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Die Flucht nach Ägypten
Holzschnitt von Hellmuth Uhrig
von Wolfgang Krönig

Uhrig - Flucht nach ÄgyptenLeerHier ist die Flucht nach Ägypten nicht wie so oft dargestellt als eine liebliche Idylle, sondern als das, was sie in Wahrheit ist: als die übermächtige Bedrohung des Gotteskindes durch das Böse in der Welt und dessen furchtbares Wirken. Das gewaltige schwarze Untier beherrscht das ganze Bild, es bedroht auch mit geöffnetem Rachen und ausgreifenden Pranken die heilige Familie - die dennoch unbeirrt und unbehindert, geschützt und geleitet vom Engel Gottes der Bedrohung entgeht und ihrem Ziel zustrebt.

LeerLicht und hell steht diese Gruppe gegen die dunkel drohende Macht, die sich hier doch als machtlos erweist. Das Paradoxe der christlichen Existenz in der Welt ist hier unmittelbar anschaulich gemacht: nämlich die Mächtigkeit der Machtlosen und die Ohnmacht der Mächtigen. Sie ist als der Weg des Bedrohtseins, des Leidens in der Welt jedem Christen im Leidensweg Christi vorgezeichnet, sie ist aber in dieser Geschichte von der Bedrohung schon am Anfang des Lebensweges Jesu auf besondere Weise sinnfällig. Denn das Furchtbare nicht nur der Bedrohung - im unteren Bildteil -, sondern zugleich auch - im oberen Bildteil - des vollzogenen Mordes an den unschuldigen Kindern bleibt bestehen, es steht deutlich vor Augen. Der Kindermord zu Bethlehem, den Herodes befiehlt, ist das "dunkle Geschehen", ist das Handeln des Bösen, des Untiers, gegen das Christkind und die heilige Familie gerichtet. So ist das Kreuz des Leidens und des Todes im Menschenkind zu Beginn des Lebensweges aufgerichtet. Indem dies Geschehen vor den schwarzen Grund des Untiers gestellt ist, wird auf schlagende Weise beides miteinander identifiziert, wird der Sinn-Zusammenhang des Ganzen anschaubar gemacht.

LeerDie Spannung aber zwischen dem furchtbaren Geschehen oben und dem rettenden Geschehen unten bleibt bestehen - doch im Heilsplan Gottes mit den Menschen kommt beiden nicht nur eine verschiedene Bedeutung, sondern ein verschiedener Wirklichkeitsgrad zu. Eben dies ist die schlichte und eindringliche Aussage des Bildes, das die obere Gruppe vor dunklem, die untere vor hellem Grund gibt und das ganze vielschichtige Geschehen in ein überaus eindringliches und geschlossenes Bildzeichen zusammenfaßt.

LeerDer Bildhauer Hellmuth Uhrig (*1906, +1979) war in besonderem Maße das, was man einen anschaulich denkenden Künstler nennen könnte. Als überzeugter Christ, seit 1951 der Evangelischen Michaelsbruderschaft angehörend, hat Uhrig, der sich der verschiedenen künstlerischen Techniken zu bedienen wußte, zumal in seinen in den Jahren um 1950 entstandenen Holzschnitten Sinn und Bedeutung des biblischen Wortes in erstaunlicher Weise anschaulich zu machen vermocht. Sein Schaffen hat er bewußt in den Dienst einer christlichen Kunst gestellt, sich voll bewußt der Schwierigkeiten, die dem in unserer Zeit entgegenstehen. In unserem Bilde dürfte die tief bedenkenswerte Aktualität von Flucht, Vertreibung und Massenmord besonders deutlich sein, der eigentliche Gehalt ist somit in erstaunlicher Weise sichtbar gemacht. Nicht von ungefähr hat die frühe Christenheit dem Fest der Christgeburt in unmittelbar zeitlicher Nähe den Tag des Gedächtnisses der unschuldigen Kindlein am 28. Dezember zugeordnet.

Quatember 1987, S. 200-202

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-10
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