Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1987
Autoren
Themen
Stichworte

750 Jahre Kloster Kirchberg
Vom Berneuchener Buch zum Berneuchener Haus
von Jürgen Boeckh

LeerZwischen Himmelfahrt und Pfingsten 1959 waren wir mit dem Wagen unterwegs von Heidelberg nach München. Meine Frau meinte: „Da hat doch die Bruderschaft jetzt ein neues Haus. Wollen wir uns das nicht mal ansehen?” Wir wußten noch nichts Näheres, nicht einmal genau, wo das alte Kloster, in das einige Frauen und Männer mit unserem Bruder Oskar Planck und seiner Frau eingezogen waren, liegt. Wir sind wohl eine Weile um den Kirchberg herumgefahren, denn in den benachbarten Ortschaften wußten mehrere Leute, die wir ansprachen, nichts von diesem Kloster. Schließlich gelangten wir dann aber doch an. Erst ein Teil des Konventgebäudes war damals von der Hausgemeinde in Anspruch genommen worden. Das Ehepaar Planck wohnte in der ehemaligen Ackerbauschule. Gegen Sonnenuntergang ging Bruder Planck noch mit uns auf den Wandbühl, jene Anhöhe, auf der jetzt das Caravacakreuz steht. Wir genossen den Blick bis hinüber zur Schwäbischen Alb und ließen uns erzählen, was in dem einen Jahr seit Frühjahr 1958 auf dem Kirchberg gewachsen war. Manche von uns sprachen damals noch von einem „unsicheren Experiment” und von einer „Utopie”. Oskar Planck aber konnte durch eine Denkschrift für den Rat der Evangelischen Michaelsbruderschaft, überschrieben TRADITIO, im Herbst 1961 den Brüdern etwas vermitteln von dem, was in Kirchberg bereits Gestalt gewonnen hatte und unbedingt erhalten und weitergeführt werden sollte. Da heißt es in dem letzten Abschnitt:

Erzengel St. MichaelLeer„In diesen spannungsreichen Jahren waren Kräfte wirksam, die danach drängten, Gestalt zu gewinnen, und in einem erkennbaren Stil und einer sich festigenden Sitte auch schon Gestalt gewonnen haben. Ich stehe unter dem Eindruck, es habe sich hier ein ähnliches Wunder vollzogen wie beim Kristallisationsprozeß in der mineralischen Natur. Die gesättigte Lösung war vorhanden, nämlich wartende Menschen aus der Michaelsbruderschaft und dem Berneuchener Dienst, aber auch aus ganz anderen Kreisen, die in einer erstarrten und zerfallenden Welt nach neuen Lebensformen suchten. Der Kristallisationspunkt war Kirchberg mit seiner stillen Landschaft, seinem umfriedeten Kloster, seiner durchbeteten Kirche. Hier konnte man Einkehr halten und sein Leben in Ordnung bringen. Was sich als Berneuchener Haus herauskristallisiert hat, ist heute noch ein kleines und unscheinbares Gebilde, aber es hat doch schon da und dort seine Strahlkraft erwiesen unter Menschen, die nach dem Schatz im Acker graben und nach der kostbaren Perle Ausschau halten. Man wird noch sorgfältig an diesem Kristall schleifen müssen, bis er seine volle Strahlkraft bekommt. Ich habe ihn einer Analyse unterzogen. Wenn ich richtig beobachtet habe, dann sind seine Stoffelemente Gottesdienst, Gotteswort, Seelsorge und Gastfreundschaft, seine Formkraft Menschen, die bereit sind, selbstlos zu helfen und zu dienen, und Ordnungen, die es dem Menschen unserer Tage leichter machen, zu sich selbst und zu Gott zu kommen.”

LeerIm „Berneuchener Buch” hatten unsere Väter im Jahre 1926 geschrieben: „Daß heute die natürlichen sozialen Gebilde weithin nicht mehr der Ort und das Gleichnis wirklicher Verbundenheit sind, legt der Kirche die Pflicht auf, viele ihrer Glieder einmal oder wiederholt auf bestimmte Zeit aus ihrer alltäglichen Umgebung herauszulösen und sie zu gemeinsamer Besinnung auf den Inhalt ihrer Sendung zusammenzurufen.” Angesichts von Subjektivismus und Willkür auf der einen, gesetzlicher Erstarrung aber auf der anderen Seite wurde damals der mangelnde Formwille des Protestantismus beklagt, die „Unentrinnbarkeit der Gestalt” erkannt und „Evangelische Form” gefordert. So ging der Weg vom Berneuchener Buch zur Michaelsbruderschaft und zum Berneuchener Dienst. Ein weiterer Schritt evangelischer Gestaltwerdung führte (nachdem ein anderer Versuch gescheitert war) zum Berneuchener Haus. Schon für die Verfasser des Berneuchener Buches war „evangelisch” mehr als eine Konfessionsbezeichnung, als Gegensatz zum „Katholischen” verstanden.

LeerDie Festwoche zum 750jährigen Bestehen des Klosters Kirchberg steht unter dem Thema „Klösterliches Erbe für heutiges Christsein”. Nicht nur in der Thematik dieser Woche, sondern von Tag zu Tag in der Gestalt der Gebete-zu den Tageszeiten und in der von Sonntag zu Sonntag (und öfter) gefeierten Eucharistie ist das Berneuchener Haus, „erbaut” auf dem Grund des Klosters der Dominikanerinnen, ein Ort, an dem Christen verschiedener Herkunft sich als evangelisch und katholisch zugleich verstehen. Die letzten Jahre haben gezeigt, daß der tägliche Gottesdienst der Hausgemeinde und aller, die jeweils dazu kommen, uns die Freiheit gibt, darüber hinaus Traditionen aus dem nicht-christlichen Bereich in Einkehrzeiten und Tagungen einzubeziehen.

LeerDas tägliche Gebet hat auch nicht aufgehört, als das Konventgebäude im Jahre 1979 einem Brand zum Opfer fiel. Dieser Brand war eine Herausforderung an alle, die in und mit Kirchberg beteten und arbeiteten, zu erkennen, daß der Geist nicht nur mehr ist als der Buchstabe, sondern auch mehr als. jeder von Menschen errichtete Bau. Der „Geist, der lebendig macht”, gibt auch die Kraft, immer wieder neu anzufangen.

VENI CREATOR SPIRITUS - KOMM, SCHÖPFER GEIST!

Quatember 1987, S. 65-66

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
Haftungsausschluss
TOP