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Gemeinsam Christus bekennen, in einer Zeit, wo jeder seine eigene Meinung hat
von Max Schoch

Erfahrungen

LeerDaß wir gemeinsam bekennen und gemeinsam Christus bekennen können, scheint uns jetzt manchmal die Wirklichkeit gewesen zu sein, die in der Vergangenheit einmal Realität war, die jetzt aber verloren ist. Gemeinsamer Glaube, gemeinsame Denk- und Lebensformen, gemeinsame Kultur, ist das ein Traum gewesen? Gab es das einmal?

LeerZuviel ist erschlagen worden. Das gemeinsame Bekenntnis zu einer Kultur ist mehr Forderung als sichtbare Wirklichkeit, ist fast Utopie bloß. Man wagt kaum davon mehr zu sprechen. Die Risse gehen durch alles. Es ist wie auf einer wertvollen, mit feinen Malereien und Verzierungen geschmückten Schale. Zerrissen ist die Glasur, und es geht durch alle. Kein Figürlein ist ganz. Blüten sind von ihren Blättern abgetrennt, Beinchen von Leibern, Dachfirste von den Häusern. Der Riß geht auch quer durch das Paar, das in der Wiese vor dem Hause spielt. In der Wirklichkeit seufzt manche alte Liebe unter der zerbrochenen Gemeinschaft der Anschauungen. Gemeinsam leben, gemeinsam fühlen, gemeinsam bekennen, denken, glauben ... Warum ist soviel Streit unter uns, der gar nicht nur oberflächlich ist, sondern auf ein verschiedenes Urteilen, Werten, Bekennen zurückgeht? Uns dünkt, daß alles, was einst hielt, was einst geschlossen war - Ehen, Ehen vor allem, vielleicht noch mehr die Familien, welche Kinder mit Eltern und darüber hinaus Geschwister, Großeltern, Vettern, Basen umfaßten, in ihrer Einheit dahin sind. Und gemeinsames Bekennen ist schon recht nebensächlich geworden, schon eine Aufsehen erregende Seltenheit. Wo sie erscheint, wird sogleich verdächtigt, es sei elitärer Eigensinn einer Sippe oder es sei Anpassung und darum Unredlichkeit. Generationen müßten doch verschieden leben und denken (sagt man).

LeerSo wird das verschiedene Bekennen zum Postulat einer neuen Gesellschaft. Doch viele leiden schmerzlich, Männer und Frauen, unter anderem, neuem altem, abweichendem, unverständlich gewordenem Denken und Bekennen. Und dabei Christus. Ist Christus zerspalten? Haben wir diese Frage nicht schon einmal gehört? Steht sie nicht bei Paulus? Er wirft der Gemeinde in Korinth Verspaltenheit vor. Er will das Problem lösen, indem er die Einheit des Bekenntnisses hervorhebt. Genauer: die Einheit des Dienstes.

Leer„Was ist nun Apollos? Was aber ist Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid - und zwar so, wie es der Herr einem jeden von ihnen verliehen hat. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Gedeihen gegeben.” Macht es sich der Apostel nicht doch etwas zu einfach? Sind da nicht Unterschiede? Paulus ordnet die Verschiedenheit dem Wirken des Heiligen Geistes unter. Die Gaben seien verschieden. Der Herr sei einer. Dies ist seine feste Überzeugung. Wir erkennen sie immer wieder. Im Streit zwischen ihm und Petrus kommt er auf die Verschiedenheit der Sendung zu sprechen - er zu den Heiden, jener zu den Juden.

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LeerDer eine Herr - das steht ihm unverbrüchlich fest: Die Sendung, der Auftrag, das Charisma mag verschieden sein aber nicht der Geist, das Pneuma, der Herr!

LeerWir möchten sagen: So geht es nicht, Paulus; unsere Risse gehen tiefer. Wir denken und streiten gegeneinander mit den tiefsten Überzeugungen. Du magst verschiedener Ansicht gewesen sein; bei uns geht es zu Herzen, was uns zerreißt.

LeerDann würde er einwenden: „Mein Kampf gegen die Apostel war schmerzlich. Ums Allertiefste ging es mir, um das Evangelium gegen das Gesetz, um die Gnade und die Liebe. Wenn ihr um Liebe kämpft, ich tat es auch. Wenn ihr um Gnade ringt, ich rang schwerer. Wenn ihr über der Ordnung euch verfeindet, ich erfuhr schlimm die Feindschaft der Gerechten! Lest meinen Brief an die Gemeinde in Galatien!”

LeerUnd wenn wir das zu lesen beginnen, stoßen wir auf harte Worte. „Du hast deine Gegner verflucht, Paulus. Du hast dich und jeden Engel Gottes verflucht, sollte von ihnen ein anderes Evangelium verkündigt werden.” Von Anfang an waren die Kämpfe um das Evangelium bitteres Ringen um die Sache. Von Anfang an gab es die Unterscheidung zwischen dem, worauf es ankam, was einen Menschen unbedingt angeht oder was die Apostel und die Gemeinden unbedingt anging, und dem, was offenbar Verschiedenheit der Gnadengabe und der Sendung, des Dienstes und der Ausrüstung dazu war.

LeerEs muß also ins Auge gefaßt werden: das Unbedingte und das Bedingte, der umfassende Auftrag, die Mission Christi und der besondere Auftrag, die spezielle Sendung, das Ganze und der Teil.

LeerEine Bruderschaft oder Schwesternschaft, eine geistliche Gemeinschaft besonderer All darf sich nie als die ganze Kirche fühlen. Es ist das Kennzeichen der Sekte, wenn eine Gruppe sagt: Wir sind die Erwählten, die 144 000 oder die zwölf Stämme oder die allein seligmachende Kirche. Es macht die Bruderschaft, die besondere Gemeinschaft, die spezielle Ordnung aus, daß sie eben diese Gleichung nicht vollzieht, sondern bewußt ein Glied am Leib, eine um eine besondere Gabe oder besondere Dienstüberzeugung versammelte und verbundene Schar innerhalb der Kirche Christi sein will, darum notwendigerweise ihre Beschränkung.

LeerPaulus braucht da ein besonderes Wort, katartismos, Anpassung oder Einfügung. Wie der Handwerker ein Werkstück einpaßt, damit es dem Ganzen diene, so denkt sich Paulus eine Einfügung und Anpassung des besonders begabten, eigentümlich ausgestalteten Christen in das Dienstganze der Gemeinde, ein Glied am Leib. Dies geht uns, die wir das Eigene, Besondere betonen und damit die Selbstverwirklichung verbinden, sehr wider den Strich. Es will sich so verschiedene Lebens- und Glaubenshaltung heute auch ganz und gar nicht einfügen lassen.

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LeerDas ist die Vorstellung und Forderung nach (wie es heißt)  S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g .

LeerUnd dies ist schon ein Stichwort, welches in gewisser Hinsicht den Zeitgeist kennzeichnet. Selbst ist der Mann. Selbst - ein Terminus, den die Jungsche Psychologie, die analytische Psychologie, verwendet, um eine vom Ich verschiedene Wirklichkeit zu bezeichnen, eine aller Ichwerdung vorausliegende Tatsache, ein Innen, das sehr viel mit Religion, Glauben, Hoffen, Fühlen und auch mit dem Bekennen zu tun hat. Ich bin mit diesem Wort in eine Sphäre eingetreten, in der ich zu tun habe mit dem Über-Ich, das also mich umgreift. Aber ich bin doch nicht bei mir, beim individuellen, subjektiven, mir eigenen Wesen, Wollen, Sinnen, Denken, Schaffen, in diesem Sinnen mit seinen besonderen Gestalten, Symbolen. Es setzt sich ab vom Gewöhnlichen, Üblichen, Täglichen, Gesellschaftlichen, auch von der Religion als Institution, vom Staat. Es ist eben das Eigene und sein tiefster Grund, der alles speist und alles zusammenhält.

LeerIn dieser unserer Weltepoche hat das Bekennen mit diesem Eigenen viel zu tun. Warum auch nicht? Es muß doch! Echtes Bekennen ist eine Stimme des Selbst.

LeerNur bleibt da ein wichtiger Einwurf, der ein Mißverständnis ausräumen kann. Bekennen, das ist ein Akt, welcher über den nur subjektiven Bereich hinausführt. Es ist auch nicht derart ein Objektbereich angesprochen, wie der Bereich, in dem die täglichen Dinge sind. Er ist ein Personenbereich eher. Er ist; ohne mein Hinzutun ist er, nicht Vorstellung nur, nicht Gedanke bloß. Aber doch auch Gedanke, auch Vorstellung, etwas, das mich beeindruckt, beschäftigt, herausfordert, verpflichtet, zieht, ruft, trägt, hält, beflügelt, schickt, beauftragt. Das ist der objektive Inhalt des Bekenntnisses: eine Wirklichkeit in Begegnung, eine Wahrheit in Begegnung, ein Du. Das Bekennen hat es mit ihm zu tun, nicht mit Lehren, Verhaltensweisen, Arten der Vorstellung, nicht mit dem Begrifflichen.

LeerDoch halt! Ist denn nicht das Glaubensbekenntnis von allem Anfang Aussage von ihm gewesen? Das Wer ist doch irgendwie. Von Anfang an sagte man von Christus Beziehungen aus: Sohn des Vaters, eingeborener Sohn, Herr, unser Herr, der eine bestimmte für uns relevante Biografie hat mit bedeutsamen Merkmalen und der eine Zukunft hat, die uns angeht, die unserer eigenen Zeit vorausliegt. Wir werden jedenfalls auf eine Überlieferung stoßen, wenn wir ihn bekennen wollen. Diese Überlieferung ist enthalten im ersten Zeugnis, das die dazu geschickten und dafür geistig ausgerüsteten Apostel, Lehrer und Evangelisten ausrichten. Trotzdem ist es wahr. Das Bekennen ist auf Christus selbst gerichtet. Die Liebe, das Berichten von ihm, alles meint ihn persönlich und nicht das über ihn Gelehrte. Es sind nicht die gezeichneten, gemalten und erzählten Bilder, Vorstellungen und Gedächtnisse, die man bekennen soll und will. Im Grund geht es jeweils um das Ich und das Du, um diese Glaubensbeziehung.

Das gemeinsame Bekenntnis der Juden und Griechen

LeerDas erste historische Bekenntnis lautet „Herr”, Kyrios. Niemand kann, sagt Paulus, ihn Kyrios nennen, außer im Heiligen Geist. Für einen Juden wie Petrus war schon der Begriff des Messias, griechisch gesagt, des Christos, Bekenntnis, das einzigartige Du-Bekenntnis: Du bist Christus. Und (heißt es Matthäus 16, 17) zur Antwort: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn, Fleisch und Blut hat dir dies nicht geoffenbart, sondern mein Vater in den Himmeln.”

LeerKönnte man die ganze Bekenntnisentwicklung übergehen und zurückgreifen auf dieses erste Bekennen? Wer immer unter den Völkern und Religionen an einen Kyrios denkt, wer unter den Juden an einen Christos, dieser ist es: Jesus. Von ihm haben die Evangelisten bekennend gesprochen, indem Matthäus einen Engel zu Josef, Lukas schon zu Maria sprechen läßt, ein Sohn würde ihnen geboren werden, der vom Heiligen Geist käme. Später sagte man im Apostolicum: „Empfangen durch den Heiligen Geist”. Und im „Großen Glaubensbekenntnis”: „Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater”.

LeerIm Anfang des Johannesevangeliums steht es bekanntlich anders. Denen, welche an einen Logos denken, dem alles entsprang, wird gesagt: Er ist es. Und so und mit anderen Aussagen geht es verschieden durch die Evangelien hindurch. Das Johannesevangelium formuliert das Bekenntnis mit den bekannten Ich-bin-Worten und mit Spruchworten wie „Wer mich sieht, der sieht den Vater”, „Niemand kommt zum Vater denn durch mich”. Bei anderen wie im Markusevangelium sind es Handlungen, die ihn offenbaren: Er vergibt dem Schwergelähmten die Sünden, sagend: „Damit ihr aber wißt, daß der Sohn des Menschen Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben ...” Der Besessene erkennt ihn unter Schmerzen: „Wir wissen, wer du bist: der Heilige Gottes.”

LeerEs ist jetzt nicht meine Aufgabe, das Christusbekenntnis der Jüngergemeinde aus den neutestamentlichen Schriften mit allen Beispielen nachzuweisen. Ich wollte aber in Erinnerung rufen, wie verschieden die Worte und die Formen sind. Die wichtigste Bezeichnung, die durch alle Schriften geht, ist genannt: Sohn Gottes. Das Eine auf vielerlei Weise sagen, das heißt in der Kirche, die diese Zeugnisse bekannt gegeben und im Neuen Testament als in ihrem Kanon, ihrem für das Glauben und Bekennen maßgebenden Dokument, gesammelt hat - das Eine auf vielerlei Weise sagen, das heißt: gemeinsam Christus bekennen.

Der Paradigmenwechsel

LeerDaraus soll nicht geschlossen werden, daß jeder Christ für jede sprachliche oder erzählerische oder begriffliche Form, für jedes Symbol gleichmäßig zum Gebrauch verpflichtet werden soll. Anders denkt ein Rabbinerschüler, anders ein Hellene; auf eine andere Weise ist einem kleinen Kind Jesus groß zu machen, auf eine andere Weise einem Erwachsenen. Anders muß ihn ein Campesino in Zentralamerika erfahren, anders ein Industriearbeiter, anders ein der europäischen Volksschule entronnenes junges Mädchen, anders der von dieser oder jener Ideologie verformte Mensch. Früher sprach man, wenn man auf historische Epochen und verschiedene Kulturen blickte, von einem Kulturwandel; heute reflektieren die Gelehrten über einen Paradigmenwechsel. In jedem Fall wird die Tatsache ins Blickfeld gerückt, daß die Verkündigung von Jesus Christus den Menschen in einem nach Alter, sozialer Schicht, kulturellem Umfeld verschiedenen geistigen Status antrifft, daß er in verschiedenen Vorstellungen lebt und daher die Verkündigung nur verstehen kann, wenn sie ihn in seinem Horizont fesseln kann.

LeerEs dünkt mich - und ich habe solches schon beim frühen Paul Tillich gelesen - daß der Protestantismus, soweit er als Predigtkirche auftritt, die Frau, den Mann in einem heutigen Produktionsbetrieb desto weniger anspricht, je intensiver er die Denk- und Urteilskategorien eines Betriebsangehörigen ausüben muß. Zwischen Streß und Entspannung bleibt für den Predigerprotestantismus nur dann noch etwas übrig, wenn er das Bedürfnis nach Gefühl und Überstieg in eine ganz andere Atmosphäre erfüllen kann. Wenn er keine Sekte findet, die ihn in dieser Hinsicht befriedigt, hört dieser Mensch keine Verkündigung Jesu Christi mehr mit Verständnis an. Kardinal Newman fand die Konvertiten zur neu sich bildenden Katholischen Kirche in England hauptsächlich im frustrierten Adel und im Industrieproletariat.

Das Chalcedonense

Leer„Gemeinsam den Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, zu bekennnen”, das war das ausdrückliche Ziel der Synode von Chalcedon 451. Wichtigste Stichworte: „Derselbe vollkommen in der Gottheit, derselbe auch vollkommen in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch”. Diese in Chalcedon versammelten Väter wollten nichts anderes als damit die Überlieferung wahren, die sie von alters her, von den Aposteln übernommen hatten. Nicht etwas Neues, sondern das Alte sollte festgehalten werden. Der Kaiser sollte damit die Einheit befördern, den einen und gemeinsamen Glauben an den höchsten Herrn, dem auch der irdische Herrscher in enger Verbundenheit dienen sollte.

LeerAm 25. Oktober 451 war in feierlicher Sitzung die Glaubensdefinition angenommen worden, einhellig bis auf einen einzigen Opponenten aus Alexandrien in Ägypten. Er wurde dort später Patriarch. Er verbreitete das Nein zu Chalcedon. Er vertrat den Monophysitismus. Die einfachen Gläubigen, die Frommen, die Mönche und Einsiedler in Syrien, Palästina und Ägypten, berücksichtigt durch viele orientalische Bischöfe, hatten Mühe mit dem Doppelgesicht des Erlösers.

LeerFür sie war er einfacher zu begreifen als Göttlicher. Die Gottheit war für sie der Artikel, auf dem die Kirche stand.

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LeerChalcedon konnte die Christenheit nicht einen. Von da an gingen das Abendland und der Vordere Orient verschiedene Wege. Es ist für uns heute wichtig nachzulesen, wie ein einfacher Bischof aus der Provinz auf eine Umfrage aus Konstantinopel zur Antwort gab, das Konzil sei unter seinen Gläubigen nicht populär. Es stelle zu hohe geistige Ansprüche. Seine Formulierungen klängen zu gelehrt und schienen damit nicht geeignet zur Predigt, nicht zum Unterricht. Es sei schon recht gemeint theologisch und richte sich wohl gegen Häresien. Aber für den Seelsorger sei es nicht praktikabel, und darum solle man es den Theologen überlassen und die einfachen Leute nicht damit behelligen.

LeerKaiser und Patriarch haben nicht auf diesen Mann gehört. Sie gaben sich Mühe, ein Einigungspapier zu schaffen und zu verbreiten, das Henotikon. Vergeblich; Widerstände, gewaltsame Aufstände, Bischöfe wurden hingemetzelt, der Aufruhr nahm zu. Es zeigte sich, daß das letzte gemeinsame Bekenntnis das Symbol von 381 geblieben war, das man auch in den Gottesdiensten und bei Taufen wie eine Hymne beten konnte, das schon erwähnte „Große Glaubensbekenntnis”, das Nicaeno-Constantinopolitanum, eine erweiterte Fassung des Ergebnisses, das auf dem Ökumenischen Konzil von Nizäa 325 zustandegekommen war.

LeerEs ist leicht darüber zu lachen, und lächerlich ist es ja auch: Das sorgfältig formulierte Henotikon, das Einigungspapier, an das Kaiser und Patriarch so viel theologischen Scharfsinn und Diplomatie verwendet hatten, wurde selbst ein Streitobjekt und mehrte den Konflikt und verbreitete die Kluft. Jene Auseinandersetzungen, in denen das große Alexandrien gegen das stolze alte Rom stand und wo keine Einigung mehr half, markiert bereits den Ost-West-Gegensatz. Die Klammer des gemeinsamen Kaisers und der gemeinsamen Theologie zerbrach.

LeerOffensichtlich wollte man zuviel oder etwas Falsches, als man eine gemeinsame Deutung für den Gottessohn definieren wollte. Waren die Motive falsch? War es denn nicht ein gewaltiges Vorhaben? Damals war das Interesse am Bekennen immens. Der Kampf ging dem Imperium an die Wurzeln. Aber das gemeinsame Bekennen hatte sich auf einen falschen Weg begeben. Diesen verhängnisvoll falschen Weg ging die abendländische Christenheit noch einmal im heißen Bekenntniskampf der Reformationszeit. Wie imposant sind die Bekenntnisschriften, wie subtil die Unterscheidungen und wie diplomatisch gemeint!

LeerIhr Fehler ist nicht der, daß sie Wahrheit wollten, sondern daß sie die Wahrheit über ihn in Lehrsätzen wollten. Echtes Bekennen bewährt die Wahrheit in der personhaften Begegnung, im Beten, Loben, Erwarten dessen, der kommt. Die religiöse oder Christuswahrheit ist wesentlich personal, Wahrheit als Begegnung, in der Gemeinschaft mit ihm, der sagt zum einen Du: Ich bin.

Der Hirt und die anderen Schafe

LeerWas kann denn gemeinsam Bekennen heute wirklich bedeuten? Ich habe letzthin ein beachtenswertes Buch aus der Feder eines katholischen Wissenschaftlers gelesen, der nach dem unbekannten Christus im Hinduismus gesucht und ihn gefunden hat. Natürlich nicht manifest, aber latent. Er fand Christus in der Zuwendung Gottes zum Menschen, die wieder eine Zuwendung des Menschen zum Menschen in die Wege leitet. Er fand Offenbarungselemente, vergleichbar mit dem Heil aus Gnade als Gabe allein, angenommen durch Glauben allein. Es gibt mehr und mehr solche an der Religiosität und Humanität dieser Religionen gewonnene Vorstellungen eines verborgen wirkenden Christus.

LeerMan bezieht auf ihn das Wort von dem Hirten, der noch andere Schafe hat, nicht aus diesem Stall (Johannes 10,16). Wichtiger ist es, was an Christusvorstellung dahinter liegt. Es ist aktuell genug, so daß wir darauf eingehen müssen. Es gehört sich vor allem für die Michaelsbruderschaft, die den ökumenischen Aspekt der Christologie von allem Anfang an in den Vordergrund gerückt hat, und für alle ihr verwandten geistlichen Gemeinschaften. Überhaupt steht das christologische Dogma gegenüber andern wichtigen Lehren im Vordergrund, wenn man an ein gemeinsames Bekennen herantritt. Es geht um Christus, den guten Hirten, der an dieser Stelle betont wird bis zum Satz: „Ich und der Vater sind eins.”

LeerGerade dies ist das Einfache, das jener Epiphanius von Perge, der Bischof aus der Provinz, als Inhalt der Verkündigung gemeint hat. Es ist auch wichtiger als die Übereinstimmung in den reformatorischen Hauptsätzen, den Allein-Sätzen wie „Allein aufgrund der Schrift” oder „allein durch den Glauben”, sola scriptura, sola fide. Der Hirt, der sammelt, daß eine Herde und ein Hirt sei - das ist das Bild vorn auf dem Mosaik von San Appolinare in Classe zu Ravenna. Das ist damals und heute aktuell: dieser tätige, lebendige, uns bergende leitende Herr, inmitten der Herde ein Hirt!

Leer„Ich und der Vater sind eins”, dies ist natürlich nicht eine Sache gewesen, die man in der Schule gelernt hat. Der Blick auf die Geschichte der Menschen, auf die Biografie der Jünger, zeigt, daß diese Einheit ihnen aufging wie eine Erleuchtung und daß diese Einheit aus dem Sehen des Wirkens hervordrang als überwältigende Wirklichkeit und Wahrheit zugleich. Im Erstaunen - das ist ja Gottes Wort, das ist ja Gottes Tat! - kam ihnen die Erleuchtung der Einheit des Vaters mit dem Sohn im Geist.

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LeerUnd wenn wir sie nicht in gleicher Weise haben als Erfahrung, dann glauben wir zwar an sie, glauben zweifelnd noch, glauben aus zweiter Hand. Aber Jesus bietet uns dies als heutige oder künftige Erfahrung an: „Ich und der Vater sind eins.” Diejenigen, die es erfahren haben, und diejenigen, die es zu erfahren hoffen, bekennen da gemeinsam Christus. Und nun möchte ich noch einmal auf die heute sich immer deutlicher meldende Christuskonzeption zurückkommen. Es gibt also solche, die nicht nur bei Gandhi oder überhaupt im Hinduismus, sondern auch in anderen Kulturen, in Japan oder bei uns mitten im Säkularismus Menschen entdecken, von denen sie sagen: Da ist ja Christus mächtig; das ist doch seine Humanität; das ist doch seine Hingabe; da geht es ja zu wie im Gleichnis vom Weltgericht, indem diese, die von Christus nicht gehört haben, am Jüngsten Tag vom Richter zu denen gerufen werden, die zu seiner Rechten stehen: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch von Grundlegung der Welt an bereitet ist!”

LeerWir stutzen, wir stutzen über den erstaunten Einwand der von Christus so Geliebten und Begnadeten: „Wann sahen wir dich hungrig und haben dich gespeist?”, und wir lesen mit Verwunderung (Matthäus 25, 40): „Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Wiefern ihr es einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.”

LeerDas heißt: Im Heilsplan Gottes gibt es noch eine Gemeinde seines Sohnes, welche erst am Ende in Erscheinung treten wird und von der die Kirchenregister und auch die Lehrer des Glaubens und die Täufer und die Versammelten am Mahle nicht gewußt haben. Christus ist größer als wir ihn dachten.

Der latente Christus und das manifeste Bekennen

LeerDer latente, das heißt der verborgene Christus spielt in der Rückschau des Apostels Paulus auf die Menschen und Glaubenden des Alten Testaments eine große Rolle. „Sie tranken von dem geistlichen Felsen, welcher war Christus” (1. Korinther 10,4). Müßte er nicht auch heute noch und in Zukunft eine große und neue oder neu-alte Erkenntnis werden? Ich glaube, wenn wir einem Menschen Christus verkünden, dann reden wir zu ihm nur darum, weil Christus lange schon bei diesem Angesprochenen ist. Was wir ihm bringen können, ist nicht Christus selbst. Was wir ihm bringen, ist die Freude der Christuserkenntnis durch das Christus-Bekennen. Welches ist denn überhaupt der Kontext des Bekennens? Ist es immer nur der Feind, der Unglaube? Ist nicht der eigentliche Zusammenhang der allgegenwärtige und lebendige Herr? Schreitet nicht die Liebe Christi all unserem Reden und Wortemachen weit voran? Ist nicht der Missionar im Grunde nur der Nachläufer des ewig schon voraus seienden Herrn? „Ehe Abraham war, war ich”, sagte er einmal. Wir haben da gar nichts zu produzieren, zum Beispiel die Gnade, das Heil. Wir haben davon Kunde zu geben, damit die Freude größer werde.

LeerChristus bekennen und Christus preisen, das ist dasselbe. Es gehört in den Umkreis menschlicher Sehnsucht. Wenn es aber um das Aufleuchten der Gnade und des Heils geht, dann ist das Lehren nicht entscheidend eine Sache von Schule und Unterricht, sondern eine Mitteilung von Kraft des Reiches Gottes. Das Reich Gottes steht nicht in Worten. Jetzt könnte also das Christusbekennen gerade das gemeinsame Tun werden, in dem die überwältigende, befreiende Kraft Christi sichtbar wird. Es gibt einen latenten Christus, ein latentes Christuswirken. Das manifeste Wirken und Bekennen unterscheidet sich vom latenten durch das ausdrückliche Wort, durch das Wort vom Kreuz, durch den Hinweis auf die Jesusbiografie, durch das gemeinsame Freudenmahl und die Danksagung, durch die dem einzelnen ausdrücklich zugewendete Taufe auf Christus. Das alles ist Christus bekennen.

LeerIch will nicht mißverstanden werden. Ich sage nicht, es sei gleichgültig, ob ich ein Hinduist, Moslem, Buddhist, Agnostiker und weiß was sei, sondern ich sage, daß wir annehmen müssen, Christus sei gegenwärtig, auch wenn nicht von ihm gesprochen, nicht gepredigt, nicht getauft, nicht Abendmahl gefeiert wird. Und seine Gnade laufe unserem kirchlichen Tun weit voran. Wie Christus im Alten Testament aufgefunden wurde durch unsere ersten und grundlegenden Apostel, so können wir in Menschen außerhalb des christlichen Wirkungsbereichs Christus am Werk sehen, heilend und heiligend, lehrend und erleuchtend.

LeerDaher können wir bei jenen andern auch Wahrheit finden, die uns angeht und, die zu studieren, es sich verlohnt. Darum kann durch solche Entdeckungen unser Wissen um Gottes Welt- und Menschheitsplan gefördert werden. Das Alte und das Neue Testament, unsere Heilige Schrift, ist ein offenes Buch, wie am Ende des Johannesevangeliums oder der Apostelgeschichte es erkennbar wird. Die Bibel, nicht der Koran! Sie ist nicht die aus dem Himmel herabgestiegene Offenbarung selbst. Es ist da immer ein wesentlicher Unterschied zwischen der Heiligen Schrift und dem Offenbarer selbst. Das gemeinsame Bekennen Christi kann und muß daher von einer Identifikation des Glaubens mit der Schrift absehen. Es ist vielmehr so, daß die Texte der Bibel auf der Seite der Bekenner stehen, auf unserer menschlichen Seite, auf der Seite der Bundesgenossen Gottes; aber darüber steht der Vater, der Sohn und der Geist. Das gehört auch zum Sinn der christologischen Aussagen, welche in den Briefen und Evangelien des Neuen Testaments beginnen und in den Konzilen fortgeführt wurden. Das Christusbekenntnis ist daher in erster Linie - will man einen Fachausdruck brauchen - christologisch.

Der Gott-Mensch

LeerDas christologische Dogma, das heißt die Lehre, welche erklären will, wie Gott Mensch wurde in Christus, ist für unser Bekennen das zentrale Dogma. Auch im deutschen Bekenntniskampf zwischen Bekenntniskirche und Deutschen Christen ging es aktuell um die Frage, wer Gott vertritt als Lehrer und Herr. Das Christusbekenntnis als Antwort auf die Gottesfrage ist das entscheidende Bekenntnis. Wir finden es bei Johannes (10) im Bild des Hirten, der eine Herde hat, welche alle sammeln und vereinen soll. Eine andere Herde und einen andern Hirten - oder um ein anderes Bild aus jenem Text zu verwenden - eine andere Tür zum Vater gibt es nicht. Aber wie verhält es sich denn mit den Religionen lange vor und weiterhin auch neben ihm? Wie verhält es sich um Christus und die Religionen?

LeerWer sich in fremde Religionstexte vertieft, stößt mit Erstaunen auf die Tatsache, daß der Kampf zwischen Werkgerechtigkeit und Gerechtigkeit aus Glauben nicht nur das Christentum, sondern eigentlich alle menschlichen Religionen durchzieht. Dem Apostel Paulus fiel in Athen der Altar auf, der einem unbekannten Gott gewidmet war, und er behauptete: „Der, den ihr unwissend verehrt, den verkündige ich euch.”

LeerSo erscheint die Differenz zwischen Evangelium und fremder Religion nicht nur als eine Verschiedenheit unvereinbarer verschiedener Götter. Das gibt es auch. Paulus versteht die Götter, welche er bekämpfen muß, als Dämonen. Aber Dämonen sind auch eine universelle Wirklichkeit. Davon sind Juden und Christen in der Realität nicht verschont. Doch neben den Dämonen gibt es eine gemeinsame Gottesverehrung. Da geht es um einen Unterschied zwischen Religion und Evangelium. Es ist der Unterschied zwischen der latenten und der manifesten Gott-Mensch-Gemeinschaft. Das Evangelium des Apostels Paulus bringt an den Tag, was die Athener unwissend bereits verehren. Sie haben in latenter Form den wahren Gott.

LeerWie die Wirklichkeit der Dämonen nicht halt macht vor dem Volk Gottes, sondern Christen und Nichtchristen, Israel und die Völker gleich bedroht, so ist auch für alle der gleiche Herr Gott. Der Unterschied betrifft den Deus praedicatus, den verkündigten Gott, nicht den verborgenen, den Deus absconditus. Daher verkündet der Apostel den Heiden jenen, den sie schon verehren.

LeerEs geht nicht um den wahren Gott einer Religion gegen die falschen Götter anderer Religionen, sondern es geht um den wahren Gott in seiner universalen, ja kosmischen Präsenz, der offenbar ist in dem, welcher sagt: Ich und der Vater sind eins.

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LeerDie apostolische Mission drängt hin auf ein gemeinsam Christus bekennen. Paulus geht eben deshalb über die Grenzen seines Israel hinaus. Er verläßt eben deshalb die Vorstellung der religiösen Reinheitsvorstellungen. Es sollen alle in allen Kulturen und Religionen gemeinsam bekennen, daß Gott in Christus zu den Menschen gekommen ist und noch ganz anders kommen wird. So ist das gemeinsame Bekenntnis gerichtet auf den universalen Christus. Wenn man sein Wirken als Weltlogos darin einbegreift, sagen wir besser noch: als universaler Christus, kosmischer Christus. Das Bekenntnis ist Manifestation Christi als des verborgenen Herrn der Welt. Das Bekennen richtet sich auf eine neue Wirklichkeit, welche noch verborgen ist, aber machtvoll hervordrängt.

LeerWir erfahren die Gegenwart als zerrissen, zwiespältig, bei aller Selbstverwirklichung doch sehr selbstzerstörerisch, bei aller Hervorbringung von immer Neuerem, Modernerem doch wie verzweifelt. Und doch meint das Bekenntnis den Sieg einer kommenden neuen Wirklichkeit. Hinter dem heillos Kranken ist eine mächtig hervordrängende Gestalt. Wir bekennen sie als den auferstandenen Gekreuzigten, den Mensch gewordenen Gottessohn. Das gemeinsame Bekennen hält sich an ein Urbild dessen, der als Mensch ganz mit Gott verbunden wirkte, so daß er sagen konnte: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.” „Der Vater kennt den Sohn, und der Sohn kennt den Vater.” Das Bekenntnis richtet sich auf die Verheißung: „Wie mich der Vater liebt, so liebe ich euch.”

LeerDas gemeinsame Bekennen bewegt sich wie in der Antike um das christologische Dogma. Es geht um die Inkarnation, die Wirklichkeit Gottes im Menschen und des Menschen in Gott. Und wir haben dieses Geheimnis heute wie einst in rätselhafter Gestalt, weil die Entfremdung zwischen Mensch und Gott bestehen bleibt. Zum gemeinsamen Bekennen gehört es, daß wir bekennen, Gott habe uns versöhnt, aber es bleibt die Paradoxie der Entfremdung. Wir brauchen keine Verherrlichung der rätselhaften Gestalt des Daseins. Wir bekennen inmitten der babylonisch verworrenen Stimmen den einen Herrn dieser Welt. Das ist das Gemeinsame.

LeerSeine Größe erhält dieses Bekenntnis dadurch, daß Menschen aller Berufe, aller Schichten, aller Geistes- und Arbeitsrichtungen es in ihrem Feld, an ihrem Ort, in ihrem Gedanken und Machtkreis wiederholen: der Physiker in der Physik, der Bauer in der Landwirtschaft, der Kaufmann im Handel, der Staatsmann im Staat; daß sie es als den geistlichen Felsen erkennen, von dem wir trinken. Die Gefahr ist, daß jeder Bereich für sich sich ablöst. Das gemeinsame Bekennen ist nur möglich in der treuen Nachfolge und Gemeinschaft mit der apostolischen Überlieferung von Christus Gottes Sohn, „wahr Mensch und wahrer Gott”. Gemeinsames Bekennen ist Bekennen in der Communio Sanctorum, der Gemeinschaft der Heiligen, die keine Trennung durch Zeiten, durch Geschlechter und Generationen, durch Nationen, Kulturen kennt. Latent ist der Herr da. Manifest preisen und bekennen wir ihn im Brot und Wein des von ihm gestifteten Mahles und zusammen mit den Aposteln und Propheten. Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit.

Quatember 1987, S. 136-147

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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