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Evangelische Michaelsbruderschaft beim Katholikentag in Aachen
von Albert Witt

LeerWar es schon ziemlich ungewöhnlich, daß die Michaelsbruderschaft im offiziellen Programm des Katholikentages gedruckt in Erscheinung trat, so war, was sich dann dort tat, noch erstaunlicher. Unser Bruder Horn, evangelischer Militärpfarrer in Aachen, war auf eine mögliche Mitwirkung der Evangelischen Michaelsbruderschaft beim Katholikentag in Aachen angesprochen worden und hatte die tägliche Feier des Morgenlobes nach der Ordnung der Bruderschaft angeboten.

LeerSo traf man sich allmorgendlich in der Annakirche, der größten evangelischen Kirche im Stadtzentrum. Waren die Besucher am ersten Morgen etwa achtzig, so füllten sie am dritten Tage die Kirche fast bis auf den letzten Platz. Es wirkten einige Brüder als Vorbeter und Lektoren mit. Man sang die Lieder aus dein Evangelischen Kirchengesangbuch, die Psalmen wurden nach den Texten im „Pilgerbuch” des Katholikentages gesungen. Der evangelische Kantor Priegnitz stimmte Psalmen und Responsorien so überzeugend an, daß die - vorwiegend katholische - Gemeinde ohne Schwierigkeiten mitsingen konnte und schon bald keine Unsicherheit mehr zu verspüren war. Die in dieser Zeit des Kirchenjahres seltsam anmutenden Lesungen (Johannes der Täufer; Verkündigung und Geburt des Heilandes) waren dem Proprium des Katholikentages entnommen.

LeerDiese Texte legten katholische Priester in kurzen Predigten aus. So am ersten Morgen unser Bruder, der Bischof des katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland, Sigisbert Kraft, am zweiten Pfarrer Mattar und am letzten Morgen Abt Albert Altenähr vom Benediktiner-Kloster Kornelimünster (ein Kenner Dietrich Bonhoeffers, über den er promoviert hat). Zwei dieser Predigten geben wir hier unseren Lesern zur Kenntnis. Eine kleine Begebenheit am Rande verdient noch festgehalten zu werden: Am letzten Morgen sprach eine Aachener Ordensfrau den Abt beim Verlassen der Kirche an und fragte ihn, ob er auch der Michaelsbruderschaft angehöre. - Ordensangehörige halten einander für evangelisch! Ist das nicht bereits ein schönes Zeichen von Ökumene?


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Sigisbert Kraft
Johannes der Täufer - der Zukunft Zeugnis geben


LeerSie wissen: Man hat die Aachener Heiligtümer als „Ikonen” des Evangeliums zu deuten versucht. Es gibt manche, die dazu nur schwer ein Verhältnis finden - und ich muß eingestehen, daß ich zu diesen Leuten gehöre, vor allem auch deshalb, weil für mich „Ikonen” hilfreicher geworden sind, die aus der gläubigen „Innerung”, der Meditation von Christen aller Jahrhunderte Gestalt angenommen haben. Die Gestalt und dir Botschaft des Täufers Johannes erschließen sich mir vor allem in zwei Bildern. Das eine kennen sie alle:

Isenheimer AltarLeerAuf dem Isenheimer Altar des Meister Mathis steht der Täufer zur Seite des Gekreuzigten und weist mit einem überlangen Zeigefinger auf ihn hin. Dahinter steht der Satz: Illum oportet crescere, me autem minui - „Er muß wachsen - ich muß abnehmen”. Das ist ja nun viel mehr als der Versuch, einfach das historische Golgotageschehen abzubilden: Johannes war in das Kreuzmysterium eingegangen, da Jesus seinen Weg erst begonnen hatte. Ein solches „ungleichzeitiges” Bild kann uns helfen, auch für unsere eigene Glaubensverwirklichung (noch) besser zu lernen, daß in der Heilsgeschichte die saubere Zuordnung unserer Weltgeschichte von Vorher und Nachher durchbrochen, überwunden ist... Der, auf den Johannes hinweist, erscheint auf dem Isenheimer Altar als alles andere als die Zukunft. Der ausgemergelte, leichenfahle Gekreuzigte, an dem „weder Gestalt noch Schönheit ist”, bietet eher das Bild jener totalen Verzweiflung, von der die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus reden: „Wir aber hatten gehofft...” Johannes weist auf den ans äußerste Ende Gekommenen hin, auf den, der sich den Aufschrei des 22. Psalms zu eigen macht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?”

LeerFür mich ist das ungemein tröstlich: Es gibt viele Stunden in meinem Leben, in denen ich mich mit vieler Tapferkeit der „Wolke der Zeugen” weit weniger identifizieren kann als mit meinem Herrn in der Todesangst am Ölberg und im völligen Dunkel auf Golgota. Es ist für meinen Glauben, für meine Zukunft - und das heißt oft einfach nur: für den nächsten Schritt - entscheidend wichtig, daß der Täufer Johannes auf den Gekreuzigten hinweist und nicht auf den ebenfalls auf dem Isenheimer Altar dargestellten Verherrlichten im Lichtglanz der Glorie, in der alle Angst und Erdenschwere überwunden ist. Johannes zeigt mir, daß mich der, der meine Zukunft, der - wie ich es in meinem bischöflichen Wahlspruch übernommen habe - „die Hoffnung” (1. Tim. 1,1) ist, mich als der Gekreuzigte und Gottverlassene abholt. So gibt mir der Täufer ein Zeugnis der Hoffnung. Verzeihen Sie, wenn manches zu subjektiv, zu persönlich klingen mag - aber ich darf nicht nur über das Zeugnis reden, das andere gegeben haben. Ich muß selber Zeugnis der Zukunft ablegen.

LeerDie zweite Ikone, die mir viel bedeutet, hat mir ein Mitbruder aus der rumänisch-orthodoxen Kirche geschenkt. Auch hier handelt es sich um eine Darstellung, die zu unserer von Fotos, Film und Fernsehen geprägten Bildvorstellung quer steht:

Johannes der TäuferLeer LeerDer Täufer Johannes, mit den Flügeln eines Kerubs, trägt sein abgeschlagenes Haupt auf einer Schale (vgl. Mk. 6,25.28) selber Gott entgegen.

LeerDa kommt uns in letztmöglicher Realität das Wort des 25. Psalms vor Augen: „Dir, o Herr, halte ich mein Leben entgegen, mein Gott, dir vertraue ich mich an!” Uns wird das Zeugnis für den, dem Gegenwart und Zukunft gehören, nicht mit dieser letzten Konsequenz abverlangt. Wir wissen aber, daß dies in vielen anderen Ländern noch an der Tagesordnung ist. Und wir müssen die gegenwärtige, allzu oberflächliche, wahlthematisch aufbereitete Asyldiskussion auch unter diesem Aspekt betrachten! Wir sind immerhin Zeitgenossen von Edith Stein und Dietrich Bonhoeffer, von Alfred Delp und Oscar Romero. Aber wie zurückhaltend sind wir schon, wenn weit weniger von uns verlangt wird! Wie oft trifft auf unser tägliches Dasein und So-sein das mahnende Wort Jesu zu: „Wer immer sein Leben retten will, wird es verlieren!” (Mk. 8,35)

LeerUnd wir wissen doch, daß er dazu sagt: „Wer aber immer sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten!” Da treffen sich nun die beiden Bilder: Wer auf den Gekreuzigten setzt, auf den, der als Zeichen des Endes, der Aussichtslosigkeit, der Hoffnungslosigkeit erscheint, setzt auf Zukunft und Hoffnung. Denn an ihm erweist sich Gott als der, der alle Grenzen durchbrechen kann, auch die Grenzen, die todbringende Mächte uns allen zu setzen drohen. Wer es aber mit dem Gekreuzigten und Auferweckten wagt, wer mit ihm dem Vater, dem Schöpfer allen Lebens sein Leben entgegenhält, muß ihm alles Leben entgegenhalten, muß dem Leben und der Hoffnung dienen und darf die ganz konkreten Sorgen um die Erhaltung der Lebenswelt, um Friede und Gerechtigkeit, um das Brot für die Welt nicht als beliebige politische Tagesfragen ansehen.

LeerWer ängstlich zurückschaut, seinen unverrückbaren Standpunkt verteidigt, den persönlichen, den politischen, den konfessionellen, erstarrt wie Lots Weib zur Salzsäule. Wer dem vertraut, der uns Jesus, den Gekreuzigten, zum Zeichen und Unterpfand der Hoffnung geschenkt hat, muß den Weg in die Zukunft wagen, und - stückweise oder ganz - seine Existenz dreingeben:
„Dir, o Herr,
halte ich mein Leben entgegen!”
„Er muß wachsen - sein Reich komme,
ich muß abnehmen - mein Reich muß vergehn.”

Bischof Sigisbert Kraft

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Albert Altenähr
Die Zukunft ist schon geboren


LeerEs mutet schon seltsam an, mitten im Jahr als liturgische Lesung die Weihnachtsbotschaft zu vernehmen. Ist es aber wirklich religiös-liturgische Prägung, die uns stutzen läßt, oder ist es mehr ein unbestimmtes Stimmungsbarometer, das diesen Text nicht im Sommer und Herbst, sondern „mitten im kalten Winter” erwarten läßt? Wie dem auch sei, das Stutzen ist die große Chance, den Inhalt der Botschaft neu und anders zu hören als in der wie auch immer programmierten Weihnachtserwartung. Heute trägt das Evangelium die Überschrift „Die Zukunft ist schon geboren”. Eine verfremdende Überschrift, wie alle Überschriften über diese Aachener Tage verfremdend sind. Immer ist es dieses Wort „Zukunft”, das glatten Aussagen allzu glatt gewordener Christlichkeit ungewohnten Klang gibt. Weihnachtliche Engelbotschaft von Bethlehem träufelt sich süßer in das Ohr unserer Herzen: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.” An sich ist dieser Wortlaut gewaltiger als das Tagesmotto, aber dieses ist ungewohnter, und darum reizvoller.

LeerDer Reiz der fremden Überschrift liegt in den Möglichkeiten neuer Assoziationen. Wenn wir von der Zukunft sprechen, dann schauen wir rechnend, träumend, spekulierend auf die Tage und Jahre vor uns; wir hoffen oder ängstigen uns auf sie zu, wissend, daß wir sie nicht „im Griff” haben und daß sie dunkel vor uns liegt, bis sie ein Heute wird. Und in all dem ist Zukunft ein abstrakt wirres Babel von Zuständen und Geschehnissen, von Höhen und Tiefen, die unentwirrbar ineinander verknotet sind. Weihnachtliche Botschaft und Zukunftsdenken und -fühlen begegnen sich in der Überschrift dieses Tages und befreien sich gegenseitig aus möglichen Engführungen. Fromme Weihnachtsseligkeit - frömmelnde Seligkeit überhaupt, die sich von der Verflechtung in die Gegebenheiten und Aufgaben der Zeit lossagen möchte, um in den Himmel zu entschweben, wird in das Heute des geborenen Jesus Christus zurückgeholt.

LeerDer „neugeborene König” nicht nur der Juden, sondern aller Menschen, ist in jeder Zeit das Kind, für dessen Chancen zu wachsen wir - seine Umgebung - Mitverantwortung tragen. Wir töten die Zukunft des „holden Knaben im lockigen Haar”, wo immer wir einander als Unholde begegnen. Dietrich Bonhoeffer hat in der unseligen Zeit vor fünfzig Jahren gesagt: „Man kann nicht gregorianischen Choral singen, wenn man nicht auch für die Juden schreit.” Man kann nicht in der Kirche fromm sein, wenn man den Nächsten auf den Straßen übersieht. Solche „Frömmigkeit” macht aus der Kirche ein Gefängnis, in dem Gott der Gefangene ist. Gott will mit uns auf die Straßen, um dort den Brüdern den Weg zu bereiten zu einem neuen Menschsein, das in Jesus Christus schon geboren ist und heule in uns heranwachsen will.

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LeerWie Frömmigkeit befreit werden muß in die konkreten Dürftigkeiten einer Zeit hinein, um lebendig zu sein und auf Gott hin zu führen, so muß Zukunftsdenken und Zukunftsangst Gott begegnen, wenn sie nicht schon heute ins Gestern hinein vermodern sollen. Wo Gott aus dem Leben verbannt wird, da beginnt nicht nur die Gottlosigkeit, da endet auch die Zukunft des Menschen. Lassen Sie mich noch einmal Dietrich Bonhoeffer zitieren: „Der Christ hat die Fähigkeit, über sich hinaus zu sehen.” ... über sich hinaus ... Der Christ ist grenz-sprengend, zeit-sprengend; ihm ist in den Mauern des Heute der Durchbruch und Aufbruch ins Morgen geschenkt. Dietrich Bonhoeffer hat dem in verschiedenen Stadien seiner theologischen und christlichen Entwicklung - als beginnender Lehrer Anfang der dreißiger Jahre und als tastender Theologe im Gefängnis - mit einem Rückgriff auf einen Satz des griechischen Philosophen Archimedes Ausdruck gegeben: „Gib mir einen Ort, wo ich stehen kann, und ich werde die Welt bewegen.”

LeerDas hieß für Bonhoeffer: Laßt uns Gott wagen, damit wir die Welt aus ihrem Kreislauf in und um sich selbst befreien und ihr eine Richtung geben. Die Zukunft ist schon geboren - das ist Botschaft von Begegnung zwischen Gott und Mensch, die den Menschen aus der Einsamkeit der Anstrengung, sich selbst verwirklichen zu müssen, um wirklich Mensch zu sein, befreit. Die viel bemühte Parole von der Selbstverwirklichung ist - bei letztem Durchdenken des Wortes -nicht christliche Botschaft. Ich werde nicht ich selbst aus mir selbst heraus. Ich werde ich selbst, wenn ich das Geschenk des Du Gottes an mich herankommen lasse und in mich hineinnehme. Das christliche Selbst, das der titanisch an seiner Selbstverwirklichung bastelnde Mensch herbeileisten will und nie erreicht, ist der „neue Mensch”, der in Christus geboren ist und so in die Menschheit - in unser aller Menschsein hineingezeugt ist. Ihn gilt es wahrzunehmen. Ihn gilt es anzunehmen. Ihn gilt es, durch alle Fasern unseres Menschseins durchwachsen zu lassen.

LeerDie Zukunft - das ist nicht der absolute Fortschritt, das ist auch nicht das ängstende Dunkel des ungewissen Morgen. Zukunft ist keine Rechenaufgabe, die in der Weltzeit lösbar ist und hier glatt aufgeht. Die Rechenaufgabe Zukunft geht dort auf, wo mit Jesus Christus gerechnet wird, wo die Weltzeit als Gottes Zeit verstanden wird. Wer heute mit Jesus Christus rechnet, dem ist Zukunft bereits heute geboren.


Abt Albert Altenähr OSB

Quatember 1987, S. 34-38

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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