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Maria und die Ökumene
Kevelaerer Gespräche
von Ilona Riedel-Spangenberger

LeerEine Reihe von Veranstaltungen bereiten den im Jahr 1987 stattfindenden Besuch des Papstes sowie den Internationalen Mariologischen Kongreß in Kevelaer vor. Dazu dienen auch die wissenschaftlichen Vorträge zu verschiedenen mariologischen Themen für evangelische, orthodoxe und katholische Theologen und Seelsorger, die in Zusammenarbeit mit der Bistumskommission für ökumenische Fragen der Diözese Münster durchgeführt werden. In einer Podiumsdiskussion behandelten ein orthodoxer Bischof, ein evangelischer und zwei katholische Hochschullehrer sowie eine katholische Theologin das Thema „Maria - Leitbild christlichen Glaubens, kirchlicher Gemeinschaft und christlichen Lebens”. Professor E. Lessing vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Münster erläuterte die Mariologie aus evangelischer Sicht. Gegen die mittelalterliche katholische Marienverehrung habe die Reformation auf Jesus Christus als den alleinigen Versöhner verwiesen, so daß Maria als Mittlerin aller Gnaden der protestantischen Kritik verfallen sei. Trotzdem habe sich die Reformation nicht veranlaßt gesehen, jegliche Marienverehrung zu verwerfen. Maria als Zeugin des Glaubens und der Demut sei biblisch bezeugt und auch evangelischerseits rezeptabel, zudem sei Maria nicht eine Zeugin unter vielen ändern, sondern „als von Gott zur Menschwerdung des Sohnes Erwählte ist sie Zeugin”. Insofern gehöre Maria in das Glaubensbekenntnis, das die Reformation als ein Bekenntnis zu Jesus Christus verstanden habe.

LeerZur katholischen Marienfrömmigkeit hätten evangelische Christen deshalb durchaus einen Zugang, jedoch nur in partieller Hinsicht. Maria als Schmerzensmutter, als Magd und als Beterin sei durchaus akzeptierbar, aber Vorbehalte setzten da ein, „wo Maria als Person selber in den Vordergrund tritt, wo sie als Himmelskönigin, Fürsprecherin, Helferin, Mittlerin, womöglich Miterlöserin, angerufen und verstanden wird”. Heute jedoch träfen solche Einwände nicht mehr ohne weiteres die katholische Theologie, die hierzulande bemüht sei, die Vorrangstellung der Christologie und die Notwendigkeit zu betonen, daß die Marienverehrung am biblischen Bild der Mutter Jesu zu messen sei. Darum werde evangelischerseits ausschließlich Kritik an „überbordernder Marienfrömmigkeit” geübt. Diese Kritik beziehe sich besonders auf die theologische Erkenntnisweise im Zusammenhang mit dogmatischen Aussagen, die für evangelisches Verständnis nur implizit im biblischen Zeugnis enthalten seien und nicht als „schlechthin verbindliche Glaubenswahrheit” gelten könnten.

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LeerEbenso werde die Vorstellung von Maria als Mutter der Kirche kritisiert, weil sie „nicht nur eine Nehmende und Empfangene, sondern auch eine Gebende und Tätige” gewesen sei und weil diese Formel Maria ein Eigenwesen gebe, so daß sie als „Bereitung zum Gang des Heiles” verstanden werde. Von dieser Kritik seien vor allem die beiden Dogmen von 1854 und 1950 betroffen. Die Anfrage des Referenten lautete: „Ist das nicht doch eine Beeinträchtigung der Gnade des Christusgeschehens, weil hier die menschliche Natur zur Mitwirkung bestimmt ist - und diese Gnade nicht als schlechthin unableitbar, unverrechenbar, wunderbar Neues aus dem Nichts schaffend entgegengenommen wird?” Demgegenüber erschließe sich der Sinn der Erwählung Marias, die Zukunft ihrer Nachfolge sowie ihre Vorbildlichkeit gerade dann, wenn sie ganz mit den Menschen in der Gemeinschaft der Heiligen und nicht vor ihnen oder über ihnen stehe.

LeerDer griechisch-orthodoxe Theologe Dr. Ch. Papakonstantinou stellte die Lehre der orthodoxen Kirche von der Gottesmutter als ein Glaubensgut, das seinen festen Platz im religiösen Leben der orthodoxen Christen habe, heraus. Dabei ständen Maria, die Gottesmutter, und Christus, ihr einzig geborener Sohn, „in einer einzigartigen übernatürlichen, doch nicht weniger personenhaften Beziehung, deren Urgrund letztendlich nicht nachvollziehbar” sei. Diese Beziehung sei auch so deutlich in den Evangelien bezeugt und komme in den Gottesmutterikonen, die Darstellungen der Menschwerdung Christi seien, auch zum Ausdruck. In der orthodoxen Tradition sei die Lehre über die Gottesmutter Bestandteil der Christologie, die ohne den mariologischen Aspekt der Gefahr einer Minimalisierung ausgesetzt sei. Denn die Überbetonung des göttlichen Elements bei der Menschwerdung Christi lasse diese als Offenbarung eines göttlichen Prinzips erscheinen und verdunkele das Dogma der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus. Maria stehe am Wendepunkt der Heilsgeschichte, weil sie einerseits zum auf Erlösung wartenden Geschlecht gehöre, andererseits aber durch die Menschwerdung Gottes die erste Erlöste sei. Als diejenige, in der sich göttliche und menschliche Natur vereinigt haben, sei sie der Archetypos, das Vorbild, der Kirche und des Christseins. Eine Parallele zwischen der Gottesmutter und der Kirche als Mutter bestehe, weil aus beiden das neue Leben hervorgehe.

LeerAuch die Bezeichnung der Gottesmutter als „immerwährende Jungfrau” in der orthodoxen Tradition stehe im Zusammenhang der Menschwerdung Gottes. Dabei gehe es nicht um das „Wie”, sondern um das „Daß” der Menschwerdung, in der bereits das gesamte Heilswirken Christi vorwegbezeichnet sei. Deshalb sei die Jungfräulichkeit nicht eine biologische Aussage, sondern als übernatürlicher Akl Gottes Zeichen der vollkommenen Hinwendung zu Gott. Der Referent stellte fest, daß die orthodoxe Kirche eine Dogmatisierung der Lehre über die Gottesmutter vermieden habe und den Weg der Katechese und Vertiefung in dieser Lehre durch das liturgische Erlebnis bevorzuge. Dabei gründe die Vermittlung um das Erbarmen Christi für die Menschen auf der gläubigen Zuversicht, Gottesmutter zu sein und dennoch dem menschlichen Geschlecht anzugehören.

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LeerProfessor Dr. H. Petri vom Fachbereich Katholische Theologie der Universität Regensburg ging von der Frage der möglichen Leitbildfunktion Marias aus. Er fragte, ob Maria eines von vielen möglichen Leitbildern des Christseins sei oder ob wirkliches Christsein verfehlt werde, wenn man sich grundsätzlich nicht an ihr orientieren wolle. Mit den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils und der Enzyklika „Marialis cultus” Papst Pauls VI. stellte er fest, daß mit Maria als exemplar virtutum mehr gemeint sei als ein moralisches Vorbild, so daß die Übersetzung mit „Urbild” sachgemäßer sei. Dabei könne Maria zum Vorbild werden für Dinge, die einer bestimmten Zeit wichtig und wertvoll seien, in denen sie ihr Ideal fände, so daß Maria zum Leitbild erklärt werde gemäß dem Bild, das sich eine bestimmte Zeit von ihr gemacht habe. Aber Maria sei auch Vorbild, weil sie ganz geprägt gewesen sei von der Liebe und dem Willen zum Dienst für Christus. Diese Aussagen seien auch durchaus mit dem Neuen Testament vereinbar.

LeerIm 8. Kapitel der Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils werde Maria als Typus der Kirche vorgestellt, um mit dem dort von Maria gezeichneten Bild besonders deutlich das personale Moment des christlichen Glaubens herauszustellen. Denn wenn von Maria gesagt werde, daß sie aufgrund ihrer Stellung in der Heilsgeschichte die größten Glaubensgeheimnisse in sich vereinige und widerstrahle und dadurch zum Typus der Kirche werde, dem die Kirche immer ähnlicher werden müsse, sei sie nicht nur Vorbild, sondern dann stelle sich in ihrer Person Kirche dar. Somit sei Marias Ja, die Mutter Jesu zu werden, recht verstanden, eine Voraussetzung für unser Christsein. In ihrem Ja sei schon irgendwie jedes andere menschliche Ja zu Jesus Christus vorweggenommen, so daß jede menschliche Glaubensentscheidung auch irgendwie marianisch sei. An diesem Punkt gehe es um die Grundstrukturen des christlichen Glaubensverständnisses und damit um eine Sicht Marias, in der sich die christlichen Konfessionen tatsächlich nicht einig seien.

LeerDie Beiträge des russisch-orthodoxen Bischofs Longin (Düsseldorf) und der katholischen Theologin Eugenie Neugebauer (Münster) waren in dieser Gesprächsrunde ein beredtes Zeugnis für eine Frömmigkeit, die ihre Identität mit Maria gefunden hat: Sowohl die vielfältigen Äußerungen der Verehrung der Gottesmutter in der orthodoxen Liturgie und Spiritualität als auch die Orientierung einer mitten im Leben stehenden Frau der heutigen Zeit an der im Glauben selbstbewußt gewordenen Maria bei der auf der Hochzeit zu Kana bezeugten christlichen Glaubens- und Lebensweise, die in der Ehre Gottes die Person des Menschen nicht aus dem Auge verliert. Insofern war die Podiumsdiskussion ein gelungenes Zusammenspiel wissenschaftlicher Theologie und menschlicher Rezeption des herausragenden Leitbildes Maria für den Glauben und das Leben von Menschen in der Gemeinschaft mit Jesus Christus.

Quatember 1987, S. 38-40

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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