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Der Feind in der Bibel
von Johannes Krinke

LeerTheodor Plivier, Berliner Altkommunist, der später enttäuscht sich vom Kommunismus abwendete, läßt in seinem Roman „Stalingrad” einen deutschen Offizier angesichts der Übermacht der Roten Armee nach der Bibel greifen und den 3. Psalm laut vorlesen: „Herr, wie sind meiner Feinde so viel und setzen sich so viele wider mich.” Der Autor greift also zur Bibel, um die trostlose Feindlage zu verdeutlichen.

LeerJeder, der als Mitglied eines Ordens oder einer Bruderschaft gehalten ist, zu bestimmten Zeiten nach der Bibel zu greifen und mit den Worten der Psalmen zu beten, stößt mit erstaunlicher Häufigkeit auf die „Feinde”, im Plural und im Singular. Dabei kann das betende „Ich” für die Kultgemeinde stehen, deren Feinde die „Gottlosen” sind, die Heiden oder Andersgläubige, die Israel bedrohen oder mit ihm im Kriegszustand sind.

Leer„Gott, schweige doch nicht... Denn siehe, deine Feinde toben, und die dich hassen, richten den Kopf auf. Sie machen listige Anschläge wider dein Volk und ratschlagen wider deine Schützlinge. Wohl her! sprechen sie. Laßt uns sie ausrotten, daß sie kein Volk seien, daß des Namens Israel nicht mehr gedacht werde!” (Psalm 83)

Leer„Der Feind hat alles verderbt im Heiligtum. Deine Widersacher brüllen in deinen Häusern und setzen ihre Götzen darein ... Sie sprechen in ihrem Herzen: Laßt uns sie plündern! Sie verbrennen alle Häuser Gottes im Lande ... Ach Gott, wie lange soll der Widersacher schmähen und der Feind deinen Namen so gar verlästern? ... Vergiß nicht des Geschreis deiner Feinde; das Toben deiner Widersacher wird je länger je größer.” (Psalm 74)

LeerZuversicht verbindet sich mit grausamen Siegesbildern: „Wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, der vom Tode errettet. Ja, Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern, den Haarschädel derer, die da fortfahren in ihrer Sünde ..., daß dein Fuß in der Feinde Blut gefärbt werde und deine Hunde es lecken.” (Psalm 68, 21 ff.)

LeerFeindeshaß gipfelt in der Wehklage der nach Babylon verschleppten Juden: „Du verstörte Tochter Babel, wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an dem Stein!” (Psalm 137,8.9)

LeerDie Verfasser solcher Gebets- und Liedtexte haben in leidvoller Erfahrung ein festes Feindbild aufgezeichnet: Israels Feinde sind Gottes Feinde und umgekehrt. So kann König Saul zu David sprechen: „Führe des Herren Kriege!” (1. Samuel 18,17 und 25,28)

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LeerNeben dem kollektiven (mit dem Volk identischen) „Ich” steht das individuelle „Ich”, das in seiner persönlichen Bedrängnis es ebenfalls mit Feinden zu tun hat.

Leer„Höre, Gott, meine Stimme in meiner Klage; behüte mein Leben vor dem grausamen Feinde. Verbirg mich vor der Versammlung der Bösen, vor-dem Haufen der Übeltäter, welche ihre Zunge schärfen wie ein Schwert, die mit ihren giftigen Worten zielen wie mit Pfeilen ...” (Psalm 64,2 ff.)

Leer„Gott, es setzen sich die Stolzen wider mich, und der Haufen der Gewalttätigen steht mir nach meinem Leben und haben dich nicht vor Augen ... Tu ein Zeichen an mir, daß mir's wohlgehe, daß es sehen, die mich hassen, und sich schämen müssen, daß du mir beistehst, Herr, und tröstest mich.” (Psalm 86)

LeerDie Geschichtsbücher des Alten Testaments sind überwiegend Kriegsgeschichte. In Angriff und Abwehr werden Feinde erlebt als harte Realitäten des Lebens und als Herausforderung zur Selbstbehauptung. Während der Einmarsch ins „gelobte Land” Kanaan und der damit verbundene Kampf mit den Ureinwohnern verstanden wird als Ausführung eines göttlichen Willens, werden Niederlagen als Strafgericht Gottes für begangene Sünden gedeutet. So besonders von den Propheten:

Leer„Die Heiden erfahren, wie das Haus Israel um seiner Missetat willen sei weggeführt. Weil sie sich an mir, dem Herrn, versündigt hatten, darum habe ich mein Angesicht vor ihnen verborgen und habe sie übergeben in die Hände ihrer Widersacher, daß sie allzumal durchs Schwert fallen mußten. Ich habe ihnen getan, wie ihre Sünde und Übertretung verdient haben.” (Hesekiel 39,23 f.)

Leer„Juda ward weggeführt gen Babylon um seiner Missetaten willen.” (1. Chronik 9,1)

LeerSo werden Feinde zu Gerichtsvollziehern, jedoch so, daß sie auch ihrerseits für ihre Missetaten dem Gericht Gottes verfallen.

Leer„Die Feinde Judas werden ausgerottet werden.” (Jesaja 11,13)

Leer„Das wird die Plage sein, damit der Herr plagen wird alle Völker, so wider Jerusalem gestritten haben: Ihr Fleisch wird verwesen, dieweil sie noch auf ihren Füßen stehen, und ihre Augen werden in den Löchern verwesen und ihre Zunge im Mund verwesen.” (Sacharja 14,12)

LeerDer abstoßende, gehässige Rachedurst, der sich sogar in Gebeten und prophetischen „Tröstungen” kundtut, hat freilich auch gegensätzliche Äußerungen:

Leer„Deine Knechte wollten gerne, daß die Heiden den Namen des Herrn fürchten und alle Könige auf Erden deine Ehre.” (Psalm 102,15 f., siehe auch die Psalmen 96, 97, 98)

Leer„Meinst du, daß ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht der Herr, und nicht vielmehr, daß er sich bekehre von seinem Wesen und lebe? Es soll aller seiner Übertretungen, so er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll leben.” (Hesekiel 18,22 f.)

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LeerJesaja hört bereits die Seraphim vor Gottes Thron singen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.” (Jesaja 6,3)

LeerDie babylonische Gefangenschaft führt Sieger und Besiegte zusammen und bewirkt gegenseitiges Kennen- und Schätzenlernen. Die jüdische Intelligenz stellt ihre Begabungen und Fähigkeiten Nebukadnezar zur Verfügung (Daniel!). Als Babylon eine Provinz des Perserreiches wird, beendet der tolerante Großkönig Kyros den Status der Gefangenschaft. Er gewährt den Juden die Heimkehr in Freiheit und befiehlt den Neubau des Tempels in Jerusalem auf Staatskosten (!) und Rückgabe der geraubten Kultgeräte. Die Befreiungseuphorie macht ihn, den Heiden, sogar zum „Messias” (Jesaja 45,1). Aber der weitaus größere Teil der jüdischen Exulanten verzichtet auf die Rückkehr. Sie haben längst ihre Feinde zu (Geschäfts-) Freunden gewonnen und eine neue Existenz gefunden (Bankiers, Viehhändler u. a. m.). Die fromme Minderheit jedoch bekommt es sehr bald nach ihrer Ankunft wieder mit Feinden zu tun, die den Wiederaufbau verhindern wollen. Nun müssen die jungen Leute zur Hälfte die Bauarbeiten durchführen, die andre Hälfte hält Spieße, Schilde, Bogen und Panzer (Nehemia 4,10). Unvermeidliche Notwendigkeit.

LeerEine von Generation zu Generation ständig wiederholte Feind-Erfahrung läßt den Priester Zacharias, den Vater des Täufers Johannes, darum beten, „uns zu geben, daß wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienen ohne Furcht unser Leben lang” (Lukas 1,74). Zu seiner Zeit ist Israel in der Hand der Römer, die dem Herodes gewisse Hoheitsrechte zugestehen, kraft derer er den Vorläufer Jesu hinrichten läßt. Der Prokurator Pontius Pilatus haßt die Juden und sucht jede Gelegenheit, sie zu demütigen, ist jedoch mit der Kreuzigung Christi einverstanden. Aufruhr und Massaker gehören zum politischen Klima, in dem Jesus unter seinen Jüngern zwei Schwertträger duldet. Die Lage ist gespannt. In Tränen sieht der Herr die Zerstörung Jerusalems voraus:

Leer„Es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängsten, und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem ändern lassen, darum, daß du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.” (Lukas 19,41 ff.)

LeerDie Zukunftsschau Jesu enthält „Kriege und Kriegsgeschrei”. Ein Volk empört sich wider das andre, und die Christen werden von allen Völkern gehaßt, verfolgt und getötet (Matthäus 24,6 f.). Für die Menschen des biblischen Zeitalters ist der Feind gegenwärtig und zukünftig im nationalen und personalen Bereich. Das schließt nicht aus, daß in einzelnen Fällen Feindschaft überwunden wird. Beim Hauptmann von Kapernaum findet Jesus einen Glauben, wie er ihn in Israel nicht gefunden hat (Matthäus 8,10). Und wieder ist es ein Kommandeur der römischen Besatzungstruppe, Cornelius, den Petrus gewinnen und taufen kann (Apostelgeschichte 10). Paulus erlebt, daß römisches Militär ihn schützt vor einer aufgehetzten Menge, die ihn lynchen will (Apostelgeschichte 21,27 ff.).

LeerWenn wir nach dem Feind in der Bibel suchen, dürfen wir nicht den „altbösen Feind” übersehen, der gleich am Anfang der Menschheitsgeschichte als Versucher zum Abfall vom Schöpfer erscheint. In derselben Rolle begegnet er Jesus in der Wüste (Matthäus 4,1-11) und zeigt sich im Dialog mit ihm befähigt, überlieferte Gottesworte als schlagende Argumente ins Feld zu führen.

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LeerEs gelingt ihm nicht, den Sohn Gottes auf verkehrte Wege zu locken. Er muß ihn verlassen und den Engeln Platz machen. Doch auch als Geschlagener wirkt er mit „groß Macht und viel List” (Luther) auf die Menschheit ein als schonungsloser Ankläger, als Vater der Lüge und Fälschung, als diabolos, der alles, was zusammengehört, auseinanderbringt, der umhergeht wie „ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge” (1. Petrus 5,8). Eine übermenschliche geistige Macht.

LeerWo auch immer Bosheit in Gedanken, Worten und Werken im Gange ist, hat er seine Hand im Spiel. Wenn wir nach einem biblischen Feindbild fragen, hier ist es! Der Erzengel Michael kämpft und besiegt „das Tier aus dem Abgrund” (Offenbarung 11,7), ein Bild, das die christliche Kunst in Malerei, Bildhauerei und Dichtung immer wieder beschäftigt hat. Es macht uns aufmerksam auf die abgründige gott-und menschenfeindliche Macht des Bösen, der gegenüber in der Nachfolge Christi Wachsamkeit und Nüchternheit, Widerstand und Abwehr geboten sind: „Dem widerstehet fest im Glauben.”

LeerUnd dann ist da noch ein Feind, von dem Paulus sagt: „Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod” (1. Korinther 15,26). „Der Tod wird nicht mehr sein” (Offenbarung 21,4). Der allgemein gefürchtete Feind, dem niemand entrinnen kann, der allem was auf unsrer Erde lebt, ein Ende macht, der auch die Klügsten und Mächtigsten niederzwingt, der auch den Frommen und Aufrechten den Mut nimmt, dem Bösen zu widerstehen, weil sie überleben wollen - diese siegreichste Feindmacht wird schließlich „verschlungen in den Sieg” des Auferstandenen, „der dem Tode die Macht genommen” hat (2. Timotheus 1,10).

LeerDie Feinde in der Bibel haben viele Gestalten. Sie sind erfahrbar gewesen, sie sind es noch heute und werden es auch in Zukunft sein.

LeerAber in diese Erfahrbarkeit spricht Jesus in der Bergpredigt (Matthäus 5,44) seine provozierende Forderung: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.” Die Interpretation dieses Gebotes wird ein erotisches Verständnis ausschließen dürfen. Die Gegenüberstellung zu dem überlieferten „Auge um Auge, Zahn um Zahn” meint statt dessen eine fürsorgliche Behandlung, die Rache, Vergeltung und Gehässigkeit ablehnt. Bismarck, der die Bibel auf seinem Schreibtisch liegen hatte, gibt dazu ein Beispiel: Im deutsch-französischen Krieg (1870/71) meldete man ihm, daß die gefangenen Franzosen das preußische Kommißbrot nicht vertrügen. Er ordnete daraufhin an, daß ihnen das gewohnte französische Weißbrot verabreicht werde. Wenn im Großen Zapfenstreich die Militärkapelle das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe” spielte, war an diese Art der Liebe gedacht, die Vaterlandsliebe eingeschlossen. Hitler, der in seinen Reden und Befehlen von Gehässigkeit überfloß, verbot das Spielen dieses Liedes. Es war nicht Geist von seinem Geist. Die Feindesliebe im recht verstandenen Sinn bleibt gültig. Doch darf gefragt werden, wann und wo und wie sie konkret aussehen müßte. Wie weit gehen ihre Forderungen?

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LeerHat Feindesliebe bestimmte Grenzen im privaten, gesellschaftlichen und politischen Bereich? Muß sie grenzenlos sein? Ist sie überhaupt anwendbar im politischen Handeln? Wenn ja, gehört es zur Feindesliebe, daß ich dem Feind zugestehen muß, mir seine Forderungen aufzuzwingen, und dies für unbegrenzte Zeiträume? Ist Feindesliebe bereit oder verpflichtet, die Interessen des Feindes zu respektieren und zu akzeptieren, jedoch auf die Wahrung der eigenen zu verzichten und der Selbstbehauptung zu entsagen? Muß ich das Unrecht, das er mir antut, liebend und verständnisvoll ertragen, eventuell als Strafe für Unrecht, das ich ihm angetan, büßend auf mich nehmen, vielleicht auch wieder für unbegrenzte Zeiten?

LeerDerartige Formen des demütigen Wohlverhaltens sind für Feinde, die selbst gern Feinde bleiben wollen, vorteilhaft - so lange, bis sich ihre Interessen gewandelt haben und aus Feinden Verbündete werden? Kann es etwa angehen, auch den „alt-bösen Feind” zu lieben, den Satan, der ja von gewissen extremen Sekten tatsächlich geliebt wird? Schließlich auch den letzten Feind, den Tod zu lieben? Im spanischen Bürgerkrieg hatte ein General die Parole: „Viva la muerte! - Es lebe der Tod!” Also Liebe zum Tod der ändern und Liebe zum Selbstmord? Gewiß gibt es „Feindbilder”, die abgebaut werden müssen und auch abgebaut werden können, weil sie auf - irrtümlicher - Einbildung beruhen. Das gilt im kleinen wie im großen, im familiären und beruflichen ebenso wie im sozialen und politischen Bereich. Aber überall kann es auch sein, daß andere tatsächlich meine Feinde sind, ohne daß ich mich als ihr Feind verstehe. Jesus hat nicht gesagt: „Habt keine Feinde!”, sondern „Liebet eure Feinde!”

LeerDie Angst vor der atomaren Zerstörungskraft und der kontinentalen Naturvergiftung dürfte - wie bisher - die Kriegswilligkeit (leider!) weit stärker bremsen als die Feindesliebe. Diese ist nur in einzelnen Ausnahmefällen durchsetzbar. Als globaler und universaler Zustand ist die feindfreie Welt erst - nach dem Ende dieser Welt - dem Anbruch des ersehnten und erbetenen Reich Gottes vorbehalten. Hat doch auch Jesus mit seiner Liebeskraft Feinde, die seinen Tod wollten, nicht weggeliebt. Das Damaskuserlebnis des Christenfeindes Paulus ist wieder ein Ausnahmefall. Doch in Rom verlangte der Feind - Nero - trotzdem seinen Kopf.

LeerWo die Dimension des jenseitigen Geschehens in Glaube und Hoffnung aufgegeben wird, bleiben Teufel und Tod die Herrscher dieser Welt.

Quatember 1988, S. 121-126

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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