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im Abbild der Geschichte des Klosters Amelungsborn von Ernst Schering |
Wenn über die Geschichte dieses Klosters kurz berichtet werden soll, ist es angebracht, sich auf einige Aspekte zu beschränken. Es sei mit Erwägungen begonnen, die auf den ersten Blick soziologischer, religionssoziologischer Natur zu sein scheinen. Jede Gruppe in der Kirche - von Orden über Klöster bis hin zu Bruder- und Schwesternschaften - hat eine doppelte Funktion zu erfüllen, wie auch jede Gruppe in der Gesellschaft - von Parteien über Berufsverbände bis zu Gewerkschaften - doppelte Funktionen wahrzunehmen hat: eine nach innen, eine andere nach außen, eine gegenüber ihren Mitgliedern, eine andere gegenüber den Mitmenschen, gegenüber der Kirche und Gesellschaft als Ganzer. Wird eine dieser beiden Funktionen nicht hinlänglich erfüllt, so fehlt dieser Gruppe die Legitimation. Wenn eine Gruppe nur nach innen hin strukturiert ist, wenn sie nur darauf bedacht ist, ihren Mitgliedern geistige Werte oder gar Vorteile zu vermitteln, jedoch keine Leistungen erbringt, die den Mitmenschen, der Kirche und der Gesellschaft als Ganzer zugute kommen, so wird sie für die Mitmenschen und die Gesellschaft unglaubwürdig, zumindest uninteressant. Wenn sie hingegen nur nach außen wirkt, ihr Ziel nur darin erblickt, gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen, so ist die religiöse Identität wie auch der innere Zusammenhalt infrage gestellt. Auf diese doppelte Funktion verwies unter anderen auch Karl Suso Frank in seinem Vortrag beim Luthersymposium in Amelungsborn 1984, in dem er über den Niedergang des Ordenswesens im Mittelalter berichtete und zugleich aufwies, wie stark Klöster und Orden von der Gesellschaft und ihren Ständen für ihre eigenen Interessen beansprucht wurden. Die Kolonisation des Ostens war primär eine religiöse und wirtschaftliche, nicht eine politische Bewegung. 1160 berief Heinrich der Löwe den Amelungsborner Mönch Berno zum Missionsbischof von Mecklenburg, der später durch Kaiser Friedrich I. und Papst Alexander III. in diesem Amt bestätigt wurde. Berno gründete das Bistum Schwerin, stiftete 1171 das Kloster Doberan, das von Amelungsborner Mönchen besiedelt wurde. Bereits 1179 überfielen heidnische Wenden das Kloster. Die 72 Klosterinsassen fanden dabei den Märtyrertod. 1186 wurde vom Weserkloster aus erneut eine Gründungsmannschaft entsandt. Von Doberan aus wurden später weitere Tochterklöster gegründet. Offenbar erbrachte Amelungsborn erhebliche Leistungen, die der Kirche als ganzer zugute kamen. Zwei Jahrhunderte später hatte sich, das ist der erste Wendepunkt, die Situation tiefgreifend gewandelt. Die Kolonisation der Ostgebiete war im wesentlichen abgeschlossen, das Umfeld des Weserklosters weithin kultiviert. In der zurückliegenden Zeit waren dem Kloster viele Äcker und Höfe geschenkt, Erträge des Zehnten (was allerdings den Beschlüssen des Generalkapitels widersprach) animarum nostrarum remedium - als Heilmittel für unsere Seelen - übertragen worden. Die Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits war im Mittelalter das entscheidende Motiv für karitative Arbeit und für die Zuwendungen an die Klöster. Im der Pforte gegenüberliegenden Hospiz wurden Durchreisende verpflegt und beherbergt, Kranke gepflegt, die oft reichlich spendeten. Die Namen der Stifter sind weitgehend erhalten geblieben, im Anniversarbuch verzeichnet. Fürbitte für andere ist unbestreitbar eine wichtige Funktion eines Klosters. Die alten Akten berichten ferner in unzähligen Dokumenten über Tausch und Verkauf von Ländereien über Klostergüter sogar in Mecklenburg, sowie den Besitz von Salzpfannen in Lüneburg. Amelungsborn wurde sogar so vermögend, daß die Braunschweiger Herzöge des öfteren beim Kloster Darlehen aufnahmen. Da der Nachwuchs weitgehend ausblieb, versuchte man in Amelungsborn wie in allen anderen alten Orden neue Kräfte dadurch zu gewinnen, daß man religiösen und klösterlichen „Rabatt einräumte”, indem man die Einhaltung der Ordensregeln wesentlich milderte: Die Horen wurden laut Ausweis alter Visitationsberichte seltener gesungen. Im Skriptorium, in dem einst prachtvolle Werke entstanden waren, wurde, wie die Nachträge im Anniversarbuch belegen, flüchtig gearbeitet. Auch kannte man sich in den Heiligentagen nicht mehr richtig aus. Privateigentum wurde gerügt, aber somit auch nachgewiesen. Man gewährte den Klosterbrüdern Dispens, das Kloster zu verlassen, nach draußen zu ziehen. Junge Brüder wurden zum Studium nach Rostock, Köln und Paris entsandt. Patres wurden als Pfarrer in den Patronatskirchen eingesetzt. Amelungsborn war auf dem Wege, sich zu einem Kollegiatstift zu entwickeln. Das war ein weiterer Wendepunkt. Hier ist es angebracht, auf eine andere Gedankenreihe zu verweisen. Die Integration in eine Gruppe vollzieht sich, wie Th. Mills und andere amerikanische Soziologen erhellt haben (Soziologie der Gruppe, 1969), auf fünf Ebenen: der des Verhaltens, der Emotionen, der Normen, der Werte und der Ziele. Zwischen diesen fünf aufeinander aufbauenden Ebenen bestehen Wechselbeziehungen. Eine Integration in eine Gruppe kann nur gelingen, wenn die fünf Ebenen akzeptiert werden. Verblassen Werte und Ziele, weiß ein Kloster wenig über seinen Auftrag und seine Funktionen auszusagen, so werden die Normen zum Gesetz, von dem der Apostel Paulus sagt, daß es tötet. Verkümmern darüber hinaus auch noch die Normen, so erscheint das monastische Leben wenig sinnvoll. Die Milde und Besonnenheit des Mönchsvaters Benedikt wird zurecht gerühmt. In der Regel war er offenbar darauf bedacht, die Mitglieder der klösterlichen Familie hinsichtlich der Normen nicht zu überfordern, stellte dafür umso klarer die Werte und Ziele monastischer Existenz in den Mittelpunkt. Er wußte meines Erachtens viel von der Interaktion zwischen den fünf Ebenen einer Gruppe. Daß er sich vom Eremitentum distanzierte, ist bekannt. Ihm ging es letztlich um die Frage: Wie wird ein Kloster zu einer klösterlichen Familie? Dies ist das Hauptanliegen der Regula Benedicti und wird, wenn wir hier vom corpus liturgicum absehen, immer wieder unter anderen Aspekten beantwortet. Kap. 21-30 handeln von der Disziplin, 43-52 von Buße und Arbeit, 58 bis 72 von Nachwuchs und den Ämtern. Die übrigen Klosterinsassen wollten austreten, wurden abgefunden, zum Teil als Pfarrer in Klosterdörfern oder auf Patronatsstellen eingesetzt. Nach dem Schmalkaldener Krieg kehrte 1547 Herzog Heinrich in sein Land zurück, ließ sofort in Braunschweig-Wolfenbüttel eine Kirchen- und Klostervisitation durchführen und die Kirchen und Klöster rekatholisieren. Der Abt Teckemester versicherte eilfertig, man habe den Klosterleuten „die Kappen mit Gewalt abgenommen”, nun sei man zum alten Kultus zurückgekehrt und werde hinfort treulich für den Landesherrn beten. Im Kloster lebten nur noch der Abt und drei Konventuale. Da aus dem Herzogentum kein Nachwuchs zu erwarten war, entsandte das Kloster Bredelar nach Amelungsborn Andreas Steinhauer, der sofort Prior wurde, sowie zwei Oblaten. Ein vierter Wendepunkt: Nach dem Tode des Herzogs Heinrich (1568) gelangte dessen ungeliebter Sohn Julius zur Regierung, der sofort eine neue Kirchen- und Klostervisitation unter der Leitung des Kanzlers der Universität Tübingen Valentin Andrea berief, den Äbten versichern ließ, „ihnen solle die Hand geboten werden, daß sie bei des Klosters Gütern bleiben sollten”. Die Klosterordnung von 1569, deren rechtliche Bestimmungen der Württemberger, deren liturgische Vorschriften der Lüneburger Kirchenordnung entnommen waren, legte fest, daß die Güter nach wie vor im Besitz der Klöster bleiben sollten, sie wurden nur der Oberaufsicht der Klosterratsstube unterstellt, aus der später der Braunschweigische Vereinigte Kloster-und Studienfonds entstand. Die Welfischen Herzöge wollten die Klostergüter nicht „inkammerieren”, nicht verstaatlichen, sie vielmehr zur Erfüllung einer neuen Aufgabe, die als ursprünglicher Auftrag erachtet wurde, heranziehen. Die vier Zisterzen im Herzogentum wurden Klosterschulen, die in ihr Internat je zwölf „Novizen” (Schüler) aufnehmen sollten und gestaffelt waren: Nach dem Besuch der Grammatikschule in Königslutter wurden die Schüler für zwei Jahre in Amelungsborn aufgenommen, daraufhin für zwei weitere Jahre nach Riddagshausen und für zwei abschließende Jahre nach Marienthal entsandt, um sodann die neugegründete Universität Helmstedt zu beziehen. Die neue Aufgabe des Klosters ist am Epitaph des Abtes Andreas Steinhauer ablesbar. Links unten erkennt man in einer Kartusche das von einer Mitra gekrönte Klosterwappen (einen geschachteten Schrägbalken mit zwei gekreuzten Abtsstäben) und unten rechts das Schulwappen, ein von Stäben gebildetes Rechteck, auf dessen unterer Stange eine Eule, das Symbol der Weisheit, hockt. Sechster Wendepunkt: Herzog August, der in die Geschichte als der „Gelehrte” einging, sah nach dem Großen Krieg wie viele seiner Zeitgenossen seine Aufgabe darin, in dem verödeten Land durch obrigkeitliche Reglementierung Kultur, Leben und Gesittung wieder erstehen zu lassen. Dahinter steckt das uralte und auch heute noch aktuelle Problem, ob man die Besserung der Welt von einer Erneuerung des Menschen erwarten sollte, oder ob nicht vielmehr die Veränderung der Strukturen der Gesellschaft eine Besserung der Menschen ermögliche. Während der Pietismus sich von der Erneuerung des Einzelnen eine Veränderung der Gesellschaft versprach, erhoffte hingegen Herzog August Entscheidendes von einer strikten Reglementierung der Sitten durch Eheordnung, Schulordnung und zahlreiche Erlasse. Die Klosterordnung von 1655 bestätigte im allgemeinen die frühere von 1569, beschränkte die Zahl der Konventualen auf fünf Geistliche. Der bedeutendste unter ihnen war allerdings ein Laie, der auf Wunsch des Herzogs von Abt Georgii berufene Hofkapellmeister Michael Praetorius, der eine neue Epoche der Kirchenmusik herbeiführen sollte. Der siebte Wendepunkt kam, als Abt Theodor II. Ritmeyer 1754 die Klosterschule nach Holzminden verlegte und sie mit der dortigen Lateinschule zur „Amelungsborner Klosterschule zu Holzminden” vereinigte. Der Abt selber wurde Oberdirektor der Schule, übte die Aufsicht auf Schüler und Lehrer aus, ernannte den Prior zum Rektor und erhob die Lehrer zu Konventualen. Mit der Verlegung der Schule hatte Amelungsborn eine wichtige Funktion verloren. Im Kloster lebten nur noch der Klosterpfarrer für die drei umliegenden Klosterdörfer sowie der Gutsverwalter. Die von Wilhelm Raabe in seinem Roman „Das Odfeld” in den November 1761 projezierte Handlung spielt im Kloster Amelungsborn, in dem nach der Verlegung der Schule nur der Amtmann, das Gesinde und der alte Klosterpräzeptor Noah Buchius zurückgeblieben sind; dieser, nicht der siegreiche Herzog Ferdinand, ist die zentrale Figur des Romans, in dem das Elend des Krieges dargelegt und die Geschichte des Klosters hineingewoben wurde. Durch diesen Roman ist Amelungsborn in die deutsche Literatur eingegangen (reclam 9845, 1979). Die Würde des Abtes war von nun an lediglich ein Titel, der allerdings mit einer soliden Präbende versehen war. Durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) wurde das Kloster Amelungsborn nicht aufgehoben. 1832 wurde die bisherige ständische Verfassung durch eine neue Verfassung ersetzt. Damit verlor der Abt auch seinen Sitz in der Prälatenkurie. Von nun an wurde der Abtstitel einem der Konsistorialräte der Braunschweigischen Kirche verliehen. Das lutherische Zisterzienserkloster Loccum, das seit längerem ein Predigerseminar unterhielt, wurde durch den Reichsdeputationshauptschluß ebenfalls nicht aufgehoben. Der Abt zu Loccum blieb wie bisher der oberste Geistliche der Hannoverschen Landeskirche. In der gleichen Zeit litten die katholischen Zisterzienserklöster ebenfalls unter einem vergleichbaren Funktionsschwund. Ihre Aufhebung durch den Reichsdeputationshauptschluß setzte den Schlußpunkt unter diese Entwicklung. Erst die religiöse Wiederbelebung in der-Mitte des vergangenen Jahrhunderts führte um die Jahrhundertwende zur Wiederrichtung einiger Zisterzienser- und Benediktinerklöster, indem diese zugleich neue Aufgaben auf künstlerischem, wissenschaftlichem, karitativem und missionarischem Gebiet übernahmen. Um Abt und Konvent bildete sich sogleich eine Familiaritas, die im wesentlichen aus Laien besteht; diese geloben bei ihrer Annahme, sich im Alltag als Christen zu bewähren, täglich ein Wort der Heiligen Schrift zu bedenken, täglich das Amelungsborner Brevier zu beten und sich regelmäßig zu den monatlichen Tagungen im Kloster einzufinden. Die aus Konvent und Familiaritas gebildete klösterliche Familie lebt lutherische Spiritualität nach dem Beispiel der Zisterzienser, wie K. Schmidt-Clausen in seiner Abhandlung „Sinn und Gestalt eines evangelisch-lutherischen Klosters” gezeigt hat. Innere Voraussetzung für das Entstehen dieser Bruderschaft ist sicherlich darin zu erblicken, daß seit Beginn unseres Jahrhunderts im deutschen wie im europäischen Protestantismus eine bisher verborgene Aufgeschlossenheit für ein verbindliches Leben in christlicher Gemeinschaft erwachsen ist. Das bekunden die zahlreichen neu entstandenen Bruder- und Schwesternschaften, nicht zuletzt auch die Evangelische Michaelsbruderschaft, zu der einst auch Abt Mahrenholz gehörte. Die Amelungsborner Bruderschaft hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten beachtlich entwickelt. Die Geschichte des Klosters läßt jedoch zugleich fragen: Genügt es, daß eine christliche Gemeinschaft ein verbindliches geistliches Leben führt? Sollte man nicht darüber hinaus nachdenken, welche Aufgaben diese Gemeinschaft gegenüber den Mitmenschen, der Kirche und der Gesellschaft heute zu erfüllen hat? Vor einigen Jahren wurde das ehemalige „Brauhaus” zu einem Freizeitzentrum umgebaut. Weitere Räume sind in der alten Abtei geschaffen. Ein Bruder der Familiaritas wohnt im Kloster und begleitet die Tagungen. Siehe auch den Artikel 850 Jahre evangelisch-lutherisches Zisterzienserkloster Amelungsborn Liste der Äbte des Klosters Amelungsborn Quatember 1986, S. 158-165 |
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