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Retraite in Pomeyrol
von Herbert Wild

LeerMit der Bahn kommt man bequem von Hagenau nach Tarascon und, wenn man dort von der Oberschwester im Wagen abgeholt wird, auch bald nach dem Dorf St. Etienne-Du-Gres, wo sich das Anwesen der „Communauté de Pomeyrol” befindet. Hochsommer, 35 Grad im Schatten, die Luft ist erfüllt vom Lärm der Zikaden (dort sagt man: le chant des cigales) und vom Duft des Lavendel. Meine Frau und ich werden im „Mas du Loup” untergebracht und gleich kommen alle in der Kapelle zum „Office du soir” zusammen.

LeerDie „Semaine de Prière et de Silence” ist die Woche des Jahres, an der grundsätzlich alle Schwestern teilnehmen und zu der auch öffentlich eingeladen wird. Wir waren um die 50 Teilnehmer aus allen Himmelsrichtungen und Berufen: ein Schreiner aus Deutschland, eine Lehrerin und eine Pfarrerin aus der Schweiz, eine Straßburger Hausfrau, ein französischer Jurist, der im Urlaub von Pomeyrol erfahren hatte, die Besitzerin eines Pariser Restaurants mit 50 Angestellten, Elsässerin, ein junger Mann aus Neu-Kaledonien, der gerade sein theologisches Studium beginnt, ein junger Schwede, der gut Guitarre spielt, ein Fischer aus dieser Gegend, der, nach Weltreisen, seine Probleme hier einbringt, ein Ergotherapeut, ein Elektromechaniker, ein deutsches Pfarrerehepaar, das gerade mit dem Wohnwagen in der Nähe war. Das Durchschnittsalter mag zwischen 20 und 40 Jahren gelegen haben und das Gemeinsame, das alle .hier zusammengeführt hatte, war das Suchen nach Gott in der Stille und Gemeinschaft des Gebets.

LeerMir war die Aufgabe zugefallen, das tägliche Bibelstudium zu leiten. Als Gesamtthema hatte ich gewählt: „Das Mysterium Jesu Christi und Seiner Kirche”. Die sechs Texte wurden aufgenommen in den Gottesdiensten, Hymnen, Gleichnishandlungen der Tage und fanden ein unmittelbares Echo bei den Teilnehmern, wie mir das dann in den Einzelgesprächen deutlich wurde.

LeerDas Essen, im Schatten der Maulbeerbäume eingenommen, war besonders schmackhaft und wohl auch besonders gesund mit Vollkornbrot, Salaten, Käse und Obstsorten des Südens; das Schweigen bei Tisch erwies sich bald bei allen als Wohltat. Wenn dann und wann ein Wort der Gründerin des Ordens, Soeur Antoinette Butte, oder des Taizé-Bruders Pierre-Yves Emery vorgelesen wurde, war das im Geiste der Retraite und der Losung, die jedem mitgegeben wird: „Pénètre toi de l'esprit des Béatitudes: joie, simplicité, miséricorde” - „Laß dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit”. Die einende Kraft solch einer Geistlichen Woche wurde mir nie so deutlich wie hier. So verschieden nach Alter, Beruf, Nationalität und geistlicher Heimat die Teilnehmer auch sein mochten, beim Abschlußgespräch stellte sich eine Einmütigkeit heraus, in der Weise, daß jeder dankbar und im Frieden den ändern mit dem Blick der Liebe ansehn konnte.

LeerMenschen von der Grenze den Weg zum Zentrum zu führen, zu Christus und Seiner Kirche, das war von Anfang an die Berufung der Evang. Michaelsbruderschaft. Diese Verwandtschaft wurde auch sonst mehrfach deutlich: der Kurator unseres Konvents, Michel Hoeffel, hatte mich als Referent vorgeschlagen. Die verantwortlichen Schwestern Elisabeth und Dolores waren gleich damit einverstanden gewesen, weil sie uns schon lange kannten. Sie sprachen es aus, da sie der Berneuchener Bewegung viel verdanken, etwa im Stundengebet, oder weil durch die Aufwertung des Amtes der Schlüssel manche Pfarrberufung gerettet worden ist.

Quatember 1986, S. 233-234

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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