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von Fritz Fraenkel |
Heinz-Dietrich Wendland zum 85. Geburtstag Gegen Ende des Krieges, 1944/45, saß ich über ein Jahr in Einzelhaft im Gefängnis. Ich hatte nichts bei mir als mein griechisches Neues Testament, in dem ich fast täglich - manchmal bis zu acht Stunden - (heimlich!) lesen konnte, so daß ich es seitenweise fast auswendig wußte. Als ich dann im Sommer 1945 von den Atombombenwürfen auf Hiroshima und Nagasaki hörte, erschrak ich. Ganz unmittelbar kam es über mich und ich erkannte: Was da, in der Offenbarung Johannis stand, von dem Viertel, von dem Drittel der Menschheit, das sterben sollte, plötzlich und gewaltsam hinweggerafft (6, 8; 9, 15.18), das war jetzt da! Das war nun möglich! Was wir gestern noch in den Bereich der Mythologie, der Apokalyptik als bestenfalls symbolische Aussage verweisen zu können glaubten, das war nun Wirklichkeit, reale Möglichkeit, dankbar, machbar! Ähnliches geschah damals in vielen Menschen. Wir waren betroffen, wir nahmen wahr, daß hier eine Schwelle überschritten war, eine Stufe hin zum Einbruch der Endgeschichte war passiert, unwiderruflich. Ein Schritt näher zum Ende - und es ist ja wohl nicht der Sinn einer Theologie, uns die Betroffenheit durch Gottes Wort, durch seinen Fingerzeig auszureden! Gewiß, die Bombe haben Menschen erdacht, sie haben sie gebaut, sie haben sie geworfen, doch so gewiß es ist, daß Gott der ist, der das Ende heraufführt, so gewiß tut er es doch zugleich durch Mitwirken und Unterlassen von Menschen und Mächten, so wie er ja auch sonst Sünde durch Sünder straft und Segen durch Gesegnete mitteilt. Es gibt eine wenig bekannte Schrift von Immanuel Kant, Das Ende aller Dinge (1794). Da spricht er davon, „das widernatürliche, das verkehrte Ende werde, sofern es dazu komme, von uns selbst dadurch, daß wir den Endzweck mißverstehen, herbeigeführt.” (Zitiert nach Josef Pieper, Über das Ende der Zeit, 1950). Von denen, die damals die Flammenschrift des drohenden Gerichts an der Wand unserer so stolzen Zivilisation wahrgenommen haben, nenne ich nur einen: Reinhold Schneider. Nicht nur in seinem letzten Tagebuch „Winter in Wien”, auch an anderen Stellen wird das laut und paßt gut hierher: „Sonderbar ist es, wie in stark bewegten Zeiten Untergangsstimmung und universale Tendenzen zusammentreffen . . . Aber die Bedrängnis dieser unserer Stunde ist doch ganz anderer Art: die Menschen zittern nicht vor Gott, sie zittern vor sich selbst, den eigenen Erfindungen, nicht vor dem apokalyptischen, sondern vor dem technischen Untergang ... In der Untergangsstimmung der Vergangenheit war eine religiöse Kraft, das Bangen vor dem schrecklichen Gott, der Entschluß zur Buße. Von ihr konnte eine Reinigung ausgehen. Die unsere ist anderer Art. Sie wirkt in den Untergang hinein. Es ist schwerlich zu erwarten, daß sie verhindert, was sie fürchtet.” („Um das Jahr 1000”). Und was heißt „Angstmacher”, wenn es doch Gott selbst ist, der sich erhebt und sich aufmacht, „die Erde zu erschrecken” (Jes 2, 19.21)? Die Gnadenbotschaft des Evangeliums, auch ein Wort wie „In der Welt habt ihr Angst. . .” (Joh 16, 33) schließt dies doch nicht aus, sondern ein! „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, alsdann erhebet eure Häupter ...” (Lk 21, 28). Es wird also ja doch geschehen. Dann, eben dann, wenn die Menschen rufen: „Berge fallet über uns, Hügel deckt uns!” (Lk 23, 30; Off 6, 16), wenn dies geschieht: „In diesen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden; werden begehren zu sterben und der Tod wird sie fliehen” (Off 9, 6), wenn die Tage angebrochen sind, von denen Jesus sagt: „Und wenn Gott diese Tage nicht verkürzte, würde kein Mensch gerettet; doch um der Auserwählten willen hat er diese Tage verkürzt” (Mk 13, 20), dann ruft er uns zu: „Sehet auf und erhebet eure Häupter”, nicht in stoischem Gleichmut, nicht weil uns das alles letztendlich nicht auch berührte, sondern „darum, daß sich eure Erlösung naht” (Lk 21, 28). Der Schrecken in diesem Sinn des „Pachad Jahve”, der dem Ende der Menschheitsgeschichte voraufgeht, ist doch durch das Evangelium nicht weggetan; sondern unsere Rettung vollzieht sich durch die Schrecknisse hindurch. Gnade heißt nicht, daß uns die Drangsale erspart werden, nur: unsere Seelen sollen nicht in ihnen ersterben, unser Heil soll uns bewahrt sein. - Dazu aus dem Buch Jeremia das kleine Baruch-Kapitel 45: „So spricht der Herr: Siehe, was ich gebaut habe, das breche ich ab; was ich gepflanzt habe, reute ich aus . . . und du begehrst dir große Dinge? Begehre es nicht! Denn siehe, ich will Unglück kommen lassen über alles Fleisch, spricht der Herr; aber deine Seele will ich dir zur Beute geben, an welchen Ort du ziehst.” (Jer 45, 4.5). Natürlich haben wir keinen Zeitplan für das Geschehen, keine Stundenskala, an dem sich der Einbruch des Letzten ablesen ließe, es gilt und bleibt in Geltung: „Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand.” (Mt 24.36), aber dennoch gibt es die gewissen Zeichen, die uns erkennen lassen, was die Stunde geschlagen hat, die Zeichen, die das Gefälle, die Beschleunigung (diese ist besonders bedeutsam: „. . . der bemerkbar beschleunigte Fortschritt ist immer ein Symptom des Endes”, Wladimir Solowjew, Drei Gespräche), den sich steigernden Sog anzeigen. Jesus sagt nicht umsonst: „Wenn ihr das alles seht, so wisset, daß es nahe vor der Tür ist” (Mt 24, 33), „des Abends sprecht ihr: ‚Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot’, und des Morgens sagt ihr: ‚Heute gibt es Regenwetter, denn der Himmel ist rot und trüb.’ Ihr Heuchler! Über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen, wie denn auch nicht über die Zeichen dieser Zeit!” (Mt 16, 3). „Wenn ihr eine Wolke im Westen aufsteigen seht, dann sagt ihr sofort: ‚Es kommt Regen’, und es geschieht so, und wenn ihr den Südwind wehen spürt, sagt ihr: ‚Es wird heiß werden’, und es geschieht, wie kommt es denn, daß ihr die gegenwärtige Zeit (den Kairos) nicht erkennt?” (Lk 12, 54-56). Es ist doch lächerlich und zugleich lästerlich zu meinen, weil diese Zeichen seit 2000 Jahren unseren Weg begleiten, das alles abzutun, als sei das einem fernen St .-Nimmerleins-Tag vorbehalten. Um mich nicht von unseren unruhigen, aufgeregten Zeitläufen verwirren und von gegenwärtigen Ängsten anstecken zu lassen, habe ich mir bei der Vorbereitung dieser Studie vorgenommen, bei christlichen Lehrern anzufragen, die gewiß nicht im Verdacht stehen, „friedensbewegt” und „grün” zu sein. Einer davon ist der eben erwähnte Theologe Josef Pieper, ein Mann, der seine Heimat im Thomismus hat, gelassen und fern jeder kurzatmigen Aufgeregtheit. In seinem Buch „Hoffnung und Geschichte” (1967) sagt er: „Die Frage lautet: ‚Gibt es eine legitime Geschichtsprophetie?’ Darauf antwortet die Christenheit mit einem klaren JA ... Man hat vor kurzem vorgeschlagen, zu unterscheiden zwischen ‚wissenschaftlichen’ und ‚weltanschaulichen Prognosen’, die definiert seien durch ihren ‚unwandelbaren Bezug auf eine zentrale Idee’. Dieser höchst fragwürdigen Kategorie . . . wird dann auch die Prophetie zugeordnet. In Wahrheit hat sie nicht das mindeste damit zu tun. Prophetie ist entweder göttlich verbürgte Auskunft - oder es gibt sie überhaupt nicht. . . Die christliche Theologie hat immer behauptet, daß uns die Glaubenswahrheiten aller Offenbartheit zum Trotz dennoch verborgen bleiben . . . das gilt in besonderer Schärfe für die Prophetie, für die noch nicht erfüllte Geschichtsprophetie ... sie beschreibt nicht einfachhin, was sich ereignen wird, man kann die Prophetie nicht lesen wie einen Steckbrief. . . . John Henry Newman hat gesagt, erst der Ausgang sei der wahre Schlüssel zu einer Prophetie.” Im Fortgang der Geschichte erst verstehen wir das sie begleitende Wort. Ich erinnere an unser Aha-Erlebnis, das ich eingangs schilderte; so dicht und prägnant hatten wir das Wort noch nicht verstanden, bis es dann geschah über den beiden unglückseligen japanischen Städten. Nun gibt es sicher belesene Zuhörer, die bei diesen Gedankengängen fragen: Ist das, was euch da so beeindruckt, nicht das einfache Phänomen der „self-fullfilling prophecy”, zu deutsch: eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt, weil sie es ist, die überhaupt erst den Prozeß in Gang setzt, dessen Resultat sie verkündet. So könne man etwa „einen Krieg geradezu herbeireden” durch die ständigen Äußerungen der Angst vor ihm. Doch dies ist hier keinesfalls ein Argument gegen das von Kardinal Newman Gesagte und von Pieper hier Wiederholte. Welche Verwirrung! Denn es gilt doch gerade vom Worte Gottes, daß es Wirk-Wort ist, daß es tatsächlich die Geschichte bewegt, treibt, sie vorantreibt zu ihrem Ende (was ja zugleich „Ziel” - finis - heißt!): „Das Wort aus meinem Mund . . . soll nicht leer wieder zu mir kommen, sondern tun, was ich vorhabe, und bewirken, wozu ichs sende.” (Jes 55, 11). Und nun wieder Newman: „Wir sollten versuchen, die Antwort der Juden der Zeitwende auf die messianischen Weissagungen zu verstehen durch unsere eigene auf die Apokalypse in diesem gegenwärtigen Augenblick.” Dies ist der entscheidende Satz und ihm ist nichts hinzuzufügen als die Worte Jesajas und Jesu selbst, wenn sie im Blick auf ihre Zeitgenossen und ja wohl auch auf uns feststellen: „Mit sehenden Augen nehmen sie doch nichts wahr!” Noch einmal: sie haben die Erfüllung der Prophetien nicht erkannt und nicht anerkannt, obwohl sie glaubten . . . Hier geht es also nicht um Angstmacherei, sondern darum, daß wir nicht beruhigen, wo schon Gottes Flammenschrift an unserer Wand glüht. Wenn Gott sich erhebt, „um die Erde zu erschrecken”, können wir nicht rufen: „Friede! Friede! Es hat keine Gefahr!” „Der Löwe brüllt; wer sollte sich nicht fürchten? Der Herr redet, wer sollte nicht weissagen?” (Amos 3.8). Was also ist uns angesagt? Das Heil, eindeutig und unverkürzt, aber durch die vernichtende Krise hindurch. Krisis heißt ja Gericht. Rettung und neuer Himmel und neue Erde, aber durchs Feuer (2 Petr 3, 7.10). Die Zeichen der Zeit sind überdeutlich in ihrer Dringlichkeit: Das Anwachsen der „Ungerechtigkeit” - bei uns Überfluß, anderswo Hunger - Umweltnot weltbedrohend, eskalierende Rüstung, anscheinend in unumkehrbarem „Sachzwang”. Vieles davon hat es andeutungsweise immer schon gegeben; das Ende, die Reifezeit zur Gerichtsernte, beginnt ja auch schon mit dem Kreuzestod Christi, seitdem liegt diese Welt im „Todeskampf”, in der Agonie - allem Fortschrittsglauben zum Trotz, der sich ja erweist als ein Vorwärtseilen zum Ende, ein Rennen in Sackgassen, in „Sachzwänge”, in denen wir uns selbst gefangen sehen wie in von uns selber aufgestellten Fallen. Immer schon gab es diese Signaturen, aber es beschleunigt sich (in 200, in 50 Jahren ist mehr und Unumkehrbares geschehen als in den 200 000 Jahren vorher!), es verdichtet sich, es übergreift den Erdkreis. Theodor Haecker sagt dazu: „Nicht als wäre ‚der Fürst dieser Welt’ der Herr der Geschichte, aber er beschleunigt ihren Gang; und das ist das teils offenkundige, teils geheime Geschehen unserer Tage” (Der Christ und die Geschichte, 1935). Wem fällt dazu nicht aus der Apokalypse Johannis jenes schreckliche „Weh euch, die ihr auf Erden wohnt; denn Satan kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und er weiß, daß er wenig Zeit hat!” ein (12, 12). „Galgenfrist”, sagte Kardinal Höffner im Zusammenhang einer bestimmten Problematik 1982, es bezog sich auf Rüstungswettlauf und Waffenstationierung, geht aber viel, viel weiter und trifft unsere Lage überhaupt; nutzen wir diese Galgenfrist? Wir tun, als ob wir noch viel, viel Zeit hätten; es ist aber, als sei einer am Werk, der uns die Zeit verkürzt. In der Bilderfolge der Johannesoffenbarung schien noch zur Zeit meines Studiums, also in den 40erJahren, vieles phantastisch, mythologisch, eben „apokalyptisch” (so als sei mit der Zuweisung zu einer Stilgattung schon über den Wahrheitsgehalt entschieden!), es schien mit einem Wort nicht real vorstellbar - nun, wir haben den Anfang davon bereits hinter uns und die Ahnung wächst, daß vieles von dem sich wörtlicher und schrecklicher erfüllen könnte, als wir es noch vor 50 Jahren wahrhaben wollten. Viele wollen es heute noch nicht wahrhaben. Zur Beantwortung der Frage nach unserer Zukunft im Licht eben der göttlichen Apokalypse bedarf es nicht der Aneinanderreihung eines Perlenkranzes der Schreckensbilder; nur einige Fixpunkte, die jeder in seiner Bibel nachlesen mag: „Die Lebenden werden die Toten beneiden” fällt mir dazu ein, vor allem aber auch der Fall Babylons, der Weltstadt in ihrer höchsten Übersteigerung von Pracht und Wirtschaftsmacht; Moskau scheint es danach nicht zu sein (Off 6, 8, 9, 16). Aber lassen wir das; wir brauchen uns nicht in sektenhafter Rechthaberei auf Einzelzüge festzulegen; gewiß gilt, daß, was immer geschehe, Gott der Herr des Geschehens bleibt und das Gleichnis von der Sturmstillung lehrt uns, nicht auf Sturm und Wellen, sondern auf den Herrn zu sehen. Doch einen Satz will ich noch hervorheben, weil wir heute so viel für den Frieden zu tun uns bemühen (mit Recht, es ist noch immer viel zu wenig, viel mehr Menschen müßten noch viel mehr und Entschiedeneres tun): „Und es ritt hervor ein zweites Pferd, es war rot, und dem, der darauf saß, war gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde ...” (Off 6, 4). Was nun? Und: Was dann? Das Ziel aber ist - ganz eindeutig -„der neue Himmel und die neue Erde” samt dem „Neuen Jerusalem”. Ich nenne dieses deshalb ausdrücklich als Drittes, weil Jerusalem ja das Gleichnis-Bild der göttlichen Stadt, der himmlischen Politeia, der durch Gottes Geist und Gegenwart erneuerten Menschheit ist, einer Menschheit, von der es ausdrücklich heißt: „Aus allen Völkern, Rassen, Kulturen und Sprachen.” Nichts von dem, was Gottes Schöpfergeist in diese Welt gepflanzt hat, wird verlorengegangen sein; es ist alles da, herrlicher als je hier. Der Glanz des neuen Christ-Menschen ist herrlicher als der Adams im Urständ, vor dem Fall. Aber dies alles erst durch und hinter dem großen „Feuer” (2 Petr 3, 7.10). Es darf nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden; das weltverzehrende Feuer aber wird nicht das Ende sein; keine annihilatio, kein „Vorbei, vorbei... als wär' es nicht gewesen”, so als sei die Schöpfung ein Irrtum, der nun widerrufen würde. Nicht das Ende! Dafür bürgt die Auferstehung Christi. Das Ende, und das heißt je zugleich telos, finis, das Ziel ist unbeirrbar und unverbrüchlich der neue Himmel, die neue Erde, die neue Stadt, in der kein Blut mehr fließen wird und alle Tränen getrocknet sein werden. Was also sollen wir tun? Hoffen, nicht daß es nicht passiert, sondern daß Gottes Reich kommt, trotz dieses allen, durch dieses alles! So hofft Martin Luther auf den „lieben Jüngsten Tag”. Sinnvolles innergeschichtliches Handeln, angesichts der Flammenschrift auf den Wänden, von dem Pieper spricht, was kann das sein? Bonhoeffer sprach in einer der Vorhöllen unserer Epoche vom „Beten und Tun des Gerechten”. 1. „Tun des Gerechten” - trotz aller Verwirrungen, trotz aller Zweideutigkeiten, trotz alles immer zweifelhafter werdenden „Sowohl-als auch”, zum Beispiel daß Nuklearwaffen zwar abzulehnen seien, was ja sogar die höchsten Lehrämter der Kirchen sagen, dann aber doch noch zu tolerieren - wie lange eigentlich noch? Wann kommt der berühmte, so viel beschworene Punkt, von dem an dies nicht mehr geht, denn das wird ja gesagt, daß es so nicht immer weitergehen kann. Ist er etwa dann erst gekommen, wenn sie losgegangen sein werden (Bresczinski in „Erfordernisse des Friedens”, Wien 1982)? Es steht zwar geschrieben: „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegslärm ...” (Mt 24, 6), aber Jesus sagt nicht, dann sehet zu, daß ihr auf der richtigen Seite euch engagiert (was ja bekanntlich die jeweils eigene ist), sondern: „Sehet zu und erschrecket nicht!” Größer kann die Distanz nicht sein, und wenn unsere Großkirchen nicht so sehr selbst in ihre jeweiligen Volkskörper und Gesellschaftssysteme verstrickt wären, würden sie dies auch sehen und sagen können. Die Kriege dieser Welt sind nicht unsere Sache. Wir werden die Kriege, die immer mehr endzeitlichen Charakter annehmen („Gog und Magog”, die ideologischen völkerübergreifenden, völkerverschlingenden „Blöcke”), nicht verhindern können, doch die Schrift, Jesus sagt eindeutig, wo wir in diesem Geschehen stehen, wo wir zu finden sein sollten: „Selig sind die Friedensstifter.” (Mt 5, 9) Und die Bischöfe der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten mit Primas Kardinal Krol an der Spitze haben hinlänglich klar gesagt, daß Fernraketen keine „Peace-keepers” und der Umgang mit ihnen kein Friedensdienst sein kann - einer pseudochristlichen Kreuzzugsideologie zum Trotz. Oder irrt das kirchliche Lehramt dann plötzlich, wenn es uns nicht zu Gefallen redet? 2. Und das andere, das wir tun sollen, ist: Beten; das inständige Flehen um Aufschub, um Gnade, um Verschonung. Das ist nur scheinbar, vordergründig ein Widerspruch. Dann nämlich, wenn wir aus der Offenbarung einen Fahrplan, ein Jahreszahlschema machen. Doch für den Gehorsamen ist Gebet Auftrag. Hier allerdings sehe ich eine Spannung, ein kontrapunktisches Element. In der Offenbarung Johannis (6, 10) ist die Rede von dem Gebet der Märtyrer: „Herr, wie lange richtest du nicht und rächst unser Blut an denen, die auf Erden wohnen?” Es ziemt uns nicht, hier zu urteilen, auch dieses Gebet mag dort, wo es gesprochen wird (die Seelen der Märtyrer sind „unter dem himmlischen Altar”!), seinen Platz haben. Doch wir, die wir noch auf Erden wohnen, sollten auch hier das Rechte tun und wie Abraham vor Sodom Fürbitte leisten. Abraham hat Sodoms Katastrophe nicht verhindert. Und doch ist es damit wie mit dem, was ich oben über den Krieg sagte. Wir werden ihn möglicherweise nicht verhindern, aber eindeutig ist der Ort, an dem Christus uns sehen will, wenn er wiederkommt. Es kann kein anderer als der Platz des betenden, des fürbittenden Abraham sein, der in Wahrheit der Platz Jesu selber ist. Viele kennen das Tafelbild im Münster von Heilsbronn, wo dieser zum Opfer willige Christus mit bloßen Händen in das erhobene Richtschwert greift. Die Offenbarung - und damit der erhöhte Christus - sagt, ich wiederhole es: Babylon wird fallen und ehe es nicht gefallen ist, keine neue Welt. Und dennoch ist uns das Amt der Fürbitte aufgetragen, ob vielleicht Gott noch Geduld habe, daß doch eine Generation, ein Geschlecht, eine Zivilisation sich bekehre, daß viele umkehren, solange es noch Zeit ist. Noch, jetzt noch, heute noch, niemand weiß, ob noch heute abend, ob noch morgen. Denn wenn der „Tag” vor der Tür steht, so kann jeder Tag der letzte sein. Das meint der beständige Ruf Jesu zur Wachsamkeit. Wir sollten ihn nicht verharmlosen, als hätten wir noch viel Zeit. Diese Spannung müssen wir ertragen, Gott selbst mutet sie uns zu. „Wer glaubt, flieht nicht!” Das ist es genau, dies ist der Auftrag an uns: Standhalten. Nicht weichen vom Platz des Friedensstifters und des Beters. Theodor Haecker schreibt als Motto vor sein Buch: „Vergil, Vater des Abendlandes” (1931!): „In solcher Zeit, meine Freunde, wollen wir beizeiten überlegen, was wir mitnehmen sollen aus den Greueln der Verwüstung. Wohlan, wie Aeneas zuerst die Penaten, so wir zuerst das Kreuz, das wir immer noch schlagen können, ehe es uns erschlägt.” Quatember 1985, S. 74-83 |
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