Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1985
Autoren
Themen
Stichworte

Die Erde ist des Herrn!
von Reinhard Mumm

LeerVom 5. bis 9. Juni fand in Düsseldorf der „21. Deutsche Evangelische Kirchentag” statt. Wer am Düsseldorfer Kirchentag vor zwölf Jahren teilgenommen hatte, erlebte ein gewandeltes Bild. Damals verlor sich die Schar von etwa 8000 Besuchern in den riesigen Hallen des weiten Messegeländes. Der Kirchentag war in eine Krise geraten. Er bildete nicht mehr das Forum der Begegnung evangelischer Christen aus den beiden Teilen Deutschlands; die Mauer trennte einschneidend unser Volk. Auch war der Kirchentag nicht mehr vom Singen bekannter Choräle geprägt; ein neuer musikalischer Stil breitete sich aus. Heftige Diskussionen offenbarten tiefgehende Spannungen. Die ältere Generation blieb aus; junge Menschen fingen erst an, den Kirchentag zu entdecken. Experimente wie die „Liturgische Nacht” lockten die einen und erschreckten die anderen.

LeerGegenüber dem Jahr 1973 bot sich 1985 ein völlig anderer Eindruck. An die 150 000 Teilnehmer waren in die nordrheinisch-westfälische Hauptstadt geströmt; die Jugend überwog eindeutig. Sie bot ein ausgesprochen buntes, aufgelockertes Bild und verhielt sich freimütig und zugleich freundlich. Soldaten erzählten, daß ihnen zwar oft kritische Ansichten begegnet seien, aber in angemessener Form. Die Verkehrsverhältnisse ließen sehr zu wünschen übrig; aber man blieb geduldig. Jeder konnte von den zweitausend Veranstaltungen bestenfalls einen Bruchteil miterleben. Das Beglückende am Kirchentag waren auch diesmal wieder die Begegnungen, überraschendes Wiedersehen mit Freunden, Bekannten und Verwandten oder neues Kennenlernen.

LeerVon der Eröffnung am Mittwochabend vor Fronleichnam bis zum Sonntag zog sich der Vers aus dem 24. Psalm durch die Tage: „Die Erde ist des Herrn!” Das war eine klare biblische Losung. Sie wurde gesungen und gebetet, immer wieder ausgelegt, von vielen allerdings in einen Zusammenhang gebracht mit den eigenen politischen Überzeugungen; damit begann die Gefahr, Gottes Wort und Menschenmeinung zu vermischen.

LeerWir erlebten einen pluralen Kirchentag, erfüllt von kaum vereinbaren Überzeugungen; aber man ging im ganzen friedsam miteinander um. Der „Markt der Möglichkeiten” verwirrte wieder mit seiner Überzahl von Anliegen, die verschiedenste Gruppen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Der Lärm war gewaltig. Wer daraus floh, fand in der Halle der Stille einen Ruheplatz. Da schliefen die Buben und Mädchen lang ausgestreckt auf dem Boden wie Kinder; man mußte über sie hinwegsteigen. An die Wände hatten viele ihre privaten Gebetsanliegen geheftet. Hier gewinnt im Protestantismus etwas Raum, was Katholiken seit Jahrhunderten in Votivtafeln zum Ausdruck bringen.

Linie

LeerUnter den bekannten „Pilgern” zur „Wallfahrt” nach Düsseldorf sahen wir Bundespräsident Richard v. Weizsäcker mitten im Volk. Kardinal Hoeffner sprach in herzlicher Weise vom neu gewonnenen Vertrauen zwischen katholischen und evangelischen Christen. Wir müßten warten, meinte er, daß Gott uns die ersehnte Einheit schenke. Da drängt sich die Frage auf: Könnten die Bischöfe nicht mehr tun für den nächsten Schritt, für die so oft erbetene gegenseitige Zulassung zum Tisch des Herrn? Ministerpräsident Rau wußte sein Volk wortgewandt anzusprechen: Kirche und Politik hätten miteinander zu tun, deshalb sollte der Kirchentag auch politische Fragen behandeln. Da wäre zu entgegnen: Niemand kann und will Kirche und Politik völlig trennen. Das Problem liegt in der Frage, in welcher Weise sie zusammengehören. An diesem Punkt muß dann das mühsame Sachgespräch beginnen.

LeerFernsehen, Rundfunk und Presse berichteten vorwiegend von dem lauten Geschehen, das zu hören und zu sehen war. Der Kirchentag hat auch stille Ecken, unter ihnen die Beratung und Seelsorge. Da fanden sich Frauen und Männer aller Lebensalter ein, vom Morgen bis zum Abend, die Rat suchten und seelische Hilfe, die niederknieten und beichteten, um der Gnade Gotten neu gewiß zu werden. Viele Gespräche gab es im Forum der Bruderschaften und Kommunitäten. Täglich wurde die evangelische Messe gefeiert. Auch das alles gehört zum Kirchentag und vieles mehr. „Die Erde ist des Herrn”. Dieser Glaubenssatz schließt ein, daß wir Menschen dem Herrn gehören und darum ihm verpflichtet sind. Der Umgang mit dem Leben der Schöpfung und mit dem Menschenleben gehören zusammen. Aus tiefer Überzeugung wehren wir uns gegen die Gifte und Kunststoffe, die Wälder und Felder, Flüsse und Seen zerstören und uns die Luft zum Atmen wegnehmen. In gleicher Weise gilt es, das ungeborene Leben zu schützen und aktive „Sterbehilfe” nicht zuzulassen.

LeerViel war von Gott die Rede in Düsseldorf. Nach einem äthiopischen Gottesdienst mit seinen uns so fremden Gebetsformen meinte ein junges Mädchen: „Wieviel tiefer glauben diese Afrikaner an Gott als wir!” Sie hatte das rechte Gefühl für die geprägte Frömmigkeit der koptischen Mönche. Diese dunkelhäutigen Männer zeigten uns auf ihre Weise, daß die ganze Erde des Herrn ist und daß wir einander schuldig sind, uns in solchem Glauben zu stärken.

LeerDie Schlußversammlung im Stadion bot ein Gemisch von Gottesdienst, ziemlich einseitigen Parolen und Festfreude. Das biblische Wort wurde verlesen, einige Choräle gesungen, das Abendmahl ausgeteilt; aber es bleiben Fragen: Worauf richtet sich die Hoffnung des Glaubens?

Quatember 1985, S. 176-177

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-10
Haftungsausschluss
TOP