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Selbstbesinnung der Kirche
von Wilhelm Stählin

LeerIm „Weihnachtsbrief 1934” antwortet Wilhelm Stählin einem Mann, der seinen Austritt aus dem Berneuchener Kreis erklärt hat, weil er dort „katholisierende Neigungen” zu erkennen meint.

Leer„. . . Sie schreiben, unsere Kirche sei weit genug, auch solche Theologen wie uns tragen zu können. Ja wen sollte denn eine Kirche tragen, wenn nicht die, die eben tatsächlich auf dem Boden ihres Bekenntnisses stehten? . . . Wir Berneuchener denken wirklich nicht daran, uns als die Alleinberechtigten in der Kirche anzusehen; daß wir aber für unsere Anschauung von der christlichen Kirche werben und die uns zuteil gewordenen Erfahrungen und Erkenntnisse gerne der Gesamtkirche anbieten, ist doch selbstverständlich. Wir wissen wohl, daß zunächst wenige zu uns stoßen werden und daß wir mit unserer Gesamtanschauung durch viele Anfechtungen hindurch gehen müssen; dürfen wir deswegen dem Ruf ungehorsam werden, der an uns ergangen ist? Das Wort „Berneuchener Exerzitien” höre ich aus Ihrem Munde zum erstenmal. Unsere „Geistlichen Wochen” sind allerdings etwas, was alle Berneuchener für wichtig halten. „Gewissenszwang”? Wir erwarten nicht mehr, als daß jeder Teilnehmer sich in die Ordnung dieser Tage einfügt; das erwartet jede ernsthafte Gemeinschaft. Niemand wird zu Meditationen oder auch nur zur Teilnahme an irgendwelchen Gottesdiensten gezwungen, wenn er Bedenken dagegen hat. Wenn Sie einmal auf einer unserer Freizeiten gewesen wären, würden Sie dieses Wort gewiß nicht geschrieben haben.

LeerLuther? Sie meinen, man müsse es Luther sozusagen nachsehen, daß er den Katholizismus noch nicht völlig überwunden habe. Wir meinen umgekehrt, daß wir die Brille, durch die der Kulturprotestant mit dem aufgeklärten Bürgertum Luther gesehen hat, endgültig ablegen und den wirklichen Luther wieder ganz neu ernst nehmen müssen, der viel „katholischer” war, als die meisten „Protestanten” ahnen. Die Aufklärung ist ein schlechter Maßstab dafür, was uns Luther noch zu sagen hat. - Die Frage, wie wir auf die Gebildeten wirken können, hat sich bei uns wie überall gründlich gewandelt. Sehr viele Gebildete, gerade der jüngeren Generation, achten und hören nur auf den, der sich auch in der Gestaltung seines Lebens ganz ungescheut zu seinem kirchlichen Auftrag bekennt. Wir können nicht mehr glauben, daß das Weitergehen auf dem Weg der Säkularisierung den Weg der Kirche in die Kreise unserer Gebildeten irgendwie erleichtert. In den Kampfzeiten, wie wir sie durchleben, ist nur diejenige Gestalt christlicher Verkündigung und christlichen Lebens glaubwürdig, die sich ernsthaft auf die Grundlagen der Kirche und auf das Wesen ihres besonderen Auftrages besinnt. Eben dieser Entwicklung wollen wir Berneuchener dienen, und daß, leider Gottes, sehr viele Protestanten alle ernsthafte Selbstbesinnung der Kirche für katholisch halten, kann und darf uns in diesem Bemühen nicht irre machen ...”

Quatember 1984, S. 234-235

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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