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Die Schau der Natur
von Kurt Reuber

LeerDiesmal bringen wir nicht einen Artikel aus den „Evangelischen Jahresbriefen”, sondern einen Aufsatz aus dem „ Gottesjahr 1936”. Das „Gottesjahr” erschien ab 1921 im Greifenverlag Rudolstadt. Herausgeber war zunächst Walther Kalbe. 1924 trat Wilhelm Stählin an seine Stelle. 1929 wurde das Jahrbuch vom Bärenreiter- Verlag Kassel übernommen. Autor des hier - gekürzt - abgedruckten Aufsatzes ist Kurt Reuber, damals Pfarrer in Wichmannshausen über Eschwege. Kurt Reuber, der Arzt, Theologe und Maler, sollte wenige Jahre später vielen Menschen durch die „Stalingrad-Madonna” bekannt werden.

LeerDas, was wir Naturgesetz nennen, kennt die Weltanschauung der Bibel nicht. An seine Stelle tritt vielmehr das der Natur überlegene Gottesgesetz. Gott gehört unter keinen Umständen zur Natur, als ob er in ihr, oder diese ein Stück von ihm sei. Die Natur ruht nicht in sich selbst und bewegt sich nicht nach eigener Gesetzmäßigkeit, sondern an ihr handelt das Gottesgesetz . . .

LeerAllerdings ist die Natur, sowohl in ihrer unheimlichen, unbegreiflichen und vernichtenden als auch in ihrer einsichtigen, zwecksinnigen, mütterlichen Daseinsweise Mittel der Selbstdarstellung Gottes. Wo immer die Natur den Menschen in ihrer Schrecklichkeit oder Herrlichkeit ergreift, da steht für ihn Gott dahinter, der durch dieses Medium zu ihm redet . . . Es ist unaufhebbare Anschauung der Bibel, daß der Schöpfergott in der Natur sich bekundet. Er, der vor aller Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit ist (Ps. 90, 1), dessen Stuhl der Himmel und dessen Schemel die Erde ist (Jes. 66, 1), ist in dem geheimnisvollen Dunkel und in der lichtvollen Herrlichkeit dem Menschen offenbar. „Denn was man von Gott weiß, ist ihnen offenbart, damit, daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt . . .” Aber die geschaffene Natur bleibt als Mittlerin der Offenbarung und Erkenntnis Gottes vorläufig und begrenzt: „Gott donnert mit seinem Donner wunderlich und tut große Dinge und wird doch nicht erkannt . . .” (Hiob 37, 5). „Also gehet sein Tun, und nur ein gering Wörtlein davon haben wir vernommen.”

LeerDer Hauptwesenszug biblischer Naturschau besteht darin, daß die Natur in ihrer ganzen Zwiespältigkeit, in ihrem dunklen, unheimlichen, unbegreiflichen, zerstörenden Wesen und in ihrem lichtvollen, gütigen, mütterlich tragenden Wesen Offenbarungsraum Gottes ist. In beidem erweist Er sich als der unerforschliche, geheimnisvolle, ferne, dunkle, vernichtende Gott und als der gütige, nahe und begreifliche Gott, als der schlechthin Heilige, Wunderbare und Anbetungswürdige.

LeerDie Erfahrung der Natur in ihrer vernichtenden Macht (vergl. Hiob 9,5...) und in ihrer Unbegreiflichkeit bringt den Menschen zur Ergebung in Gott. In der Rede vom Adler, vom Wildochs, Wildesel, von der Felsengemse, dem rätselhaften Gebahren der Hirschkuh, von den Wolken und Luftgebilden mit ihrem geheimnisvollen Kommen und Gehen, von den Plejaden, dem Orion und Bär, von dem Nilpferd und Krokodil (Hiob 38) wird nichts von einer zwecksinnigen Weisheit der Natur und Schöpfermacht vorgetragen; sondern hier wird gerade das Unfaßliche, Rätselspielende, das nicht auszurechnende gänzlich „Andere” und allem Begreifen Spottende in der Natur als etwas machtvoll Erhabenes und Wunderbares betont. Und gerade in dieser Unbegreiflichkeit des Gottgeschehens in der Natur, ohne Ergründung des Geheimnisses, im Verstummen vor Gott, findet der Mensch die Stillung seiner Seele: „Ich will meine Hand auf den Mund legen und verstummen.”

LeerDie Zwiespältigkeit im Naturgeschehen wird als Auswirkung des Gotteswillens erkannt, eines Willens, der gütig oder richtend auf den Menschen ausgerichtet ist. Dabei ist die Natur nur Dienerin, deren Kräfte zum Segen oder zum Fluch für den Menschen werden können, wie Gott es in seiner Unbegreiflichkeit will oder es der Mensch verdient . . .

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LeerInfolge des Sündenfalles der Menschen wird der Acker verflucht, durch die Sinftflut Pflanzen und Tiere vernichtet, das Land von Dürre, Hagel, Unwetter, Erdbeben, Feuer, Sturm, Wasserfluten oder Tierplagen immer wieder heimgesucht bis zum Tage des Herrn, an dem die Naturvernichtung ihren Höhepunkt erreicht. - Im Gegensatz hierzu spendet die Natur dem Menschen ihre mütterlichen Liebeskräfte - so ist die Deutung -, wenn Gott den Menschen segnen will, bis hinein in die Segensfülle der Endzeit (Offenb. 22, 2).

LeerMit diesem Glauben ist gegeben, daß der biblische Mensch nicht die „natürliche” Welt von der „geistigen” Welt, von Gott, im Sinne eines gegensätzlichen Dualismus trennt. Die Natur wird nicht als eine minderwertige, sündhafte einer göttlichen „höheren” Natur gegenübergestellt . . .

LeerDiese Grundanschauung von der Natur ist der ganzen Schrift eigen. Abstand von der Natur hat Gott nur als Schöpfer. Vom Schöpfungsglauben her aber drängt die Bibel darauf, daß der Abstand des Schöpfers von der geschaffenen Welt unter keinen Umständen aufgehoben wird. Denn nur Gott ist „Geist”, und alle Kreatur ist „Fleisch”. (Vergl. Jes. 31,3). „Fleisch” aber bleibt Schöpfung Gottes und ist an sich gut. Nur wo es sich im Menschsein im sündigen Wollen vom Schöpfer lossagt, steht es im Gegensatz zu Gott dem Schöpfer. Das ist der „natürliche” Mensch, der nichts vom Geiste Gottes vernimmt (1. Kor. 2, 14).

LeerAuch da, wo der Mensch bereits mit Christus sich von dem vergehenden Wesen dieser Welt löst, weist seine endgeschichtliche Weltbetrachtung keine Verachtung der Natur und des Leibes auf: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist. Denn ihr seid teuer erkauft. Darum so preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes.” (1. Kor. 6, 19-20).

LeerAuch das Dasein in der neuen Schöpfung kennt keine Leiblosigkeit, sondern eine neue Leibhaftigkeit, die „unverweslich” und „geistlich” sein wird (1. Kor. 15; 2. Kor. 5). Wenn in der neuen Schöpfung etwas von dem, was nach unserer Anschauung „natürlich” ist, abgetan sein wird, so ist es der Tod, - eben, weil er als Auswirkung der Sünde angesehen wird, die in der neuen Schöpfung nicht mehr herrscht. Die Natur selbst ist nicht von der „neuen Schöpfung” ausgeschlossen. Sie ist auch hier Schöpfung Gottes als „neuer Himmel und neuer Erde”, jenseits der Sündengeschichte, freilich in einer ganz anderen Daseinsweise, nachdem der erste Himmel und die erste Erde vergangen sind. In ihren Visionen schauen die Seher unbefangen die werdende Welt in den Gestaltungen dieser Schöpfung.

LeerFreilich, alle Zwiespältigkeit dieser Natur ist in jener Welt aufgehoben. Vergängliches Wesen, Kampf und Leid wird nicht mehr sein. Jene Natur der neuen Schöpfung kennt nur gütiges, mütterlich tragendes Wesen, in sich geeint und segnend auf den Menschen gerichtet; vgl. die Schilderung des Friedensreiches in Jes. 11 und 65. Von dieser verwandelten Natur redet auch Paulus: die Kreatur soll aus ihrem jetzigen Zustand des ängstlichen Harrens und der Eitelkeit befreit werden (Rom. 8). Wenn der Seher Johannes sagt, daß die zukünftige Stadt keiner Sonne, noch des Mondes und der Sterne mehr bedarf, sondern daß die Herrlichkeit Gottes sie erleuchtet, so kommt gerade hier zum Ausdruck - wovon die Bibel voll ist -, daß Gott mehr ist als seine Schöpfung; daß die Natur immer nur Vorletztes ist, daß Sein Reich, das „Fleisch und Blut” nicht ererben können, das „ganz Andere” ist, auf daß Er, Anfang und Ende, sei Alles in Allem.

Quatember 1986, S. 236-238

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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