter Acht und Bann. Im damals sächsischen Coburg genoß er den Schutz seines Landesherrn. In Augsburg wurde das Bekenntnis der Evangelischen, die „Confessio Augustana” verhandelt, das bis heute grundlegende Bedeutung für die evangelische Kirche besitzt und in der Gegenwart im Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche eine wichtige Rolle spielt.

LeerDie beiden Zimmer auf der Veste Coburg sind die einzige Lutherstätte auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Sie waren für mich, einen Anhaltiner, in besonderer Weise interessant. Steht doch neben dem großen Tafelbild Luthers das gleichgroße von Fürst Georg dem Gottseligen von Anhalt, Luthers fürstlichem Freunde. Die Bibliothek des Fürsten mit vielen originalen Lutherschriften befindet sich in meiner Heimatstadt Dessau im Schloß Mosigkau. Nach Coburg waren über dreihundert Teilnehmer gekommen. Die zahlenmäßig stärkste Gruppe reiste aus Spanien an, eine singfreudige Schar. Nicht Eingeweihte werden wohl die Coburger ökumenische Woche für einen spanischen Kirchentag gehalten haben!

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LeerNach meiner Schätzung war die Hälfte aller Teilnehmer römisch-katholisch. Die anderen gehörten zu den evangelischen Kirchen, den Anglikanern, Alt-Katholiken und Orthodoxen. Pfarrer und Ordensleute kamen in Uniform und Zivil. Die meisten jedoch waren „Laien”, normale Gemeindeglieder. Die lutherischen und katholischen Gemeindeglieder Coburgs beteiligten sich eifrig. In Coburg gibt es einen aktiven ökumenischen Arbeitskreis. Das Lutherjahr bestimmte auch das Thema der Konferenz: Luther - Zeuge des Glaubens. Man traf sich auf vier Ebenen: in den Gottesdiensten, bei theologischen Vorträgen, in der Gruppenarbeit, in der persönlichen Begegnung.

Die Gottesdienste

LeerLutherische, reformierte, römisch-katholische Abendmahlsfeiern, eine altkatholisch-anglikanische Konzelebration, die orthodoxe Liturgie in aramäischer Sprache, Gebetsgottesdienste mit dem ganzen Reichtum liturgischen Brauchtums verschiedener Kirchen und Nationen. Übersetzungen machten es möglich, die Gottesdienste zu verstehen. Welche Fülle, welche Möglichkeit des Vergleichs! Besonders beeindruckt hat alle die syrisch-aramäische orthodoxe Liturgie. Ein Gottesdienst in der Sprache Jesu, die heute noch Umgangs- und Gottesdienstsprache von Christen assyrischer Herkunft ist!

LeerSie leben im Süden der Türkei unter bedrückenden Verhältnissen. Männer, Frauen, Liturgen singen die Liturgie im Wechsel in für unsere europäischen Ohren ungewohnten dissonant klingenden Harmonien. Sie singen ohne Buch auswendig, besser: inwendig. Sie haben ihren Gottesdienst im Herzen und Leben. Das spüre ich, als ich sie anschließend ausfrage. Ich lerne von ihnen und von einem orthodoxen Theologieprofessor aus Rumänien: Liturgie ist Leben. Der Gottesdienst in der Kirche geht zu Hause weiter. Der aramäische Pfarrer „fächelte” mit seinen Händen, wenn er um den Geist Gottes betete. Seine Hände und Arme, sein Körper traten ein in die Bewegung des göttlichen Geistes, der unser ganzes Wesen erfüllen und durchdringen will. Das ist kein Christentum des Kopfes, sondern des ganzen Menschen!

LeerDen russisch-orthodoxen Hymnus „Akathistos” hörten wir auf deutsch. Das war ein Kompromiß für uns kopflastige Mitteleuropäer, die alles verstehen, begreifen, ergreifen wollen, und die durch diesen Gesang dennoch ergriffen wurden. Die ständig wiederkehrenden gleichen Melodien atmen denselben Geist wie die meditativen Verse bei Taizé-Gebetsgottesdiensten oder wie die Loblieder in den Gebetsgruppen der geistlichen Gemeindeerneuerung.

LeerDie Ansprachen in den römisch-katholischen Messen waren Lutherpredigten. Die Prediger hatten Luther gelesen. Luther ist unser Mann! Wollt ihr uns Luther wegnehmen? - dachte ich. Wäre das schlimm?

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LeerDie Steifheit und Symbolarmut unseres evangelischen Abendmahlsgottesdienstes stand im starken Kontrast zu den Eucharistiefeiern der anderen. Der Gottesdienst der Kirche, meiner Kirche, die das Priestertum aller Gläubigen predigt, wirkte am „priesterlichsten”. Bei den Gottesdiensten der anderen Konfessionen trugen die Liturgen den Friedensgruß in die Gemeinde und brachten das Abendmahl unter die Leute. Im Gottesdienst meiner Kirche gab es nur einen Friedensgruß mit Worten. Zur Austeilung wurden Kommunikanten durch Helfer ordentlich am Altar aufgestellt. Die Ordentlichkeit dieses Gottesdienstes hemmte äußere und innere Bewegung.

Vorträge und Arbeitsgruppen

LeerZwei theologische Vorträge gab es, einen evangelischen von Professor Lienhard aus Straßburg und einen römisch-katholischen von Bischof Martensen aus Kopenhagen.

LeerProfessor Lienhard sprach über „Die Bezeugung des Glaubens durch Luther”. Luthers Bekennen des Glaubens sei Anstoß zu unserem Bekennen heute. Der Christ sei durch die Heilige Schrift aufgerufen zum Bekenntnis des Glaubens in der Öffentlichkeit. Wie zur Zeit Luthers gehe es heute „um das Aufrichten der Wahrheit des Evangeliums gegenüber den zerstörenden Mächten”.

LeerHans L. Martensen, Bischof der kleinen römisch-katholischen Minderheitskirche in Dänemark, ist der römisch-katholische Verhandlungsführer der gemeinsamen lutherisch-katholischen theologischen Kommission, ein Lutherexperte, mehr - ich habe ihn gefragt: ein Katholik, der Luther liebt. Bischof Martensen sagte: „Erst heute beginnt man dank eines langen und geduldigen Dialogs zu begreifen, daß viele Behauptungen Luthers, neu in ihrer Form, keineswegs gegen den katholischen Glauben standen, sondern ihn im Gegenteil wiederfanden und ihn in einer einzigartig tiefen Weise zum Ausdruck brachten.” Martensen warnte jedoch auch davor, Gegensätze „radikal zu verniedlichen”. Dies sei simpel und würde die wertvollen Nuancen lutherischer Theologie außer acht lassen.

LeerEs gab acht Arbeitsgruppen. Die meisten beschäftigten sich mit Fragen lutherischer Theologie. „Schweigende Kirche in Ost und West” hieß das Thema der Arbeitsgruppe, die ich zu leiten hatte. Die Gruppe bestand aus bis zu 40 Personen, die englisch, französisch, spanisch oder deutsch sprachen. Weil wir jeden Satz in vier Sprachen übersetzen mußten, verloren wir in unseren ersten Sitzurigen viel Zeit. Ein lebendiges Gespräch kam erst zustande, als wir uns nach Sprachen aufteilten.

LeerWir tauschten uns aus über das Schweigen vor Gott im Gebet und im Hören auf sein Wort in östlichen und westlichen Kirchen. Wir sprachen auch über das Reden und Schweigen des Christen in der Öffentlichkeit. Ein Arzt, ein Anglikaner, berichtete: „An einem Wochenende, das wir mit Franziskaner-Tertiaren verbrachten, erlebten wir eine Eucharistiefeier, die mit einer Meditation begann und mit Kommunion und anschließendem Abendessen endete. Was in der Eucharistie geschieht, wurde uns mit kurzen Kommentaren und in langen Schweigezeiten klar. Dabei hatte jeder einzelne die Freiheit, auf seine Weise zu meditieren.

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LeerWir begannen mit der Betrachtung eines Gleichnisbildes: Wasser, das im Norden, Osten, Süden und Westen alle künstlichen Grenzen durchfließt. Ein Tropfen Wasser erhebt sich aus dem Meer in die Luft. Er verbindet sich mit anderen Tropfen. Eine Wolke entsteht. Der Regentropfen fällt auf die Erde, steigt einen Pflanzenstengel empor und entfaltet ein Blütenblatt. Der Wassertropfen, das bist du, und das bin ich. Ohne den Tropfen würden weder Wasser, Erde oder Pflanzen sein, was sie sind. Ohne uns könnte Gott seinen Willen nicht ausführen. Christus hat keine Hände als unsere Hände. Wenn überhaupt, dann begreifen wir diese Wahrheit nur im Schweigen, in der Meditation, in der Stille der Eucharistiefeier. In der Stille lernen wir, wie wir in Gottes Namen reden sollen. Wenn wir nicht auf Ihn hören, dann können wir auch nicht auf unseren Nächsten hören.”

LeerEs gab einen regen Erfahrungsaustausch. Eine Teilnehmerin der Arbeitsgruppe erzählte, daß sie in die katholische Kirche gehen müsse, um zu beten. Die evangelische Kirche, zu der sie gehöre, böte keine Gebetsatmosphäre. Andacht zum Gebet bekäme sie nur knieend. Sie fragte: „Warum sind die Kniebänke aus den evangelischen Kirchen verschwunden?”

Persönliche Begegnung

LeerViele, die nach Coburg kamen, kannten sich von früheren Konferenzen. Wir Neuen wurden mit großer Herzlichkeit aufgenommen. Es klingt pathetisch, wenn ich schreibe, daß die Liebe (1. Kor. 13) bei der Coburger Konferenz überall zu spüren war. Aber es war so! Die Liebe zueinander und zu der einen Kirche, die Christus will und die noch nicht Wirklichkeit ist.

LeerIch erlebe eine katholische Familie aus Westfalen brennend vor Eifer, die getrennten Kirchen zusammenzuführen. In ihrer „Paderborner Initiative” fordern sie: „Das Luther-Jubiläum sollte sich nicht erschöpfen in freundlichen und höflichen Unverbindlichkeiten, sondern sollte unter das Herrenwort Joh. 17,21 gestellt werden und dieses Wort ausstrahlen und Wirklichkeit werden lassen: Laß sie alle eins sein, wie du, Vater, in mir und ich in dir.” Ihrer Initiative liegt fleißige theologische Arbeit zugrunde. Mit einem katholischen Priester fuhren wir nach Vierzehnheiligen, kamen mitten hinein in eine Wallfahrergemeinde und lernten Mentalität und Spiritualität dieser Form des Gottesdienstes neu sehen.

LeerDie Begegnung mit einem evangelischen Mitglied des ökumenischen Arbeitskreises Coburg erschloß mir Erfahrungen, wie sie in den evangelischen Kommunitäten Bayerns gesammelt worden sind. Wir fuhren nach Schloß Craheim, wo landeskirchliche, freikirchliche und katholische Christen in einem „Lebenszentrum für die Einheit der Christen” ökumenisches Miteinander erlebt und auch erlitten haben. Aus Coburg habe ich so viele Eindrücke mitgebracht, daß ich viel Zeit brauche, sie zu verarbeiten. Überall und auf erstaunlich vielfältige Weise wirkt unser Herr Jesu Christus in seiner Kirche. Ich bin gespannt darauf, was er mit ihr vorhat.

Quatember 1983, S. 235-238

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-09
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