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Christus - Evolution - Technik
von Max Schoch

LeerUnter diesem Thema fand im September dieses Jahres im Berneuchener Haus eine Geistliche Woche statt, die von dem Zoologen Dr. Gerd von Wahlert/Ludwigsburg und von mir als Theologen geleitet wurde. Das Eigentümliche dieser Woche machte fürs erste die Bemühung aus, was verhängnisvoll auseinanderstrebt, als zusammengehörig zu fassen: naturwissenschaftliche Erkenntnis, technische Wirklichkeit auf der einen Seite und Christuswirklichkeit sowie theologische Erkenntnis auf der andern Seite. Man mußte zugeben, daß Wahrheit hier und Wahrheit dort nicht das gleiche ist. Es ist eine andere Ebene gemeint, wenn Wahrheit als in sich stimmig im Rahmen eines rationalen Systems begriffen wird und wenn Christus der Menschheit gegenüber behauptet: ICH BIN DIE WAHRHEIT. Es ist nicht der Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit. Es steht sich nicht gegenüber. Vielmehr sind es zwei Stufen oder Dimensionen eines Ganzen. Die Christuswirklichkeit ist die Dimension, die auch die technisch-naturwissenschaftliche Wirklichkeit und Erkenntnis erfüllt.

LeerUm dies zu erkennen ist aber ein neues Denken notwendig. Der Theologe muß das kosmische Denken erlernen. Das Heil und die Gnade, Gott und sein Reich, Kreuz und Auferstehung sind eigentlich nicht private Realitäten. Sie gehen zwar den einzelnen und sein Leben und Tun an, aber zuerst geht es um den Kosmos, die Schöpfung, die Menschheit jeweils in ihrer Gesamtheit.

LeerHinter der ganzen Besinnung stand die Erfahrung von Tschernobyl, von der Katastrophe, welche den mit der Kernenergie verknüpften Optimismus erschüttert hat. Die Erschütterung geht weit über ähnliche Erfahrungen wie das Erdbeben von Lissabon, den Untergang der Titanic und ähnliches hinaus.

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LeerAm ersten Tag widmeten sich die Referenten der Gegenüberstellung von Religion und Technik. Die Veränderung der Arbeit, die Entfremdung von der Natur, die Selbstentfremdung des Menschen sind Erfahrungen, welche schon in früheren Phasen der technischen Entwicklung gemacht wurden. Jetzt sind aber gigantische Entwicklungen im Gang, bei denen letztlich die Menschheit, die Schöpfung selbst zum Objekt einer Veränderung werden. Die bisherige am einzelnen Objekt, an der einzelnen Lage und am individuellen Menschen und seiner Tat orientierte Ethik reicht nicht aus. Was jetzt entdeckt und technisch realisiert wird, geht nicht nur den jetzigen Moment und Täter an, sondern künftige Generationen, ja die Zukunft überhaupt.

LeerDie Ethik braucht eine kosmische Schau. Allein der Glaube an Gottes Herrschaft oder allein das Wissen, daß der logos, das Wort, in Jesus Christus in die Welt gekommen ist (Joh 1, 14), verhilft zur rechten technischen Ethik. Unsere Not ist, daß uns die Sprache fehlt, in der Techniker, Naturforscher und Glaubende miteinander reden können. Ja, diese Not geht mitten durch uns hindurch. Die Sprache der Liebe, welche Jesus lehrt, und die Sprache der technischen Welt treffen sich nicht. In Wirklichkeit trägt aber jeder von uns diesen Widerspruch in sich. In der geistlichen Besinnung wird der Paläontologe und christliche Denker, der Jesuitenpater Pierre Teilhard de Chardin, zu einem wichtigen Anreger. Da die moderne Weltschau und Technik überall vom Entwicklungsgedanken geprägt ist, muß die Evolution unter dem geschichtlichen Blickpunkt gesehen werden, den die Bibel über das Handeln Gottes vermittelt. Es lohnt sich, die Begriffe Materie und Evolution in den Werken Teilhards zu studieren.

LeerEin weiterer Tag war ganz dem gewidmet, was als Reaktorunfall bekannt geworden war. Ein Besuch führte zum Atomkeller von Haigerloch, wo während des Zweiten Weltkriegs die Experimente am Uran durchgeführt wurden. Da die Evangelische Michaelsbruderschaft von jeher die Einsicht in eine Erlösung und in ein Heil gesucht hat, das nicht einzig sich auf den einzelnen und den Menschen richtet, weil ja Christus selbst dem Kosmos als Ganzem zur Erlösung geschenkt worden, weckte diese Begegnung den Wunsch, vertieft weiterzuforschen. Im Juli 1987 soll eine weitere Geistliche Woche dem Thema „Christus und Technik” gewidmet sein. Wir glauben, daß auch dem technischen Zeitalter Christus zur Rettung gegeben ist. Das Kreuz verstehen von der Zukunft her und die Herrschaft des Menschen begreifen als Station auf dem Wege Gottes mit der Welt, das sind Herausforderungen dazu, eine große Verantwortung zu über nehmen. Welches ist der Platz der Gemeinde in dieser gesamtmenschlichen Verantwortung?

Quatember 1986, S- 232-233

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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