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Das Angesicht Jesu Christi in der altchristlichen Kunst
von Günther Karstedt

LeerPatriarch NikephorosVor mir liegen die Abgüsse der „Berliner Pyxis” (Dahlemer Museum) aus dem 4. Jahrhundert, zwei der vier „Britischen Elfenbeintäfelchen” (London) aus dem frühen 5. Jahrhundert und eines „oströmischen” (byzantinisch beeinflußten) großen Elfenbein-Buchdeckels, dem 6. Jahrhundert zugeschrieben (Dahlemer Museum). Auf den beiden ersten Elfenbein-Schnitzereien trägt Jesus Christus ein jugendlich-bartloses Gesicht! Es gibt in der davor liegenden Zeit der Katakomben-Wandmalerei kein anders geartetes Christus-Angesicht, auch niemals auf irgendeinem altchristlichem Sarkophag der nachfolgenden Bildhauerei-Kunst.

LeerJesus Christus wird jugendlich dargestellt in Parallelität zur spätantiken Kunstfertigkeit mit ihrem Schönheitsideal. Das Bekenntnis zur Schönheit des Gottessohnes muß die altchristliche Gemeinde der „Juden”-Christen wie auch der „Heiden”-Christen befriedigt haben. Es bleibt nach wie vor der Phantasie überlassen, wie es dazu geführt hat, daß es in den beiden ersten hundert Jahren kein authentisches Christusbild gibt, so wie die allererste Kreuzigungs-Darstellung als Crucifixus erst auf dem „Britischen Elfenbein-Täfelchen” des 5. Jahrhunderts zu finden ist. Man schlägt dabei als Erklärung die alttestamentliche Prophezeiung Jesaja 53,2 vor: „Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.”

LeerFür die west-römischen Kunstwerkstätten der „juden”-christlichen Gemeinden in und um Rom wäre solche alttestamentliche Beachtung denkbar. Das Gleiche gälte für die Heimat Jesu! Wo jedoch „heiden”-christlicher Einfluß vorausgesetzt werden kann, steht der „schöne” Kopf Apolls vor Augen - und die Gestalt des Gottessohnes Jesus Christus bekommt ihn aufgesetzt! Von da ab sieht der Kopf des thronenden, nach der Auferstehung erhöhten Herrn auf dem himmlischen Thron genauso jugendlich verwandelt und „schön” aus wie der leidende wundertätige und gekreuzigte Jesus von Nazareth. Das Bekenntnis zur Schönheit des Gottessohnes gehört zum Auferstehungsglauben des west-römischen Reiches der alten Christenheit!

LeerDer „oströmische” Elfenbein-Buchdeckel zeigt eine völlig veränderte Gestalt Jesu Christi zwischen den beiden Ur-Aposteln Petrus und Paulus auf himmlischem Thron in gänzlich byzantinischer Kunstform. Die Formulierung des Glaubensbekenntnisses hatte stattgefunden: „... Jesus Christus ... Gott vom Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott,... eines Wesens mit dem Vater ...”. Dieses „Mysterium” erscheint nun bildnisgleich auf der Elfenbein-Tafel: Der erhöhte Christus mit dem Kopf eines Gott-Vaters mit langem Haar und großem Bart! So bekam der sonst jugendliche Jesus eine Altmänner-Gestalt, auch mit Leibesfülle! Niemals gibt es in der altchristlichen Kunst die Darstellung einer „Passio magna” mit Tortur-Merkmalen. Mit dem „Crucifixus” wartet man bis ins 5. Jahrhundert, und dann erscheint er als siegender Christus, stehend und nicht hängend, während daneben Judas von Ischariot, der Verräter, am Baumast als Selbstmörder hängt. Anstelle einer Kreuzigungs-Darstellung wählte man bis dahin stellvertretend die Abbildung des alttestamentlichen Opfers Isaaks durch seinen Vater Abraham.

LeerEdessenumMan kann bei Euseb, dem Bischof von Caesarea († um 340), in seiner Kirchengeschichte (histor.eccles. I, 13) den Bericht nachlesen: König Abgar V. von Edessa soll im Jahr 29 durch einen Boten Jesus von Nazareth die Bitte angetragen haben, ein Bild von ihm zu erhalten. Jesus soll ihm ein Tuch geschickt haben, in das er sein Gesicht gedrückt habe (vgl. die Legende vom „Schweißtuch der Veronika”): Der Abdruck des Erlöserhauptes ohne Halsansatz, „nicht von Händen gemacht”, griechisch genannt „Acheiropoietos”. Byzantinisch und auch auf russischen Ikonen verwendet heißt dieser „Mandylion”. Er zeigt ein bärtiges, mit Haarflechten versehenes, mit streng symmetrischen Gesichtshälften gemaltes Christushaupt mit weit geöffneten Augen. Die Kunstgeschichte der klassischen griechischen Kunst vertritt die Annahme, daß das bekannte „Haupt der Gorgo” auf die Bildung des „Mandylion” eingewirkt hat.

LeerAbschließend kann vermutet werden, daß die Christus-Darstellung in der altchristlichen Zeit dem Drang nach Schönheit und ihrer Phantasie exegetischer Prägung entquillt. Dieser Ursprung bleibt wirksam, wie es etwa auch der Scholastiker Thomas von Aquino († 1274) in seiner Auslegung zu Psalm 45,3 („Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, holdselig sind deine Lippen”) bezeugt: „Christus besaß jene körperliche Schönheit im höchsten Grade, die seinem Antlitz etwas Majestätisches und Anmutiges zugleich verlieh, es leuchtete etwas Göttliches in seinem Angesicht, das alle mit Ehrfurcht erfüllte.”

LeerUnterscheidet man Ehrung und Verehrung oder ähnliche Formulierungen, wie man es auch immer bei der Betrachtung Marias, der Mutter des Herrn, tun sollte, so kann man zur liturgischen Verwendung der Christus-Ikonen sagen: Wo die Christus-Ikone geküßt wird, da ehrt man Leben und Opfer des HERRN und verehrt das Wesen des in der Auferstehung gewandelten Erlösers! Nicht das Problem der „Imago”, der Abbildung, ist entscheidend, sondern die „Imagination”, die „Rezeption” des erlösenden Christus und seines Wesens ohne Rücksichtnahme auf bildhafte „Reproduktion”, wann, wo, wie immer der Versuch einer malerischen Darstellung unternommen wurde oder wird! Christlicher Glaube stellt sich leibhaft in zeugenhafter Liturgie und Diakonie dar.

LeerDie Fragestellung, wie das Angesicht Jesu Christi wirklich ausgesehen habe, fällt in sich zusammen, verwandelt sich jedoch in den endzeitlichen Wunsch christlicher Auferstehungshoffnung: „Ich aber will schauen DEIN Antlitz in Gerechtigkeit; ich will satt werden, wenn ich erwache an DEINEM Bilde!” (Psalm 17,15).

Bild 1: Patriarch Nikephoros I. mit Acheiropoieta-Bild (Chludowpsalter 9. Jh.)
LeerAus: Wikipedia
Bild 2: „Edessenum” in der Barnabitenkirche zu Genua. (Holzstich 19. Jh.)
LeerAus: Slavisches Institut München (Hsg.), Handbuch der Ikonenkunst, 2. Aufl. München 1966

Quatember 1988, S. 140-142

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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