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Die Ökumenische Geschwisterschaft vom Kreuz, Walkenried
von Astrid Schwerdtfeger

Leer"Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gebot Christi erfüllen." Unter diesem Leitwort haben wir uns auf den Weg gemacht, auf den Weg eines geistlichen Experiments, auf dem eine recht ungewöhnliche Geschwisterschaft entstanden ist. Unterwegs sind wir noch immer - mit Christus, mit den verschiedenen kirchlichen Traditionen und miteinander, den sehr unterschiedlichen Geschwistern. 1954 hat es im Kloster Loccum begonnen. Drei evangelische Männer schlossen sich im Geiste der dortigen Stiftstradition zusammen. Das bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung: Nachdem in der Reformationszeit viele Klöster evangelisch geworden waren, lösten sich die Konvente nicht notwendigerweise auf. In Loccum und auch anderswo blieben die Konventualen (trotz der Aufgaben, die sie in der Welt übernommen hatten und später trotz Heirat und Familiengründung) als Stiftsherren miteinander verbunden. Sie trafen sich regelmäßig und pflegten die klösterliche Spiritualität. An diese Stiftsidee knüpften unsere ersten Brüder an. 1965 konnten sie mit der Hilfe von befreundeten Zisterzienserklöstern neben dem alten Kloster Walkenried im Harz das ehemalige Forsthaus der Abtei erstehen, das seit dieser Zeit als "Neues Priorat" das geistliche Zentrum unserer Geschwisterschaft ist.

Leer1971 wurde mit dem Eintritt des ersten katholischen Bruders, unseres heutigen Priors Br. Raymund Schwingel, die Bruderschaft ökumenisch. So gab es fortan evangelische und katholische, verheiratete und zölibatäre Stiftsherren in Walkenried. 1984 erfolgte ein weiterer entscheidender Schritt: Die ersten Schwestern wurden aufgenommen, so daß aus der Bruderschaft eine Geschwisterschaft wurde. Sie ist je nach Verbindlichkeit des Engagements untergliedert in den "Ordo Walkenredensis" und die "Familiaritas Walkenredensis". Insgesamt gibt es 30 Geschwister, die zum größten Teil über die Bundesrepublik verstreut leben; einige wohnen auch in Walkenried oder sind in die unmittelbare Nähe gezogen. Folgendes Selbstverständnis verbindet uns:
  • Ausrichtung unseres Lebens in Familie und Beruf am Evangelium Jesu Christi
  • Teilhabe an der monastischen Spiritualität, wie sie in der Regel des Hl. Benedikt zum Ausdruck kommt
  • Täglich Verrichtung mindestens einer Hora unseres Stundengebets
  • Regelmäßige und spontane Treffen im Neuen Priorat Walkenried als geistliches Exerzitium
  • Veranstaltungen von ökumenischen Seminaren und Einkehrtagen
LeerWir sind der Überzeugung, daß die Spiritualität der Regel des Hl. Benedikt nicht allein auf die Lebensform des Mönchtums in den Klöstern beschränkt sein muß, sie hat sich auch für unseren Alltag "in der Welt" neu erschlossen: Monastisches Christentum mit den Akzenten des regelmäßigen Gebets, des Schweigens, des geistlichen Exerzitiums und der bewußt vollzogenen existenzialen Interpretation des Evangeliums ("Höre, mein Sohn...") in verbindlicher Zusammengehörigkeit ist uns eine unverzichtbar gewordene Ergänzung zu der Zugehörigkeit zu unseren jeweiligen Kirchen und Ortsgemeinden. Unser Name "Geschwisterschaft vom Kreuz" bezieht sich natürlich in erster Linie auf das Kreuz Christi, von dem unsere Erlösung ausgeht, doch im Laufe der Jahre ist eine zweite Bedeutung hinzugekommen: Wir sind eine Geschwisterschaft, in der sich sehr verschiedene Lebenswege samt Lebensweisen kreuzen. So kann es z. B. passieren, daß auf einem Geschwisterschaftstreffen der katholische Priester seine Predigtvorbereitungen unterbricht, um die Kleinkinder, die ein Ehepaar des Ordens mitgebracht hat, ins Bett zu bringen, während die Mutter der Kinder an einem anderen Wochenende die Möglichkeit hat, mit den anderen Walkenrieder Schwestern in einer befreundeten Benediktinerabtei Einkehr zu halten.

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LeerOder der katholische Priester und die evangelische Pastorin des Ordos freuen sich auf einer ökumenischen Pfarrkonferenz, auf der sich zwischen den Konfessionen tiefe Gräben auftun, daß für sie und für die Geschwisterschaft durch das intensive Miteinander diese Gräben bereits überwunden sind. Oder die Schwestern des Ordens nehmen auf ihren besonderen Schwesterntreffen wahr, daß sich ohne das Beisein der Brüder eine andere (keine bessere und keine schlechtere, aber doch eine andere) Art der Kommunikation und des geistlichen Miteinanders entfaltet. Das sind Beispiele von sich kreuzenden Wegen, die gewiß nicht frei sind von Spannungen, uns aber reich machen an Erfahrung und Hoffnung. Auch wenn wir keinen gemeinsamen Alltag leben, kann doch jede Schwester und jeder Bruder damit rechnen, daß von einem der Mitglieder geschwisterliche Hilfe angeboten wird, wenn sie nötig ist. Dazu haben wir uns gegenseitig verpflichtet im Leben wie im Sterben. Das kann ein aufmunternder Telefonanruf sein, es kann ein Brief geschrieben oder ein Besuch gemacht werden. Auch Sterbebegleitung und Begleitung zu schweren Operationen hat es bereits bei uns gegeben. jeder darf die Gewißheit haben, in Krisensituationen seines Lebens nicht allein gelassen zu sein.

LeerBesonders wichtig sind uns natürlich die gemeinsamen Tage in Walkenried - zur Zeit sind es sechs für die Ordo-Mitglieder obligatorische Wochenenden. Während dieser Treffen geben wir uns hinein in einen klösterlichen Tagesablauf, der geprägt ist vom regelmäßigen Stundengebet, Zeiten der Stille, gemeinsamer Meditation oder Textbetrachtung und persönlichem Austausch. Wir pflegen auch den Kontakt zu befreundeten katholischen Klöstern und evangelischen Kommunitäten, wo unsere Geschwister, einzeln oder in kleinen Gruppen, immer wieder zu Rüstzeiten einkehren, damit das monastische Erbe unserer Gemeinschaft erhalten bleibt und neue Impulse erhält. Wenn wir uns auch keiner gemeinsamen Aufgabe widmen, sondern sehr verschiedenen Berufen nachgehen, so finden doch im Namen der Geschwisterschaft regelmäßig meditative Wochenenden für Interessierte im Neuen Priorat statt, so z. B. das Meditations- und Eutonieseminar im Oktober zum Thema "Bleibt in mir und ich in euch" oder im Dezember zum Thema: "Und das Licht scheint in der Finsternis." Auch haben wir von Zeit zu Zeit Gäste, die die Stille suchen und für sich Einkehr halten wollen. Der Ort der Einkehrtage ist: Neues Priorat, Steinweg 14, 3425 Walkenried. Eine recht bewegte Entstehungsgeschichte liegt hinter uns, und die Entwicklung ist gewiß noch nicht abgeschlossen. Wir sind auf dem Weg und wir wollen auf dem Weg sein mit Leib, Herz und Verstand. Gesammelt und doch offen vertrauen wir uns als einzelne und als Geschwisterschaft dem an, der von sich gesagt hat: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben."

Quatember 1988, S. 149-150

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
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