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„O König Jesu Christe . . .”
von Jürgen Boeckh

LeerAls ich zum ersten Mal an dem jährlichen Michaelsfest der Evangelischen Michaelsbruderschaft teilnahm, es war im Herbst 1950 im Kloster Lehnin in der Mark Brandenburg, machte mir ein Lied, das von den Brüdern in der romanisch-gotischen Kirche gesungen wurde, besonderen Eindruck: „O König Jesu Christe ...? Ich hatte dieses Lied bis dahin noch niemals gehört und gesungen. Im Deutschen Evangelischen Gesangbuch von 1931 stand es nicht, wir finden es erst im Evangelischen Kirchengesangbuch von 1951. Jetzt steht es auf der Liste der Lieder, die in das in Vorbereitung befindliche neue Gesangbuch nicht wieder aufgenommen werden sollen.

LeerZweimal wurden hier alte Hymnen in neuer Übertragung vorgestellt, einmal ein neues Lied und zuletzt ein hier unbekanntes Lied aus England mit deutscher Übersetzung. Es wurde daran der Wunsch geknüpft, diese Lieder in das evangelische Gesangbuch zu übernehmen. Diesmal soll für die Beibehaltung eines alten Liedes plädiert werden! Erst nachdem ich mir dies vorgenommen hatte, stellte ich fest, daß vor genau fünfzig Jahren das damals „neue? Lied „O König Jesu Christe? unter die „Lieder für das Jahr der Kirche” (2. Auflage) aufgenommen sowie in unserem „Michaelisbrief 1936” abgedruckt und von Walter Kiefner vorgestellt worden war. Am Schluß der „Berichte” dieses Heftes ist nun der Aufsatz von Kiefner unter der Überschrift „Vor fünfzig Jahren” abgedruckt.

LeerWenn jetzt das Lied aus dem „Stammteil” des neuen Gesangbuches verschwinden soll, so spielt dabei in erster Linie sicher die Tatsache eine Rolle, daß es sich in der Breite der Gemeinden nicht durchgesetzt hat. Was die Melodie angeht: Die herbe dorische Weise ist unpopulär zu einer Zeit, da, nostalgischer Sentimentalität entsprechend, das Lied „So nimm denn meine Hände” ins Gesangbuch zurückkehren soll. Darüber hinaus nehmen manche Anstoß am Text. Vielen Jüngeren ist heute jedes Bild, das der Welt des Soldaten entnommen ist, ein Greuel. Von daher wäre allerdings auch ein Fragezeichen hinter Luthers „Ein feste Burg” zu setzen, oder hinter Friedrich Spittas „Kommt her, des Königs Aufgebot” aus dem Jahre 1898. Zu diesem Lied hat Johannes Kulp bemerkt: „In der Verbindung mit der Weise von Heinrich Schütz erlangte das Lied durch das Jugendliederbuch ‚Ein neues Lied’ weite Verbreitung, und der Eingangsruf ‚Des Königs Aufgebot’ wurde fast zu einer Parole, die die Jugend auf ihre Fahnen geschrieben hatte, wozu die schwungvolle und in ihrer Art im Gesangbuch einmalige Weise das Ihre beitrug. Das Lied wendet sich an eine kleine Schar, der die hohe Verantwortung, ‚Der Wahrheit Schatz zu wahren’, anvertraut ist”. (Handreichung zum EKG, Sonderband 1958, Seite 312 f.).

LeerHier wird deutlich, (und jeder, der jene Jahre erlebt hat, kann es bezeugen), daß sich in Liedern dieser Art alles andere als eine Koppelschloß-Theologie ausspricht. Dafür zeugen auch die von Otto Riethmüller 1935 unter dem Titel „Wehr und Waffen” herausgegebenen „Lieder der kämpfenden Kirche”. Ein 1934 entstandenes Lied von Heinrich Vogel beginnt: „Hie Wort des Herrn und Christenschwert! Der Feind steht in den Mauern”. Auch da ein Anklang an die „Geistliche Waffenrüstung”, von der im Brief an die Epheser die Rede ist: „So nehmt den Helm des Heils und wehrt ihm sonder Furcht und Trauern!”

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LeerIn der Urkunde (1931) und in der Regel (1937) der Evangelischen Michaelsbruderschaft heißt es: „Die wahren Entscheidungen der kämpfenden Kirche fallen in dem geistlichen Kampf ihrer Glieder.” Damit ist deutlich gesagt: Es geht zuerst um einen Kampf  i n  unserem  e i g e n e n  Herzen, und wo wir mit anderen Menschen zu streiten haben, da gibt es nur eine „Angriffswaffe”: das Schwert des Geistes, das Wort Gottes! Das hat Walter Kiefner auch damals schon deutlich gesagt, als das Lied unter die Wochenlieder aufgenommen wurde. Und Rudolf Spieker schrieb als letzten Satz zu diesem Lied - im Blick auf die fünfte Strophe - in der „Lesung für das Jahr der Kirche”: „Das Wichtigste ist, daß wir selbst durch die Liebe Bürger Seines Reiches sind und bleiben.”

LeerHier soll noch etwas nachgetragen werden zur Entstehung unseres Liedes, über die vor fünfzig Jahren nichts gesagt wurde. In der vorliegenden Form ist es von Wilhelm Thomas und Konrad Ameln bearbeitet und zuerst 1933 in den „Christlichen Kampfliedern” veröffentlicht worden. Das Vorwort - von keinem der beiden Genannten - kann man allerdings nur mit Schrecken zur Kenntnis nehmen, ebenso eine Vorstellung dieses Heftes durch den gleichen Autor in „Musik und Kirche” als „politisches Liederbuch”, das „dem Einsatz für das Evangelium und das Reich”, gemeint ist das deutsche, fördern soll. Im Vorwort zu den „Liedern für das Jahr der Kirche” sind derartige Gedanken jedoch nicht zu finden.

LeerDie Vorlage für unser Lied ist eine 15-strophige Dichtung von Leonhard Roth, der zu der von Jakob Huter nach 1533 zu Tannowitz in Mähren gegründeten Täufergemeinde gehörte. Die „Huterischen Brüder” lebten in Kommunitäten (wie wir heute sagen würden), die „Haushaben” oder „Bruderhöfe” genannt wurden, mit Gemeinwirtschaft nach dem Vorbild der Urgemeinde in Jerusalem. In Steinabrunn, wohin Leonhard Roth dann übersiedelte, gehörte er zur Gemeindeleitung. Nach der Schreckensherrschaft der Wiedertäufer zu Münster und ihrer gewaltsamen Beendigung setzte eine Verfolgung auch friedlicher Taufgesinnter in anderen Landstrichen ein. Jakob Huter erlitt 1536 in Innsbruck den Flammentod. Unter den bis dahin wegen ihres Fleißes geschätzten Taufgesinnten in Mähren erfolgten viele Verhaftungen und scharfe Bestrafungen. „81 der Männer unter den Häftlingen wurden zum Ruderdienst auf den Mittelmeergaleeren verurteilt: die übrigen entließ man als zu jung oder zu schwach. Zu zweien aneinandergekettet, machten die Verurteilten die lange Wanderung über Wien . . . nach Triest. Dort aber gelang es ihnen, trotz scharfer Bewachung frei zu kommen und zu fliehen; nur 12 Mann wurden von der verfolgenden Polizei wieder gefangen und sollten den Galeerendienst antreten. Dessen weigerten sie sich aber entschieden, da sie als Nachfolger Christi dem Waffenhandwerk keinen Vorschub leisten könnten, und wenn die Galeeren gleich gegen die heidnischen Türken gesandt würden; sie waren auch durch Geißelung nicht zum Rudern zu bringen und sind dann elendiglich umgekommen. Roth aber hatte sich mit den übrigen 68 Brüdern retten können; um Mittfasten 1540 waren sie bereits wieder in der Heimat.” (W. Lücken, Handbuch zum EKG 11,1, Seite 86 f.).

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LeerNachdem am 6. Dezember 1539 das täuferische „Haushaben” in Steinabrunn überfallen worden war, hatten zwanzig der auf Schloß Falkenstein in Niederösterreich eingekerkerten Gefangenen gemeinsam ein Lied mit dreißig Strophen gedichtet, von denen zwei unter dem Namen von Leonhard Roth überliefert sind. Ein Lied mit fünfundzwanzig Strophen, das überschrieben ist „ ,Hinzog der gefangenen Brüder' gen Triest auf das Meer”, stammt ganz von ihm. Außerdem hat er ein Lied mit fünfzehn Strophen hinterlassen, das beginnt: „Ach Gott im höchsten Reiche, Du starker Schirm und Schild ...” Schriften der Taufgesinnten und damit auch ihre Lieder wurden bis ins 19. Jahrhundert mündlich überliefert, da sie nicht gedruckt werden durften. Erst im Jahre 1914 gab Elias Walter in Scottdale/Pennsylvania eine umfangreiche Sammlung, „Die Lieder der Hutterischen Brüder”, heraus, in der auch die Lieder von Leonhard Roth enthalten sind. In Nordamerika bestehen noch heute viele Brüderhöfe. Die Brüder gehören zur Familie der Mennoniten, die als Kriegsdienstverweigerer bekannt und als solche in den Vereinigten Staaten auch anerkannt sind.

LeerDie erste Strophe unseres Liedes „O König Jesu Christe” ist die zehnte des Liedes „Ach Gott im höchsten Reiche”, von dem wir hier acht Strophen, die fünf aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch (Nr. 203) bekannten und drei weitere Strophen - alle in der ursprünglichen Fassung - abgedruckt haben. In der zweiten Strophe nimmt Roth unmittelbar Bezug auf die damalige Situation:
„Wir deine Knecht gemeine,
Gefangen jetzt geleich
Auf dem Schloß Falkensteine,
Im Land zu Österreich.
Drum daß wir haben Buße
Getan für unsre Sund,
Und folgen Christi Fuße
Als deine lieben Kind.”
LeerHier, wie auch in mehreren anderen Strophen, wird es ganz deutlich, daß der geistliche Kampf, von dem dann im Anschluß an das Neue Testament, besonders im 6. Kapitel des Briefes an die Epheser, die Rede ist, ein Kampf der leidenden Gemeinde ist, der allein mit geistlichen Waffen ausgefochten werden darf. Vielleicht hat der Umstand, daß unser Lied zuerst in den „Christlichen Kampfliedern” erschien, dazu geführt, daß keine von den Leidens-Strophen übernommen wurde. In einer Zeit, da die kriegerischen Wiedertäufer hoch im Kurs standen, mag auch eine Nähe zu den friedlichen Taufgesinnten, die eher zu sterben bereit waren, als auf einer Galeere Dienst zu tun, als nicht opportun erschienen sein.

Wäre es heute nicht sinnvoll, anstatt dieses Lied zu streichen, es durch einige der anderen Strophen zu erweitem?

Quatember 1986, S. 131-134

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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