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Dem Echten verpflichtet
von Max Schoch

LeerAm 26. September 1987 ist Walter Tappolet 90 Jahre alt geworden. Er hat als Organist in einem von Angestellten und Arbeitern bewohnten „roten” Quartier der Stadt Zürich seinen kirchlichen Dienst ausgeübt. Er wirkte neben Pfarrern, die ihm in ihrem Denken und Fühlen für einfache Menschen im Schatten der Großen nahestanden. Aber seine sensible und innerliche Prägung und Vornehmheit lag diesen zugleich wieder fern. Sie befähigte ihn jedoch zu einem Dienst an der Kirchenmusik, der für die Schaffung des schweizerischen evangelischen Kirchengesangbuchs von 1952 wichtig wurde. Es hatte ihn seit den zwanziger Jahren intensiv beschäftigt, das neue Singen in die Kirche zu bringen.

LeerNach dem Ersten Weltkrieg war er mit der Singbewegung in Kontakt gekommen, die als Zweig der Jugendbewegung seine Lebens- und Wertauffassung bestimmte: Verwerfung des auf Wirkung bedachten großspurigen Wesens und Zuwendung zu einer Kunst der Stille. Das Bedeutende konnte nach seiner ernsten, tiefen Überzeugung nur aus Persönlichkeiten erwachsen, die auch das Leben lebten, welches sie beschrieben, besangen oder malten.

LeerDa er deswegen eine Kunst des ganzen Menschen suchte und pflegte, verlangte er auch einen entsprechenden Gottesdienst, der ganze Menschen formte und von diesen entsprechend gestaltet war. So war es nicht verwunderlich, daß das Zusammentreffen mit der Michaelsbruderschaft Mitte der dreißiger Jahre für ihn eine köstliche Erfahrung war. Er trat ihr als einer der ersten Brüder in der Schweiz bei und führte in ihr manche Geistliche Woche durch, die von seinem Singen geprägt war. Aber weit über den Bruderkreis hinaus schulte er Menschen in einem Singen, welches das Innerliche berühren sollte. Vor allem lag ihm das alle religiöse Volkslied am Herzen.

LeerUnter den großen Musikern stand ihm Heinrich Schütz und dessen Werk am nächsten. Es war ihm eine Freude, daß er das Jahresfest der Schütz-Gesellschaft einmal in Zürich durchführen konnte.

LeerDie unbedingte Forderung, das Gute und Vollendete im kleinen und mit knappsten Mitteln anzustreben, ein wichtiges künstlerisches Prinzip, verfolgte er auch im Orgelbau. Beispielsweise ist dafür das von ihm für das Schaffhauser Münster 1955 konzipierte Werk. Er verstand so den Sinn und Geist der Michaelsbruderschaft. Sie sollte nach seiner Meinung Liturgen, Sänger, Kantoren, Musiker und Pfarrer und vor allem Gemeindeglieder heranbilden, die in jeder Hinsicht des Lebens und des Glaubens dem Echten verpflichtet waren und allen äußeren Schein verachteten.

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LeerWalter Tappolet bewohnte mit seiner zarten Frau ein kleines altes Weinbauernhaus, das die expandierende Stadt am Rande eines einstigen Rebhügels übriggelassen hatte. Er wohnt noch heute dort in niedriger Stube unter Bedingungen, die manchen Komfort vermissen lassen, aber bei einer Lebensqualität, um die ihn viele beneiden. Sein Haus ist angefüllt mit den Werken von Malern, deren Können er in ihren jungen Jahren entdeckt und die er gefördert hat. Bruder Tappolet ist auch einer der besten Kritiker und Vermittler der bildenden Kunst in der deutschen Schweiz. In seiner Zeitschrift „Singt und spielt” hat er daher neben dem Lied immer auch den Hinweis auf Kunstwerke und Künstler gepflegt, die seinem ästhetischen Empfinden entsprachen. Es sind meistens Menschen und Werke, die man in ihrer Verborgenheit entdecken muß.

LeerNicht zu vergessen ist vor allem seine Aufmerksamkeit auf die verborgene Größe der Frau. Neben Malerinnen wie Helen Dahm machte er auch mit Schriftstellerinnen bekannt, die sich durch Sprache und Inhalt auszeichneten, ohne über einen großen Leserkreis zu verfügen. Er hat manchem Menschen des Weg geebnet, dem Künstler in die Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit zum Künstler. Es ist sinnvoll, daß die wichtigste theologische Publikation Walter Tappolet der Jungfrau Maria gegolten hat, nämlich „Das Marienlob der Reformation”.

LeerIn den letzten Jahren hat der kunstbeflissene Michaelsbruder sich von der musikalischen Tätigkeit zurückgezogen und sich auf die bildende Kunst geworfen. Er stellt aus ausgewählten farbigen Materialien, welche er im weggeworfenen Überfluß entdeckt, Collagen zusammen. Er will das Verachtete zum Leuchten bringen. Das Berneuchener Haus in Kirchberg hat den Künstler Tappolet mit einer Ausstellung dieser aktuellen Werke an seinem 90. Geburtstag vorgestellt. Wir wünschen ihm weiterhin Menschen, welche seinen Einsichten und Absichten folgen.

Quatember 1987, S. 234-235

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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