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„Weihnachten” - in jedem Gottesdienst
von Jürgen Boeckh

LeerDie meisten evangelischen Christen, gefragt, welchem der großen Feste sie das heilige Abendmahl in erster Linie zuordnen würden, hätten vor fünfzig Jahren die Antwort gegeben: dem Karfreitag. Der Karfreitag - und der Bußtag - sind lange Zeit die Tage gewesen, an denen man vorzugsweise zum Tisch des Herrn ging. Ohne Zweifel hat das heilige Mahl, dessen „Einsetzung” am Gründonnerstag erinnert wird, eine besondere Nähe zum Karfreitag. Es entspricht der allgemein-christlichen Überlieferung, wenn wir nach den Worten der Einsetzung sagen: „Also vereinigen wir uns mit der ganzen heiligen Kirche und gedenken vor dir, Herr, himmlischer Vater, des heilbringenden Leidens und Sterbens deines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn ...”

LeerAuch wo dieses oder ein ähnliches Gedächtnisgebet, „Anamnese” genannt, nicht gesprochen wurde und auch heute noch nicht wieder gesprochen wird, denken evangelische Christen beim heiligen Mahl an das Leiden und Sterben des Herrn. Daß aber jedes Abendmahl, jede eucharistische Feier auch etwas mit seiner Auferstehung, ja auch mit der Geist-Sendung - also mit Ostern und Pfingsten - zu tun hat, ist wenigen bewußt. Und noch weniger bewußt ist eine Beziehung des heiligen Mahles zur Fleischwerdung des Wortes, die in dem Fest der Geburt des Herrn in besonderer Weise erinnert wird. Und doch ist „Weihnachten” in jeder eucharistischen Feier!

LeerProsphoraAm deutlichsten, ja am sinnfälligsten dargestellt wird das in der Liturgie der orthodoxen Kirchen. In der vorbereitenden Handlung, der Proskomidie, geschieht da folgendes: Der Priester legt das Brot, das als „Lamm Gottes” Christus darstellt, auf den heiligen Diskos, einen Teller, der unserer „Patene entspricht, nur größer und tiefer, und im Unterschied von dieser mit einem Fuß versehen ist und als Symbol der Krippe Christi gedeutet wird” (Friedrich Heiler: Die Ostkirchen, München/Basel, 1971, S. 208). Nachdem auch der Tod Jesu angedeutet ist und die kleineren Teile des Opferbrotes auf dem Diskos um das „Lamm Gottes” geordnet sind, wodurch die Gemeinschaft der Heiligen im Himmel und auf Erden dargestellt wird, nimmt der Priester den Asteriskos zur Hand, einen aus zwei Metallstreifen gebildeten Kreuzstern, beräuchert ihn, stellt ihn über das Brot auf den Diskos und sagt: „Und der Stern kam und stand oben über, wo das Kindlein war.”

Leer„Dieser Moment”, so heißt es in einer Erklärung, „erinnert an den wundersamen Stern, welcher die Weisen zum Christkind geführt hat. Der Diskos die Krippe, der Asteriscos der Stern - so wird nicht nur ein geschichtliches Ereignis erinnert, sondern so wird auch sinnfällig gemacht: Die Fleischwerdung des Wortes geschieht, auch heute und jetzt, in der Liturgie. Die Beziehung zur Menschwerdung des Sohnes Gottes wird auch dadurch immer wieder herausgestellt, daß - im Unterschied zur katholischen Messe und erst recht zum evangelischen Abendmahlsgottesdienst - immer wieder die „allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria” angerufen wird.

LeerDaß die Ikone der Gottesmutter links von der Königstür in der Mitte der Bilderwand - rechts ist die Ikone des Erlösers - zu sehen ist, ist wesentlich für die Liturgie: „Die Ikone der Gottesmutter ist die Ikone der Kirche. Die Jungfrau Maria ist die Mutter der Kirche, weil durch sie der Gottmensch im Fleisch geboren wurde.” (Wjatscheslaw Iwanow: Die Allheilige Gottesmutter in der Ikonographie der orthodoxen Kirche. In: UNA SANCTA. H. 3/1987) Nach den Worten der Einsetzung heißt es in der Basilios-Liturgie: „Über dich freut sich, Gnadenerfüllte, die ganze Schöpfung ... du geweihter Tempel, Paradies des Wortes, jungfräuliche Zierde, aus welcher Gott Fleisch ward ...”

LeerBlicken wir nun auf die eucharistische Feier der westlichen Kirchen, so sind da zumindest zwei Punkte, an denen in der Regel die Fleischwerdung des Wortes erinnert wird, auch außerhalb der Eigenlesungen und -gebete in der Weihnachtszeit und an Marienfesten: Im Credo, deutlicher im „Großen Glaubensbekenntnis” von Nicäa-Konstantinopel als im westlichen Apostolicum bekennen wir den einen Herrn Jesus Christus: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden ...” Ein schöner Brauch, der auch von uns, den Berneuchenern, oft übernommen wurde, ist es, an dieser Stelle eine Stille zu halten und so der Meditation des einzelnen Raum zu geben - entsprechend dem, was Christian Fürchtegott Gellert in dem Lied „Dies ist der Tag, den Gott gemacht” sagt:
Die Völker haben dein geharrt,
bis daß die Zeit erfüllet ward;
da sandte Gott von seinem Thron
das Heil der Welt, dich, seinen Sohn.
Wenn ich dies Wunder fassen will,
so steht mein Geist vor Ehrfurcht still;
er betet an und er ermißt,
daß Gottes Lieb unendlich ist.
Leer(EKG 34, 2-3)
LeerDie andere Stelle, an der „Weihnachten” in - fast - jedem Gottesdienst anklingt, ist das Gloria: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade.” In evangelischen Gottesdiensten (wenn nicht im Zuge des Neo-Rationalismus ein liturgischer Kahlschlag erfolgt ist) wird das Gloria sogar, verhältnismäßig gesehen, häufiger gesungen als in katholischen Kirchen, da es auch in der zum Predigtgottesdienst verkürzten Messe meist beibehalten wird. Ist uns bewußt, daß dieser Lobpreis die Antwort ist auf die Verkündigung „Euch ist heute der Heiland geboren!”?

LeerÜber diese zwei Stellen im Gottesdienst hinaus finden wir in der „Eucharistischen Feier” (Kassel, 1961), wie sie Karl Bernhard Ritter als Frucht einer liturgischen Praxis von mehr als vierzig Jahren uns hinterlassen hat, ein Gebet, in dem ausdrücklich die Fleischwerdung des Wortes erwähnt - und auf die ganze Messe bezogen wird. Es ist das „Gebet zum Opfergang”:

Leer„Herr Gott, himmlischer Vater, aus der Fülle deiner Gaben bringen wir dieses Brot und diesen Wein, das Gedächtnis zu feiern der heiligen Geburt, des Leidens und des Sterbens und der Auferstehung unseres Herrn, auf daß wir in deiner Kirche den Anbruch der neuen Schöpfung erfahren und preisen ...” In diesem Gebet ist die Erkenntnis erhalten, daß unsere eucharistische Feier auch Gedächtnis der Geburt des Herrn ist. So wie der logos, das WORT GOTTES, sich verkleidet hat „in unser armes Fleisch und Blut” (Martin Luther in dem Lied „Gelobet seist du, Jesu Christ...” EKG 15), so kommt dieses ewige WORT immer wieder zu uns und verbindet sich mit menschlichem Wort und Geist, ja es geht ein in Brot und Wein, in die Elemente, die wir zum Mahl der Danksagung auf den Altar legen.

LeerLange Zeit ist es in der römisch-katholischen Kirche üblich gewesen, am Ende der Messe den Prolog des Johannes-Evangeliums zu verlesen. Auch in unserer evangelischen Messe haben wir diesen Brauch übernommen. In der „Ordnung der Deutschen Messe” vom Jahre 1936 wurde dazu gesagt: Der Prolog „hat nicht den Charakter einer neuen Lesung, sondern vielmehr einer anbetenden Betrachtung ... Dieser Hymnus von dem Fleisch gewordenen Wort des Vaters macht eindringlich deutlich, wie sehr das Sakrament aus der Menschwerdung Gottes erwächst und daß wir in der Feier des Herrenmahles eben das gleiche Mysterium erfahren, das in der Geburt Christi in die Geschichte eingegangen ist.”

LeerSeit dem Jahre 1965 ist das Schlußevangelium als Bestandteil der römischen Messe weggefallen. Im Sinne einer Straffung der Gemeindemesse ist das durchaus zu verstehen. Im Blick auf die evangelische Messe, wie sie in der Michaelsbruderschaft entwickelt wurde, hat Wilhelm Stählin - gegenüber den Historisten - gelegentlich geäußert: Auch wenn der Johannes-Prolog ein spätes Stück der Messe ist, hat es durchaus seinen guten Sinn, ihn am Ende des Gottesdienstes zu beten. Kein evangelischer und kein katholischer Christ ist heute daran gehindert, daß „Schlußevangelium” in der Stille für sich zu bedenken: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.”

LeerDas Gedächtnis der Geburt des Herrn und im Zusammenhang damit auch seines Lebens als Mensch auf dieser Erde ist neuerdings in der „Eucharistischen Liturgie von Lima” zu finden, wie sie für die „Sitzung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Lima ausgearbeitet und dort am 15. Januar 1982 zum ersten Mal gefeiert wurde” (Max Thurian: Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie und Amt. Frankfurt/Main, 1983). Die Anamnese lautet dort:
„Darum, o Herr,
feiern wir heute das Gedächtnis unserer Erlösung:
die Geburt und das Leben deines Sohnes unter uns,
seine Taufe durch Johannes,
sein letztes Mahl mit den Aposteln,
seinen Tod und Abstieg in das Reich der Toten.
Wir verkünden Christi glorreiche Auferstehung
und Auffahrt in den Himmel,
wo er als unser großer Hoherpriester
für alle Menschen eintritt,
und wir erwarten seine Wiederkunft in Herrlichkeit.
Vereint in Christi Priestertum
bringen wir vor dich dieses Gedächtnis:
Gedenke des Opfers deines Sohnes,
und gewähre allen Menschen
den Segen seines Erlösungswerkes.
Maranatha, der Herr kommt!”
Quatember 1987, S. 194-197

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-14
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