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„Du hast meine Füße auf einen weiten Raum gestellt”
In memoriam Gerhard Langmaack
von Gerhard Bartning

LeerWer sich auf den Raum der Neuen St.-Nikolai-Kirche am Hamburger Klosterstern einläßt - ist er nicht wie ein Vermächtnis des Meisters, der vor wenigen Tagen aus unserer Mitte abgerufen wurde? - wird ein Doppeltes erfahren: die Spannung, ja den Widerspruch zwischen dem wuchtigen, schreinartigen Block, der nur auf einer Seite von dem hohen neugotischen Fenster durchbrochen ist, das aus dem zerstörten Vorgängerbau am Nikolaifleet übernommen ist, und der hohen und weiten Halle des Gottesdienstraumes - ein Widerspruch oder Widerstreit, verschärft durch die Lanzenspitze des Turms, die aus dem Vorhallenblock aufschießt, und unterstrichen durch den Gegensatz zwischen den breiten und hohen Mauermassen und den wie kostbare Kristalle eingesprengten kleinen Fensterdreiecken, die dem vom Klostersternplatz Näherkommenden entgegenblicken.

LeerDie zweite Erfahrung: Wer den hohen, fast engen Vorhallenraum betritt, wird sogleich gefesselt, wenn er durch die Glaspforte blickt, die sich zur Gottesdiensthalle öffnet. Er bemerkt, daß der Widerstreit nun erst recht nicht aufgelöst ist: Die Vorhalle wird durch das Riesenfenster beherrscht, dessen obere Maßwerkeinheit an die Rose des Straßburger Münsters Erinnerungen weckt, und dessen glasmalerische Gestaltung (Elisabeth Coester) mit seinen ikonenhaft hieratischen Figuren erst recht das Vermächtnis der alten europäischen Sakralkunst aufzunehmen und weiterzugeben scheint. Der Gemeinderaum dagegen nimmt in freien, gelösten Schwingungen die Möglichkeiten auf (und nutzt sie), die der kombinierte Umgang mit alten und neuen Baumaterialien dem Baumeister unserer Tage bot - bis hin zum Reiz des Wechselspiels zwischen direkten und indirekten Führungen des Lichts. Aber auch dann, wenn ich den leicht abgesenkten Mittelgang zwischen den Gestühlreihen betreten habe, bleibt der im rechten Winkel dazu verlaufende Zug der durchs große Fenster bestimmten Achse des Vorraums erhalten und ist körperlich zu spüren.

LeerDie Vorhalle zwingt uns, des fürchterlichen Unglücks zu gedenken, das in den Kriegsjahren über die Stadt hereinbrach und zu unserer noch immer nicht aufgelösten deutschen Schuldverflochtenheit gehört. Der Gemeinderaum zieht uns - ich möchte sagen, mit sanfter Gewalt - hin zur geistig-geistlichen Mitte unseres Gottesdienstes, zur Stätte der Communio mit dem gegenwärtigen und kommenden Herrn.

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LeerGerhard Langmaack schrieb bereits 1954 (Leiturgia I, S. 420) - es liest sich wie ein Kommentar zu seinem kirchenbaulichen Lebenswerk: Der Bau der Kirche ist „letztlich Hülle . . . über dem gottesdienstlichen .Geschehen, das, völlig zweckfrei, ein ‚eschatalogisches Phänomen’ (Peter Brunner) ist.” Aus „Sinn und Wesen” des Gottesdienstes schafft der „christliche Baumeister in der Sprache der Baukunst... die baulich sichtbare Darstellung der ekklesia ... Da die Sprache der Baukunst keine tote ist, sondern eine der lebendigsten Sprachen, die es gibt, wird ihr Leib, das sind ihre Bauten, auch lebendig sein und bleiben müssen . . . Damit ist nicht einem kindhaften Lallen oder einem greisenhaften Stammeln das Wort geredet, so wenig wie einem Esperanto, als vielmehr einem mannhaften Reden, das in der Zeit steht mit der Bindung an die Urlaute der Bausprache und an die zukünftigen Vokabeln eines neuen Geschlechtes.” - Welch kühn vorausgreifende Zuversicht: gegenwärtige Bindung an ein künftiges Vokabular, das wir doch noch nicht zu beherrschen, kaum noch zu ahnen vermögen! Und doch gehört gerade dieser, dieser geradezu paradoxe Spannungsbogen zwischen dem Bekannten und Unbekannten, dem Immanenten und Transzendenten, nicht nur zur christlichen, sondern erst recht zu einer jeden menschlichen Existenz, sofern sie ihren wahren Stand- und Weg-Ort wahrzunehmen bereit ist.

LeerVorhalle: „Was du ererbt von deinen Vätern” - auch ihre Schuld - „erwirb es, um es zu besitzen” - Haupthalle: wir sind unterwegs („es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden”) - unterwegs jedoch nicht ins Ungefähre, sondern zur Ewigen Stadt, die keines Leuchters und keines Tempels mehr bedarf, wobei die Ewige Gnade, Gestalt geworden in Ihm, gewährt, uns zu versammeln, innezuhalten, zu erquicken an Brot und Wein, an Leib und Blut. Und das „spricht” zu uns in der Sprache leibhafter Materie, kühn intuierter und sorgsam geprüfter Maßverhältnisse, einleuchtender und herausfordernder Formen. - In dem zitierten Text folgt eine nie genug zu beherzigende Mahnung: „Je weiter wir uns im Augenblick von gewollten Lösungen fernhalten und ruhig in einer Unscheinbarkeit zu verharren wagen, desto näher sind wir vielleicht dem eigentlich schöpferisch Neuen, das . . . aus der Raumvorstellung selber (hervorgehoben von mir) entquellen und eine echte Leere für die Erfüllung mit dem Gottesdienst bereitstellen muß . . . Die Leere ist das Wesentliche im Raum, das, was umhüllt wird. Und die Stille ist es, die im Raume west und die das eigentlich Substantielle im Raum ist”.

LeerVielleicht entspricht das Wort, das der europäisch-philosophischen Tradition zugehört: „das Substantielle”, dem, was auch „das Herz” heißen darf. Damit sind wir bei Pascals „raison de coeur”, der Vernunft des Herzens, die er zuweilen auch „esprit de finesse”, den „Geist der feinen, der zarten Unterscheidung” genannt hat. Jene vom Baumeister angemahnte Bescheidenheit, den leeren Raum wirken zu lassen, ihn auszuhalten, ohne ihn gleich wieder mit alledem auszufüllen, was wir unserer drohenden Angst entgegenstellen möchten, ihn auszuhalten, bis es dem Geist gefällt, sie neu zu füllen, - ist es nicht ein urevangelischer Auftrag? Paul Tillich ermutigte uns einst, uns zur „geistlichen Armut der Symbollosigkeit zu bekennen” - gerade als solche, die um Symbole und ihre Tiefenwirkung wissen dürfen. Könnte uns nicht ein bescheidener, ein „unscheinbarer” Umgang mit einem der wenigen verbliebenen „symbola”, dem gottesdienstlichen Bau, dazu helfen, in unser „Herz” einzukehren und dies Herz dem Herzen dessen zu öffnen, der sich für uns opferte?

Zusammenfassung der Andacht in der Gedächtnismesse zu St. Jacobi in Hamburg

Quatember 1986, S. 156-158

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-10
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