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Eucharistische Gastfreundschaft 1954
von Irmgard Reusch

LeerBeim Lesen einer Abhandlung im „Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg” über die „Leuenburger Konkordie” kamen mir zwei Erlebnisse in Erinnerung, die ich während meines achtmonatigen Englandaufenthalts 1954 hatte. Ich weilte damals in Wistow, einem Landadelssitz, der von seinem Eigentümer für Jugendarbeit auf internationaler und ökumenischer Ebene zur Verfügung gestellt worden war. Junge Leute, besonders aus den Ländern, die sich während des Krieges feindlich gegenübergestanden hatten, sollten dort zusammen leben und arbeiten und sich so gegenseitig kennen und besser verstehen lernen, - ein Stuck Friedensarbeit also. Außerdem beherbergte das Haus auch Ferien- und Erholungsgäste, gelegentlich Gruppen, die bei uns Freizeiten und Konferenzen abhielten.

LeerAn Pfingsten 1954 hatten wir eine Studentenkonferenz bei uns, bei der es um die „Vereinigte Kirche von Südindien” ging. Zu jener Zeit hatten sich nämlich die verschiedenen Missionskirchen, die in Südindien tätig waren, unter anderem auch die Basler Missionskirche und die jahrhundertealte „Thomaskirche” zur „United Church of Southindia” zusammengeschlossen. Für die Angehörigen der Anglikanischen Kirche war es wohl am schwersten, dem Einigungsbestreben zuzustimmen. Denn für sie ist es ein unaufgebbarer Grundsatz, daß jeder kirchliche Amtsträger von einem Bischof eingesegnet werden muß, der in der „Apostolischen Sukzession” steht, das heißt, daß von den Tagen der Apostel an der Segen und die Amtseinsetzung durch Handauflegen in ununterbrochener Folge bis heute weitergegeben wurde. Beim Zusammenschluß wurde deshalb verabredet, daß die Priester der anderen Kirchengemeinschaften innerhalb einer bestimmten Zeit den Segen durch einen anglikanischen Bischof erhalten müßten. Über alle die damit zusammenhängenden Fragen wurde bei der Konferenz ausführlich gesprochen. Den Abschluß bildete eine Abendmahlsfeier, wohl nach anglikanischem Ritus, in unserer Hauskapelle, an welcher alle, gleich welcher Denomination sie angehörten, teilnehmen konnten. Dabei wurde - wie in Südindien üblich - Brot und Wein innerhalb der Feier von Teilnehmern zum Altar gebracht zum Zeichen dafür, daß Gott die uns anvertrauten Gaben dieser Erde heiligt und zum Mittel seiner Gegenwart in Christus benutzt. Fur viele war es das erste Mai, daß sie mit Christen anderer Kirchen gemeinsam das Abendmahl feierten. Obwohl wir in unserer Hausgemeinschaft täglich Morgen- und Abendandacht feierten, nahmen manche von uns auch an den Gottesdiensten der anglikanischen Gemeinde, zu der unser Haus gehörte, in der nahen Kirche teil. Da ich von Jugend auf die „Evangelische Messe” kannte und mich auch schon mit Fragen der Liturgie beschäftigt hatte, lebte ich mich bald in die gebräuchlichen Gottesdienstordnungen ein und hatte an den Feiern, besonders auch der „Holy Communion”, sehr viel Freude.

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LeerEines Tages kam ich mit einem anglikanischen Pfarrer einer Stadtgemeinde ins Gespräch, der in Tübingen studiert hatte und die kirchlichen Verhältnisse bei uns deshalb einigermaßen kannte. Als ich ihm von meiner Teilnahme am Abendmahl in der englischen Kirche erzählte, sagte er ungefähr folgendes zu mir: „Wie können Sie an der Kommunion teilnehmen, wo doch unsere Kirchen - die anglikanische und die deutsche lutherische Kirche - keine Gemeinschaft miteinander haben? Ich verstehe es zwar, daß Sie als Einzelner keinen Anstoß daran nehmen. Aber Sie verleugnen damit Ihre Kirche, zu der Sie gehören!”

LeerDas war eine kalte Dusche für meine ökumenische Freude! Hatte ich wirklich etwas falsch gemacht? Ich beschloß, nicht mehr zur Kommunion zu gehen, ehe ich bei einem Sachverständigen Rat gesucht hatte.

LeerDie Gelegenheit hierzu ergab sich, als ich mit einer Freundin zusammen bei einem Ausflug von einem anglikanischen Geistlichen mitgenommen wurde. Er war wohl - wie wir es aus seiner englischen Erklärung heraushörten - etwa in der Stellung eines Prälaten bei uns in Württemberg. Als er sich freundlich und anteilnehmend nach unserem Woher und Wohin erkundigt hatte, faßte ich mir ein Herz und erzählte ihm mein Problem. Er gab mir darauf eine Antwort, die mir schön und wichtig genug erscheint, um weitergesagt zu werden: „In der Natur gibt es Pflanzenfamilien, bei deren einem Mitglied die Frucht, bei einem andern die Blätter und bei einem dritten die Wurzel besonders nützlich ist. So ist es bei den Nachtschattengewächsen: bei der Tomate essen wir die Frucht, bei den Kartoffeln die Wurzelknollen. So ist es auch in den Kirchen. In den lutherischen Kirchen in Deutschland ist die Diakonie und die Kirchenmusik, in der anglikanischen Kirche das Amt wichtig geworden. Alles sind Gottes Gaben. Weshalb sollten Sie deshalb keine Gemeinschaft haben dürfen?”

LeerEinige Zeit später erfuhr ich dann, daß unser Gemeindepfarrer vom Bischof eine Sondergenehmigung hatte, auf Grund derer er alle, die von Wistow kamen, zum Tisch des Herrn zulassen durfte. So gab es schon damals eucharistische Gastfreundschaft.

Quatember 1984, S. 176-177

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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