Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1986
Autoren
Themen
Stichworte

Exodus - wohin?
von Jürgen Boeckh

LeerVom „Gott des Exodus” sprach in einer Hochschulversammlung eine christliche Theologie-Studentin. Der Jude Paulus hat den Gott des Exodus „Vater unseres Herrn Jesus Christus” genannt.

LeerDer Theologe Jürgen Moltmann hat das „Prinzip Hoffnung” des Philosophen Ernst Bloch aufgegriffen. Herausgefordert durch ihn hat er eine „Theologie der Hoffnung” entfaltet, in der die Christenheit unter dem Leitgedanken der „Exodusgemeinde” gesehen wird. Durch den Roman von Leon Uris und den danach gedrehten Film ist „Exodus” auch für Menschen ein Begriff geworden, die wenig Kontakt zu Kirche und Theologie haben. Bei dem amerikanischen Schriftsteller steht der Exodus ganz in der Kontinuität jüdischer Geschichte. Schwarze christliche Sklaven wiederum haben sich, die Bibel in der Hand, vor 100 Jahren in Nordamerika kindlich-naiv mit den Hebräern im alten Ägypten identifiziert, wenn sie sangen: „Go down, Moses, way down in Egypt's land, tell old Pharaoh: let my people go.” Und sie hatten dabei als Ziel ihre politisch-soziale Freiheit vor Augen - wie einst die Sklaven am Nil: „Und Gott wies Mose Weg und Zeit, daß er sein Volk zur Freiheit leit'.” Von dieser Identifikation einer sozialen Gruppe unserer Zeit mit Israel in der Morgendämmerung seiner Geschichte her ist es zu verstehen, daß der Exodus zum bevorzugten Paradigma einer „Theologie der Befreiung” wurde.

LeerIn welchem Ausmaß Exodus-Theologie unter einem bestimmten zeitgeschichtlichen Aspekt eine beherrschende Rolle spielen kann, wird deutlich an dem „Entwurf” zu einem „Rahmenplan für Evangelischen Religionsunterricht in Berlin-West/Sekundarbereich I” (1982). Dieser - umstrittene -Plan-Entwurf, in dem „biblische Inhalte vorwiegend in sozial-ethischer Zuspitzung vorgesehen” sind, wie es in einer Dokumentation des Comenius-Institutes „Religion am Lernort Schule” (Münster 1984) heißt, gibt sicher wieder, was auch an anderen Orten gelehrt wird oder als Zielvorstellung da ist. Darum hat er nicht nur partielle Bedeutung.

LeerDie Themen des ersten Lernfeldes in diesem Rahmenplan lauten: „Kind sein - erwachsen werden / Die Eltern ehren? - Gemeinsam auf dem Wege zur Mündigkeit / Ängste - verstecken, verdrängen, verwandeln?”. - Das zweite Lernfeld hat folgende Untertitel: „Exodus: Zur Gemeinschaft befreit / Wer ist Jesus von Nazareth? / Aufbruch oder Erstarrung? - Die Kirche in der Konstantinischen Wende.” In der „Religionspädagogischen Einführung” zu diesem Abschnitt heißt es:

Linie

Leer„Die Exodus-Tradition der hebräischen Bibel” soll „zentrales Thema für den Religionsunterricht” sein: „Das befreiende Handeln Gottes und die Solidarität Gottes mit den Versklavten und Unterdrückten soll insbesonders durch die Erinnerung des Exodus vergegenwärtigt, auf gegenwärtige Erfahrungen bezogen und diese sollen dadurch transzendiert werden. Unter der Perspektive ‚Vergewisserung und Erneuerung’ heißt das: ‚Israel erfährt Erneuerung in der Vergewisserung der geschichtlichen Befreiung und Vergewisserung in der Hoffnung auf künftige Erneuerung’. Israel sieht in dieser Befreiung seine unverdiente Erwählung durch Gott, die es allererst gemeinschaftsfähig machte und es als Volk Gottes konstituierte. Im Gebet, Gottesdienst und Fest, in Situationen der Krise, des Leidens und des Abfalls erinnern sich Juden bis heute daran und erfahren darin Erneuerung und Hoffnung. Die Geschichte von Vergewisserung und Erneuerung verbindet uns Christen, die wir durch Gott ‚hinzugetan’ sind, mit den Juden an diesem für Gottes offenbarendes Handeln zentralen Punkt, auch wenn für uns im Unterschied zu den Juden die gemeinsame messianische Hoffnung auf endgültige Erneuerung schon in Jesus Christus Gestalt angenommen hat. So gilt auch für uns Christen: Exodus: Zur Gemeinschaft befreit.”

LeerAls Beispiel wird dann unter anderem angeführt: Befreiung von Herrschaft in der Schule („aber nicht nur dort”). Weiter heißt es dann: „Erst die solidarische Gemeinschaft der Bedrohten kann diese Herrschaft befragen und abbauen. Diese Erkenntnis muß den Jugendlichen vermittelt und in Aktionen umgesetzt werden.” Das wird nun mit der Exodus-Tradition begründet, und dann heißt es: „Israel war zur Parteilichkeit für Jahwe aufgerufen; das bedeutete Verpflichtung und Ausdauer. Dann erst führte der Weg ins verheißene Land der Freiheit.” Den Schülern soll gezeigt werden, „wie in modernen Unterdrückungssituationen die Erinnerung an die Erfahrungen mit dem zum Exodus rufenden Gott die Betroffenen befreit und zur Hoffnung anregt, wie also die alten Erzählungen bewegende Bedeutung auch in der modernen Zeit haben.” Ist diese Auslegung der Exodus-Geschichte richtig? Ist sie , jüdisch” richtig? Ist sie „christlich” richtig? Worauf berufen wir uns eigentlich, wenn wir vom Exodus, vom Gott des Exodus sprechen?

LeerHistorisch gesehen liegt jenes Geschehen, von dem im 2. Buch Mose - Exodus - aufgrund und in der Sprache verschiedener Quellenschriften die Rede ist, ziemlich im Dunkeln. Martin Noth in seiner „Geschichte Israels” (1950) hat nicht bezweifelt, daß dem Urbekenntnis Israels von der „Herausführung” aus Ägypten durch Jahwe und dem Zug durch das Rote Meer ein geschichtlicher Vorgang zugrunde liegt. Andere, so der Historiker Eduard Meyer (t 1930), hatten einen „historischen Kern” der Auszugsgeschichte in Abrede gestellt. Noth dagegen spricht von einem „wirklichen Geschehen”, aber das Volk des Auszugs war noch nicht das spätere Israel, das Zwölfstämmevolk ist erst für „Palästina” bezeugt. Die „Söhne Israels” (Ex 1,1) hatten in Ägypten als „Hebräer” (ein im Buche Exodus häufig gebrauchtes Wort!) gelebt, das heißt „als Leute oder Gruppen minderen Rechts und geringen wirtschaftlichen Vermögens”, die „Dienste verschiedener Art annehmen oder leisten mußten”. In der älteren Quelle (Ex 12, 38) lesen wir: „Und es zog mit ihnen auch viel fremdes Volk.” Gerhard von Rad übersetzt: „Auch viel Mischvolk war mit ihnen heraufgezogen”, und er schreibt dazu: „Vielleicht liegt die ganz richtige Vorstellung zugrunde, daß außer Israeliten auch noch andere Elemente in Ägypten zu unfreier Arbeit herangezogen zu werden pflegten.”

Linie

LeerDie Flucht oder der Auszug dieser Hebräer verschiedener Herkunft geschah in der Nacht, die ihren Namen vom „Vorübergehen” des „Würgeengels” hat. Merkwürdigerweise wird wenig darüber nachgedacht, zumindest wenig darüber gesprochen, was da eigentlich geschehen ist - oder geschehen sein soll. War es ein Dämon, der die männliche Erstgeburt unter Menschen und Vieh getötet hat? War es der Gott Israels selbst, der durch einen wunderbaren Eingriff in die Geschichte die Befreiung der Unterdrückten möglich gemacht hat? Sehen wir genau hin: Es wird unterschieden zwischen Jahwe und dem „Verderber” (Ex 12, 23, vgl. 12, 13). Gerhard von Rad übersetzt: „Wenn Jahwe nun vorübergeht, um Ägypten zu schlagen, und das Blut an dem Türsturz und den beiden Türpfosten sieht, dann wird Jahwe am Eingang vorübergehen und den ‚Verderber’ nicht in eure Häuser eintreten lassen, um den Schlag auszuführen.” Bei den Rabbinen ist später maschchit (= Verderben, Verderber) zu einem Eigennamen für einen „Engel des Verderbens” geworden. Vielleicht hat Israel es schon sehr früh so verstanden, daß der Verderber - ein „böser Engel” - unmittelbar von Jahwe kam. Die alten Texte gebieten jedoch nicht unbedingt dieses Verständnis, zumal maschchit eben auch neutrisch als „das Verderben” verstanden werden kann.

LeerIn seiner Mose-Erzählung „Das Gesetz” hat Thomas Mann ausgesponnen, wie es geschehen sein könnte in jener Nacht, die er eine „arge Vesper” nennt, „wo Jahwe umging, oder sein Würgeengel. . . Was er tat? Er stellte ein Sterben an, das Sterben der Erstgeborenen des ägyptischen Elements . . . Die Unterscheidung zwischen Jahwe und seinem Würgeengel will wohl vermerkt sein: sie hält fest, daß nicht Jahwe selbst es war, der umging, sondern eben sein Würgeengel, - richtiger gesagt wohl eine ganze, vorsorglich zusammengestellte Schar von solchen. Will man die vielen aber auf eine Einzelerscheinung zurückführen, so spricht vieles dafür, sich Jahwes Würgeengel als eine stracke Jünglingsfigur mit Krauskopf, vortretendem Adamsapfel und bestimmt gefalteten Brauen vorzustellen, als einen Engelstyp jenes Schlages, der jederzeit froh ist, wenn es mit nutzlosen Verhandlungen ein Ende hat und zu Taten geschritten werden kann.”

LeerKurz gesagt: Ein Rollkommando der Hebräer (Unterführer Joschua als Würgeengel!) ist in jener Nacht unterwegs gewesen und hat dort Blut vergossen, wo an den Türen nicht das Blut der Lämmer zu sehen war.

LeerThomas Mann beendet dieses Kapitel mit den folgenden Worten: „Meine Freunde! Beim Auszug aus Ägypten ist sowohl getötet wie auch gestohlen worden. Nach Moses festem Willen sollte es jedoch das letzte Mal gewesen sein. Wie soll sich der Mensch auch der Unreinheit entwinden, ohne ihr ein letztes Opfer zu bringen, sich einmal noch gründlich dabei zu verunreinigen? Mose hatte den fleischlichen Gegenstand seiner Bildungslust, dies formlose Menschentum, seines Vaters Blut, nun im Freien, und Freiheit war ihm der Raum der Heiligung”.

LeerKönnte es nicht so gewesen sein? Eine Tat der Befreiung durch den Mann Mose (nach Thomas Mann ein halber Ägypter, der wirkliche Sohn jener ägyptischen Prinzessin - von einem hebräischen Sklaven gezeugt) und seiner Rotte, ein Geschehen wie eh und je in dieser Welt, bei dem für erfahrene Unbill Blut und Tränen nun anderer Unschuldiger fließen müssen. Der Historiker kann Gott in der Geschichte nicht finden, weder auf Golgatha noch im Lande Gosen. Im Selbstverständnis Israels und im Glauben der Kirche aber ist Jahwe, der eine Gott, in jenem Geschehen der eigentlich Handelnde gewesen.

Linie

LeerThomas Mann hat es „ein dunkles Kapitel” genannt, „in halben, verhüllten Worten nur abzufassen”. Dunkel ist es nach wie vor auch für den Historiker, kaum greifbar. Norbert Lohfink hat kürzlich in einer Gastvorlesung im „Sprachenkonvikt” der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg neue Erkenntnisse und Vermutungen mitgeteilt. Demnach sind die Anfänge der Geschichte Israels vom 13./12. Jahrhundert, wo Martin Noth sie noch ansetzte, noch weiter nach vorn gerückt, auf das Jahr 1000, „zu Saul, David, Salomo, zu den Anfängen der staatlichen Epoche Israels also”. („Warum wir weiter nach Israels Anfängen fragen müssen”. In: Zeichen der Zeit, Berlin (DDR), Nr. 11/1985, S. 173 ff.). Die Hauptmasse der späteren Israeliten gehörte, laut Lohfink, schon vorher zur „palästinensischen” Bevölkerung, aber „das schließt nicht aus, daß transmigrierende Gruppen, etwa die Erzvätersippen oder die Exodusgruppe, vielleicht gerade zu Auslösern oder Katalysatoren wurden. Das dürfte vor allem von der Exodusgruppe gelten, die offenbar den Jahweglauben und den später von allen übernommenen Basismythos des neuen Selbstverständnisses, die Exodusgeschichte, mitgebracht hat.”

LeerDieser Basismythos hat seinen Niederschlag in den Psalmen gefunden, er wurde zum Unterpfand einer neuen Hoffnung auf Heimkehr im babylonisehen Exil, er wurde und wird erinnert in der Passa-Nacht, die mit dem „Fest der ungesäuerten Brote” verbunden ist. Im Jahre 1927 schrieb S. Ph. De Vries: Der „Auszug aus Ägypten war das wichtigste Ereignis der jüdischen Geschichte, und zwar bis zum heutigen Tag auch des jüdischen Lebens, insofern es sich durch Symbole, Riten und Zeremonien ausschmückt.” Diese Riten, unter denen ja nun seit der Zerstörung des Tempels die Opferung des Pessachlammes fehlt, werden von dem niederländischen Rabbiner, der im Jahre 1944 in Bergen-Belsen umkommen sollte, eingehend beschrieben - bis hin zum Seder, der Mahlzeit, bei der es vor dem vierten Becher heißt: „Nächstes Jahr in Jerusalem!” (Jüdische Riten und Symbole, Wiesbaden 1981)

LeerWenn wir uns nun aber als Christen fragen, was der Exodus, im Passa erinnert, für uns bedeutet, dann müssen wir auf Jesus, den Christus Gottes, und das heißt, ins Neue Testament sehen.

LeerFür Christen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts war das Geschehen vom Nil bis zum Jordan eine Station in der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Das wird zum Beispiel aus der Rede des Stephanus (Apg 7, 35. 36) deutlich: Gott hat „Mose als Anführer und Befreier gesandt durch die Hand des Engels, der ihm im Dornbusch erschien. Dieser Mose hat sie herausgeführt, indem er Zeichen und Wunder tat in Ägypten und im Roten Meer und in der Wüste, vierzig Jahre lang.” Im Brief an die Hebräer wird Mose als Vorbild des Glaubens angeführt (11, 24-29). Da heißt es: „Er hielt die die Schmach des Messias für einen größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens . . . Aufgrund des Glaubens verließ er Ägypten . . . Aufgrund des Glaubens vollzog er das Pascha und bestrich die Türpfosten mit Blut, damit der Vernichter ihre Erstgeborenen nicht anrührte.”

Linie

LeerDer Zug durch das Rote Meer ist für Paulus ein Hinweis auf die Taufe (Meer und Wolke: Wasser und Geist), das Manna in der Wüste und das Wasser aus dem Felsen sind Vor-Zeichen für die geistliche Speise und den geistlichen Trank in der Eucharistie. Das Versagen des wandernden Gottesvolkes auf dem Weg ins verheißene Land dient ihm als Warnung für die neue Gemeinde aus Juden und Heiden (1. Kor 10, 1-13): „Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht. Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient (τυπικπς συνεβαινεν εκ εινοις / in figura contingebant illis).” Hier haben wir die typologische Auslegung der Schrift vor uns, in der das alte Geschehen auf eine neue Ebene gehoben wird. Das geschieht dann konsequent weiter im Brief an die Hebräer. Auch dort (Kap. 4.5) wird der Weg durch die Wüste dem neuen Gottesvolk vor Augen gestellt als Warnung vor dem Abfall vom Glauben, und die einst verheißene Ruhe im Land jenseits des Jordan wird zu einem Bild für die endgültige Sabbatruhe des Volkes Gottes.

LeerIn den Evangelien wird Passa, eines der drei großen Wallfahrtsfeste, zum einen formal als Termin erwähnt, zum anderen typologisch mit Tod und Auferstehung Jesu in Verbindung gebracht. Nach den Synoptikern findet das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern - zugleich das erste Mahl der Gemeinde des neuen Bundes - im Rahmen eines Passa-Mahles statt; nach Johannes stirbt Jesus am Kreuz zu eben der Stunde, da im Tempel die Passa-Lämmer geopfert werden. Durch das Zitat „Man soll an ihm kein Bein zerbrechen” (Ex 12, 46/Joh 19, 36) wird er ausdrücklich als das wahre, endgültige Passa-Lamm bezeichnet. Paulus wiederum sagt deutlich und knapp (1. Kor 5,7): „Als unser Pascha-Lamm ist Christus geopfert worden.” Und im 1. Petrusbrief, vermutlich einer Rede an Neugetaufte, heißt es (1, 18.19): „Ihr wißt, daß ihr nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber und Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel.”

LeerBald nach, vielleicht noch vor Abfassung der jüngsten im Neuen Testament enthaltenen Schriften (nach 120) heißt es deutlich im Anklang an Paulus und Johannes in Justins Dialog mit dem Juden Tryphon (111, 3): „Das Passa war nämlich der später geopferte Christus, wie auch Jesaja sagte: Wie ein Lamm wurde er zur Schlachtbank geführt. Daß ihr am Passatage ihn ergriffen und auch an Passa ihn gekreuzigt habt, das steht geschrieben. Gleichwie aber das Blut des Passa jene in Ägypten rettete, ebenso wird auch das Blut Christi diejenigen vom Tode erlösen, welche glauben.” So sehen wir, wie die Exodus-Tradition und das jüdische Passa (das Wort kann sowohl das Lamm als auch den Tag, oder besser die Nacht, meinen) durch die Juden, die Christen wurden, und die dazukommenden Menschen „aus den Völkern” umgestaltet wurden zum christlichen Passa, das dann, nach der Lösung von der Synagoge, in der Nacht zum ersten Herrentag (Sonntag) nach dem jüdischen Passa gefeiert werden sollte. Damit die Söhne Israels befreit werden konnten, mußten die erstgeborenen Söhne der Ägypter sterben, der Sohn Israels ist als „Gottes Lamm” für die Menschen seines Volkes und für die „Ägypter”, das heißt: für alle, gestorben und der „Erstgeborene von den Toten” (Kol 1,18) geworden.

Linie

LeerEindeutig geht aus den im Neuen Testament zusammengefaßten und anderen frühchristlichen Schriften sowie aus den Werken der Kirchenväter, ihren Abhandlungen und Predigten hervor, daß das Passa-Exodus-Geschehen von den Christen transzendiert wird im eigentlichen Sinne des Wortes, nicht nur übertragen wird in eine andere geschichtliche Situation (wie „transzendiert” in dem oben angeführten Plan-Entwurf verstanden wird). In lateinischen Texten wird Passa nicht immer, aber oft mit transitus übersetzt!

LeerMan kann natürlich diese Transzendierung durch die neue Gemeinde, diesen „Überschritt” in eine andere Dimension abweisen; dies hieße jedoch, sich auf eine andere Partei im Umfeld Jesu berufen als auf jene Juden, die Christen wurden. Obwohl wir im Neuen Testament, besonders bei Matthäus, harte Worte Jesu gegen die Pharisäer finden, stand er offenbar doch dieser Gruppe am nächsten - näher als den Sadduzäern oder Zeloten oder Essenern. Das wird auch von jüdischer Seite gesehen. So sagt Schalom ben Chorin: Wir gehen „wohl nicht fehl, wenn wir Jesus selbst zu den Pharisäern rechnen, freilich zu einer inneren Opposition innerhalb dieser größten Gruppe in dem ihm zeitgenössischen Judentum” (Bruder Jesus, München 1972, S. 22). Demgegenüber wird in dem erwähnten Lehrplan-Entwurf Jesus in die Nähe der Zeloten gerückt: „Nazareth, die Heimat Jesu und seiner Eltern, war damals ein unbedeutendes Dorf, im niedergaliläischen Bergland gelegen. Judas von Galiläa hat ungefähr zur Zeit der Geburt Jesu in dieser Provinz mit der Widerstandspartei der Zeloten mit dem Guerillakampf gegen die römischen Besatzer begonnen. Die freiheitsliebenden und rebellischen Bewohner dieses nördlichen Gebiets, in dem zweifellos auch ein großer, starker Gesetzeseifer bestand (der aber nicht eine solche rabbinische Prägung hatte wie im Süden), galten als Juden minderen Ranges.”

LeerEs wird damit der Anschein erweckt, daß Jesus selbst aus zelotischen Kreisen stammt. Gewiß standen die Zeloten den Pharisäern, die man nach unserem Sprachgebrauch als Orthodoxe oder Pietisten bezeichnen könnte, näher als den liberalen Sadduzäern. Aber sie unterschieden sich von ihnen in der Wahl der Mittel zur Aufrichtung des Gottesreiches. „Der Zelot machte den tätigen Eifer für Gottes Gesetz zum bestimmenden Zug seiner Lebenshaltung.” Schon vor dem genannten Judas von Galiläa, der anläßlich der von Kyrenios angeordneten Volkszählung zum Widerstand aufrief, hatte es Banden gegeben, deren Mitglieder als „fanatische Patrioten mit ursprünglich religiöser Motivation” aufgetreten waren. Die Pharisäer, ihre geistigen Väter, stellten sich praktisch auf die Seite der Zeloten, wenn sie ihnen zum Beispiel „das Recht des Strafvollzugs im Schnellverfahren” einräumten, „wo ein Jude in der ehelichen Verbindung mit einer Nichtjüdin angetroffen wurde” oder wo ein Nichtjude den geheiligten Tempelbezirk betrat. Ihr Ziel war: „Herstellung der Königsherrschaft Gottes durch Beseitigung der römischen Herrschaft, nicht durch hoffende Geduld, sondern durch entschlossene Tat.”

Linie

LeerJesus ist zusammen mit zwei „Übeltätern” gekreuzigt worden. Vermutlich waren das zelotische Widerstandskämpfer, von den Römern her gesehen: Terroristen. - Ist Judas ein Zelot gewesen, der den Weg Jesu nicht mehr mitgehen wollte, weil er ein anderes Messias-Bild hatte, als Jesus es darbot? „So wie man sich das kommende Reich dachte, so den Messias.” Die populären messianischen Erwartungen begnügten sich mit der Hoffnung auf einen selbständigen jüdischen Staat! Dazu paßte nicht der Mann, der Feindesliebe gebot, der den „Barmherzigen Samariter” als Vorbild der Nächstenliebe den „Räubern” (wahrscheinlich Zeloten) gegenüberstellte und selbst den Weg der Gewaltlosigkeit, den Weg des Leidens ging. (Ausführungen und Zitate dieses Abschnittes nach Artikeln des „Theologischen Wörterbuches zum Neuen Testament”: ζηλοω, ληστης, χριω.)

LeerDies alles stimmt nicht, wenn Jesus - anders als es im Neuen Testament berichtet wird - in Wirklichkeit „ein nationaler Messias-König gewesen ist, der als Anführer von den Römern verurteilt wurde”, der „einen Exodus in die Wüste und seine anschließende Proklamation als König der Juden” plante. So hat es der jüdische Historiker Robert Eisler gesehen (Jesus basileus u basileusas, Heidelberg 1930). Der schon erwähnte, aus Deutschland stammende und heute in Jerusalem lebende Schalom ben Chorin hat die These Eislers wie die eines Epigonen, der vor einigen Jahren durch den „Spiegel” publik gemacht wurde, abgelehnt: „Wir wissen . . ., daß Jesus den Petrus verwarnt und ihm sagt, daß, wer das Schwert zückt, durch das Schwert umkommen wird, daß der Würger erwürgt wird und jede Gewalttat weiter Gewalttat auslöst. Wenn Jesus sich mit den zwei vorhandenen Schwertern begnügt, so ist es schwer verständlich, daß Autoren wie Robert Eisler und später Joel Carmichael ihn selbst zum zelotischen Aktivisten umdeuten wollen.” (a. a. O. S. 238, 25)

LeerAuch Jakob J. Petuchowski, Inhaber des Lehrstuhls für jüdisch-christliche Studien an einer Rabbinerausbildungsstätte in Cincinnati, sieht Jesus und seine jüdischen Anhänger keineswegs auf Seiten der Zeloten: „War Jesus der erwartete Messias oder war er es nicht? Nun gab es aber zu jener Zeit noch keine einheitliche jüdische Messiaslehre - wenn es sie überhaupt je gegeben hat. Jemanden für den Messias halten, der es nach Ansicht der Mehrheit nicht war, bedeutete im rabbinischen Judentum noch keine Todsünde oder Veranlassung zur Verketzerung, soll sich doch selbst der berühmte Rabbi Aqiba im zweiten Jahrhundert bei der Identifizierung des Messias geirrt haben! Anfeindung ernteten nur diejenigen, die aus ihrem messianischen Glauben praktische Konsequenzen zogen, die im Widerspruch zu der Politik und der Religionspraxis der Mehrheit standen. Aber eben das haben die Judenchristen getan . . . ihr Glaube an den Messias Jesus hielt sie davon ab, an den Befreiungskriegen gegen Rom teilzunehmen; denn diese Befreiungskriege standen unter einem messianischen Zeichen, und die Judenchristen konnten neben Jesus keinen anderen Messias gelten lassen. In aufgewühlten Zeiten wird aber die Verweigerung des Kriegsdienstes als Volksverrat angesehen, und dieser Anklage setzten sich dann auch die Judenchristen aus.” (Der jüdische Konvertit zum Christentum in jüdischer Sicht. In: UNA SANCTA, H. 2/1985, S. 161 f.) Das heißt also:

Linie

LeerVon Jesus ist kein Anstoß zum Exodus, zur Befreiung im politischen Sinne, ausgegangen. Jene Juden, die einen zweiten Mose - als Befreier - wollten, hielten sich nicht zu Jesus von Nazareth, dem Gekreuzigten. Für die folgende Zeit gilt: Der Glaube an Jesus, den Kyrios, den Herrn, den Gekreuzigten und Auferstandenen, ist so stark, daß eine „fleischliche” (um mit Paulus zu reden) Auslegung der Tora gar nicht mehr zur Debatte steht, ja, es wird eine Frage, ob die heiligen Schriften Israels überhaupt in corpore von der Kirche aus Juden und ehemaligen Heiden übernommen werden sollen. Radikal widersprochen hat einer Übernahme der aus Sinope am Schwarzen Meer stammende Schiffsreeder Marcion mit seinem „Evangelium vom fremden Gott”. Für Marcion ist der „Gott und Vater Jesu Christi” mit dem Gott der Juden, ja mit dem Schöpfer-Gott nicht identisch. Erst durch diesen radikalen Widerspruch sah sich die (damals noch keineswegs zentral „regierte”) Kirche genötigt, die heiligen Schriften Israels als „Altes” und christliche Schriften über den Kanon des Marcion hinaus als „Neues Testament” anzuerkennen. Für Paulus, der „Buchstaben” und „Geist” scharf gegenübergestellt hatte, wäre das wohl undenkbar gewesen.

LeerSeitdem es eine Bibel gibt, ist eine Differenzierung der „Gültigkeit” beider Testamente ein Problem - bis heute! Was ist und wird nicht alles mit „der Bibel” begründet: Ketzerverbrennung und Todesstrafe, Kreuzzüge und nationale Befreiungskriege, die Glorifizierung des Reiches, verschiedener Reiche, die Apartheid in Südafrika und der Kampf gegen die Apartheid. Adolf von Harnack, der große liberale Theologe um die Jahrhundertwende, hat festgestellt, daß die meisten Vorwürfe gegen das Christentum aufgrund einer mißverstandenen Anwendung des Alten Testaments erhoben werden, und er kam zu der These: „Das AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu conservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.” Harnack hat allerdings nicht wie Marcion den Schöpfer-Gott für böse erklärt. Er meinte, daß die Bücher des Alten Testaments „gut und nützlich zu lesen” wären; Luther hatte das im Blick auf die Apokryphen gesagt. Als verbindliche Heilige Schrift hat Harnack jedoch das Alte Testament abgelehnt. Neuerdings hat Hanna Wolf, von ganz anderen Voraussetzungen herkommend, die radikale Lösung Jesu vom Alten Testament gefordert. Der alttestamentliche Gott-Patriarch ist für sie nicht identisch mit dem Vater, von dem Jesus spricht - wobei sie anscheinend Jesus selbst mit dem Vater gleichsetzt (in der Sprache der altkirchlichen Christologie: Modalismus). Das Buch von Hanna Wolf, Neuer Wein in alten Schläuchen (2. Aufl. Stuttgart 1983), ist ein mutiges Buch: Die Autorin spricht vom Holocaust-Komplex der Christen (in Deutschland) und vom Golgatha-Komplex der Juden, und sie meint, die Christen sollten das Alte Testament den Juden zurückgeben!

Linie

LeerGegenüber allen diesen Versuchen einer absoluten Trennung von Juden und Christen, einer „Rückgabe” des Alten Testaments, ist jedoch zu sagen: Wir sind auch als Christen - Juden, hervorgegangen aus der Spaltung der Judenheit nach Jesus, aufgrund der Erscheinung Jesu. Allerdings gilt nach wie vor: Wir lesen die hebräische Bibel, die für uns Altes Testament ist, anders als die Juden, die nicht getauft sind. Der Exodus Israels, wie immer er auch historisch ausgesehen haben mag, gehört auch für uns zur Geschichte Gottes mit seinem Volk. Aber nach Jesus kommt das Heil nicht mehr „in, mit und unter” geschichtlich-immanenten Bewegungen und Entwicklungen: Weder durch eine Nacht der langen Messer noch durch einen christlichen Kaiser, weder durch eine nationale oder auch politisch-soziale (und damit oft genug mit Gewalt vorgehende) Befreiungsbewegung noch durch einen „christlichen” oder auch (religiös) „jüdischen” Staat.

LeerDaß die Fronten im Blick auf die Beurteilung dieser Dinge durchaus quer durch das heutige Juden- und Christentum gehen können, wird deutlich aus den Gedanken, die Gershom Scholem, 1897 in Berlin geboren und von 1933 bis 1965 Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, in seiner Abhandlung „Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum” (Judaica, Frankfurt 1959, S. 35) schreibt: Der „messianische Aktivismus liegt übrigens in jener merkwürdigen Doppellinie der gegenseitigen Beeinflussung von Judentum und Christentum, die mit inneren Entwicklungstendenzen beider Religionen Hand in Hand geht. Der politische und chiliastische Messianismus bedeutender religiöser Bewegungen innerhalb des Christentums erscheint oft als eine Widerspiegelung eines eigentlich jüdischen Messianismus”. Zu Unrecht, so meint Gershom Scholem, versuchen christliche und jüdische Theologen - aus verschiedenen Motiven - immer wieder, die Apokalyptik von der Bibel zu trennen. Aber die Bibel zielt auf Erlösung, die „gar nicht in irgendeinem kausalen Sinn eine Folge aus der vorangegangenen Historie ist. Es ist ja gerade die Übergangslosigkeit zwischen der Historie und der Erlösung, die bei den Propheten und-Apokalyptikern stets betont wird. Die Bibel und die Apokalyptiker kennen keinen Fortschritt in der Geschichte zur Erlösung hin. Die Erlösung ist kein Ergebnis innerweltlicher Entwicklungen, wie etwa in den modernen abendländischen Umdeutungen des Messianismus seit der Aufklärung, wo noch in seiner Säkularisierung im Fortschrittsglauben der Messianismus eine ungebrochene und ungeheure Macht beweist. Sie ist vielmehr ein Einbruch der Transzendenz in die Geschichte, ein Einbruch, in dem die Geschichte selber zugrunde geht, in diesem Untergang sich freilich wandelnd, weil von einem Licht betroffen, das von ganz woanders her in sie strahlt.” (S. 24 f.)

LeerEs gibt heute zwei verschiedene Juden- und Christentümer: Das eine, in dem Fortschritt und Befreiung anstelle von Transzendenz und Erlösung treten, und ein anderes, in dem man die Erlösung von dem lebendigen Gott extra nos - jenseits unserer sichtbaren Welt - erwartet; wobei der Unterschied zwischen Christen und Juden in der unterschiedlichen Beantwortung der Frage besteht, ob diese Erlösung mit Jesus von Nazareth bereits begonnen hat oder nicht.

Linie

LeerIn den folgenden Thesen wird zum einen zusammengefaßt, was hier zu einem heute modernen Theologumenon angemerkt wurde (1-7), zum anderen aber angedeutet, was weiter zu diesem Thema gesagt werden kann und muß (8-10) und in einem späteren Heft dieser Zeitschrift ausgeführt werden soll.
1. Der Exodus, historisch gesehen in Dunkel gehüllt, hat als Basismythos des Volkes Israel Geschichtsmächtigkeit erlangt. Im Pessach-Fest erinnert, ist er immer wieder zum Impuls für Rückkehr ins Land Israel und für Befreiung des Volkes geworden.
2. In den Schriften des Neuen Testaments, überhaupt in der Kirche der apostolischen und nachapostolischen Zeit, ja im gesamten christlichen Altertum, ist der Exodus Israels aus Ägypten ins verheißene Land als Typos für den Weg des Volkes Gottes in die neue Welt Gottes - jenseits der Todesgrenze - verstanden worden.
3. Die Passa-Nacht ist nun jene Nacht, in der Jesus, das neue Passa-Lamm, vom Tode zum Leben hindurchgedrungen ist. Das neue Passa wird in jeder Eucharistie erinnert, das neue mit dem alten besonders in der christlichen Passa-|(=Oster-)Nacht.
4. Im Blick auf Jesus kam es zu einer Spaltung Israels. Entsprechend den vorhandenen verschiedenen Messias-Vorstellungen hat nur eine Minderheit der Juden in dem gekreuzigten Jesus von Nazareth den Messias erkannt; nur wenige haben Jesus als den Auferstandenen erfahren und nur ein Teil der Juden ist in der folgenden Zeit zum Glauben an ihn gekommen.
5. Die Mehrzahl des Volkes hat offenbar den Messias als Befreier im politischen Sinne erwartet und darum den Weg des Jesus von Nazareth und seiner Jüngergemeinde abgelehnt. Nichts spricht dafür, daß Jesus mit der Partei der Zeloten in Zusammenhang zu bringen ist.
6. Für die einen war Jesus ein gescheiterter Messias, für die anderen ein Messias neuer Art, durch den die Exodus-Hoffnung Israels transzendiert, die Thora relativiert und die Geschichte Gottes mit den Menschen nicht mehr nur mit dem zunächst erwählten Volk Israels, sondern mit Menschen aus allen Völkern verknüpft wurde.
7. Unabhängig von jedem Zahlenverhältnis ist die Kirche nach wie vor Kirche aus Juden und Heiden. Die Übernahme der hebräisch-griechischen Bibel als (nicht nur chronologisch) Altes Testament ist legitim, da der Gott und Vater Jesu Christi kein anderer ist als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (wie Moses und der Propheten). Das Neue Testament als primäres Zeugnis von Jesus und der Kirche ist mehr als nur eine Fortsetzung des Alten Testamentes; es ist allerdings auch nicht „Schrift” im prägnanten Sinne wie das Alte Testament, besonders die Thora.
8. Das Evangelium ist kein neues Gesetz, da Jesus kein neuer Mose ist. Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, der die Lehre von den zwei verschiedenen Herrschaftsweisen Gottes (zwei „Regimenten”, mißverständlich wiedergegeben mit „zwei Reichen”) entspricht, ist nach wie vor eine gute Hilfe, um das Handeln des einzelnen Christen, gesellschaftlicher Gruppen und auch des Staates sachgemäß zu begründen und zu beurteilen.
9. Politisches und soziales Handeln, auch moralisches Handeln des einzelnen gehört zum Gesetz und ist darum auch dem möglich, der vom Evangelium Jesu Christi nichts weiß oder nichts hält. Das Evangelium wiederum kann nicht gesetzlich durchgesetzt werden, weder „von oben” durch eine kirchliche Instanz (wie den römischen Papst) noch „von unten” durch einzelne Gruppen (heute etwa im politischen Protestantismus), die ihre Meinung in politischen oder sozialen Fragen als verbindlich für alle proklamieren.
10. Der Exodus aus Ägypten mag für das heutige Israel ein legitimes Beispiel für Rückkehr und Befreiung sein, für die Kirche aus Juden und Heiden ist er lediglich Erinnerung daran, wie Gott der Herr in der Geschichte ante Christum sein erst-erwähltes Volk geführt hat.
11. Im Bereich des Gesetzes, in dem auch die Christen leben, kann der alte Exodus durchaus eine Ermunterung zu Befreiungen sein, zur Durchsetzung von individuellen und kollektiven Menschenrechten. Eine „Theologie der Befreiung” wie eine „Theologie der Freiheit” haben zu beachten, daß es in ihnen nicht um „letzte”, sondern um „vorletzte Dinge” geht, wenn Menschenrechte im Sinne der Vereinten Nationen gemeint sind.
12. Wer zur Durchsetzung von Menschenrechten Gewalt einsetzt, wird in je dem Falle schuldig, auch wenn er - relativ - „im Recht” ist. Er kann sich dabei auf Mose, nicht aber auf Jesus, den im Leiden Vollendeten (Hebr 5, 8.9) berufen. Wer im Handeln schuldig wird, ist - wie jeder Mensch - angewiesen auf die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade, allein durch den Glauben.

Quatember 1986, S. 78-89

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
Haftungsausschluss
TOP