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Eine Begegnung mit der „Katholischen Orthodoxen Kirche von Frankreich”
von Georges Kempf

LeerDer elsässische Konvent der Evangelischen Michaelsbruderschaft hatte zu einem „Tag der Besinnung” mit Monseigneur Germain, dem Bischof der „Eglise Catholique Orthodoxe de France” (Katholische Orthodoxe Kirche von Frankreich) eingeladen. Schon die Einladung hatte verwundert. Die Kirche, deren einziger (durch den Patriarchen von Rumänien geweihter) Bischof Mgr. Germain ist, gilt bei den anderen in Frankreich anerkannten orthodoxen Kirchentümern als „nicht unbedingt repräsentativ”. Sie besteht aus einer Anzahl lebendiger, zahlenmäßig nicht sehr großer Gemeinden in verschiedenen Städten Frankreichs. Das Besondere: Ihre Glieder sind fast durchweg Konvertiten, von denen manche die Verbindung mit der Kirche ihrer Herkunft gar nicht aufgeben möchten und in der Praxis oft weiter pflegen. Was sie zusammenführt und verbindet, ist die Entdeckung orthodoxer Spiritualität in einer „heiligen Liturgie” ohne den Ballast von ostkirchlichen Absonderlichkeiten, die an ihrem Ort zwar historisch erklärbar sind, für westlich geprägte Menschen aber Hindernisse darstellen, die ihnen den Zugang zu den „heiligen Mysterien” zumindest erschweren, wenn nicht gar versperren.

LeerDie „Eglise Catholique Orthodoxe de France” will im Unterschied zu den orthodoxen Exil- und Diaspora-Kirchen russischer und anderer Prägung eine französische Nationalkirche sein. Allerdings will sie nicht ihre Ursprungsnationalität im Sinne eines Nationalismus weiterpflegen, wie er gerade den Exilkirchen oft anhaftet. Gefragt, warum die „Nation” in seinen Ausführungen eine so große Rolle spiele, antwortet Mgr. Germain mit dem Hinweis, daß dies der biblischen Weltschau entspreche. In der Bibel sei nicht von einer undifferenzierten Menschheit die Rede, sondern von deutlich unterschiedenen „Nationen”, im Alten wie im Neuen Testament - beispielsweise im Missionsbefehl: „Machet zu Jüngern alle Völker” (französisch = toutes les nations). Die Gliederung der einen Kirche in Nationalkirchen mit je ihrer sprachlich und kulturell bedingten nationalen Besonderheit entspreche der biblischen Sicht. Deshalb heiße es nicht Russisch oder Griechisch Orthodoxe Kirche in, sondern „Katholisch Orthodoxe Kirche” von Frankreich. Katholizität bedeute Einheit in der Vielfalt.

LeerDie Liturgie dieser Kirche ist daher sehr wohl die „heilige Liturgie” der Orthodoxie - etwa die eines Johannes Chrysostomus -, daneben pflegt sie aber auch das „gallikanische” Element nach dem Vorbild einer gallischen Liturgie in dem „Ritus von Saint Germain de Paris” aus der Zeit vor Karl dem Großen. Dazu Pierre Erny, theologisch gebildeter Katholik und Anthropologe, Professor an der Straßburger Universität: „Als ich diese Liturgie zum erstenmal erlebte, wußte ich in der Tiefe meiner Selbst: Das ist es, was ich suchte. Mich überzeugten nicht theologische Argumente, sondern die endlich würdige, endlich schöne, endlich bedeutende Zelebration der heiligen Mysterien.”

LeerProfessor Erny hatte zu den Ausführungen von Mgr. Germain das Korreferat übernommen. Es wurde das engagierte Zeugnis eines Christen, der - auf beiden Seiten konfessioneller Grenzen daheim - ganz bewußt die Brückenfunktion wahrnehmen will. Mit der Schilderung seines Weges aus einer elsässischen, gut katholischen Familie über die Arbeit in der katholischen Mission in Ober-Volta zur wissenschaftlichen Anthropologie beschrieb er seinen inneren Weg zur Orthodoxie.

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LeerBei aller Sympathie gelte jedoch: „Wir sind keine Orientalen, können und sollen es auch nicht werden. Die Kirchen des Ostens haben Besseres verdient, als von uns imitiert oder in ihrer religiösen Folklore, ihrem Vokabular, den Ausdrücken ihrer Sensibilität und den äußeren Zeichen nachgeäfft zu werden ... Unsere Aufgabe besteht darin, eine westliche Orthodoxie glaubhaft und erlebbar zu machen. Ich empfinde den Gegensatz Orient - Okzident als eine Art Polarität, wie sie jedem Menschen innewohnt. Wir tragen in uns von beiden einen Teil, wie wir alle ... eine introvertierte und eine extravertierte, eine aktive und eine kontemplative Komponente in uns tragen ... So empfinde ich die Bipolarität Orient - Okzident heute als fruchtbare Komplementarität, einen Rhythmus, einen Atem ...”

LeerIn der „Eglise Catholique Orthodoxe de France” geht es darum, diese fruchtbare Ergänzung zu leben und zu vermitteln.

LeerDabei ist diese Kirche nicht unangefochten. Eine ihrer Charakteristiken ist die eucharistische Gastfreundschaft, die sie nicht nur allen Getauften gewährt, sondern auch selbst in Anspruch nimmt.

LeerFür seine „Biblische Besinnung” hatte Mgr. Germain das Evangelium des Festes der Darstellung des Herrn im Tempel in Lukas 2, 22-40 gewählt, weil die Begegnung Anfang Februar stattfand. Die etwa 70 Zuhörer erlebten eine Schriftbetrachtung Johanneischer Art in orthodoxer Spiritualität, meditativ und zugleich in logischen Aufbau in sieben Aspekten. Einer davon: Der greise Simeon als Ikone der Kirche: „Die Kirche hat diesen ganz kontradiktorischen Aspekt, im Licht göttlicher Jugend zu erstrahlen und zugleich sehr alt und zitterig zu sein. Sie ist verbraucht... Sie hat zitternde, versagende Hände und hält in ihnen die göttliche Jugend ... Und eben das erleben wir an uns selbst...” Diese Exegese war statt logischer Analyse ein spielerisch-munteres und dennoch ehrfürchtiges Abhorchen der Ober- und Untertöne; so etwa wie man einem Glocken-Geläute nachlauschen mag.

LeerMich erinnerte diese biblische Besinnung an ein abendliches Gespräch mit einem orthodoxen Hochschullehrer in der Orthodoxen Akademie von Kreta. Wir sagten uns gegenseitig, was uns in der anderen Konfession anzieht und befremdet. Als ihn Befremdendes erzählte er von einem evangelischen Gottesdienst: „Das trat einer vor, zog eine zerlesene Taschenbibel heraus (Respekt vor dem fleißigen Bibelleser!) und las uns daraus mit der linken Hand in der Hosentasche das Evangelium vor. Verstehen Sie,” sagte er, „so ehrfurchtslos können wir mit dem Evangelium nicht umgehen.” Ich sagte ihm zwar, das sei bei uns auch nicht die Regel, aber sah auch vor mir, wie am selben Vormittag im Kloster von Kolymbari das Evangelium gelesen wurde: Das kostbare Evangelienbuch wurde in einer Prozession herumgetragen, ehrfürchtig vorgezeigt, geküßt und dann gesungen - in einer Sprache freilich, die ich nicht verstand. Und ich dachte: Wir haben allemal voneinander zu lernen. Es mag schon zusammengehören, wie man mit dem Buch umgeht und wie mit dem, was drinnen steht.

Quatember 1988, S. 154-156

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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