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Von Engeln und anderen himmlischen Wesen
von Waldemar Wucher

LeerSo lautet der Titel einer Ausstellung, die das EKD-Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg aIs Wanderausstellung konzipiert und auf den Weg gebracht hat. Die Ausstellung wirft Fragen auf. Zuerst präsentiert wurde sie in der Vertretung des Landes Hessen bei der Bundesregierung in Bonn. Ein christliches Thema findet Aufmerksamkeit im Zentrum der Politik. Als die Ausstellung später in das evangelische Pfarrhaus in Bad Soden wanderte, ist in der Einladung davon die Rede, daß „aufgeklärte Weltsicht und Entmythologisierung die Engel eliminierte” - als Frage an die Kirche. Und schließlich: „Was fasziniert Künstler an Engeln?”. Es sind Arbeiten aus der Mitte zeitgenössischer Kunst.

LeerEs sei erlaubt, in einem Bericht in QUATEMBER die Vorgeschichte dieser außergewöhnlichen Ausstellung zunächst an Entwicklungen in der Evangelischen Michaelsbruderschaft beispielhaft zu verdeutlichen. Im Jahre 1972 fand im Kloster Corvey eine mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler breit angelegte Ausstellung statt, die den Titel trug „Christliche Kunst”. Kann man heute von „christlicher Kunst” sprechen? Gerhard Langmaack verstand die Corveyer Ausstellung als Mahnung, neu über die Bedeutung der zeitgenössischen Kunst für den kirchlichen Erneuerungsauftrag auch seitens der Evangelischen Michaelsbruderschaft nachzudenken.

LeerGerade damals hielt Georg Picht seine Heidelberger Vorlesung über „Kunst und Mythos”, in der er die Kunst der Moderne als kritische Anfrage sowohl an die Industriegesellschaft wie an die Kirche analysierte, und Horst Schwebel, der Initiator der „Engel”-Ausstellung, hatte gerade sein Buch „Autonome Kunst im Kirchenraum” geschrieben. Die Bruderschaft hatte es nicht schwer, an ihren Ursprung in Berneuchen und an Einsichten und Mahnungen Paul Tillichs anzuknüpfen, der schon 1930 neben der Flucht vor dem Alltag und dem Mangel an Sachmächtigkeit Verrat an der Gegenwart als Grund für die Erstarrung des Formwillens in der Kunst wie im Gottesdienst bezeichnet und von „Erinnern an Dinge, die nicht mehr echte Tradition sind”, gewarnt hatte.

LeerSie durfte sich auch der von Günter Howe veranlaßten Kunsthistoriker -Theologen-Gespräche und der daraus hervorgegangenen, 1957 erschienenen Veröffentlichung „Das Gottesbild im Abendland” erinnern. Von seinem Auftrag als Schriftleiter her erinnerte daran Heinz Beckmann, als er immer neu darauf drängte, die Anfrage der zeitgenössischen Kunst in QUATEMBER in Erinnerung zu rufen. Anlaß gab die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Hamburg 1974, in der sich Friedrich inhaltlich und formal als früher Vorläufer des künstlerischen Umbruchs um 1900 erwies.

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LeerUnd Paul Klees „Kunst macht sichtbar” bestätigte sich als Schlüsselwort für die Kunst der Moderne, als sein Gesamtwerk anläßlich seines 100. Geburtstages im Jahre 1979 in mehreren großen Ausstellungen gezeigt wurde. Schon der Titel der umfangreichen Ausstellung zum Katholikentag Berlin 1980 „Zeichen des Glaubens - Kunst der Avantgarde” artikulierte die Frage der zeitgenössischen Kunst an die Kirche.

LeerEinen ersten sichtbaren Schritt wagte der Arbeitskreis für Gegenwartsfragen der Evangelischen Michaelsbruderschaft, als er 1976 eine Ausstellung mit dem programmatischen Titel „Kunst im Kirchberger Kreuzgang” mit zeitgenössischen Arbeiten veranstaltete. Und wenn es auch in Verbindung mit dem 2. Berneuchener Gespräch im Jahr 1979 noch zur Ausstellung des großen Zyklus „Miserere” von Georges Rouault kam, so schien doch bei einem zwiespältigem Echo die geistig-sinnliche Aufnahmebereitschaft an dieser Stelle offenbar noch nicht tragfähig genug. Aber die Frage bleibt lebendig und verlangt darum eigene Antworten seitens der Michaelsbruderschaft. Ansätze dazu sind auch im Zusammenhang mit dem Auftrag gottesdienstlicher Erneuerung zu spüren. Doch darüber wird an anderer Stelle berichtet.

LeerDie „Engel”-Ausstellung lenkte den Blick auf unser Jahrhundert. Künstler der Frühzeit wie Marc Chagall, Otto Dix, Alfred Manessier oder Gerhard Marcks sind ebenso vertreten wie Horst Antes, Christine Eckert, Herbert Falken, E. R. Nele und viele andere Namen lebender Künstler. Es sind nicht die von der christlichen Bildgeschichte des Abendlandes her gewohnten abbildhaften Engelbilder, die heute eher auf sich selbst zurückweisen und daher für den Menschen der Gegenwart oft nur wenig hilfreich sind. Das Engelbild dieser Ausstellung, das Engelbild der Kunst der Gegenwart weist von sich weg auf den Betrachter, weil es vom Künstler selbst Erlebtes, Erfahrenes, Erlittenes und Beglückendes ins Bild bringt.

LeerEs wird zum künstlerischen Bild, indem es die eigene Widerfahrnis des Betrachters, Erfahrungen seines eigenen Lebens anrührt und lebendig werden läßt und sich eben dadurch als Kunstwerk erweist. Und gerät dies nicht auch in die Nähe des biblischen Verständnisses von Wesen und Wirken der Engel? Engel sind Boten, sichtbar und erlebbar für den, der von ihnen angerührt ist. Als gleichsam objektiver historischer Beleg, auch in Bildern sogenannter „christlicher Kunst”, sind Engelerscheinungen nur wenig hilfreich. Es bedarf keiner wissenschaftlichen „Entmythologisierung”, um ihre Realität für den Menschen der Gegenwart glaubwürdig zu machen. Kunst kann helfen, in den überlieferten Zeichen der Heilsgeschichte, zu denen die Engel gehören, eigenes Widerfahrnis als Anruf, Trost und Ermutigung glaubend zu verstehen.

Quatember 1988, S. 150-152

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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