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Der geistliche Kampf
von Gérard Siegwalt

Unsere spirituelle Aufgabe in der heutigen Welt

LeerEine Weise, das gestellte Thema anzugehen, soll hier ins Blickfeld kommen: der geistliche Kampf als Kampf um die Unterscheidung der Geister. Dies soll im ersten Teil erläutert werden.

LeerIn einem zweiten Teil wollen wir das Thema in die uns vorgegebene Wirklichkeit hineinstellen und unsere Ohnmacht und deren Sinn bedenken. In einem letzten Teil wollen wir dann über die sich öffnenden Möglichkeiten des geistlichen Kampfes als Kampf um die Unterscheidung der Geister nachdenken.


I. Unser geistlicher Kampf als Kampf um die Unterscheidung der Geister

LeerEs können hier nur einige kurze Hinweise gegeben werden, die die Aufgabe haben, dies so formulierte Thema uns nach einigen wesentlichen Aspekten als biblisches Thema vor Augen zu stellen. Die biblischen Aussagen, die hier zu bedenken wären, gehen bei weitem über das diesem Beitrag gesteckte Maß hinaus. Wir können hier nur eine Schneise öffnen, uns anregen lassen zu weiterem Nachdenken, uns auf den Weg des lebendigen und lebenspendenden Odems, des Geistes Gottes, und so des von Ihm in uns entfachten eigenen kreativen Seins stellen.

LeerZunächst ein Hinweis auf den Kampf Michaels und seiner Engel wider den Drachen (nach Offbg 12). Wir wissen um die geläufige Deutung des hier in Form eines Mythos erzählten Geschehens (man kann auch anders als in dieser Form darüber reden, aber dieselbe ist die eigentliche Urform, sie ist die „Muttersprache” eines Geschehens, wie es hier gemeint ist). Der Sturz des großen Drachen, der alten Schlange, die da heißt Teufel und Satan, wird verstanden als ein Abtun, als ein Verwerfen, als ein Vernichtetwerden des Drachen. Das ist nun gewiß eine zunächst einleuchtende Deutung, aber vielleicht auch eine etwas pauschale, vorschnelle. Es ist hier genauer hinzusehen. Ist mit der angegebenen Deutung alles gesagt? Ist schon mit dem Tod des Todes, mit dem Sieg über den Teufel und die Sünde durch das Kreuz Christi, welcher Sieg ja durch den Kampf Michaels in der unsichtbaren Dimension der Schöpfung ausgeführt, verwirklicht wird, sind denn Sünde, Tod und Teufel tatsächlich abgetan, oder sind sie „nur” überwunden? Aber was heißt hier „nur”, was heißt „überwinden” im Unterschied zu abtun, „fertigmachen”, töten?

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LeerHier will genau unterschieden werden, solches Unterscheiden gehört mit zur Unterscheidung der Geister! Und solches Unterscheiden geschieht da, wo wir fragen, was es mit dieser Wirklichkeit, die hier Drache genannt und damit als eine verschlingende, zerstörende Wirklichkeit charakterisiert wird, was es damit eigentlich auf sich hat. Denn es handelt sich da ja um ein Geschöpf, um ein der Schöpfung angehörendes Geschöpf. Gewiß bleibt die Herkunft der Schlange im Paradies (nach Gen 3) in Dunkel gehüllt, aber sie wird dort ausdrücklich als zur von Gott geschaffenen Tierwelt ausgewiesen, wenn das wohl auch nicht alles über sie sagt. Sie ist offensichtlich nicht nur eine Wirklichkeit der sichtbaren, sondern auch der unsichtbaren Schöpfung, wie denn ja auch das Nizänische Glaubensbekenntnis sagt, daß Gott der Schöpfer der sichtbaren  u n d  der unsichtbaren Wirklichkeit ist.

LeerVon der unsichtbaren Schöpfung spricht schon die erste Schöpfungsgeschichte, wenn sie als erstes Schöpfungswerk Gottes die Erschaffung des Lichts nennt. Damit ist sicher nicht das Licht von Sonne und Mond und der Gestirne des Himmels gemeint, deren Erschaffung das Werk des vierten Schöpfungstages ist, sondern ein gleichsam der sichtbaren Schöpfung vorausgehendes, aber eben auch geschaffenes Licht. Es ist ein himmlisches, aber als solches doch geschaffenes, in keiner Weise mit dem göttlichen Licht selbst zu verwechselndes Licht. Von diesem so verstandenen himmlischen Licht gilt, daß es nicht außerhalb der irdischen Schöpfung steht, sondern dieselbe als deren himmlische und damit unsichtbare Dimension durchdringt, wenn anders Himmel und Erde, von Gott geschaffen, wesentlich (durch das „und”) miteinander verbunden sind, weshalb es denn auch angemessen ist, von der sichtbaren und der unsichtbaren Dimension der  e i n e n  Schöpfung Gottes zu reden.

LeerDer Drache, die Schlange, eine sozusagen physische und metaphysische, sichtbare und unsichtbare, irdische und himmlische Wirklichkeit! Aber eine wenn auch wie die ganze Schöpfung als gut erschaffene oder - wie man's auch verstehen kann, wenn man die erste Schöpfungsgeschichte nicht allein rückwärtsblickend, also protologisch, sondern vorwärtsblickend, eschatologisch versteht - auf die Güte hin geschaffene, so doch in ihrer jetzigen Gegebenheit nicht gute, sondern jedenfalls ambivalente Wirklichkeit.

LeerVon dieser Wirklichkeit als einer vielgestaltigen, alle sonstige Wirklichkeit mitbestimmenden, spricht auch Paulus, sprechen die paulinischen Schriften, wenn dort von den Thronen und Herrschaften und Reichen und Gewalten die Rede ist. Davon steht im Kolosserbrief die doppelte Aussage, die sonst vorkommende Aussagen bestätigt und zusammenfaßt: einmal die gemachte, wonach im ewigen Gottessohn „alles geschaffen ist, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Reiche oder Gewalten; alles ist durch ihn und zu ihm geschaffen”; und dann die im 2. Kapitel (8 ff.) gemachte Aussage, nach welcher Gott die gut oder für die Güte geschaffenen, aber offensichtlich nicht jetzt gut seienden Reiche und Gewalten seiner Herrschaft unterstellt hat: „Er hat die Reiche und die Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus”.

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LeerDa ist nichts von Töten, von Ausmerzen dieser Mächte gesagt, sondern von ihrer Unterwerfung. Und warum sie nicht ausgemerzt werden, könnte ja einsichtig sein, wo sie doch Kräfte der Schöpfung darstellen, als gut geschaffen, um Ausdruck der Güte der Schöpfung zu sein, aber pervertierte Kräfte, die anstatt erbauend, konstruktiv zu sein, abbauend, zerstörerisch, destruktiv geworden sind. Geworden sind, nicht von Ewigkeit zu Ewigkeit wesentlich sind, also auch nicht unwiderruflich destruktiv, sondern eben auf Widerruf. Und das heißt wohl auch, daß sie nicht nur destruktiv sind, sondern, wie schon gesagt, ambivalent, mal so und mal anders, mal mehr konstruktiv und mal mehr destruktiv, vielleicht genauer: gekennzeichnet durch den Hang des Konstruktiven zum Destruktiven, aber auch durch die Möglichkeit des Destruktiven in Konstruktives gewandelt zu werden; also ambivalent im Sinn von un-entschieden zwischen gut und böse, ambivalent als Schmelztiegel von gut und böse, als Untergang des Guten im Bösen, da das Gute sich, gebannt durch das Böse, nicht durchsetzen kann.

LeerFragen wir da mal genauer, ja existenzbezogener, wo uns denn solche Mächte erscheinen, die sich in dieser Weise als ambivalent erzeigen? Also geschaffene Mächte, der Schöpfung angehörende Wirklichkeiten, die aber nicht beschränkt werden können auf ihre sichtbare Gegebenheit und die nicht nur zweidimensional im Sinn von sichtbar und unsichtbar, sondern auch in anderer Weise doppelbödig, doppeldeutig sind, nämlich derart, daß sie kreativ und destruktiv zugleich, engelisch heilsam und dämonisch zersetzend sind. Benennen wir solche Mächte!

LeerSie sind immer zugleich persönlich und sozial, individuell und kollektiv, natürlich und geschichtlich; sie sind am Werk in allen Bereichen der Wirklichkeit. Um nur einige aufzuzählen: Eros, welch köstliche, welch furchtbare Macht! Mammon, welch nützliche, welch verderbliche Macht! Identität, Selbständigkeit, Selbstbehauptung, Durchsetzungsvermögen, Freiheit, wie sind sie zum Leben notwendig, wie sind sie dem Leben feind! Wirtschaft, Ordnung, Staat, welche Weisen der praktischen Vernunft, welche Fanatiker der Unvernunft! Wissenschaft, Kunst, Literatur, Kultur, welche Gewalt der Erkenntnis, errichtet auf welchen Friedhöfen der Unkenntnis! Religion, Glaube, Amt, Lehre, Dienst der Liebe, Gebet, Gemeinschaft (auch sie sind ja der Wirklichkeit dieser Welt nicht enthoben, wenn sie auch nicht in ihr ihr erstes und letztes Gesetz haben), welche gnädigen Gaben der steten Erneuerung, welche Karikatur, welcher Tümpel von Verkrampfung, Verdrängung und Neurosen! Nichts ist ausgenommen von der Ambivalenz, auch das nicht, was nicht von dieser Welt ist, sofern es eben doch in dieser Welt ist.

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LeerIn was besteht nun der Kampf Michaels gegen den Drachen? Eben doch wohl nicht in seiner Vernichtung, sondern in einer „Sortierung”, in einem Unterscheiden, in einem Scheiden des Ungeschiedenen. Denn so sehr diese Welt im Argen liegt (1 Joh 5, 19), so gewiß ist sie doch durchdrungen vom guten schöpferischen Wirken Gottes, wie dasselbe in der Erlösung durch Christus sich dem Glaubenden offenbart und wie es in, mit und unter der gegenwärtigen Wirklichkeit hinweist auf den neuen Himmel und die neue Erde, auf das kommende Gottesreich.

LeerSo ist der Aussage vom „Im-Argen-sein” dieser Welt gegenübergestellt die Aussage von den guten Gaben dieser Welt, wie sie sich etwa auch in der Apokalypse findet. Dort wird (21, 24.26) von den Völkern - den Heidenvölkern! - gesagt, daß „die Könige (dieser Völker) ihre Herrlichkeit in sie (die himmlische Gottesstadt) bringen werden”. „Man wird die Pracht und die Herrlichkeit der Völker in sie bringen. Es gibt also „positive Werte” in dieser vom Argen gezeichneten Welt, die die Verheißung haben, in das himmlische Jerusalem eingeerntet zu werden!

LeerDiese positiven Werte gilt es zu scheiden vom Argen. Das ist ja mit der im Brief an die Epheser (1, 10) gemachten Aussage gemeint, wo von Christus gesagt wird, daß Gott in ihm alle Dinge zusammenfaßt, wörtlich übersetzt: rekapituliert. In recapitulatio ist caput = Haupt. Rekapitulieren heißt: auf Christus hinordnen, so daß er das Haupt des so Rekapitulierten wird. Die Rekapitulation umfaßt einen dreifachen Akt, den man mit dem Hegel'sehen Wort „Aufhebung” umschreiben kann. Dasselbe hat bei Hegel eine dreifache Bedeutung: 1. Aufhebung als negatio = Verwerfung, 2. Aufhebung als confirmatio = Bestätigung, 3. Aufhebung als sublimatio = Vollendung. Das ist ja auch die dreifache Beziehung zwischen Evangelium und Gesetz: 1. Das Evangelium hebt das Gesetz auf, verwirft es, und zwar nach seinem falschen, legalistischen Verständnis; 2. Das Evangelium bestätigt das Gesetz, nach seinem wahren, evangelischen Sinn, verstanden als Wegweisung, Weisung auf dem Weg des Heils; 3. Das Evangelium (oder Christus) erfüllt das Gesetz, ist seine Erfüllung.

LeerDer Kampf Michaels ist ein Unterscheiden der Geister, und damit ein Scheiden. Nicht ein Vernichten, jedenfalls nicht nur ein Vernichten. Eros, Mammon, Staat, Kultur, auch (im genannten Sinn) Religion sollen und können nicht ausgemerzt werden; sie sind tragender Grund dieser Welt; sie sind sozusagen das Energiereservoir alles Kreativen, alles Konstruktiven. Aber die hier gespeicherte Energie hat ihre Norm nicht in sich selbst, weshalb sie denn auch, wo sie nicht ihrem Schöpfer, Erlöser und Vollender unterstellt ist, immer wieder ausartet und, statt zu bauen, zerstört. Der Kampf Michaels ist, als Kampf um die Unterscheidung der Geister, um ihre Scheidung, ein Kampf der Entscheidung! Der geistliche Kampf besteht in der Unterscheidung, in der Scheidung, in der Entscheidung. Der geistliche Kampf ist der Kampf Christi in der Kirche und durch die Kirche, in der Bruderschaft und durch die Bruderschaft, im einzelnen Bruder und durch den einzelnen Bruder; er ist der Kampf der rekapitulatio, der als Kampf der Aufhebung im genannten dreifachen Sinn des Wortes Kampf der Unterscheidung, der Scheidung und der Entscheidung ist.

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LeerDie weiteren biblischen Hinweise zu unserem Thema: „Unser geistlicher Kampf als Kampf um die Unterscheidung der Geister” müssen ganz knapp gehalten werden. Aber sie erhalten von dem Gesagten her Licht und Ausdruckskraft.

LeerPaulus erwähnt (1 Kor 12, 10) unter den Geistesgaben, den sogenannten Charismen, auch die Gabe der Unterscheidung der Geister (διακρισις πνευματων). Diese hier als besondere Gabe angeführte, die also einzelne Glieder der Gemeinde auszeichnet, ist zugleich Gabe der gesamten Gemeinde: „Propheten lasset reden zwei oder drei, und die andern lasset die Rede prüfen”. Das hier (1 Kor 14, 29) gebrauchte Verbum ist διακρινειν, wörtlich: unterscheiden. Das Verbum „prüfen” ist durchaus zutreffend; die mit dem Verbum „unterscheiden” (διακρινειν) verbundene Aussage findet sich im Neuen Testament auch unter dem Verbum „prüfen” (δοκιμαζειν), siehe 1 Thess 5, (19-) 21: „(Den Geist dämpfet nicht. Prophetien verachtet nicht.) Prüfet aber alles, und das Gute behaltet”. Ganz ähnlich 1 Joh 4, 1: „Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind, denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt.” Wir sollen prüfen, so wie und weil Gott zuerst und zuletzt prüft, und zwar auf Herz und Nieren, siehe 1 Kor 3, 12f.: „Eines jeglichen Werk wird offenbar werden; der Tag wird's klar machen. Denn mit Feuer wird er (der Tag des Gerichts) sich offenbaren, und welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren” (wörtlich: prüfen).

LeerIn diesem Zusammenhang ist ein weiterer Blick auf das Verbum „unterscheiden” (διακρινειν) interessant und von Belang. Folgende Zusammenhänge tun sich uns da auf:

LeerEinmal der Zusammenhang zwischen unterscheiden (διακρινειν) und richten (κρινειν). Gewiß sollen wir nicht richten (Mt 7, 1), weil Gott der Richter ist und wir alle unter  s e i n e m  Gericht stehen; aber wir sollen doch ebenso gewiß prüfen, unterscheiden, um urteilen und entscheiden zu können. Die Unterscheidung der Geister ist, zusammen mit Glaube, Liebe, Hoffnung, die den Christen kennzeichnende Gabe und die ihm damit gestellte Aufgabe, sofern der Christ durch Glaube, Liebe, Hoffnung eben in eine (dia-)kritische Distanz zur Welt versetzt wird, nicht als ob er der Welt entnommen oder über sie erhaben sei, sondern weil er in ihr als vom kommenden Gottesreich bestimmt zu leben befähigt und berufen ist. Diese Befähigung und Berufung schließt aber die Unterscheidung der Geister ein, die Aufgabe, sie von und auf Christus hin zu sehen und somit sie - die Welt - zu rekapitulieren, sie auf ihr Haupt, auf Christus hinzuordnen. Die Unterscheidung der Geister hat als Ziel nicht das Richten, sondern das Rechtwerden, das Rechtmachen, die Rechtfertigung der Welt!

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LeerDann, zweitens, der Zusammenhang zwischen Unterscheidung der Geister und Streit. (Διακρινειν) unterscheiden, kann nämlich auch streiten bedeuten. Unterscheidung der Geister als Streit, als Streitgespräch! Gewiß, von der ersten Christenheit heißt es (nach Apg 4, 32): „Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele” - ein Manuskript (D) fügt hinzu: „und es war keinerlei Streit (διακρισις) unter ihnen”. Ähnlich sagt Paulus (Röm 14, 1): „Des Schwachen im Glauben nehmt euch an und (so Luther) verwirret die Gewissen nicht”, wörtlich treffender: „ohne auf Streite der Meinungen hinzuzielen”, das heißt ohne in dem Sinn zu diskutieren, in dem Wilhelm Stählin das Wort gebraucht, wenn er sagt: „Ich hasse die Diskussion”; und zwar in dem Sinn, als sie nicht auf Wahrheitsfindung aus ist, nicht die Wahrheit in Liebe sagt, sondern aus ist auf Rechthaberei, nicht auf wirkliches Hören, sondern auf Schlagen (discutere, von cutere, schlagen; dis-cutere: auseinanderschlagen). Weshalb ja auch Paulus, da er ganz persönlichen Angriffen von seiten der Korinther ausgesetzt ist, sich von jeder Streitsucht und Selbstrechtfertigung fernhält, die ja nur die Streitsucht der Korinther neu entfesseln und stärken würde. Sondern er sagt von sich (2 Kor 10, 3ff): „Ob wir wohl im Fleisch wandeln, so streiten wir doch nicht fleischlicherweise. Denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes zu zerstören Befestigungen. Wir zerstören damit alle Anschläge und alles Hohe, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Gedanken unter den Gehorsam Christi.”

LeerAlso doch Streit, aber mit geistlichen Waffen! Streit zum Zweck der Erbauung, mittels Unterstellung aller unter den Gehorsam Christi! Wenn uns die irrige Meinung kommen sollte, daß dies durch Zwang geschehen kann, wie leider so manches in der Geschichte der Kirche bis auf heute (und solche Tendenz ist ja auch in mir selber angelegt!), dann erinnern wir uns nur an den Satz „Lasset uns wahrhaftig sein in der Liebe!” (Eph 4, 15). In die Regel der Michaelsbruderschaft ist er so eingegangen: „Wir wagen es, uns in Liebe die Wahrheit zu sagen.” Denn es geht ja bei solchem Streit um ein Kämpfen Christi in uns, mit uns, durch uns, und solches Kämpfen ist nur da wirklich und wahr, wo ihm die Dimension der Stille, des Hörens, des Betens, des Glaubens, des Liebens, des Hoffens eignet, und dies bei allem Reden und Tun!

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LeerZuletzt, drittens, der Zusammenhang zwischen unterscheiden und zweifeln. Zweifeln ist die Bedeutung von διακρινειν = prüfen, in der Medial- oder Passivform (διακρινεσϑαι). Zweifler ist, wer mit sich selbst im Streite ist, der so mit sich selbst und mit den Dingen befaßt ist, in steter Selbstanalyse oder Analyse der Dinge, in stetem Um-sich-selbst-Herumkreisen und Kreisen um Dinge, daß der Ort, von dem aus geprüft, unterschieden wird, nämlich Christus, aus dem Auge verloren wird. Der Zweifler (διακρινυμενος) ist der in sich gespaltene Mensch. So sagt Jesus (Mt 11, 23): „Wahrlich ich sage euch: Wer zu diesem Berg spräche: Hebe dich und wirf dich ins Meer! und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen würde, was er sagt, so wird's ihm geschehen.” Oder Jakobus (1, 6ff.) im Blick auf den Bittenden: „Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Solcher Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde. Ein Zweifler ist unbeständig auf allen seinen Wegen.”

LeerDem Zweifler fehlt die Ausrichtung auf das Haupt, auf Christus; er sieht nur sich selbst und die Welt und verliert dabei die Richtung, den Norden, wenn man's mit dem Bild des Magneten ausdrücken kann, der sein Wesen darin hat, ausgerichtet zu sein, auf einen Pol bezogen zu sein. Den Zweifler können wir nicht selbst überwinden, aber er wird dann überwunden, wo uns die Gnade des Auf- u n s -Ausgerichtetseins Christi zuteil wird, wo in dem Meereswogen der Felsen erscheint, der alles ordnet, oder wo die in den Abgrund ziehenden Wasser in, mit und unter ihrer Todesmacht die neugebärenden Wasser werden, die tötenden und neubelebenden Wasser der Taufe! Dann wird aus dem Unentschieden des Zweifelns, aus dem Ungeschieden das Unterscheiden und somit das Scheiden und das Entscheiden, das - konstruktiv - das Ziel alles Zweifelns ist.

LeerDamit genug der biblischen Hinweise. Noch viel hätte erörtert werden können und sollen. Wir hätten reden müssen von Jesus und dem Dämonischen, und wie es bei dessen Austreibung um eine Unterscheidung, um eine Scheidung, um eine Entscheidung, von Jesus vollmächtig vollzogen, geht. Wir hätten handeln müssen von der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Prophetie und Lehre, wie sie im Neuen Testament - und schon im Alten - immer wieder thematisiert wird, und von Ähnlichem mehr.

LeerUnser geistlicher Kampf als Kampf um die Unterscheidung der Geister! Unser geistlicher Kampf im Anschluß an Michael, der in der unsichtbaren Dimension der Schöpfung die Überwindung des Todes, des Teufels und der Sünde durch Christus ausführt, so wie die Kirche und wir als Bruderschaft und jeder einzelne Bruder diesen Sieg Christi, im Rücken gedeckt durch Michael, in der sichtbaren Dimension der Schöpfung auszuführen berufen sind . . .

Leer„. . . Über des Himmels Aussehen könnt ihr urteilen (διακρινειν), könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen? Dieses böse und abtrünnige Geschlecht sucht ein Zeichen, und es soll ihm kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Jona.”


II. Unsere geistliche Ohnmacht im Weltenmeer als Gebärmutter zum geistlichen Kampf

LeerWir sprachen vom geistlichen Kampf als Kampf um die Unterscheidung der Geister. Und nun dieses Jesuswort: „Es soll kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Jona”! also: das Zeichen des Sterbenmüssens! Aber auch des Auferstehens, durch das Sterben hindurch!

LeerUnter diesem Zeichen steht die Kirche von Anfang an. Aber in den Zeiten des „Triumphalismus” war das nicht immer deutlich. Heute, zumal in unseren europäischen Ländern, vom Atlantik bis zum Ural, ist das, in gewiß je nach Land und Lage verschiedener Weise, wohl unbestreitbar. Unbestreitbar ist, aufs Ganze gesehen, die Ohnmacht, die geistliche Ohnmacht der Kirche, auch der Michaelsbruderschaft, auch des einzelnen Bruders im Weltenmeer. Wir sitzen ja wohl auf dem absterbenden Ast der Geschichte. Wir sind offensichtlich dabei, vom Weltenmeer verschlungen zu werden.

LeerWir wollen uns dieser Lage stellen, wollen ihr (dia)kritisch ins Auge blicken. Könnte unter der Maske des Augenscheins, der uns vor Angst erstarren läßt, der uns anficht als eine tödliche Macht, könnte darunter ein Gesicht sich verbergen - und enthüllen -, das Gesicht des durch Tod zur Auferstehung durchdringenden Herrn Jesus des Christus!

LeerOhnmacht! Das über die Unterscheidung der Geister gesagte: schön und gut! Aber was bedeutet das, was hat das für eine Wirkkraft angesichts der Gewalt, angesichts der Herrschaft des triumphierenden Geistes dieser Weltenzeit? Wir können nun durch die so gestellte Frage etwas hindurchhören, wovon wir uns distanzieren - kritisch distanzieren - müssen. Nämlich dies, daß  n a c h  dieser Weltenzeit eine andere kommen wird, die die Dinge auf ganz andere Füße stellen wird. Die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde ist nun gewiß  d i e  christliche Hoffnung. Aber nicht als Revanche, nicht aus dem Ressentiment geboren! Diese christliche Hoffnung - als Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde! - gibt es nicht gegen diese Weltenzeit, sondern nur in, mit und unter dieser Weltenzeit, durch sie hindurch und (nur) so über sie hinaus, nur so also daß sie in, mit und unter dieser Weltenzeit uns als lebendige Hoffnung (für diese Welt und über sie hinaus!) gegeben wird, nur so also, daß wir die mit dieser Weltenzeit gegebene Ohnmacht auf uns nehmen, sie durchleiden und uns dadurch neu gebären lassen.

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LeerWir wollen hier einen kurzen Augenblick anhalten. Nicht Weltverbesserung kann unser Motto sein, sondern neues Sein, durch Wandlung hindurch, durch Verwandeltwerden hindurch. An der Welt, im Norden und im Süden, im Westen und im Osten, gibt es viel zu verbessern, und wir dürfen und sollen nach unseren Möglichkeiten mitarbeiten, daß da die richtigen Entscheidungen getroffen werden, die zu solcher Verbesserung führen, daß in dieser Richtung auch gehandelt wird und wir selber mithandeln. Aber wir werden nur - als Kirche, Bruderschaft und einzelner Bruder - hier in rechter Weise unseren Beitrag geben können, selber recht entscheiden lernen und zu rechten Entscheidungen beitragen - aus dem neuen Sein heraus und das heißt aus dem Gestorbensein und immer neuen Sterben heraus und dem durch dies Sterben in uns auf- und durchbrechenden neuen Leben heraus!

LeerEs steht ein Gesetz über allem Leben, auch über dem menschlichen Leben, das Gesetz des Stirb und Werde. Luther redet davon im Kleinen Katechismus, wenn er vom täglichen Ersäuftwerden des alten Adam und vom täglichen Auferstehen des neuen Menschen spricht. Nach der Offenbarung des Johannes (13,8, übersetzt nach dem Urtext) ist dies Gesetz Gott selbst im Sohn, oder, wie es da heißt, im Lamm: „. . . das Lamm, das erwürget ist vom Anfang der Welt”. In dem, den Johannes der Täufer als das Gotteslamm bezeichnet, das der Welt Sünde trägt, tritt dies von Anfang an in ebenso latenter als universaler Weise leidende Gotteslamm in Erscheinung in einer geschichtlichen Person, in Jesus von Nazareth, wird Fleisch in ihm. Das Kreuz auf Golgatha rekapituliert ein für allemal das latente und universale Leiden des Gotteslammes, und das heißt auch das Leiden, das da andauert - wie Pascal sagt - bis ans Ende der Welt, solange die Sünde der Menschen andauert. Das Kreuz von Golgatha ist - in der Sprache Hegels - das konkrete Universale: hier wird das universale Leiden des ewigen Gottessohns konkret, in einer geschichtlichen Existenz.

LeerWo in unserem Leben Sterben geschieht, wo wir diesem Sterben nicht entfliehen, sondern es geschehen lassen, es durchleiden - bei aller therapeutischen, auch seelsorgerlichen Begleitung! -, da will Christi Sterben in uns Frucht bringen, da bringt es in uns Frucht, da gibt Er uns teil an seinem Sterben, da haben wir teil daran. Und da gibt er uns auch teil an seinem Auferstehen, da läßt er uns neu geboren werden durch das Sterben hindurch, da geschieht Taufe in unserm Leben, wird unsere Taufe wahr und wirklich in der ganzen Dauer unseres Lebens.

LeerUnsere geistliche Ohnmacht im Weltenmeer als Gebärmutter zum geistlichen Kampf! „Es soll ihm kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Jona”! Hören wir nicht nur das Gesetz, sondern auch, durch das Gesetz hindurch, das Evangelium, die Verheißung dieses Wortes an uns? Berufen zum Neugeborenwerden, durch  a l l e s  Sterben hindurch!


III. Die in, mit und unter der geistlichen Ohnmacht
geborenen Möglichkeiten des geistlichen Kampfes

LeerWir sprechen von geborenen Möglichkeiten, also von gegebenen, nicht gemachten. Ich kenne sie nicht von vornherein. Ich kann sie mir nur zeigen lassen, eben durch die Ohnmacht hindurch. Die Möglichkeiten, die um die Ohnmacht herum gehen wollen, sind gemachte, nicht geborene; sie sind Trug und Lüge.

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LeerIm Elsaß hat die Naturschutzkommission der beiden evangelischen Kirchen eine wichtige Schrift herausgebracht: „Bedrohte Natur und christliche Verantwortung” (Hrsg. G. Siegwalt, Otto Lembeck, Frankfurt/M. 1979). Es sind da eine Reihe brennender Themen, von der Kernenergie über die Ernährung bis hin zum Tierschutz und zur Raumplanung, aufgenommen worden, in einer versuchten - denn es kann sich ja da nur um einen Versuch handeln - christlichen Sicht. Wir sprechen nur von kleinen Schritten. Nur das ist ehrlich, nur das ist realistisch, nur das ist möglich. Nur das hat Verheißung! Die kleinen Schritte! Zu ihnen führt die Unterscheidung der Geister, die Scheidung, die Entscheidung.

LeerEs geht bei den kleinen Schritten darum, Inseln zu schaffen. Lufträume, in denen geatmet wird in einer luftarmen und bedrängenden Welt. Inseln inmitten dieser Welt! Räume der Freiheit, der Relationalität, der zwischenmenschlichen Beziehung, der Beziehung zur Schöpfung und der Beziehung zu Gott. Alle diese Beziehungen bedingen sich untereinander. Räume, Inseln der gratuitas, gratuité, der Gnade. Inseln, für nichts, im Verständnis der Welt „für die Katz”, Inseln des reinen Luxus (das ist Gnade!), des „Festlichen”, des Sich-Schenkens und Sich-Beschenkenlassens, Inseln, wo „umsonst” (geschenkweise, δωρεαν, sagt Paulus Rom 3, 24) das Gesetz - das Evangelium! -ist.

LeerDie Kirche, die Bruderschaft, der einzelne Bruder, ein Luxus, den Gott sich leistet! Umsonst, „für die Katz”, für nichts! Die Kirche, die Bruderschaft, der einzelne Bruder, Inseln solcher gratuitas!

LeerDa, in dieser Ohnmacht, da, in der als Gnade erkannten Ohnmacht, da, in den Möglichkeiten, die in der als Gnade erkannten Ohnmacht geboten werden, da wird Kirche gebaut, da geschieht Bruderschaft, da wird der einzelne Bruder - gnädig, zu seinem eigenen Erstaunen und ihn mit Freude erfüllend und zu Lob stimmend - in Dienst genommen.

LeerDie Unterscheidung der Geister besteht darin, solche Inseln, solche Räume zu erkennen, festzuhalten, auszunutzen, zu erobern. In der Kirche, in der Bruderschaft, im einzelnen Bruder. Mit der Kirche, mit der Bruderschaft, mit dem einzelnen Bruder. Durch die Kirche, durch die Bruderschaft, durch den einzelnen Bruder.

LeerVon Christus her. Durch ihn. Da wo er sich uns gibt und wo er sich durch uns weitergibt. In Gebet und Gemeinschaft, in Wort und Sakrament, in Liebe und Zeugnis. Also: in Koinonia, in Leiturgia, Diakonia und Martyria.

LeerUnser geistlicher Kampf heute.
Wie geht es weiter damit?
Antwort:
  • Mit uns, da wo wir leben, in Kirche, Bruderschaft, Familie, Welt.
  • In uns, da wo wir sterben, wo wir die Erfahrung des Endes machen, des Endes des Glaubens, der Kirche, der Bruderschaft, der Familie, der Welt.
  • Durch uns, da wo wir durch dies Sterben, durch Christi Gnade, zum Leben geboren werden und damit berufen werden, Leben weiterzugeben.
Quatember S. 136-146

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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