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Hellas und das Evangelium
von Friedrich Mehlhose

LeerKarl Schefold: Die Bedeutung der griechischen Kunst für das Verständnis des Evangeliums. Mainz. 1983. 113 Seiten, 29,80 DM

LeerZu wenig ist das Erscheinen einer epochemachenden Schrift von dem in Basel lebenden Nestor der deutschen Archäologie Karl Schefold bewertet und gewürdigt worden. Wer es als rätselvolle Last für unser christliches Bewußtsein empfunden hatte, daß eine hochstehende Kultur wie die alte griechische mit einer Götterwelt lebte, dem schenkt Schefold einen dankbar angenommenen Versuch des Ausgleichs. "Man sollte heute die pantheistische und die monotheistische Deutung des Wunders der Wirklichkeit nicht mehr als Gegensätze sehen, sondern als verschiedene menschliche Versuche, sich vor der Wirklichkeit zu verantworten."

LeerFur den Autor ist die griechische Kunst wichtig für die Aufgabe, die Entfremdung von Kirche und Welt zu überwinden. In immer neuen Ansätzen bringt er den Nachweis, daß bereits in der antiken Religiosität der Boden für die spätere Offenbarung vorbereitet war, und er unternimmt es, das Verständnis des Christen für die Göttlichkeit der Antike mit einem bestimmten Zielpunkt zu eröffnen. "Für alles ehrfürchtige Antworten auf die göttliche Wirklichkeit sollten die Kirchen offen sein, und gerade für das Antworten der großen Dichter." Schefold ruft dazu auf, die griechische Kultur heute nicht mehr der christlichen als heidnisch gegenüber zu stellen. Die griechische Frömmigkeit sei selbst auf dem Weg zur Offenbarung.

LeerEs gelte, eine neue religiöse Sprache für die seit der Renaissance entdeckten Wirklichkeiten zu finden. Man mache sich zu wenig bewußt, daß Goethe durch sein ganzes Leben um ein neues Verstehen der biblischen Offenbarung gerungen habe; Hölderlin habe noch am Ende seines Werkes in Jesus Christus seinen Meister und Herrn angerufen. Stefan George, dessen "Engel" Schefold in einer Auslegung (Hrsg. H. Küpper, Düsseldorf und München, 1972) zu dem Gedicht "Zueignung" von Goethe in Parallele setzt und deutet, hat die neue Sprache der Religion gefunden. Beim Bemühen um eine neue Sprache kann man nach Schefold von drei Erfahrungen sprechen: von der natürlichen Religion, der ethischen Religion und der Offenbarung.

LeerDie natürliche Religion ist begründet in Staunen vor dem Wunder von Leben und Welt, auf das der Mensch mit seinen edelsten musischen Kräften antwortet. Denn die Schöpfung ist, mehreren Theologen zufolge, das Spiegelbild des Schöpfers, die sinnliche Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Aber Gott ist nicht nur in der Welt, er ist auch über der Welt. Auch die ethische Wirklichkeit ist göttlichen Ursprungs. Nach Albert Schweitzer ist "Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben die ins Universelle erweiterte Ethik der Liebe", die den Seligpreisungen der Bergpredigt ähnelt, wie auch Platons Lehre von den Urbildern, den vollkommenen Urbildern des Seins. Ihre tiefste dichterische Deutung hat die ethische Wirklichkeit in der griechischen Tragödie gefunden: "Hier wird das Los des Menschen sichtbar, gottähnlich und doch sterblich zu sein und Gott nicht begreifen zu können." Der Mensch bleibt immer in seiner Spannung zwischen Verlorenheit und Paradiesverheißung. Im Ringen um die Erkenntnis des Unbekannten, des Herrn der Welt sind Goethe, Aischylos und Jesaja erstaunlich verwandt. Hiob lernt vor Gott zu schweigen, dessen Wege höher als Menschenwege sind. Diesem Geheimnis zu begegnen, ist auch der Gehalt der griechischen Tragödie.

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LeerDie übliche ästhetisierende Kunstbetrachtung geht an diesem religiösen Gehalt der Kunst vorbei. Und doch sollte man ihn ernst nehmen, besonders gerade in der griechischen Kunst, die in ihrem ursprünglichen Charakter dem Evangelium so nahe steht. Unsere dritte religiöse Erfahrung ist ein unverlierbares Element unserer geistigen Geschichte geworden: Gott hat, wie die Evangelien bezeugen, seinen Sohn auf die Erde gesandt, um durch Tod und Auferstehung den Weg in ein neues Leben zu zeigen. Diese Botschaft erforderte Glauben, aber sie ist dann zur Mitte der abendländischen Kultur geworden und darf deshalb eine geschichtliche Wirklichkeit genannt werden. Die Offenbarung ist eine unvergleichliche Kunde von der Wirklichkeit des transzendenten Gottes. Goethe sagt von ihr, daß sie nicht wieder verschwinden könne, da sie sich einmal göttlich verkörpert habe. Wer diese Wirklichkeit begreift, kann auf das Wort "Glaube" verzichten, das so viele Mißverständnisse auf sich gezogen hat. Er spräche besser von der Treue zur offenbarten Wirklichkeit, der man vertraut. Das überlieferte evangelische Geschehen enthält eine tiefe symbolische Wahrheit, die als solche überzeugt und dadurch historisch ist. Es ist eine große Aufgabe, der breiten Masse zu zeigen, daß es im geistigen Leben auf die symbolischen Wahrheiten ankommt, die uns zum Reichtum der religiösen Wirklichkeit befreien. Die Offenbarung gibt dem Suchen nach der Wahrheit, ohne das menschliches Leben nicht zu denken ist, eine neue Tiefe.

LeerIn einem weiteren Abschnitt beleuchtet Schefold den griechischen Hintergrund des Urchristentums. Er zieht die zahlreichen Parallelen zwischen beiden Welten und stellt viele Beziehungen her. Danach boten bekanntlich Judentum und Griechentum die fromme Basis für die Ausbreitung des Christentums. Die Kirche hat die antike Religion als heidnische Vielgötterei abgetan. Wer gewohnt war, mit unseren großen Dichtern die griechische und römische Kultur als hochstehend zu respektieren, kam als Christ in Gewissensnöte. Denn nur eine religiöse Verhaltensart.- so hatte er meinen müssen - konnte doch "richtig" sein. Er müßte Karl Schefold zutiefst dankbar sein, daß dieser die Dinge zurechtrückte, ohne unserem Herrn Jesus etwas zu nehmen. Er hat das besonders im nächstfolgenden Abschnitt getan, genannt "Gott und die Götter".

LeerSchefold ist kein Gottesschwätzer. Kraft seiner Autorität öffnet er uns die Augen. Trotz des deutlichen hellenistischen Hintergrundes des Urchristentums sind die Unterschiede aber doch auffallend. Mit der Offenbarung leben wir als Betende, aber das griechische Erbe ist Geschichte geworden, einschließlich seiner Götter. Wir können sie nur noch als Wunder der Schöpfung verehren. Sie sind innerweltlich, während unser Gott allumfassend, der ganz Andere, der Weltenschöpfer ist. Schefold sieht einen so großen Unterschied, daß man nicht beide mit demselben Wort bezeichnen sollte wie den biblischen Gott (vielleicht die "Göttlichen"). Wir können zu jenen nicht beten wie zu Gott, aber wir können mit ihren dichterischen und künstlerischen Gestalten leben. Die Göttlichen stehen nicht "neben" Gott, sondern unter ihm. Sie sind kein Gegensatz, sondern ergänzen sich. Die Göttlichen sind unsterblich, aber nicht allmächtig. In den drei letzten Abschnitten seines Buches schildert der Autor die bei den allen Griechen herrschende Durchdringung des privaten und öffentlichen Lebens mit religiösen Gestalten und Vorstellungen an zahlreichen Einzelbeispielen. In wissenschaftlich klarer und dennoch dichterisch anmutender Sprache bezeugt der reife Gelehrte die Gnade, die sich im Evangelium erfüllen wird, aber auch die griechische Ehrfurcht vor dem Leben.

Leer"Das neue Leben im griechischen Licht". So nennt der Autor sein letztes Kapitel. Mit dem "neuen Leben", zu dem das Evangelium aufgerufen hat, vollzieht die Lehre Christi eine Wendung ins Diesseits, die mit der Renaissance begann. Die irdischen Aufgaben treten nicht mehr in Gegensatz zum Evangelium, sondern werden durch dessen Botschaft zu Aufgaben des ganzen Menschen, nicht nur seiner profanen Existenz. Wenn die Predigt von den eigentlichen geistigen Worten des Lebens zeugte, würde sie nicht mehr so fremd wirken. Der Autor legt den Finger auf die Wunde und fragt geradeheraus: "Was sagt uns der Herr mit Homer und Aischylos. mit Goethe und Hölderlin?" Alle sind in seinem Licht geworden, ihre Gestalten und Werke gehören zur Schöpfung. Wir haben nicht das Recht, sie zu verwerfen, deren Liebe ewig auch Hellas galt.

LeerDie Kirche hat zwar mit "dem stillen Liebeswerk der Schwestern und Pfarrer" mehr vom Wort gezeugt als mit allen lauten Wörtern. Selten hört man aber von der Kanzel vom religiösen Grund unserer heutigen Weltkrise. In direkter Ansprache wendet sich der Autor an die Öffentlichkeit ein unerhörter Schritt von einem unserer geistigen Führer. Wird der neue Ruf wieder gehört werden, der Ruf heim ins Reich des Geistes, in das Reich des Herrn?

Quatember 1987, S. 121

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-10
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