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Das Recht der Gnade
von Gerhard Hage

LeerRecht der Gnade? Das ist doch ein Widerspruch in sich! Gnade geht vor Recht - so empfinden wir. Evangelische Christen und Theologen können mit einem Recht der Gnade nichts anfangen. Es ist eine tiefsitzende Blindheit für das Recht festzustellen - und besonders für das Recht der Gnade, die darin zum Ausdruck kommt. Und doch sagt die Formulierung „Recht der Gnade” etwas Entscheidendes für die Kirche, für die Gemeinde und für jeden Getauften aus. Unter diesem Titel hat der Michaelsbruder D. theol. Dr. Hans Dombois jetzt mit dem Erscheinen des dritten Bandes ein großes ökumenisches Kirchenrecht abgeschlossen. Ist das Werk schon dem äußeren Umfang nach (1791 Seiten!) eine großartige Leistung, so gilt das noch mehr für seinen Inhalt. Man kann es in seiner Geschlossenheit und in der ökumenischen Dimension für unsere Zeit als einzigartig bezeichnen. Ursprünglich motiviert durch Erfahrungen des Kirchenkampfes, hat es seine Konturen durch vielfältige ökumenische Arbeit bekommen, nicht zuletzt durch die Einbindung des Verfassers in das Leben der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Angesichts des Lima-Papiers, auf das der Verfasser im dritten Band eingeht, sind die Ausführungen besonders aktuell.

LeerZur Würdigung, Auswertung und Kritik fand in der Evangelischen Akademie Hofgeismar vom 20. bis 22. Januar in der Reihe der Juristen- und Theologengespräche ein Symposion für Hans Dombois statt, an dem sich zahlreiche Juristen und Theologen aus verschiedenen Kirchen des In- und Auslands beteiligten. Blieb nach den ersten beiden Bänden des Werkes eine weitreichende Reaktion zunächst aus, so ist jetzt mit dem dritten Band („Verfassung und Verantwortung”) offensichtlich ein Durchbruch erfolgt. Das ist eine Erscheinung, die wir bei vielen ökumenischen Aktivitäten beobachten: sie brauchen eine gewisse Zeit, bis sie ihre Wirkungen erzielen. Es gilt also Geduld und Beharrlichkeit zu verbinden, um die Anliegen der Ökumene vorzubringen. Dazu eine weitere Beobachtung: fast gleichzeitig sind jetzt drei Veröffentlichungen erschienen, die für den inneren Fortgang der Ökumene außerordentlich bemerkenswert sind. Es sind außer dem Werk von Dombois die „Ökumenische Dogmatik” von Edmund Schlink, die man als eine kopernikanische Wendung auf diesem Gebiet bezeichnen muß, und die Schrift „Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit” von Karl Rahner und Heinrich Fries (s. Quatember H. 4/1983, Seite 245 ff.).

LeerBei dem Symposion waren drei Referate die Grundlage für die sehr gründlichen Gespräche. Zuerst Professor Dr. Christian Link-Bern mit dem Thema: „Theologie und Kirchenrecht”, wobei er von der Rechtsblindheit des Protestantismus ausging. Ausgerechnet die Kirche des Evangeliums, aus dem die Realität des Rechtes garnicht wegzudenken ist (Gerechtigkeit, Gesetz, Gebot, Rechtfertigung, Gnade), ist von dieser Blindheit befallen, wobei man von der Schrift her an einer Kritik der Reformation nicht vorbeikommt.

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LeerZu der Behebung dieser Rechtsblindheit hat die ökumenische Bewegung einen neuen Anstoß gegeben. Denn ohne eine Antwort auf die Frage des Rechtes gibt es kein Weiterkommen in ihr. Dazu kann eine neue Besinnung auf Barmen III rnit seiner Verknüpfung von Verkündigung und Ordnung helfen. Das Subjekt des Rechtes ist nicht die Kirche und Gemeinde, sondern der Herr der Kirche und sein Bund mit seinem Volk. Die Gebote sind gewissermaßen die Einlaßbedingungen zum Eingang in das Heiligtum. Ihr Sitz im Leben ist kultischer Art (vgl. die Psalmen). Das hat Karl Barth wieder herausgehoben und deshalb das Kirchenrecht als ein bekennendes und liturgisches Recht bezeichnet. Er hat freilich die Ordnung der Gemeinde nur vom königlichen Amt Christi aus aufgebaut und von daher die Kirche als eine Christokratische Bruderschaft verstanden. Dies jedoch erscheint fast als eine Leerformel, da die Frage nach den konkreten Entscheidungen personaler Art hier unbeantwortet bleibt. Dombois geht vielmehr im Blick auf die Ordnung der Kirche zurück auf die alte von der Schrift bezeugte Lehre von den drei Ämtern Christi, dem königlichen, dem priesterlichen und dem prophetischen Amt. Das bedeutet, daß die Leitung von Kirche und Gemeinde im königlichen Amt Christi, der Gottesdienst im priesterlichen Amt und die Lehre und Verkündigung im prophetischen Amt wurzelt. Es bleibt die Frage, wie die Strukturen des ersten Jahrtausends der Kirche ins Heute übertragen werden können. Professor Albrecht Peters/Heidelberg machte darauf aufmerksam, daß wir jetzt an dem Punkte angelangt und vor die Aufgabe gestellt sind, die beiden ökumenischen Traditionen zur Berührung zu bringen, die trinitarische und doxologische der Ostkirche, die auch in den evangelischen Kirchen der USA, Skandinaviens und auch in der Michaelsbruderschaft ausgeprägt ist und die mehr anthropologische und christologische Überlieferung der reformatorischen Kirchen. Im Lima-Papier ist offensichtlich der Versuch einer Berührung und Ergänzung gemacht.

LeerEinen wichtigen Beitrag lieferte dann der Dekan der kanonistischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana-Rom Professor Dr. Jean Beyer SJ mit seinem umfassenden Referat „Aufbau einer Rechtstheologie”. Dieser Aufbau ist eine konkrete ökumenische Aufgabe. Denn der Zweck des Rechtes der Kirche ist identisch mit dem Zweck der Kirche überhaupt: Heil, Liebe, Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Diese aber sind nicht Leistung der Kirche, sondern Geschenk des göttlichen Geistes. Deshalb kann man das Recht der Gnade auch als Recht des Heiligen Geistes und der durch ihn bewirkten Gemeinschaft bezeichnen - wie es kürzlich der Papst formulierte: „Ius gratiae ius sit communionis - Das Recht der Gnade sei ein Recht der Gemeinschaft!” Das Recht der Kirche ordnet die in ihr vorhandenen Dienste, Gaben, Sendungen und darin auch die Teilhabe der Getauften an dem dreifachen Amte Christi. Diese Teilhabe tritt beispielhaft hervor im Apostelkollegium und seinem Dienste. Die Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht ist sicher angebracht, jedoch nicht als Scheidung der Art, daß wir das göttliche Recht nur in der Gestalt des menschlichen haben. Die Zusammengehörigkeit der göttlichen und der menschlichen Natur Christi muß auch für das Recht der Kirche festgehalten werden. Man kann in ihm also nicht von der Menschwerdung Christi absehen. Hier stellt sich die Frage, wie es von Christus und dem Geiste Gottes her ganz praktisch zu konkreten Gestaltungen des Rechtes kommen kann. Ohne Zweifel bleiben dabei offene Fragen wie etwa die Frage, ob nicht das Kirchenrecht zwar der Schutz der Gnade sein muß, aber die Gnade in dieser Welt immer schutzlos wie am Kreuze Christi bleiben wird - eine Paradoxie, die wohl immer offenbleiben wird und nicht in einem festen System aufgelöst werden kann.

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LeerDen dritten Beitrag leistete Professor Dr. Ralf Dreier von der Universität Göttingen mit seinen „Bemerkungen zum Recht der Gnade”, in denen er die Bedeutung des Werkes von Dombois näher umriß, eine einzigartige juristische Theorie des kirchlichen Handelns. Dabei kam natürlich die uralte Frage zur Sprache, ob das Handeln der Kirche den Primat hat vor dem scholastischen Grund-Satz, daß alles Handeln aus dem Sein herkommt. Bei Dombois ist der Begriff des Rechtes ein empirisch-soziologischer, die Handlungen der Kirche sind Fakten, die den Begriff des Rechtes erzeugen. Es ist Gnaden-Recht, weil es Ausdruck der Gnade Gottes ist, wobei das Recht der Kirche des 1. Jahrtausends den Maßstab für das heutige bildet.

LeerDas Gespräch auf Grund dieser drei wesentlichen Beiträge berührte sowohl grundsätzliche als auch praktische Probleme und Folgerungen. Dazu gehört z. B. die Aufgabe, gottesdienstliche Formen konfessionsübergreifender Art zu entwickeln wie etwa die Lima-Liturgie, dazu gehört eine Entwicklung des Bischofsamtes in den reformatorischen Kirchen; dazu gehört die intensive Entwicklung der sakramentalen Dimension im Protestantismus, dazu gehört im römisch-katholischen Bereich die Lösung der Laien-Frage, d. h. die Überführung der Laien aus ihrem jetzigen Status als Objekte, die dem Klerus unterworfen sind, in den Status von Subjekten kirchlichen Handelns, dazu gehört auch die Wandlung des Kirchenverständnisses als Genossenschaft (societas) im jetzigen kanonischen Recht in den der Gemeinschaft (communio). Dies und manches Andere sind Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft der Kirche und der Kirchen, die schon begonnen hat. Als Zeichen solcher Hoffnung darf wohl die Teilnahme des Bischofs der Kirche von Kurhessen-Waldeck Dr. Gernot Jung gesehen werden, der auch den Gottesdienst des Symposions hielt. Es bleibt der Dank an Hans Dombois für sein Werk - das Werk eines Christen, Juristen und Theologen, der von der Leidenschaft für einen einzigen großen Gegenstand durchdrungen ist, wie es bei dem Symposion gesagt wurde: nämlich die Kirche.

Quatember 1984, S. 107-109

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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